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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

UBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 2

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VOM WOLF UND VOM FUCHS

Wisse, o König, einst lebten ein Fuchs und ein Wolf in derselben Höhle; dort hausten sie miteinander und dort schliefen sie des Nachts, aber der Wolf behandelte den Fuchs grausam. Eine ganze Weile lebten sie so dahin; aber da geschah es doch einmal, daß der Fuchs den Wolf ermahnte, milde zu sein und von dem bösen Tun abzulassen, indem er sprach: ,Wisse, wenn du in deiner Anmaßung beharrst, so ist es leicht möglich, daß Allah dem Menschen über dich Macht verleiht. Denn der ist voller Listen, Schlauheit und Falschheit; er fängt die Vögel aus der Luft und die Fische aus dem Meere, er zerbricht die Berge und versetzt sie von einem Orte zu dem andern, und all das kommt von seinen Listen und von seiner Schlauheit. Drum übe du Milde und Billigkeit, und laß ab von Bosheit und Ungerechtigkeit! Das ist besser für dein Leben!' Doch der Wolf kümmerte sich nicht um seine Worte, sondern gab ihm eine harte Antwort, indem er sprach: ,Wie kommst du dazu, über große und wichtige Dinge zu reden?' Dann gab er dem Fuchs einen Schlag auf die Backe, daß er bewußtlos niederfiel. Als dieser dann wieder zu sich kam, lächelte er dem Wolfe freundlich zu und trat an ihn heran, indem er ihn mit diesen beiden Versen wegen der unziemlichen Worte um Verzeihung zu bitten begann:

Hab ich denn eine Sünde früher einmal begangen
Aus Liebe zu dir, und hab ich getan denn, was nicht frommt,
So reut mich mein Vergehen, und möge deine Verzeihung
Den Sünder umfassen, wenn er Vergebung erbittend kommt.

Da nahm der Wolf seine Abbitte an und hörte auf, ihn zu mißhandeln; doch er sprach zu ihm: ,Rede nicht von dem,



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was dich nichts angeht; sonst mußt du hören, was dir widersteht!' — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 149. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtetworden, o glücklicher König, daß der Wolf zum Fuchse sagte: ,Rede nicht von dem, was dich nichts angeht; sonst mußt du hören, was dir widersteht!' ,Ich höre und gehorche,' antwortete der Fuchs, ,hinfort will ich unterlassen, was dir mißfällt. Denn der Weise spricht: ,Rede nicht von dem, wonach du nicht gefragt bist; antworte nicht, wenn du nicht aufgefordert bist; laß ab von dem, was dich nichts angeht, und kümmere dich nur um das, was dich angeht; verschwende guten Rat nicht an die Bösen, denn sie werden dir mit Bösem vergelten!'

Als der Fuchs nun die Worte. die ihm der Wolf zur Antwort gab, gehört hatte, lächelte er ihm wieder freundlich zu; aber in seinem Herzen sann er auf eine List wider ihn und sprach bei sich: ,Wahrlich, ich muß mir Mühe geben und bewirken, daß dieser Wolf ins Verderben stürzt.' So trug er geduldig weitere Mißhandlungen vom Wolfe, indem er bei sich sprach: ,Hochmut und arge Reden führen zum Tod und stürzen in Not. Ja, es heißt: Übermut tut selten gut; wer töricht ist, bereut, doch wer vorsichtig ist, wird vom Unheil befreit. Gerechtigkeit ist der Edelen Kleid; und vornehmer Sinn ist der edelste Gewinn. Ich will mich nun vor diesem Tyrannen verstellen; dann muß er sicherlich zu Falle kommen.' Darauf sprach der Fuchs zum Wolfe: ,Siehe, der Herr verzeiht seinem Diener, der da fehlt, und vergibt seinem Knechte, wenn er Sünden begangen hat. Ich bin nur ein armer Knecht; und daß ich dir Rat erteilte, war von mir nicht recht. Wüßtest du. welcher



