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Die Geschichte von dem starken Grettir dem Geächteten


Übertragen von Paul Herrmann


Mit 8 Ansichten und einer Karte

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


59. Grettir und Gisli

Ein Mann hieß Gisli. Er war der Sohn des Thorstein, den der Gode Snorri töten ließ. Gisli war ein großer



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und starker Mann, er ging prächtig gekleidet, hatte die schönsten Waffen, prahlte gern und pries sich selbst am liebsten. Er unternahm Handelsreisen auf dem Meere und kam in dem Sommer nach der Hita, als Grettir einen Winter lang im Gebirge gewesen war. Thord Kolbeinsson ritt nach dem Schiff. Gisli nahm ibn freundlich auf und bot ihm seine Handelsware an, wenn er etwas kaufen wollte. Thord ging darauf ein, und so kamen sie ins Gespräch.

Gisli sprach: "Ist es wahr, was mir erzählt wurde, daß du es nicht durchsetzen kannst, den Waldmann fort zu bekommen, der euch so manchen Schaden zugefügt hat:"

Thord sagte: "Wir haben es noch nicht versucht; aber vielen scheint er schwer erreichbar zu sein, und das hat mancher empfunden."

Es ist mir ganz erklärlich, daß es dir schwer fällt, etwas gegen Björn auszurichten, wenn du nicht einmal diesen Mann vertreiben kannst. Es ist schade, daß ich zu weit weg im Winter bin. um die Sache in Ordnung zu bringen.

Ihn nur durch Hörensagen kennen zu lernen, wird für dich das beste sein.

Du brauchst mir nichts von Grettir zu erzählen," sagte Gisli. Ich habe schon manchen stärkern Strauß gestritten, damals als ich auf Heerfahrt im Westen war mit König Knut dem Mächtigen; damals habe ich meinen Platz auf dem Schiffe verteidigt ; und bekäme ich es mit ihm zu tun, so würde ich mich auf mich und meine Waffen verlassen."

Thord antwortete, er sollte es nicht für umsonst getan haben, wenn er Grettir tötete. Es ist auch ein größerer Preis auf seinen Kopf gesetzt als je auf den Kopf eines andern Waldmanns; es waren früher schon sechs Mark Silber, aber im Sommer hat Thorir aus Gardr noch drei Mark zugelegt, und doch meint man, daß der, der das Geld empfangen wird, genug zu tun haben wird."

Um Geld zu verdienen, wird alles gewagt," sagte Gisli. "Das gilt nicht am wenigsten von uns Kaufleuten. Aber laß uns unser Gespräch heimlich halten; kann sein, daß er sich mehr in acht nimmt," sagte er, wenn er weiß, daß ich mit dir im



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Bunde bin. Ich gedenke im Winter draußen auf dem ÖOlduhryggr , auf Snäfellsnes zu sein; liegt seine Zufluchtsstätte auf dem Wege dahin: Er soll schon nichts merken! viel Leute werde ich nicht sammeln, wenn ich gegen ihn siebe."

Thord gefiel dieser Beschluß gut. Er ritt dann heim und sprach nicht darüber. Aber es ging hier, wie das Sprichwort sagt, oft haben die Bäume Ohren'. Einige von Björns Freunden hatten das Gespräch zwischen Thord und Gisli gehört und erzählten es ihm Wort für Wort wieder. Als Grettir und Björn sich trafen, erzählte es Björn ihm wieder; er sagte, nun könnte er zeigen, was er wert wäre. Es wäre herrlich," sagte Björn, " wenn du ihm, ohne ihn zu töten, eine ordentliche Züchtigung zuteil werden lasen könntest."

