Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

UBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 2

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VOM FALKEN UND VOM REBHUHN

Eines Tages kam ich in einen Weinberg, um von seinen Trauben zu fressen; und wie ich gerade dort war, erblickte ich einen Falken, der auf ein Rebhuhn niederschoß. Schon hatte er es gepackt und hielt es in den Klauen, da entkam es ihm dennoch, schlüpfte in sein Nest und verbarg sich darin. Aber der Falke folgte ihm und rief ihm zu: ,O du Tor, ich sah dich im Felde hungrig, da hatte ich Mitleid mit dir; und ich pickte ein paar Körner für dich auf und hielt dich fest, damit du fressen solltest. Du aber bist mir davongelaufen, und ich sehe keinen Grund für dein Fortlaufen, als daß du die Gabe nicht annehmen wolltest. Nun komm doch heraus, nimm die Körner, die ich dir gebracht habe, und friß sie -mögen sie dir wohl bekommen!' Als das Rebhuhn die Worte des Falken hörte, glaubte es ihm und kam hervor. Doch da schlug der Falke ihm die Krallen in den Leib und packte es ganz fest. Das Rebhuhn schrie: ,Ist dies,



1000-und-1_Vol-02-258 Flip arpa

was du mir vom Felde mitgebracht hast, wie du sagtest, und das du mir botest mit den Worten: Friß es, möge es dir wohl bekommen? Du hast mich belogen; möge Allah das, was du von meinem Fleische frissest, in deinem Magen zu einem tödlichen Gifte machen!' Als nun der Falke das Rebhuhn gefressen hatte, fielen ihm die Federn aus, seine Kraft verfiel, und er starb auf der Stelle.' *

Dann fuhr der Fuchs fort: ,Wer seinem Bruder eine Grube gräbt, Lallt in dies Grab bald selbst hinab. Du hast zuerst treulos an mir gehandelt.' Da sprach der Wolf zum Fuchs: ,Laß ab, solche Reden zu führen und Sprichwörter zu zitieren. Erinnere mich nicht an meine früheren Missetaten; ich habe doch genug an der Not, in die ich jetzt geraten! Ich bin jetzt an einer Stätte. an der selbst ein Feind mich bemitleiden würde, wieviel mehr ein Freund! Ersinne mir lieber ein Mittel. durch das ich frei werden kann; sei du jetzt meine Rettung. Und wenn dir das beschwerlich fällt, so bedenke, daß der Freund für den Freund oft die größte Mühe auf sich lädt, ja daß er sein Leben wagt um das, worin für jenen die Rettung aus der Gefahr besteht. Es heißt sogar, daß ein Freund, der nicht versagt, einen leiblichen Bruder an Wert überragt. Wenn du mir zur Rettung verhilfst und ich wirklich gerettet werde, so will ich dir eine Kenntnis sammeln, die dir zur Rüstung dienen wird; und ich will dich seltene Künste lehren, die dir die reichsten Weinberge öffnen, so daß du die Früchte von den Reben pflücken kannst. Darum hab Zuversicht und quäl dich nicht!' Lachend erwiderte der Fuchs: ,Wie schön ist, was die Gelehrten von einem so großen Dummkopf, wie du es bist, gesagt haben!' ,Was haben die Gelehrten denn gesagt?' fragte der Wolf. Der Fuchs gab zur Antwort: ,Die Gelehrten haben erklärt, in einem



