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Die Geschichte von dem starken Grettir dem Geächteten


Übertragen von Paul Herrmann


Mit 8 Ansichten und einer Karte

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


78. Grettir verwundet die Zauberin Thurid

Thorbjörn Angel hatte eine Amme, die Thurid hieß. Sie war sehr alt, und man glaubte, daß sie zu wenig zu gebrauchen wäre. Sie war sehr zauberkundig gewesen und sehr viel wissend. als sie noch jung war und die Leute noch Heiden waren. Nun glaubte man, daß sie alles vergessen hätte. Und obwohl das Christentum im Lande herrschte, waren doch noch manche Überreste des Heidentums im Lande zurück. Es war hier im Lande Gesetz gewesen, daß es nicht verboten war, heimlich zu opfern oder andern Aberglauben zu treiben, aber eine Verweisungssache wurde daraus, wenn es offenbar würde. Nun ging es manchem so, daß die Hand gern bei der Gewohnheit blieb, und das am bequemsten war, was man in der Jugend gelernt hatte. Da nun alle Anstrengungen Thorbjörns vergeblich gewesen waren, wandte er sich dahin um Hilfe, wo man es am wenigsten hätte erwarten sollen, nämlich an seine Amme, und fragte sie, ob sie Rat wüßte.

Sie antwortete: " glaube, es geht hier so, wie das Sprichwort sagt: ,mancher geht in den Ziegenstall, um Wolle zu holen'. Nach deiner Ansicht gehörst du zu den angesehnsten Leuten des Bezirkes, und es paßt dir natürlich nicht, daß du jetzt da nichts ausrichten kannst, wo es darauf ankommt. Ich sehe nicht, daß es mir schlechter ergeht als dir, obwohl ich kaum aus dem Bett aufstehen kann. Willst du meinen Rat haben, so will ich auch raten, wie es geschehen soll."

Er war damit einverstanden und sagte, sie hätte ihm immer guten Rat gegeben. Nun verging der Sommer bis zum August-

Eines Tages, als gut Wetter war, sagte die Alte zu Thorbjörn: Heute ist helles und klares Wetter; ich wünsche, daß du nach Drangey fährst und mit Grettir Zank und Streit anfängst.



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Ich will mit dir fadren und sehen, wie vorsichtig er antwortet. Und wenn ich das sehe, werde ich mir auch darüber klar werden, ob sie vom Glücke begünstigt sind, und dann werde ich solche Worte über sie sprechen, die mir gefallen."

Thorbjörn antwortete: "Verleidet ist mir die Reise nach Drangey, denn jedesmal ist meine Stimmung schlechter, wenn ich von dort abfahre, als wenn ich hinfahre."

Da sprach die Alte: "Ich helfe dir nicht, wenn du mir nicht die Entscheidung überläßt."

"Nicht so, liebe Ziehmutter" antwortete er. "Aber das habe ich geschworen, daß, wenn ich das drittemal dahin komme, die Sache zwischen uns abgeschlossen werden soll."

"Gefährlich ist es," sagte die Alte. "Und du wirst viel Müh und Arbeit haben, bis du Grettir zu Fall bringst; und oft wird es dir unsicher vorkommen, ob es dir glücken wird, und schließlich wird dir der Ausgang Unglück bringen. Aber auf der andern Seite bist du gebunden, auf die eine oder andere Weise aus dieser üblen Lage herauszukommen."

Darauf ließ Thorbjörn einen Zehnruderer klar machen und ging selbzwölft an Bord. Die Alte war auch dabei. Sie ruderten nach Drangey hin. Und als die Brüder das sahen, gingen sie nach den Lettern hinab und begannen mit ihnen zu sprechen; Thorbjörn sagte, er wäre gekommen, um Antwort auf die Frage zu vernehmen. ob Grettir fortgehen wollte; er fügte hinzu, er würde den verlust an Vieh und Grettirs Aufenthalt auf der Insel verschweigen, wenn sie jetzt in Güte schieden. Grettir erklärte, von vergleichen, Nachgeben und Fortgehen wäre keine Rede: "Das habe ich so oft gesagt, und es hat darum gar keinen Zweck, noch darüber zu reden. Ihr könnt tun, was ihr wollt aber hier will ich warten, was auch kommt."