Grettir lächelte und sagte nichts. Im Herbst, als das Vieh von den Hochweiden heimgetrieben wurde, ging Grettir nach Flysjuhverfi hinab und wollte sich einige Schafe holen. Er erbeutete vier Hammel. Die Bauern erfuhren von seiner Tat und setzten ihm nach. Er hatte gerade die Halde erreicht, aber in demselben Augenblicke holten sie ihn ein und wollten ihm die Hammel wegnehmen. Aber mit Waffen griffen sie ihn nicht an. Sie waren sechs an der Zahl und stellten sich ihm in den Weg. Er geriet in Zorn bei dem Gedanken, daß er die Schafe wieder verlieren sollte, packte drei von den Bauern und warf sie den Hügel hinab, so daß sie bewußtlos dalagen. Und als das die andern drei sahen, wurden sie bange. Grettir nahm die Schafe, verschränkte ihre Hörner, warf über jede Schulter zwei und lief dann den Berg hinauf nach seiner Zufluchtsstätte. Die Bauern kehrten wieder um, wenig erbaut von dem Ausgang; und sie ärgerten sich noch mehr über das, was ihnen geschehen war.

Gisli blieb bei seinem Schiff den Herbst über, bis es aufs Land gerollt war. Mancherlei hielt ihn auf, so daß er sich verspätete und erst kurz vor Wintersanfang fort kam. Er ritt südwärts, übernachtete auf dem Hofe Hraun südlich von der Hita.

Am nächsten Morgen, als Gisli weiter ritt, sagte er zu seinen Begleitern: "Laßt uns in roten Kleidern reiten, damit die Waldmänner sehen, daß wir nicht wie andere Strolche sind, die sich hier täglich umhertreiben,"



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Sie waren drei zusammen und taten so.

Und als sie den Fluß überschritten hatten, sagte er: "Man hat mir erzählt, daß sich der Waldmann hier oben in den Bergen aufhält; und es ist nicht leicht da hinaufzukommen; aber ich vermute, daß er selbst zu uns kommt; um unsere Schätze zu sehen."

Sie sagten, daß er so gewöhnlich handelte. Grettir war seitig am Morgen aufgestanden in seiner Zufluchtsstätte. Es war Frostwetter, und Schnee war gefallen, aber nicht viel. Er sah drei Männer von Süden über die Hita kommen, und die Prachtgewänder und die Schilde mit Schmelzfarben glänzten in der Sonne. Grettir ahnte, wer sie waren, und dachte, es könnte nichts schaden, sich etwas von dem zu holen, was sie bei sich trügen. Er hatte auch große Lust, mit diesen Prahlern nähere Bekanntschaft zu machen. Er nahm seine Waffen und lief den Abhang hinab.

Und als Gisli das Geröll klirren hörte, sprach er so: "Da kommt ein Mann die Halde herunter; er ist groß an Wuchs und will uns sicher treffen. Benehmen wir uns tapfer, denn das Wild läuft uns gerade in die Armes"

Seine Begleiter sagten, das dieser Mann kaum ihnen gerade in die Arme laufen würde, wenn er sich nicht etwas zutraute: "Und er soll seinen Willen haben" Darauf schwangen sie sich schnell aus dem Sattel.

In diesem Augenblicke kam Grettir, nahm einen Sack mit Kleidern , den Gisli auf seinem Gaule hinter dem Sattel hatte, und sprach: "Das nehme ich! Ich lasse mir oft genügen an einer Kleinigkeit."

Gisli antwortete: "Niemals! Du weißt wohl nicht, mit wem du es zu tun hast

Grettir antwortete: "Es ist mir nicht so gans klar; aber in der Beziehung mache ich keinen großen Unterschied bei den Leuten, wenn ich so wenig beanspruche."

"Kann sein, daß es dich wenig dünkt," sagte Gisli. "Aber ich würde ungefähr dreitausendsechshundert Ellen einbüßen; dein Übermut scheint nicht gering zu sein! Auf, Burschen, wir wollen ihn angreifen und sehen, was er kann!"



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Sie taten so. Grettir wich etwas zurück und zog sich hinter einen Stein, der am Wege steht und Grettirs Hub heißt, und verteidigte sich. Gisli feuerte seine Begleiter laut an. Grettir bemerkte bald, daß Gisli nicht der mutige Mann war; als der er sich ausgab, denn er hielt sich beständig hinter seinen Begleitern . Grettir wurde der Enge überdrüssig, er schwang sein Schwert und versetzte einem von Gislis Gefährten den Todesstreich ; dann verließ er seine Stellung hinter dem Steine und griff so heftig an, daß Gisli schleunigst den Felsen entlang zurückwich. Da fiel der zweite Geselle Gislis.

