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Kapitel 

Die Geschichte von den Leuten aus dem Lachswassertal


Mit zwei Beilagen Übertragen von Rudolf meißner

verlegt bei Lugen Diederichs in Jena 1913


33. Der weise Gest deutet die Träume der Gudrun

Gest, der Sohn des Oddleif, wohnte in Hagi am Bardast rand im Westland. 2 Er war ein großer Häuptling und



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klugen verstandes. er hatte Sehergabe in vielen Dingen, war gui befreundet mit allen größeren Männern im Lande, und viele suchten ihn heim, um sich Rats zu erholen. Er ritt jeden Sommer um Thing und kehrte regelmäßig in Hol ein.

Einmal trug es sich zu, daß Gest nach dem Thing ritt und in Hol übernachtet hatte. Er brach morgens zeitig auf denn die Tagesstrecke war lang. Er gedachte abends in Thykkvafkog bei seinem Schwager Armod zu sein; dieser hatte Thorunn, Gests Schwester, zur Frau. Ihre Söhne waren Örnolfund Halldor. Gest ritt an dem Tage von Saurbö südwärts weiter und kam zur warmen Quelle im Sälingstal und rastete da etwas. Gudrun kam zur Ouelle und begrüßte ihren verwandten 1 Gest herzlich. Gest nahm ihren Gruß wohl auf, und sie kamen ins Gespräch miteinander, sie waren beide klug und wortgewandt. Und als die Zeit verging, sagte Gudrun: "Ich bitte dich. Lieber, daß du heute abend zu uns reitest mit deiner ganzen Schar ; das ist zugleich der Wunsch meines vaters, wenn er mir auch die Ehre gönnt, diese Einladung zu überbringen, ebenso bittet er, daß du jedesmal bei uns einkehrst, wenn du von Hause oder nach Hause reitest." Gest nahm das wohl auf und sagte, das sei ein großartiges Anerbieten, doch müsse er so Weit reiten, als er sichs vorgenommen habe

Gudrun sprach: viel habe ich zusammengeträumt den letzten Winter über, doch sind es vier Träume, die mir besonders Gedanken machen; und keiner bat sie mir so gedeutet, daß es mich befriedigt hätte; aber doch möchte ich nicht, daß sie mir nur nach Wunsch und Gefallen gedeutet werden." Da sagte Gest:"Erzähle deine Träume; es wäre möglich, das wir etwas draus machen können."

Gudrun sprach:"Es war mir, als stünde ich draußen an einem Bach und hätte eine Hakenhaube auf dem Kopfe; die schien mir nicht zu stehen, und ich hatte große Lust, eine andere aufzusetzen; aber viele redeten mir zu, ich solle das nicht tun; doch ich hörte nicht darauf und riß mir die Haube vom Kopfe und warf



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sie in den Bach hinaus, — und länger war dieser Traum nicht." 1

Und weiter sprach Gudrun: Das war der Anfang deo zweiten Traumes, daß ich glaubte an einem See zu stehen. So war es mir, als sei mir ein Silberring an den Arm gekommen, der mein Eigentum war und mir sehr wohl anstand; es schien mir, alg sei das ein kostbares Klein-d, und ich hoffte, ibn lange zu besitzen. Und ehe ich mich des mindesten versah, da glitt mir der Ring vom Arm und in den See, und ich sah ihn nimmer wieder; dieser Verlust schien mich tiefer zu schmerzen, als wenn ich mir den Fall vorstellte, daß ich ein Schmuckstück verloren hätte. Darauf erwachte ich." Gest sagte nur: Dieser Traum ist nicht weniger bedeutend."