Thorbjörn konnte sich das Ergebnis seiner Reise denken, und er sprach: "Ich wußte wohl, mit welchen Teufelskerlen ich es hier zu tun hatte; und es ist wahrscheinlich, daß verschiedene Tage vergehen werden, bis ich wieder herkomme."

"Das rechne ich mir nicht zum Schaden, wenn du niemals wieder herkämest!" antwortete Grettir.

Die Alte lag im Achterdeck des Bootes und war gut zugedeckt.



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Nun rührte sie sich ein wenig und sprach: "Diese Männer sind tapfer, aber vom Glücke verlassen. Ein großer Unterschied ist zwischen euch: du bietest ihnen gute Bedingungen an, aber sie wollen sie nicht annehmen; es gibt kaum ein deutlicheres Wahrzeichen für Unglück als nicht verstehen, das Gute anzunehmen. Jetzt wünsche ich dir, Grettir, daß du in Zukunft von allem sollst verlassen sein, von Glück und Glanz, Einsicht und Überlegung, und je länger du lebst, um so mehr! Und das verkündige ich dir, daß du weniger frohe Tage bier verbringen wirst als du bisher hier gehabt bast:"

Als Grettir das hörte, durchschauerte es ihn, und er sprach:

"Was für ein Satan ist bei ihnen im Boot:"

Jllugi antwortete: "Ich glaube, die Alte ist Thorbjörns Ziehmutter."

"Pfui, die alte Hexe!" sagte Grettir. " Etwas Schlimmeres konnte nicht geschehen! Niemals haben Worte die Wirkung auf mich gehabt wie die, die sie ausgestoßen hat. Ich weiß, von ihr und von ihrer Zauberei widerfährt mir Unglück. Sie soll auch etwas zum Andenken daran haben, daß sie hier gewesen ist!" Und dabei ergriff er einen gewaltigen Stein und schleuderte ihn auf das Boot und traf den Kleiderhaufen. Es war ein so weiter Wurf, daß Thorbjörn nie gedacht hätte, jemand könnte so weit werfen. Da ertönte ein lauter Schrei.

Der Stein hatte den Schenkel der Alten getroffen, so daß er gebrochen war.

Da sprach Jllugi: "Ich wollte, du hättest das nicht getan!"

"Schilt mich deswegen nicht" sagte Grettir. "Aber ich fürchte nur, daß ich sie nicht genug getroffen habe; denn es wäre nicht zu teuer bezahlt, das Leben dieser Alten für unser Leben"

Was meinst du damit:" fragte Jllugi. "Das wäre eine geringe Buße für unser Leben:"

Thorbjörn ruderte heim, und sie nahmen nicht freundlich Abschied von einander, als sie schieden.

Er sprach da zur Alten: "Nun ist es gegangen, wie ich ahnte, daß du wenig Ruhm von der Reise nach der Insel erlangen würdest. Du hast eine Verstümmelung davongetragen; wir haben nicht mehr Ruhm geerntet als früher, müssen ein ums



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anderemal nur Spott und Hohn davontragen und kriegen keine Genugtuung dafür."

Sie antwortete: "Das wird der Anfang zu ihrem Unglücke werden; ich denke, von jetzt ab soll es abwärts mit ihnen gehen. Ich zweifle nicht, daß ich ihm diesen Angriff, den er gegen mich unternommen hat, vergelten werde, wenn ich am Leben bleibe."

"Guten Muts scheinst du mir zu sein, Ziehmutter!" sagte Thorbjörn.

Nun kamen sie beim, die Alte legte sich ins Bett und lag fast einen Monat. Da war das Bein geheilt. Sie begann wieder umherzugeben. Ein großes Gelächter erhob sich bei den Leuten über die Fahrt Thorbjörns und der Alten; alle fanden, daß Grettir immer gut weggekommen wäre: zuerst auf dem Frühlingsthing, als sie ihm Frieden und Sicherheit zusagten, dann als Häring sein Leben verlor, und zum dritten, als der Schenkel der Alien brach; und niemals wurde etwas dagegen unternommen. Thorbjörn Öngul hatte viel verdruß von diesem Gerede.


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