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Die Geschichte von dem starken Grettir dem Geächteten


Übertragen von Paul Herrmann


Mit 8 Ansichten und einer Karte

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


72. Grettir auf dem Hegranesthing

Der Winter verging, und im Frühjahr zogen die Leute nach dem Hegranesibing. 1 Und es kam dahin eine zahlreiche Menge von Leuten aus allen Gegenden, die dort das Thing zu besuchen hatten. Man blieb lange im Frühjahr dort zusammen, sowohl um seine Sachen ;u erledigen, als auch um sich zu vergnügen, denn es gab damals in diesem Bezirk eine Menge zum Scherzen aufgelegter Menschen. Grettir erfuhr nun, daß die meisten nach dem Thing gereist waren; davon benachrichtigten ihn seine Freunde; denn er stand sich ständig gut mit denen, die ihm am nächsten wohnten, und sparte ihnen gegenüber nicht an dem, was er zu verschenken hatte. Er sagte, er wollte



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in Geschäften an Land gehen; Jllugi und Glaum sollten inzwischen zurückbleiben. Jllugi meinte, das wäre nicht ratsam, aber ließ es doch so gehen, wie Grettir wollte. Er bat sie, gui auf die Leitern aufzupassen, denn das wäre von großer Wichtigkeit . Dann begab er sich an Land und verschaffte sich, was er nötig ;u haben glaubte. Er hielt sich versteckt, wohin er kam; und keiner ahnte, daß er an Land gekommen war. Da erfuhr er nun, daß es am Thinge sehr lustig zuginge. Da wurde Grettir begierig, dahin zu geben; er zog eine alte, abgetragene Kleidung an und kam so zum Thing, ehe noch die Leute von der gesetzgebenden versammlung weg und zu ihren Buden gegangen waren. Da waren einige junge Burschen, die sprachen davon, das Wetter wäre gut und schön, und es wäre angebracht , Ringkämpfe und andere unterhaltende Spiele zu veranstalten. Die übrigen waren damit einverstanden. Die Leute lagerten sich vor den Buden. Die Söhne des Thord waren die eifrigsten beim Spiele. Thorbjörn Öngul war übermütig und eifrig bemüht, frohe Stimmung hervorzubringen. Jeder, dem er es befahl, mußte am Spiel teilnehmen. Zuerst rangen die, die die wenigsten Kräfte hatten, und dann die andern, und das Volk unterhielt sich gut. Als nun die meisten mit dem Ringkämpfe fertig waren, die ausgenommen, die die Stärksten waren, sprachen die Bauern davon, wer sich erböte, mit einem von den beiden Brüdern, den Söhnen des Thord, zu ringen, die früher erwähnt sind; aber keiner fand sich dazu. Die Brüder gingen die Reiben entlang und forderten einen nach dem andern zum Ringkampf auf, aber alles vergebens. Je mehr sie dazu aufgefordert wurden, desto weniger wurde daraus. Thorbjörn Öngul blickte sich ringsum und sah einen Mann sitzen, der war groß von Wuchs; aber sein Gesicht konnte man nicht deutlich sehen. Thorbjörn ging zu ihm hin und packte ihn fest an. Aber der Mann blieb ruhig sitzen und rührte sich nicht vom Platze.

Da sprach Thorbjörn: "Keiner von denen, die ich heute angefaßt habe, war so schwer von der Stelle zu rücken wie du.

Wer bist du:"

Er antwortete: "Ich heiße Gest."



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Thorbjörn sprach: "Nimm teil an unsern Spielen, so bist du ein willkommener Gast."

Er antwortete: "Große Veränderungen können in kurzer Zen geschehen; ich kenne keinen bier!"

Das Volk sagte, das wäre hübsch, wenn er zur Unterhaltung beitrüge, und es täte nichts zur Sache, daß er fremd wäre. Er fragte, was sie wollten, daß er täte. Sie forderten ihn auf, mit irgendeinem zu ringen. Er sagte, darin hätte er sich lange nicht geübt: "Aber es gab eine Zeit, da mir das Ringen viel Spaß machte."

Da er sich so nicht ganz geweigert hatte, suchten sie ihn um so mehr dazu zu bewegen.

Er sprach: "Wenn euch so viel darin liegt, mich zu überreden, so sollt ihr euern Willen haben, unter der Bedingung, daß ihr mir Frieden und Sicherheit gewährt, hier auf dem Thing und bis ich beim komme."

Sie riefen alle; das wollten sie gerne. Hafr hieß ein Mann; er war am eifrigsten dafür, das diesem Manne Friede zugesichert würde; er war ein Sohn von Thorarin, einem Sohne von Hafr, einem Sohne des Thord Knopf der das Land zwischen Stifla in Fljot und der Tungua in Besitz genommen hatte. Er wohnte auf Knappstadir und war sehr redegewandt. Er sprach die Zusicherung des Friedens mit großer Würde vor. Folgendermaßen beginnen diese Treuschwursprüche.