Weiter sprach Gudrun: "Mein dritter Traum war, das es mir vorkam, als hätte ich einen Goldring am Arm, der mein Eigentum war; ich dachte, daß mir mein Verlust nun ergetzt sri; es kam mir in den Sinn, daß ich mich an diesem Ring vielleicht länger freuen würde als an dem ersten, aber nicht schien mir dieser Schmuck um so besser anzustehen, als Gold kostbarer ist wie Silber. Dann war es mir, als fiele ich und wollte mich mit dem Arm stützen, aber der Goldring stieß auf einen Stein und sprang in zwei Stücke, und aus den Stücken schien mir Blut zu fließen. Ich hatte mehr das Gefühl der Trauer als das des Verlustes; es kam mir da in den Sinn. daß ein Sprung an dem Ring gewesen sein könnte; und als ich die Bruchstücke darauf ansah, glaubte ich mehrere Sprunge zu sehen, und doch schien es mir, als wäre er heil geblieben, wenn ich ihn besser gehütet hätte, und länger war dieser Traum nicht." Gest sagte: "Die Träume werden nicht geringer."

Und weiter sprach Gudrun: Das war mein vierter Traum, daß es mir schietti, als hätte ich einen goldenen Helm auf dem Haupte, der reich mit Edelsteinen besetzt war. Der kostbare Helm war mein Eigentum, und es quälte mich, daß er mir zu schwer war, denn ich konnte ihn kaum ertragen und trug den Kopfgebeugt, aber ich gab doch dem Helme deshalb keine Schuld und dachte nicht daran, mich von ibm zu trennen; und dach 1 Hier ist eine Bemerkung Gests ausgehauen,



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stur te er mir vom Haupte hinaus in den Hvammsfjord ; und darauf erwachte ich. Nun habe ich dir die Träume alle er zählt."

Gest antwortete: Klar sehe ich vor mir, was diese Träume bedeuten, und es wird dir sehr einförmig vorkommen, denn ich werde sie alle fast in derselben Weise auslegen.

Du wirst vier Männer haben, und ich fürchte, wenn du dich mit dem ersten vermählst, daß das keine Neigungsheirat sein wird. Daß es dir so vorkam, als hättest du eine große Haube auf dem Kopfe, die dir nicht zu stehen schien, bedeutet, daß du ihn wenig lieb haben wirst; und daß du dir die Haube vam Kopfe nahmst und sie ins Wasser warfst, heißt, daß du ihn verlassen wirst. Man nennt es ja ins Wasser geworfen, wenn man sein Eigentum weggibt und nichts dafür bekommt."

Und weiter sprach Gest: "Das war dein zweiter Traum, daß es dir vorkam, als trügest du einen Silberring am Arm. Das heißt, du wirst einem andern Manne vermählt werden, einem vortrefflichen; den wirst du sehr lieb haben und nur kurze Zeit dich an ihm freuen; es wird mir nicht unerwartet kommen, wenn du ihn durch Ertrinken verlierst; weiteres habe ich über diesen Traum nicht zu sagen.

Das war dein dritter Traum, daß es dir vorkam, als trugst du einen Goldring am Arme. So wirst du einen dritten Mann haben nicht wird er dir mehr wert sein, wie dir auch das seltnere und teurere Metall nicht mehr galt. 1 Und es sagt mir meine Ahnung, daß in dieser Zeit ein Glaubenswechsel sein wird. und dein Mann wird einen Glauben angenommen haben, von dem wir fühlen, daß er viel erhabner sein wird. Und wenn es dir verkam, als spränge der Ring in Stücke, und war mit durch dein versäumen. und als sähest du ans den Stücken Blut fließen, so bedeutet das, daß dein Mann erschlagen wird; dann wirst du selbstdie starken Sprünge sehen, die in diesem Eheband gewesen sind."

Und weiter sprach Gest: "Das war dein vierter Traum, daß es dir vorkam. als hättest du einen Goldhelm auf dem Kopfe, einen mit Edelsteinen besetzten, der dir schwer zu tragen war,



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So wirst du den vierten Mann haben: das wird ein sehr großer Häuptling sein, ein Mann, der dir etwas den Schreckenshelm weisen wird. 1 Und daß es dir schien, als stürzte er hinaus in den Hvammsfjord, das bedeutet, daß er mit diesem selben Fjord Bekanntschaft machen wird am letzten Tage seines Lebens; weiter habe ich über diesen Traum nichts zu sagen."