Grettir sprach: "Das ist an dir nicht zu merken, daß du anderwärts so tapfer vorgegangen bist, und diese Leute läßt du übel im Stiche."

Gisli antwortete: "Der spürt das Feuer am meisten, der ihm zunächst sitzt; und schlimm ist es, mit einem Teufelskerl zu tun zu haben."

Sie wechselten einige wenige Hiebe, bis Gisli seine Waffen fortwarf und aus allen Kräften den Berg entlang lief. Grettir gab ihm Zeit, das fortzuwerfen, was er wollte, und jedesmal wenn Gisli die Gelegenheit dazu sah, warf er ein Kleidungsstück nach dem andern weg. Grettir verfolgte ihn absichtlich nicht schneller, als daß immer eine kleine Entfernung zwischen ihnen war. Gisli lief unaufhörlich am Berg vorbei, dann quer über den Kaldardalr, über 'Aslaugarhlid und an Rolbeinsstadir vorbei und dann nach dem Borgarhraun. Gisli hatte nur noch seine Unterhosen an und war schrecklich müde. Aber Grettir war ständig hinter ihm ber und konnte ibn beinahe mit der Hand greifen.

Er schnitt sich unterwegs einen großen Busch ab. Gisli hörte nicht eher auf, alb bis er an die Haffjardara kam. Sie war hoch angeschwollen und kaum zu durchschreiten. Gisli wollte sich sogleich in den Fluß stürzen. Grettir aber eilte ihm nachfaßte ihn, und da zeigte sich, wer von beiden der Stärkste war. Grettir warf ibn zu Boden und fragte: "Bist du der Gisli, der Grettir Asmundarson treffen wollten?"

Gisli antwortete: "Jetzt habe ich ibn getroffen; aber ich weiß nicht, wie wir uns von einander trennen. Behalte nur deinen Raub und laß mich los."



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Grettir sprach: "Du wirst nicht recht verstehen, was ich dir sage, ich will dir erst einen Denkzettel geben."

Damit sog er ihm das Hemd über den Kopf und ließ die Rute auf seinem Rücken und seinen beiden Seiten tanzen; Gisli wollte sich ihm fortwährend entwinden und warf sich bald auf den Rücken, bald auf die Seite. Grettir peitschte ihn gehörig durch und ließ ihn dann los. Gisli dachte, daß er lieber nichts von Grettir lernen wollte als so verprügelt zu werden. Und er machte sich niemals wieder solcher Durchpeitschung wert. Sobald Gisli auf die Füße kam, sprang er in den Flußkessel und schwamm hinüber, zur Nachtzeit kam er nach dem Hofe Hroßholt und war vollständig erschöpft. Dort lag er eine Woche, und der ganze Körper schwoll an. Dann zog er nach dem Orte, wo er sich vorgenommen hatte den Winter zu verbringen. Grettir kehrte wieder um, nahm unterwegs alles auf, was Gisli fortgeworfen hatte, brachte es mit sich nach Hause und bekam Gisli nie wieder zu sehen. viele glaubten, Gisli hätte diese Behandlung wegen seiner Possen und Prahlereien redlich verdient. Grettir dichtete über diese Begegnung folgendes:



***
48
Kläglich kneift der Klepper,
Stampft nicht mit im Kampfe, 1
Zerrt nicht mit den Zähnen,
Flieht, obwohl nicht müde.
So konnt' Gisli springen,
Suchte Heil in Flucht sich,
Ansehn gab und Ehre
Preis der alte Scheißkerl!

Im nächsten Frühling begab sich Gisli zu seinem Schiffe und verbot streng, daß seine Waren südwärts am Fagraskogafjall vorbei geführt würden. Denn dort, sagte er, hauste der böse Feind. Er ritt nach seinem Schiff auf dem Wege; der die Küste entlang führt; er und Grettir trafen sich niemals wieder; aber er schien keinem mehr der Beachtung wert zu sein und kommt in dieser Geschichte nicht mehr vor. Thord wurde 1 Die Bilder sind vom Pferdekampfe genommen.



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noch mehr erbittert über Grettir und überlegte hin und her, wie er Grettir aus dieser Gegend fort oder erschlagen bekommen könnte.


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