1000-und-1_Vol-02-259 Flip arpa

groben Leibe wohne auch eine grobe Natur, und die sei fern dem Verstand, doch nahe dem Unverstand. Wenn du meinst. du betrogener, törichter Betrüger, der Freund solle Mühe auf sich laden, um seinen Freund zu befreien, so ist das richtig, wie du es sagst; aber laß mich doch trotz deiner Dummheit und Torheit wissen, wie ich in dir einen Freund sehen kann, da du so treulos bist! Hältst du mich noch für deinen Freund, wo ich dir ein schadenfroher Feind bin? Und dies ist ein Wort, das ist schlimmer als Pfeilschuß und Mord, wenn du das verstehen kannst. Wenn du nun weiter sagst, du wollest mir eine Kenntnis verschaffen, die mir zur Rüstung dienen werde, und du wollest mich Künste lehren, durch die ich in die reichsten Weinberge gelangen und die Früchte von den Reben pflücken könnte, wie kommt es denn, o du Verräter und Betrüger, daß du kein Mittel weißt, um dem Verderben zu entrinnen? Wie weit bist du davon entfernt, dir selber helfen zu können, und wie weit bin ich davon entfernt, deinen Rat anzunehmen! Hast du ein Mittel, so wende es für dich selber an zu deiner Rettung aus dieser Not, in der du -so bete ich zu Allah -noch lange sein mögest. Nun schau, du Tor, ob du noch ein Mittel hast, und rette dich dadurch vor dem Tode, ehe du deine Lehren an einen anderen verschwendest. Allein bei dir geht's wie bei einem Manne, den eine Krankheit befallen hatte; zu dem kam einer, der an derselben Krankheit litt, um ihn zu heilen, und sprach zu ihm: ,Soll ich dich von deiner Krankheit heilen?' Da fragte der Mann: ,Warum hast du nicht damit angefangen, dich selbst zu heilen?' ließ ihn stehen und ging davon. Du törichter Wolf, bei dir ist es genau so; drum bleib in deinem Loch zurück und ertrage dein Geschick!'

Als der Wolf die Worte des Fuchses vernommen hatte, erkannte er, daß er nichts Gutes von ihm zu erwarten hatte, und



1000-und-1_Vol-02-260 Flip arpa

so weinte er über sein Unglück und sprach: ,Einst lebte ich unbekümmert um mein Geschick; doch wenn Allah mich jetzt aus dieser Not errettet, so will ich von meiner Anmaßung gegen den, der schwächer ist als ich, ablassen, will eine härene Kutte anlegen und will auf die Berge steigen, um Allah den Erhabenen anzurufen und in Furcht vor seiner Strafe zu leben; ja, ich will mich von allen Tieren des Feldes absondern und will immerdar die Glaubensstreiter und die Armen speisen.' Dann weinte und klagte er weiter. Da ward das Herz des Fuchses gerührt, und wie er die demütigen Worte des Wolfes vernahm und sein Gelöbnis. von Stolz und Übermut abzulassen, war es, als ob ihn das Mitleid mit ihm ergriff. Fröhlich sprang er auf, trat an den Rand der Grube heran, setzte sich auf seine Hinterbeine und ließ seinen Schwanz in die Grube hinabhängen. Aber da machte sich der Wolf ans Werk, streckte eine Vorderpfote nach dem Schwanze des Fuchses aus und zog ihn an sich, bis er bei ihm unten in der Grube war. Und nun sprach der Wolf zu ihm: ,O Fuchs, der du kein Mitleid kennst, wie konntest du über mich frohlocken, du, der du einst mein Gefährte warst und unter meiner Macht standest? Jetzt bist du zu mir in die Grube gefallen, und die Strafe hat dich rasch ereilt. Haben doch die Weisen gesagt: Wenn einer von euch seinen Bruder schmäht, weil er an den Zitzen einer Hündin saugt, so soll er auch daran saugen. Und wie schön spricht der Dichter:

Wenngleich das Schicksal lange Zeit auf Menschen lastet,
Ereilt es doch zuletzt auch andere als uns.
Drum sag den Schadenfrohen, die uns höhnen: Wachet!
Die Schadenfrohen trifft dieselbe Not wie uns.

Der gemeinsame Tod ist doch das Schönste. So will ich dir denn ein rasches Ende machen, ehe du siehst, wie ich sterbe!' Da sprach der Fuchs bei sich selber: ,Ach, ach! Jetzt bin ich



1000-und-1_Vol-02-261 Flip arpa

doch mit diesem Tyrannen zu Fall gekommen! Diese Lage erfordert List und Trug; denn es heißt: Die Frau bereitet ihren Schmuck für den Tag des Festes; und im Sprichwort sagt man: Meine Träne, dich halt ich zurück für ein schweres Mißgeschick.' Wenn ich jetzt dies grausame Raubtier nicht überliste, so komme ich unweigerlich um. Wie schön ist doch das Dichterwort: .