"Hiermit verbürge ich," sprach er, " einem jeden Frieden und Sicherheit, in Sonderheit dem Fremden, dessen Name Gest ist, und der hier unter uns sitzt, und hierin sind einbegriffen

alle Goden
und angesehenen Bauern,
und der ganze Gau,
die wackern Mannen,
die Waffen führen,
und alle andern Bezirksleute im Hegranesthing, und endlich
jedermann, wo er auch hergekommen sein mag, benannt oder
unbenannt: wir alle verbürgen diesem unbekannten Fremden,
der sich Gest nennt, Sicherheit und vollen Frieden während
der Zeit, da er teilnimmt



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an Spiel und an Ringkampf
und an allen Späßen,
ob er hier sich aufhält
oder nach Hause fährt,
wo er auch weilt
auf dem Meer oder Moor,
auf See oder Sand.

Er soll Sicherheit haben an allen Orten, benannten und unbenannten , so lange wie er bedarf

zu heiler Heimkunft,
daß wir Frieden halten.

Ich verbürge ihm Frieden von uns und unsern Verwandten,

Freunden und Vettern,
sie seien Männer oder Mägde,
Knaben oder Knechte,
Freie oder leibeigene Leute.

Der ist ein Neiding, der den Frieden bricht und die Treue nicht hält,

verstört und verstoßen
von Gott und guten Menschen,
von dem Himmelreich
und von allen heiligen Männern,
und niemals und nirgends
habe ein Heim er,
von allen Menschen
sei er gemieden,
soweit wie der Wolf gehetzt wird,
oder Christenleute
zur Kirche gehn,
Heiden opfern
im Hause der Götter;
wie Feuer flammt,
der Grund Gras trägt,
Kind die Mutter kost,
Kinder kommen zur Welt;
wie Leute die Lohe anfachen,
Schiff schreitet;



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Schilde blinken.
Sonne scheint,
Schnee liegt,

der Finne auf Schneeschuhen fährt,

die Föhre wächst,
Falke fliegt
den langen Lenztag,

steht ihm günstiger Fahrwind

unter beiden Flügeln;
wie Himmel sich wölbt,
Erde bewohnt wird,
und Wind das Wasser
wälzt nach dem Meere,

Korn auf der Erde man aussät.

Fern soll er bleiben
von Kirche und Christen,
fern von Heiden,
Haus und Höhle,
fern jeder Heimstatt —
außer der Hölle!
Jetzt sollen wir sein
versöhnt und einig
unter einander
treuen Herzens,
ob wir uns treffen

im Gebirg, an der trockenen Bucht,

auf Schiff oder Schneeschuhen,
auf Fußpfad oder Ferner,
auf See oder im Sattel,
wie wenn man findet
den Freund auf dem Wasser,
oder den Bruder
auf der Straße antrifft,
versöhnet mit einander
wie Sohn mit Vater
oder Vater mit Sohn
bei jedem Zusammensein.



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Hierauf geben wir einander unsere Hand. Wir alle wollen Frieden balten und alles, was in diesem Treuschwur gesagt ist. Gott sei Zeuge und gute Männer und alle, die meine Worte hören und auch die, die sich vielleicht in der Nähe befinden!" Mancher meinte, es wäre sehr viel gesagt.

Aber Grettir sprach: "Wohl hast du gesprochen, wenn ihr es später nicht brecht. Nun will ich nicht mehr zögern, zu zeigen, wozu ich fähig bin:"

Damit warf er den Mantel ab und alle andern Oberkleider. Einer sah den andern an, und es war ihnen seltsam zumute. Sie glaubten alle, Grettir, den Sohn des Asmund, zu erkennen, denn er war ungleich allen andern Menschen an Wuchs und Stärke. Alle schwiegen, und Hafr sah ein, daß er sich hatte um besten halten lassen. Zwei und zwei von den Leuten des Bezirks gingen zusammen und sprachen zusammen, und der eine schalt auf den andern, zumal auf den, der den Friedensvertrag hergesagt hatte.

Da sprach Grettir: "Sagt mir in klaren Worten, was ihr im Sinne habt, denn ich will nicht länger ohne Kleider sitzen. Aber schlimmer wird es euch ergehen, wenn ihr nicht Frieden haltet, als mir."