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Schmerz mich durch deinen Schlag getroffen hat, so wüßtest du auch, daß selbst ein Elefant ilm nicht ertragen und aushalten könnte. Doch ich beklage mich nicht über den Schmerz dieses Schlages um der Freude willen, die mir durch ihn widerfahren ist; denn wenn er für mich auch etwas gewaltig Schweres war, so ist sein Ergebnis doch Freude. Der Weise spricht: ,Der Schlag des Erziehers schmerzt anfangs sehr, aber zuletzt ist er süßer als geklärter Honig.' Der Wolf aber sagte: ,Ich habe dir deine Schuld vergeben und deinen Fehltritt verziehen. Nun nimm dich vor meiner Stärke in acht und bekenne dich als meinen Knecht; du hast erfahren, wie streng ich bin gegen den, der sich mir feindlich zeigt.' Da warf sich der Fuchs in Verehrung vor ihm nieder und sprach zu ihm: ,Allah gebe dir ein langes Leben! Mögest du immerdar deine Feinde überwinden!' Und so fuhr der Fuchs fort, in seiner Furcht vor dem Wolfe ihn heuchlerisch zu umschmeicheln.

Eines Tages nun kam der Fuchs zu einem Weinberge und sah dort in der Mauer ein Loch. Mißtrauisch sprach er zu sich selber: ,Dies Loch hat sicher einen besonderen Grund. Heißt es doch im Sprichwort: Wer eine Grube in der Erde sieht und nicht zur Seite geht und nicht vorsichtig an sie herantritt, der täuscht sich selbst und setzt sich dem Verderben aus. Es ist ja bekannt, daß einige Menschen das Abbild eines Fuchses im Weinberge aufstellen, ja, sogar Weintrauben auf Tellern vor ihn hinsetzen, auf daß ein Fuchs es sehe, herankomme und ins Verderben renne. Fürwahr, ich sehe dies Loch als eine Falle an. Im Sprichworte heißt es: Vorsicht ist die Hälfte der Klugheit. Aus Vorsicht also muß ich dies Loch einmal erst genauer untersuchen, um zu sehen, ob ich bei ihm eine Falle finde, die zum Verderben führt. Die Gier soll mich nicht dazu verleiten, daß ich mich selbst in das Unheil stürze.' Dann ging er näher an



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das Loch heran, schlich vorsichtig drum herum und schaute es genau an; und siehe da, es war eine tiefe Grube, die der Herr des Weinbergs gegraben hatte, um die Tiere darin zu fangen, die ihm die Reben verdarben. Da sprach der Fuchs zu sich selber: ,Nun bist du ans Ziel gekommen, das du dir vorgenommen !' Weiter erblickte er auf ihr eine dünne, feine Decke. und dann trat er zurück mit den Worten: ,Preis sei Allah, daß ich mich vor ihr in acht genommen habe! Aber ich hoffe, daß mein Feind, der Wolf, der mein Leben so elend gemacht hat, in sie hineinfällt; dann steht mir der Weinberg frei und gehört mir allein, und ich kann in Sicherheit dort leben.' Darauf schüttelte er den Kopf, lachte laut und sang:

Säh ich doch zu dieser Stunde
Einen Wolf da in der Falle!
Lang hat er mein Herz verbittert,
Grausam mich getränkt mit Galle.
Blieb ich doch hinfort am Leben!
Stürbe doch der Wolf noch heute!
Dann ist frei von ihm der Weinberg,
Und ich hab drin meine Beute!

Darauf lief er eiligst zurück, bis er wieder zum Wolf kam, und dem rief er zu: ,Fürwahr, Allah hat dir den Weg zu dem Weinberge leicht und mühelos gemacht. Das ist ein Zeichen deines Glücks. Wohl bekomme dir jene leichte Beute und das reichliche Futter, das Allah dir erschlossen und ohne Anstrengung zugänglich gemacht hat!' Der Wolf aber fragte: ,Was führt dich zu deiner Behauptung?' ,Wisse,' erwiderte der Fuchs, ,ich kam zu dem Weinberge, und da fand ich, daß sein Herr tot ist; ein Wolf hat ilm zerrissen. So ging ich in den Garten hinein und sah an den Reben herrliche Früchte schweben!' Der Wolf zweifelte nicht an den Worten des Fuchses, die Gier packte



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ihn, und er machte sich auf, bis er zudem Loche kam, ganz betört von seiner Lüsternheit. Der Fuchs aber blieb stehen. warf sich zu Boden, so daß er wie ein Toter dalag, und sprach diesen Vers:

Begehrst du von der jungen Maid ein Stelldichein?
Wohlan, die Lüste lasten auf der Männer Nacken!