Leb durch Verrat! Dies ist eine Zeit,
Deren Söhne wie Löwen des Dickichts sind.
Laß strömen die Bäche der Tücke, auf daß
Des Lebens Mühle sich drehe geschwind.
Und pflücke die Früchte; doch nimm vorlieb
Mit Gras, wenn jene zu hoch für dich sind.'

Alsdann sprach er zum Wolfe: ,Beeile dich nicht, mich zu töten; denn das ist nicht der rechte Lohn für mich. Du würdest es sonst bereuen, o Held unter den Tieren, den Kraft und gewaltige Tapferkeit zieren! Wenn du ein wenig wartest und genau auf das achtest, was ich dir erzählen will, so wirst du den Plan verstehen, den ich ersonnen habe. Doch wenn du mich eilends tötest, so wirst du nichts mehr in der Hand haben, und wir werden hier beide den Tod finden.' ,O du Verräter und Betrüger,' rief der Wolf, ,was für eine Rettung erhoffst du noch für mich und für dich, so daß du mich bittest, ich solle mich mit dir gedulden? Sprich und berichte mir von deinem Plane, den du ersonnen hast!' Da erwiderte der Fuchs: ,Was meinen Plan angeht, den ich erdacht habe, so ist es gar nicht nötig, daß du mich schön für ihn belohnst. Sieh, als ich hörte, was du versprachst und wie du dein früheres Tun beichtetest und es bedauertest, nicht schon früher Buße und gute Werke getan zu haben, und als ich dann weiter vernahm, was du zu tun gelobtest, wenn du aus deiner Not befreit würdest, daß du



1000-und-1_Vol-02-262 Flip arpa

nämlich aufhören wolltest, deinesgleichen und andere zu quälen, daß du keine Trauben noch irgendwelche anderen Früchte mehr essen wolltest, daß du dich der Demut hingeben, deine Krallen beschneiden, deine Hauer ausbrechen, die Kutte anlegen und Allah dem Erhabenen Opfer darbringen wolltest, da ergriff mich Mitleid mit dir - und wahre Worte sind die besten -, trotzdem ich vorher dein Verderben herbeigesehnt hatte. Also wie ich vernahm, daß du Buße tatest, und was du zu tun gelobtest, wenn Allah dich erretten würde, da hielt ich es für meine Pflicht, dich aus deiner Not zu befreien; so ließ ich denn meinen Schwanz zu dir hinunterhängen, damit du dich an ihm festhalten und dich retten könntest. Aber du konntest doch von deiner gewohnten Gewalttätigkeit und Roheit nicht lassen und wolltest nicht durch Milde Rettung und Heil gewinnen; nein, du zogst so heftig, daß ich glaubte, mein Leben hätte mich verlassen, und so sind wir nun beide an die Stätte des Verderbens und des Todes geraten. Jetzt kann uns beide nur noch eines retten, und wenn du mir darin folgst, so werden wir befreit; danach aber geziemt es dir, daß du dein Gelübde erfüllest, und ich will dann dein Gefährte sein.' ,Was ist's, darin ich dir folgen soll?' fragte der Wolf. Der Fuchs erwiderte: .Stell dich aufrecht auf deine Hinterbeine, dann will ich auf deinen Kopf steigen, so daß ich nahe der Erdoberfläche komme. Darauf will ich hochspringen, und wenn ich oben bin, will ich fortgehen und dir etwas holen, an dem du dich festhalten kannst, so daß auch du schließlich gerettet wirst.' Aber der Wolf entgegnete ihm: ,Ich kann mich auf deine Worte nicht verlassen. Denn die Weisen sagen: Wer Vertrauen übt, wo er hassen sollte, geht fehl; und wer auf einen, der kein Vertrauen verdient, baut, wird betrogen; wer es mit einem, den man durch Versuche kennen gelernt hat, noch einmal