Sie antworteten nur wenig und setzten sich. Die Söhne Thords und ihr Schwager Halldor sprachen nun zusammen. Einige wollten Frieden halten, einige nicht. Sie steckten die Köpfe zusammen. Grettir sprach die Weise:



***
61
Mancher Mann heut morgen
Konnt mich nicht erkennen,
Kannt er mich auch sonst gut.
Schlicht 1 ist mein Gesicht nicht.
In der Tat betrogen
Heut ich hab die Leute;
Werden Wort sie halten:
Hafr erscheint gans baff mir.

Da sprach Tungu-Stein "So, das glaubst du, Grettir Aber was werden die Häuptlinge beschließen Es ist wohl wahr,



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daß du ein berühmter Mann bist, was Mut und Tapferkeit betrifft. Siehst du nicht, daß sie die Köpfe zusammenstecken " Grettir sprach die Weise.



***
62
Sieh, wie sie zusammen
Stecken, diese Recken!
Bei den raschen Reden
Bart äch reibt an Bart. 1
Die das Gold verteilen, 2
Trennen sich und rennen
Ruhlos und betreten,
Treuwort sie bereuen.

Da sprach Hjalti Thordarson: "Das soll niemals geschehen," sagte er. "Das Geleit, das wir gegeben haben, halten wir, obwohl wir uns nicht gescheit benommen haben. Ich will nicht, daß die Leute das als Beispiel haben, daß wir selbst den Frieden brechen, den wir gegeben und zugesagt haben. Grettir soll ungehindert gehen, wohin er will, und er soll Frieden haben, bis er von dieser Fahrt heim kommt. Dann sind wir des Treuschwurs ledig, und wir können machen, was wir wollen."

Alle dankten ihm für seine Worte, und man fand, er hätte sich wie ein Häuptling benommen, wie die Sache einmal stand. Nur Thorbjörn Angel war still. Man beschloß, daß der eine von den Brüdern Thord mit Grettir ringen sollte, und er war auch dazu bereit. Nun trat der eine von den Brüdern vor. Grettir stand aufrecht da; der andere rannte schnell auf ihn los, aber konnte ibn nicht von der Stelle rücken. Grettir langte ihm über den Rücken, packte ihn an der Hose, hob ihn so an den Beinen empor und schleuderte ibn sich über den Kopf, so daß er mit den Schultern auf den Boden zu liegen kam; das war ein mächtiger Fall. Dann sagten die Leute, jetzt sollten beide Brüder auf Grettir losgehen, und es geschah auch. Es war ein heißes Ringen, bald war der eine, bald der andere im vorteil; aber Grettir hatte doch immer einen von den Brüdern unter sich; bald lag er, bald lagen beide Brüder in den Knien



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bald ging es ihm, bald den beiden andern schlecht; so mächtig hatten sie sich gepackt, daß sie blau und blutig wurden. Das erschien allen als eine großartige Unterhaltung. Und als sie aufhörten, dankten ihnen alle ihren Ringkampf. Und das war das Urteil aller, die als Zuschauer dabei saßen, daß die beiden Brüder zusammen nicht stärker waren als Grettir allein, obwohl sie jeder für sich Kräfte hatten wie sonst zwei starke Männer. Sie waren gleich stark, so daß keiner von ihnen dem andern etwas anhaben konnte, wenn sie mit einander rangen.

Grettir blieb nicht lange auf dem Thing. Die Bauern baten ihn, die Insel aufzugeben, aber das wollte er nicht und die Bauern erreichten nichts. Grettir begab sich wieder nach Drangey, und Jllugi freute sich sehr über seine Rückkehr. Nun verging einige Zeit in Ruh und Frieden. Grettir erzählte ihnen von seiner Reise. Bald war der Sommer vorbei. Alle waren sich einig, daß die Leute des Skagaflördr sich sehr anständig benommen hätten, indem sie mit ihm Frieden hielten; und daraus kann man sehen, wie wacker sie waren, trotz allem, was Grettir ihnen angetan hatte. Die minder vermögenden Bauern fanden, daß sie nur geringen Nutzen davon hätten, einen Anteil an Drangs zu besitzen und boten den Söhnen des Thord ihren Anteil an. Hjalti wollte nicht kaufen. Die Bauern bedangen sich aus, daß der, der kaufte, entweder Grettir töten oder ihn sonst fortschaffen sollte. Thorbjörn Öngul erklärte, er würde es nich daran fehlen lassen, sich zu einem Angriff auf Grettir zu ver- pflichten, wenn sie ibm Geld dazu gäben. Hjalti, sein Bruder; gab ihm einen Teil von der Insel, denn Thorbjörn war der streitbarere und wenig beliebt. So taten auch mehrere andere Bauern. Auf diese Weise bekam Thorbjörn das meiste von der Insel gegen eine geringe Bezahlung, aber er übernahm es auch, Grettir fortzuschaffen.


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