Wie nun der Wolf dicht vor dem Loche stand, rief der Fuchs ihm zu: ,Geh hinein in den Weinberg! Dir ist sogar die Mühe erspart, hinüberzuklettern, oder in die Gartenmauer ein Loch zu graben; nun steht bei Allah die Vollendung der guten Gaben!' So ging der Wolf einige Schritte weiter, um in den Weinberg einzudringen; aber als er mitten auf der Decke war, die über dem Loche lag, fiel er hinein. Da schüttelte der Fuchs sich gewaltig vor lauter Freuden; denn nun war es zu Ende mit seinen Sorgen und Leiden. Er ließ ein Lied erklingen und begann diese Verse zu singen:

Das Schicksal hat sich meiner Qual erbarmet;
Es hatte Mitgefühl mit meiner Not
Und schenkte mir, was ich so sehr begehrte,
Und wandte von mir ab. was mich bedroht.
Ich will ihm wahrlich alle Schuld vergeben,
Die es an mir verbrach in frührer Zeit. Der Wolf da kann jetzt nimmermehr entrinnen
Aus der Gefahr, die ihn dein Tode weiht.
Mein ist der Weinberg jetzt, mein ganz allein!
Kein Dummkopf teilt sich mehr mit mir darein!

Dann blickte er in die Grube, und wie er den Wolf aus Reue und Gram um sich selber weinen sah, weinte er mit ihm. Da hob der Wolf seinen Kopf zum Fuchs empor und fragte ihn: ,Weinst du aus Mitleid mit mir, Herr Reineke?'1 ,Nein, bei dem, der dich in diese Grube gestürzt hat,' rief der Fuchs, ,ich



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weine, weil du schon so lange gelebt hast, und ich traure, weil du nicht schon vor diesem Tage in die Grube da gefallen bist. Wärest du früher hineingefallen, ehe wir zusammentrafen, so hätte ich Ruhe und Frieden gehabt; doch du wurdest aufgespart, bis deine Stunde kam und deine Zeit erfüllet ward.' Da sprach der Wolf zu ihm, als ob er scherze: ,Du böser Bube, geh zu meiner Mutter und sage ihr, was mir widerfahren ist, damit sie auf meine Befreiung sinne!' Aber der Fuchs antwortete ihm: ,Deine große Begehrlichkeit und deine gewaltige Lüsternheit haben dich ins Verderben gestürzt ;j a, du bist in eine Grube gefallen, aus der du nicht entrinnen kannst. Weißt du denn nicht, du dummer Wolf, daß es im Sprichwort heißt: Wer die Folgen nicht bedenkt, dem wird vom Geschick keine Freundschaft geschenkt, und sein Weg wird nicht an den Gefahren vorbeigelenkt.' Nun bat der Wolf: ,Lieber Herr Reineke, einst hast du mir Liebe gezeigt und warst meiner Freundschaft geneigt; und meine gewaltige Kraft hielt dich in banger Haft. Hasse mich doch nicht so grimmig wegen dessen, was ich dir antat! Denn wer Macht hat und doch verzeiht, der erhält seinen Lohn von Allah. Sagt doch auch der Dichter:

Säe die Saat des Guten, wenngleich auf unrechtem Felde!
Nie geht das Gute verloren, wo es nur immer gesät.
Denn mag die Zeit auch noch so lange darüber vergehen,
Das Gute erntet immer allein, wer es gesät.'

Da erwiderte der Fuchs: ,O du dümmstes Raubtier der Welt und albernstes aller Tiere im Feld, hast du denn deinen Hochmut und deine Anmaßung und deine Überhebung vergessen, wo du doch das Recht der Freundschaft nicht achtetest und dich nicht durch das Dichterwort warnen lassen wolltest:

Tu kein Unrecht, auch wenn die Macht dazu dir gegeben;
Denn Rache lauert immer auf den, der das verbricht.



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Dein Auge mag wohl schlafen; doch der Bedruckte wachet
Und flucht dir, und das Auge Allahs schlummert nicht.'

Wieder bat der Wolf: ,Lieber Herr Reineke, trag mir die Schuld nicht nach, die ich früher verübt: denn vom Edlen erwartet man, daß er vergibt, und gute Taten sind der beste Schatz. Wie schön sagt der Dichter:

Tu Gutes schnell. wenn es in deiner Macht:
Denn nicht zu jeder Zeit hast du die Macht.'