1000-und-1_Vol-02-263 Flip arpa

versucht, bei dem kehrt die Reue ein, und seine Tage gehen nutzlos dahin; wer nicht zwischen den verschiedenen Lagen unterscheiden kann und nicht jeder Lage das zuerteilt, was ihr gebührt, sondern alle Dinge nach einem einzigen Falle beurteilt, der hat wenig Glück und viel Unglück. Wie gut sagt der Dichter:

Immer denke nur an Schlechtes;
Argwohn ist der beste Rat.
Nichts bringt so den Mann ins Unheil
Wie Vertraun und gute Tat.

Und ein anderer:

Glaub fest an schlechte Meinung, so wirst du stets gerettet;
Wer wachsam lebt, den wird das Unglück immer fliehn.
Begegne deinem Feind mit lächelndem, offenem Antlitz,
Und rüste in deinem Herzen ein Heer zum Kampf wider ihn!

Und ein dritter:

Dem du am meisten traust, der ist dein schlimmster Feind:
Drum hüte dich vor Menschen; sei heuchlerisch ihr Freund.
Du leidest doch nur Schaden, denkst du vom Schicksal gut;
So denke schlecht von ihm, sei vor ihm auf der Hut!'

Darauf erwiderte ihm der Fuchs: ,Argwohn ist nicht lobenswert zu jeder Zeit; nein, gute Meinung ist ein Zeichen der Vollkommenheit. und sie ist es. die schließlich von Furcht befreit. Dir geziemt nun, o Wolf, ein Mittel zur Errettung aus deiner Not zu finden, so daß wir beide heil entkommen; das ist doch besser, als wenn wir sterben. Also laß ab von Argwohn und Haß! Wenn du gut von mir denkst, so kann nur eins von zwei Dingen geschehen; entweder ich bringe dir etwas, an dem du dich festhalten kannst, so daß du aus deiner Not gerettet wirst, oder ich handle treulos an dir, indem ich mich selbst rette und dich deinem Schicksale überlasse. Dies aber ist unmöglich; denn ich bin dann nicht sicher davor, daß ich ebenso heimgesucht



1000-und-1_Vol-02-264 Flip arpa

werde wie du; und das wäre dann die gerechte Strafe für die Treulosigkeit. Es heißt ja auch im Sprichwort: Treue ist trefflich; Verrat ist häßlich. Also geziemt es sich für dich, daß du mir vertraust; denn ich bin nicht ganz unerfahren in den Wechselfällen des Schicksals. Darum warte nicht länger damit, unsere Rettung möglich zu machen; die Sache drängt zu sehr, als daß wir noch lange Reden darüber führen könnten.' Nun sagte der Wolf: ,Obgleich ich nur wenig Vertrauen zu deiner Treue habe, so wußte ich doch, was in deinem Innern vorging, nämlich daß du mich befreien wolltest, weil du von meiner Reue hörtest; und ich sprach bei mir: Wenn er mit seinen Worten die Wahrheit sagt, so wird er seine Sünde wieder gutmachen; wenn er aber die Unwahrheit sagt, so steht seine Bestrafung in der Hand des Herrn. Ich will dir also in dem folgen, was du mir geraten hast. Aber verrätst du mich, so wird der Verrat dich ins Verderben bringen.' Darauf richtete der Wolf sich in der Grube auf seinen Hinterbeinen empor und ließ den Fuchs auf seine Schultern klettern, so daß er in gleicher Höhe mit der Oberfläche der Erde war; der Fuchs sprang von den Schultern des Wolfes aus in die Höhe und erreichte den Erdboden. Doch wie er nun außerhalb der Grube war, sank er zuerst ohnmächtig hin. Als der Wolf dann rief: ,Lieber Freund, vergiß meine Not nicht und säume nicht, mich zu befreien!' da brach der Fuchs in ein schallendes Gelächter aus und sprach: ,O du Betrogener, nur deshalb fiel ich dir in die Hände, weil ich meinen Scherz und Spaß mit dir trieb. Das war nämlich so: als ich von deiner Reue hörte, da kam solch fröhliche Heiterkeit über mich, daß ich aufsprang und lustig tanzte, und dabei geriet mein Schwanz in die Grube; du aber zogst mich daran zu dir hinunter. Dann hat Allah der Erhabene mich wieder aus deiner Hand befreit. Warum sollte ich jetzt nicht



