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Die Geschichte von den Leuten aus dem Lachswassertal


Mit zwei Beilagen Übertragen von Rudolf meißner

verlegt bei Lugen Diederichs in Jena 1913


43. Bolli verheiratet sich mit Gudrun. König Olaf entläßt Kjartan

Einige Zeit darauf begann Bolli ein Gespräch mit seinem Oheim Olaf und sagte: " Es ist nun soweit, Oheim, daß ich Lust habe, mich irgendwo fest gen und zu heiraten; ich bin nun, denke ich, völlig erwachsen, ich möchte bei meinem vorhaben Hilfe und Förderung durch dein Wort nicht entbehren, denn die meisten hier in der Gegend werden in hohem



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Maße auf dein Wort Gewicht legen." Olaf antwortete: "Es wird keine Frau geben, das darf ich sagen, der dein Antrag nicht zur Ehre gereichte, wenn du um sie anhältst. Du hast aber gewiß nicht das Gespräch hierauf gebracht, ohne dir vorher vorgenommen zu haben, wohin du es lenken willst."'l Bolli sagte: Ich will nicht um eine Frau außerhalb unserer Gegend anhalten, so lange gute Partien in der Nähe sind; ich will anhalten um Gudrun, die Tochter des Osvifr; sie ist die Erste unter den Frauen." Olaf antwortete: Das ist eine Sache, an der ich keinen Teil haben will; es ist dir, Bolli, genau so bekannt wie mir, was man geredet hat über die Liebe zwischen Kjartan und Gudrun. Aber wenn dir diese Sache so außerordentlich am Herzen liegi, werde ich keine Hindernisse entgegenstellen . vorausgesetzt, daß ihr untereinander einig werdet. Hast du denn schon mit Gudrun hierüber geredet:" Bolli sagte, er habe wohl sein Anliegen einmal vorgebracht, sie sei aber wenig darauf eingegangen, — "ich sollte doch meinen, daß Osvifr vor allem in dieser Sache etwas zu sagen haben wird." Olaf erwiderte, er möge so handeln, wie es ihm gut schiene.

Nicht lange darauf ritt Bolli vom Hofe und mit ihm die Söhne Olafs, Halldor und Steinihor; sie waren zwölf zusammen. Sie ritten nach Laugar. Osvifr begrüßte sie herzlich und ebenso seine Söhne. Bolli bat Osvifr um eine Unterredung und hob an mit seiner Werbung und bat ihn um die Hand seiner Tochter Gudrun. Und Osvifr antwortete folgenderweise: So siebt es, wie du weißt, Bolli, daß Gudrun Witwe ist und sich selbständig zu entscheiden das Recht bat, aber empfehlen will ich deinen Antrag." Osvifr ging nun zu Gudrun und sagte ihr, Bolli, Thorleiks Sohn, sei gekommen, — "und erhält um dich an; du hast in dieser Sache zu entscheiden . Ich will nur in Kürze meinen Willen erklären, daß Bolli nicht abgewiesen werden soll, wenn es nach mir geht. Gudrun antwortete: Leichthin entscheidest du über diese Sache; Bolli hat einmal vor mir darüber gesprochen, und ich habe ihn deutlich genug abgewiesen, und das ist auch jetzt noch meine Absicht." Da sagte Osvifr: Viele werden sagen, da



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spreche mehr Hochmut aus dir als verständige Überlegung, wenn du einen solchen Mann abweist, wie Bolli ist. Aber so lange ich am Leben bin, soll mein fürsorgender Rat bei euch, meinen Kindern, etwas gelten, in allen Dingen, in denen ich klarer sehen kann als ihr." Und als Osvifr diese Sache so unwillig aufnahm, da wagte Gudrun nicht für sich allein Widerstand zu leisten, gab aber nur mit dem größten Widerwillen nach; die Söhne Osvifrs redeten ihr sehr zu; sie betrachteten die verschwägerung mit Bolli als einen sehr großen Gewinn. Mag man nun längere oder kürzere Zeit über diese Sache verhandelt haben, 1 man kam zu dem Ende, daß die verlobung vor sich ging, und man bestimmte die Zeit um die ersten Winternächte zur Hochzeit. Darauf ritt Bolli heim nach Hjardarholt und sagte Olaf, was man ausgemacht habe. Olaf bezeigte wenig Freude darüber. Bolli blieb daheim, bis er zur Hochzeit kommen sollte. Bolli lud seinen Oheim Olaf ein, Olaf hatte keine Lust dazu, kam aber doch mit auf Bollis Bitten. Die Hochzeit wurde prächtig in Laugar gefeiert. Bolli blieb dort den Winter über. Das Eheglück der beiden war nicht besonders, soweit Gudrun dazu beitrug.