So bat der Wolf demütig den Fuchs immer weiter und fügte hinzu: ,Vielleicht vermagst du etwas zu tun, was mich vor dem Verderben rettet.' Aber der Fuchs sprach: ,Du dummer, betrogener Wolf, du Übeltäter und Verräter, verlange nicht mehr zu entrinnen; denn dies ist Lohn und Vergeltung für dein ruchloses Beginnen.' Dann begann er zu lachen aus offenem Rachen, und er sprach diese beiden Verse:

Glaub nicht, mich zu überlisten:
Denn dein Ziel erreichst du nie.
Was du wünschest, ist unmöglich.
Du sätest Qual - nun ernte sie!

Da sprach der Wolf: ,O du sanftmütiges unter den Tieren, das traue ich dir nicht zu. daß du mich in dieser Grube lässest!' Dann weinte er und klagte, aus seinen Augen begannen die Tränen hervorzubrechen, und er hub an, diese Verse zusprechen:

O der du mehr als einmal mir deine Hilfe geliehen
Und dessen Gabenreichtum schier unermeßlich ist,
Nie hat in meinem Leben mich ein Leid getroffen,
Bei dem ich nicht gefunden, daß du mein Retter bist.

,O du einfältiger Feind,' rief der Fuchs, ,wie kommst du jetzt zu Demut und Unterwürfigkeit, zu Erniedrigung und Nachgiebigkeit, nach all der Verachtung und Großtuerei, dem Hochmut und der Tyrannei. Fürwahr, aus Furcht vor deiner Feindschaft



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trat ich dir freundlich entgegen, und ich schmeichelte dir, ohne Hoffnung auf deine Güte zu hegen. Doch jetzt hat dich die Rache ereilt, so daß die zitternde Angst bei dir weilt.' Dann sprach er diese beiden Verse:

O der du immer nur auf Trug bedacht,
Du kamst durch deinen bösen Plan zu Fall.
So koste nun das Leid der bittren Not
Und bleibe fern den andren Wölfen all!

Und wiederum bat der Wolf: ,O du Milder, sprich doch mit Feindeszunge nicht, noch schau mit feindlichem Gesicht; erfülle die Pflicht der Freundschaft, die uns verbindet, ehe die Zeit zur Hilfe entschwindet. Mach dich auf und suche mir nach einem Strick; dann binde das eine Ende an einen Baum und laß das andere zu mir herunter, damit ich mich daran festhalten kann. Vielleicht kann ich so aus meiner Not befreit werden, und dann will ich dir alle Schätze geben, die ich besitze!' Doch der Fuchs erwiderte: ,Du hast schon viel zu viel von dem geredet, was dir doch nicht die Rettung bringt; drum hoffe nicht mehr darauf, denn du wirst niemals das von mir erhalten, wodurch du dich retten kannst. Denke vielmehr an das Böse, das du mir früher getan hast, an all die Tücke und Arglist, die du wider mich ersonnen hast. Wie nahe bist du jetzt dem Tode durch Steinigung! Wisse, jetzt wird deine Seele die Welt verlassen, von ihr scheiden und aus ihr fortziehen; dann soll sie ins Verderben eilen, an einer grausen Stätte weilen und immer ein furchtbares Schicksal teilen!' ,Lieber Herr Reineke,' hub der Wolf wieder an, ,kehre doch bald zurück zur Freundlichkeit und beharre nicht in grollender Feindseligkeit. Wisse, wer eine Seele aus dem Verderben errettet, der erhält sie am Leben; und wenn einer nur eine einzige Seele am Leben erhält, so ist es, als hätte er die ganze Menschheit



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am Leben erhalten.' Folge nicht dem Bösen; denn die Weisen haben es verboten. Und es ist doch klar, daß es nichts Böseres gibt, als wenn ich hier in der Grube sitze und Todesqualen herunterschlucke und den Untergang vor Augen habe, während es in deiner Macht steht, von des Unglücks Ketten mich zu erretten. Ach, nimm es doch ernst mit meiner Befreiung und handle gütig an mir!' ,O du dummer Tölpel,' rief da der Fuchs, ,siehe, wenn du nach außen schöntust und sprichst, aber Gemeines ersinnst und verbrichst, so vergleiche ich dich mit dem Falken bei dem Rebhuhn und bemesse dein Tun nach ihm.' ,Wie war denn das? 'fragte der Wolf. Da erzählte der Fuchs


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