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Kapitel 

Die Geschichte von dem starken Grettir dem Geächteten


Übertragen von Paul Herrmann


Mit 8 Ansichten und einer Karte

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


89. Spes schwört einen Reinigungseid

Die Zeit verging, bis der Tag kam, wo Spes den Eid ablegen sollte. Sie lud alle ihre Freunde und verwandten zu sich ein und zog sich die besten Kleider an, die sie hatte. viele vornehme Frauen begleiteten sie. Es regnete stark. Der Weg war naß, und man mußte eine große Pfütze durchschreiten, bevor man nach der Kirche kam. Und als Spes und ihr Gefolge an die Pfütze kamen, hatte sich eine große Menge Menschen angesammelt, darunter viele Arme, die um Almosen bettelten, denn dort war die Hauptverkehrsstraße. Alle hielten es für ihre Schuldigkeit, sie aufs beste zu grüßen und ihr Glück und Segen zu wünschen, weil sie ihnen so oft geholfen hatte. Unter den andern Armen war auch ein Bettler, groß anwuchs, mit einem lang herabhängenden Barte. Die Frauen blieben an der Pfütze stehen, denn es dünkte sie schwer durch den Dreck zu gehen, ohne schmutzig zu werden. Und als der große Bett



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ler die Hausfrau sah, daß sie besser gekleidet war als die andern Frauen, sprach er so zu ihr: "Gute Hausfrau," sagte er, " erweise mir die Herablassung, dich über diese Pfütze tragen zu dürfen, denn wir Bettler sind verpflichtet, dir zu dienen, so gut wir können."

"Wie, du willst mich tragen sagte sie. "Und kannst dich kaum selbst tragen"

"Es würde eine Probe deiner Herablassung sein," antwortete er, "Ich kann nichts Besseres bieten, als ich selbst habe; und es wird dir um so besser gehen, je weniger stolz du gegen einen Armen bist."

"Du kannst mir glauben,"sagte sie" ,wenn du mich nicht ordentlich hinüber trägst; bekommst du eine solche Tracht Prügel, daß dir die Haut abgeht."

"Mit Freuden will ich es wagen," sagte er und trat in die Pfuse.

Sie tat so, wie wenn es ihr wenig behagte, daß erste trüge, aber setzte sich doch auf seinen Rücken. Er schwankte ganz langsam und humpelte an zwei Krücken. Und als erin die Mitte des Sumpfes kam, taumelte er nach allen Seiten.

Sie hieß ihn, sich zusammennehmen. "Und niemals soll es dir so schlecht ergangen sein wie jetzt; wenn du mich in den Dreck fallen läßt"

Der arme Kerl strengte sich mit allen Kräften an und watete weiter. Er quälte sich gehörig und war schon dem Trockenen ganz nahe, da strauchelte er plötzlich und fiel vornüber; sie konnte er noch auf das Trockene werfen, aber er selbst sank bis zu den Armen in die Pfütze. Als sie nun da lag, griff er nach ihr, 1 aber konnte ihre Kleider nicht fassen. Er packte sie mit seiner schmutzigen Hand ans Knie. Sie sprang auf und schimpfte, von Strolchen hätte man immer verdruß. "Du hättest verdient, durchgeprügelt zu werden, wenn es mich nicht eine Schande dünkte um deines Elends willen!"

Er sprach: "Nicht jedem ist das Glück hold. Ich meinte dir einen Dienst zu erweisen und hoffte Almosen von dir zu bekommen kommen aber statt dessen bekomme ich nur Droh- und Scheltworte 1 Um sich aufzuhelfen.



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und sonst nichts," und er tat, als ob es ihm sehr zu Herzen ginge.

vielen erschien er als ein armer Kerl, aber sie meinte, er wäre der größte Schlaumeier. Da jedoch die Menge für ihn bat, nahm sie ihre Geldtasche, und darin waren viele Goldpfennige. Sie schüttelte die Pfennige hin und her: "Da, nimm. Alter! Es ist das beste, du erhältst volle Buße dafür, daß ich dich gescholten habe. Hiermit bist du auch vollkommen belohnt nach Verdienst."

Er sammelte das Gold auf und dankte ihr für die Gabe. Spes ging in die Kirche, wo eine Menge Volk versammelt war. Sigurd führte seine Sache mit großem Eifer und forderte sie auf, sich von den Anklagen zu reinigen, die er gegen sie erhoben hatte.

Sie antwortete: " kümmere mich um diese Anklagen nicht. Welchen Mann glaubst du bei mir im Zimmer gesehen zu haben: Es kommt nämlich oft vor, daß ein wackerer Mann mich besucht, und das nenne ich keine Schande. Aber ich bin bereit, einen Eid darauf abzulegen, daß ich keinem Manne Geld gegeben und mich mit keinem Manne leiblich verunreinigt habe, außer mit meinem Manne und dem Bettler, der mit seiner schmutzigen Hand mein Bein anfaßte; als ich heute über die Pfütze getragen wurde."

viele meinten, das wäre ein voller Eid, und es wäre ihr nicht als Schande anzurechnen, wenn der Alte sie unehrbar berührt hätte. Sie sagte, sie müßte alles so erzählen, wie es wäre. Darauf schwur sie den Eid, der den Wortlaut hatte, wie beschrieben war. viele meinten freilich, sie könnte das Sprichwort bestätigen: ,wenig soll in einem Eide unbeschworen bleiben'. 1 Sie aber antwortete, jeder verständige Mann würde finden, daß das ohne Hinterlist gesagt wäre. Ihre verwandten machten geltend, daß es ein großer verdruß für eine Frau



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von vornehmer Geburt wäre, solche erlogenen Beschuldigungen ungebüßt zu haben; denn es wäre ein Vergehen gewesen, das mit dem Tode bestraft würde, wenn die Frau überführt worden wäre; durch Ehebruch die Treue gegen ihren Mann verletzt zu haben. Spes verlangte vom Bischof, daß er ihre Ehe mit Sigurd aufheben sollte, denn sie erklärte; sie könnte nicht länger ihres Mannes erlogene Beschuldigungen ertragen. Ihre Angehörigen unterstützten sie in ihrer Sache. Durch ihren Beistand und durch ihre vermittlung wurde die Sache so abgetan, daß sie geschieden wurden; Sigurd bekam nur wenig von ihrem Gelde und mußte das Land verlassen. Hier kam es so, wie man so oft dafür Beispiele finden kann, ,daß der Geringe nachgeben muß'. Er konnte nicht das geringste ausrichten, obwohl er recht hatte. Spes nahm nun all ihr Geld und genoß großes Ansehen. Als man über ihre Eidesformel nachdachte, fand man, daß Hinterlist in ihr gesteckt hätte, und man glaubte; daß kluge Männer ihr diese Formulierung ersonnen haben müßten. Man bekam heraus, daß der Bettler, der sie getragen, Thorstein Dromund war. Aber Sigurd bekam doch keine Genugtuung .


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