Und als der Sommer kam, da fuhren die Schiffe von Land zu Land. Da kam nach Norwegen die Kunde aus Island, daß dort alles christlich geworden war. König Olaf war hocherfreut darüber und gab Fahrerlaubnis den Männern, die er als Geiseln zurückgehalten hatte, zu reisen, wohin sie Lust hätten. Kjartan antwortete — denn er war der Vormann aller derer, die da vergeiselt gewesen waren — "habt großen Dank, wir gedenken Island zu besuchen in diesem Sommer. Da sagte König Olaf: "Ich werde diese meine Worte nicht zurücknehmen, Kjartan, aber ich habe das mehr zu den andern gesagt als zu dir; denn wir denken, Kjartan, daß du hier mehr als Freund wie als Geisel gewesen bist. Ich möchte. du hättest nicht den Wunsch geäußert, nach Island zu reisen, wenn du auch da angesehene verwandte bast, denn es liegt in deiner Hand, dich fürs Leben in Norwegen zu versorgen, wie es dir in Island nicht geboten



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werden kann. 1 Da antwortete Kjartan: Unser lohne Euch alle Ehre, die Ihr mir erwiesen habt, seit ich in Euern Dienst getreten bin, doch hoffe ich, Ihr werdet mir nicht minder Urlaub geben als den andern, die ihr hier eine Zeitlang zurückgehalten habt." Der König sprach, so solle es sein, und sagte, unter den Männern nichtfürstlichen Ranges werde er schwerlich jemanden finden, der Kjartan gleich käme.

In diesem Winter hatte Kalf, Asgeirs Sohn, sich in Norwegen aufgehalten; im Herbst vorher war er von England zu Kjartan gekommen, mit ihrem Schiff und mit Handelsware. Und nachdem Kjartan Urlaub zur Islandfahrt bekommen hatte, gingen Kalf und Kjartan daran. das Schiff segelfertig zu machen. Und als das Schiff klar war, ging Kjartan, Ingibjörg, die Königsschwester, zu besuchen. Sie begrüßte ihn freundlich und ließ ihn neben sich sitzen, und sie begannen ihr Gespräch. Da sagte Kjartan zu Ingibjörg, daß er im Begriffe sei, nach Island zu fahren. Sie antwortete ibm: Wir glauben, Kjartan, daß du das mehr aus Eigenwilligkeit beschlossen hast, als daß man dir es nabe gelegt hätte, Norwegen zu verlassen und nach Island zu reisen." Und sie wurden darauf wortkarg mit einander. Unterdessen griff Ingibjörg in die Kredenz, die bei ihr stand und nahm daraus ein weißes Kopftuch mit Goldgewebe und gab es Kjartan und sagte, es würde Gudrun, der Tochter des Osvifr, sehr gut stehen — " und du sollst ihr das Kopftuch zur Morgengabe schenken, ich will, daß die Isländerinnen sehen, daß die Frau nicht von Knechten stammt, mit der du dich in Norwegen unterhalten bast; das Tuch lag in einem Beutel von Sammet, es war ein sehr kostbares Stück. "Nicht will ich dich hinaus geleiten," sagte Ingibjörg, fahr wohl und sei glücklich." Darauf stand Kjartan auf und küßte sie; jedermann sah, daß es ihnen schwer wurde, von einander su scheiden.

Kjartan ging nun fort und begab sich zum Könige; er sagte dem Könige, daß er nun fertig zur Abreise sei. König Olaf begleitete Kjartan zum Schiff und eine große Menge mit ihm. Und als er dorthin kam, wo das Schiff auf dem Wasser lag —ein



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Landungssteg führte herüber —. da nahm der König das Wort: Hier ist ein Schwert, Kjartan, das du von mir annehmen sollst zum Abschied; laß dies Schwert dir zur Seite sein, denn ich meine, keine Waffe soll dich niederstrecken, so lange du dieses Schwert in der Hand hältst. Das war ein prachtvolles Kleinod und reich gearbeitet. Kjartan dankte dem Könige mit trefflichen Worten für alle die Ehre und Hochschätzung , die er ibm erwiesen habe, so lange erin Norwegen gewesen sei. Da sprach der König: "Darum will ich dich noch bitten, Kjartan, daß du treu an deinem Glauben festhältst." Darauf schieden sie von einander, der König und Kjartan, in großer Liebe. Dann ging Kjartan aufs Schiff. Der König sah ihm nach und sprach: "Schweres droht Kjartan und seinem Geschlecht, und es wird nicht leicht sein, etwas zur Abwendung des verhängnisses zu tun."


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