Gudrun war blutrot geworden, während die Träume gedeutet wurden, doch äußerte sie kein Wort, ehe Gest seine Rede endet hatte. Dann sagte Gudrun: "Du hättest bessere voraussagen in deiner Rede vorbringen können, hätte ich dir besseres an die Hand gegeben. Doch habe Dank dafür, daß du die Träume gedeutet hast. Aber schwere Gedanken muß man sich machen, wenn dies alles so eintreffen soll." Gudrun lud nun Gest aufs neue ein, daß er sich einen Tag dort aufhalten solle, sie sagte, daß Osvifr manch kluges Wort mit ihm reden würde. Er antwortete: " Weiterreiten muß ich, wie es bestimm t ist, aber deinem Vater sollst du meinen Gruß bringen, und sag ihm diese meine Worte, es werde so kommen, daß einst zwischen unser beider Wohnstätten ein geringerer Abstand sein wird; da werden wir beide bequem uns unterhalten können, wenn es uns dann noch erlaubt sein sollte, miteinander zu sprechen. 2

Darauf ging Gudrun heim, aber Gest ritt weiter und traf an der Einhegung der Hauswiese von Laugar einen Mann von Olafs Hofe. Er lud Gest im Auftrage Olafs nach Hjardarholi ein. Gest sagte, er wolle Olaf am Tage besuchen, aber übernachten in Thykkvaskog. Der Knecht kehrte gleich um und sagte Olaf, was er ausgerichtet hatte. Olaf ließ Pferde holen und ritt mit einigen Leuten Gest entgegen. Gest und Olaf trafen sich im Tal an der Lja. Olaf begrüßte ihn herzlich und lud ihn mit seiner ganzen Schar zu sich ein. Gest dankte ihm für die Einladung und sagte, er wolle auf seinen Hof reiterei und sein Hauswesen besehen, aber übernachten müsse er bei Armod. Gest verweilte da nur einige Zeit und sah sich doch überall um auf dem Hof und sprach sein Lob über alles aus; er sagte, es sei das Geld nicht gespart für diesen Hof. Olaf gab ihm das Geleit auf den Weg bis zum Lachsfluß.



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Die Ziehbrüder waren an dem Tage beim Schwimmen gewesen; die Olafssöhne waren die Anführer bei diesem vergnügen Viele junge Männer von andern Höfen hatten sich zum Schwimmen eingefunden. Kjartan und Bolli waren aus dem Wasser gekommen. als die Schar auf den Fluß zuritt, und schon fast ganz angekleidet, als Gest und Olaf herangeritten kamen. Gest sah diese jungen Männer eine Zeitlang an und sagte dann Olaf, wo Kjartan sap und wo Bolli; darauf wies Gest mit der Speerspitze auf jeden einzelnen der Olafssöhne und nannte sie alle, die da waren. Es waren dort aber noch viele andere sehr stattliche junge Männer. die aus dem Wasser gekommen waren und auf dem Ufer neben Kjartan und seinen Brüdern saßen. An diesen, sagte Gest, fände er keine Züge von Olafs Geschlecht.

Da sprach Olaf: Man kann wirklich nicht genug sagen über die Gaben deines Geistes, Gest, wenn du Männer erkennst, die du vorher nie gesehen bast; nun möchte ich noch, daß du mir sagst, wer von diesen jungen Männerrn der hervorragendste sein wird." Gest antwortete: "Das wird sich ganz so erfüllen, wie es deine Herzensliebe begehrt, daß Kjartan der am höchsten gepriesene sein wird. so lange erlebt." Darauf spornte Gest sein Pferd und ritt davon.

Und einige seit darauf ritt Thord der Kurze, sein Sohn, an seine Seite und sprach: Was soll das bedeuten, lieber Vater daß dir die Tränen herabrinnen?" Gest antwortete: Es bringt keinen Nutzen, das zu offenbaren, aber ich begehre doch nicht darüber zu schweigen, was sich in deinen Tagen ereignen wird; nicht wird es mich überraschen, wenn Bolli Kjartans Haupt blutig auf die Erde legt und wenn auch ihm deshalb das Todeslos zu teil wird, aber furchtbar ist es. das vorher zu wissen bei so herrlichen Männern." Darauf ritten sie zum Thing, und es war ruhig auf dem Thinge.


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