1000-und-1_Vol-02-265 Flip arpa

dabei behilflich sein, dich zu Tode zu bringen, dich, der du zum Volke Satans gehörst? Höre, gestern sah ich mich im Traume auf deiner Hochzeit tanzen: da erzählte ich den Traum einem Deuter, und der sagte mir: Du wirst in einen Abgrund stürzen, aber du wirst auch wieder aus ihm gerettet werden. Jetzt weiß ich, daß dies die Erfüllung meines Traumgesichtes ist, wie ich in deine Hand gefallen und doch wieder entkommen bin. Und du weißt doch, du betrogener Tor, daß ich dein Feind bin; wie kannst du nur in deiner Dummheit und Torheit noch verlangen, daß ich dich befreien soll, zumal du meine harten Worte vernommen hast? Warum sollte ich mich denn bemühen, dich zu retten? Sagen doch die Gelehrten: Der Tod eines Übeltäters schafft den Menschen Ruhe und reinigt die Erde. Und dennoch, müßte ich nicht fürchten, daß ich durch Treue gegen dich noch größeres Leid mir zuziehen würde als durch Verrat, so würde ich noch Mittel finden, dich zu befreien.' Wie der Wolf diese Worte des Fuchses hörte, biß er sich vor Reue in die Vorderpfoten. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 150 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wolf sich vor Reue in die Vorderpfoten biß, als er die Worte des Fuchses vernahm. Dann gab er ihm gute Worte, aber das half und nützte ihm nichts. Schließlich sprach er zu ihm mit leiser Stimme: ,Ihr Volk der Füchse gehört doch zu den Leuten, die die süßeste Zunge haben und den feinsten Scherz treiben. Dies ist ja nur ein Scherz von dir; aber doch nicht zu jeder Zeit sind Spiel und Scherz angebracht.' ,Du Tor,' erwiderte der Fuchs, ,der Scherz hat eine Grenze, die der Spötter nicht überschreiten darf. Glaube doch nicht, Allah werde dir noch einmal wieder Gewalt



1000-und-1_Vol-02-266 Flip arpa

über mich geben, nachdem er mich aus deinen Händen befreit hat!' Nun bat der Wolf: ,üm unserer früheren Brüderschaft und Freundschaft willen ist es doch deine Pflicht, mich zu befreien zu suchen. Und wenn du mich wirklich befreist, so will ich dir sicherlich einen schönen Lohn zuteil werden lassen.' Der Fuchs gab zur Antwort: ,Die Weisen sagen: Nimm den boshaften Tor nicht zum Bruder; denn er macht dir Beschwer, doch keine Ehr. Nimm auch den Lügner nicht zum Bruder; denn, wenn an dir etwas Gutes ist, so wird er es verschweigen, doch wenn an dir etwas Schlechtes ist, so wird er es zeigen. Ferner sagen die Weisen: Gegen alles gibt es ein Mittel, nur nicht gegen den Tod; alles läßt sich heilen, nur nicht die Verdorbenheit des inneren Wesens; alles läßt sich abwehren, nur nicht das Schicksal. Wenn du aber sagst, du wollest mir einen Lohn zuteil werden lassen, den ich um dich verdient hätte, so vergleiche ich dich bei deinem Lohnen mit der Schlange, die dem Beschwörer entfloh. Ein Mann sah sie in ihrer Angst und fragte sie: ,Was ist dir, o Schlange?' Sie antwortete: ,Ich bin dem Beschwörer entflohen, und jetzt sucht er mich. Wenn du mich vor ihm rettest und mich bei dir verbirgst, so will ich dir einen schönen Lohn zuteil werden lassen und dir lauter Gutes tun!' Da der Mann den Lohn gewinnen wollte und das Entgelt begehrte, so nahm er sie und tat sie in seine Busentasche. Als nun der Beschwörer vorbei und seines Weges gegangen war und die Schlange keine Ursache zur Furcht mehr hatte, sagte der Mann zu ihr: ,Wo ist der Lohn? Jetzt habe ich dich vor dem gerettet, was du befürchtetest und besorgtest.' Doch die Schlange erwiderte ihm: ,Sage mir, in welches Glied und an welcher Stelle ich dich beißen soll. Du weißt ja, das ist der höchste Lohn, den wir verleihen.' Dann versetzte sie ihm einen Biß, an dem er starb. Dich aber, du Dummkopf, vergleiche ich



1000-und-1_Vol-02-267 Flip arpa

mit jener Schlange, wie sie an dem Manne handelte. Hast du nicht das Dichterwort gehört:

Trau keinem Mann, wenn du ihm Groll ins Herz gesenket,
Glaub nimmer, daß der Groll verging und nicht mehr trifft;
Sieh auf die Schlangen: wenn sie auch weich sich anfühlen lassen,
Sie zeigen geschmeidige Falten und bergen das tödliche Gift.'

Da hub der Wolf wieder an: ,O du, der so fein spricht, du Schöngesicht, sei nicht im unklaren darüber, wer ich bin und wie die Menschen sich vor mir fürchten! Du weißt doch, daß ich Burgen bezwinge und den Weinbergen die Stämme mit den Wurzeln entringe. Tu, was ich dir befehle, und diene vor mir wie der Knecht vor seinem Herrn!' Aber der Fuchs rief: ,O dummer Narr, der du bist, und der du erstrebst, was unmöglich ist, ich wundere mich doch wirklich über deine Torheit und deine eherne Stirn, daß du mir noch befehlen willst, dir zu dienen und dir aufzuwarten, als wäre ich dein Knecht, den du mit deinem Gelde gekauft hättest; aber du wirst bald sehen, was sich hier zuträgt, wie man dir den Schädel mit Steinen zertrümmert und dir die treulosen Hauer ausschlägt!'

Dann stellte der Fuchs sich auf einem Hügel auf, der den Weinberg überragte, und rief den Besitzern des Weinbergs ohne Unterlaß, bis er sie auf sich gelenkt hatte und sie ihn erblickten und alle zusammen eiligst auf ihn zuliefen. Er selbst aber blieb so lange stehen, bis die Leute in seine Nähe kamen und auch nahe bei der Grube waren, darinnen der Wolf sich befand, und dann machte er sich auf und davon. Da blickten die Leute des Weinbergs in die Grube, und als sie den Wolf darin sahen, fielen sie mit schweren Steinen über ihn her und drangen immerfort mit Steinen und Knütteln auf ihn ein und stachen nach ihm mit Speeren, bis sie ihm den Garaus gemacht hatten; dann gingen sie fort. Der Fuchs aber kehrte noch einmal



1000-und-1_Vol-02-268 Flip arpa

zu jener Grube zurück und trat neben die Stätte, wo der Wolf getötet war. Wie er ihn nun tot daliegen sah, schüttelte er den Kopf in übermäßig frohem Sinn und sprach dann diese Verse vor sich hin:

Das Schicksal nahm die Seele des Wolfes hinweg, sie entschwebte -
Weit, weit sei diese Seele, die jetzt ihr Ende fand!
Wie hast du dich, o Wolf, gemüht, mich zu verderben Heut kam zu dir das Unheil und bleibt an dich gebannt.
Du fielst in eine Grube, in die niemand gerät,
Ohn daß er spürt, wie dort der Hauch des Todes weht.

Darauf lebte der Fuchs allein im Weinberg sicher und ohne Furcht vor Gefahr. bis daß der Tod zu ihm kam. Das ist die Geschichte vom Wolf und vom Fuchs. Doch ferner erzählt man


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt