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Die Geschichte von dem starken Grettir dem Geächteten


Übertragen von Paul Herrmann


Mit 8 Ansichten und einer Karte

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


47. Grettirs Heimkehr

Gegen Ende des Sommers kehrte Grettir nach Island zurück und landete an der in den Borgarfjördr einmündenden Hvita. Aus allen Teilen des Bezirks ritten die Leute nach dem Schiff. Grettir bekam so mit einem Male all die Neuigkeiten zu hören: zuerst, daß sein Vater gestorben war, dann, daß sein Bruder erschlagen war, und zum dritten, daß er im ganzen Lande geächtet war. Da sprach Grettir diese Weise:



***
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Friedlos! Vater Bruder —
Alle Hel verfallen:
All zu unerwartet
Kam, was ich vernahm.
Wahrlich, manches Mannes
Herz soll meinen Schmerz
Bitter büßen —hab sie
Bald in der Gewalt!
So sagen die Leute, daß bei diesen Nachrichten keine veränderung
an Grettir zu spüren war, und daß er ebenso froh war
wie vorher. Grettir hielt sich noch eine Weile bei dem Schiffe
auf, denn er konnte kein Pferd bekommen, das ihm gefiel.

Svein hieß der Mann, der auf dem Hofe Bakki wohnte, oberhalb von Thingnes. Er war ein guter Bauer und ein munterer Mann, und erdichtete oft Verse, so daß man seine Freude daran hatte. Er hatte eine braune Stute, einen ausgezeichneten Renner; Svein nannte sie Södulkolla, d. h. Sattelstute. Grettir ging eines Nachts von vellir fort, denn er wollte nicht, daß die Kaufleute es gewahr würden. Er verschaffte sich einen schwarzen Mantel, zog ihn über seine Kleider und war so schwer zu erkennen. Er ging an Thingnes vorbei nach Bakki. Da war es heller Tag geworden. Da sah er eine braune Stute an der Hauswiese stehen, ging hin, legte ihr das Gebiß auf, schwang sich auf sie und ritt die Hvita entlang aufwärts, an Bor



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vorbei, nach der Flokadalsa und kam auf die Straße oberhalb von Kalfanes. Zu dieser Zeit standen die Arbeiter auf Bakki auf und sagten dem Bauer, daß ein Mann seine Stute bestiegen hätte. Er stand auf, lächelte und sprach folgendes:



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Rasch auf meinem Roß ent-
Rann der Dieb von dannen
vor dem Hofe fand er's,
Machte fort bei Nacht sich.
Sicher wird des Schildes
Schwinger 1 noch vollbringen
Manche andre Meintat, —
Mut steckt ihm im Blute.

Danach nahm er sein Pferd und setzte Grettir nach. Grettir ritt, bis er an dem Hofe Kroppr vorbeigekommen war. Dort traf er einen Mann, der sich Halli nannte und sagte, daß er auf dem Wege nach dem Schiffe wäre. Gettir sprach die Weise:



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Baum des Bogens! 2 künde
Bald in Feld und Wald an,
Daß nach Kropp gekommen
Der berühmte Klepper.
Mann darauf bemerkt ich,
Schwarz der Mantel war,
Wirft die Würfel gerne 3 —
Eile, Mann! nicht weile!

Und dann trennten sie sich, Halli ging die Straße hinab bis Kalfanes, wo er Svein begegnete. Sie begrüßten sich eilig. Da sprach Svein:



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Sage, sahst du etwa
Meiner Braunen Beine:
Räuber stahl den Renner;
Schmerz zerreißt das Herz mir.
von den braven Bauern
1 Der Schwinger des Schildes ist der mann, hier ist Grettir gemeint. 2 Der
den Bogen handhabt, der Krieger, der Mann, hier Halli. 3 D h. versucht
gern das Glück.



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Blau wird er gehauen;
Holen sie das Pferd ein, —
Hiebe setzt's dem Diebe.

"Dahinter kannst du schon kommen," sagte Halli. "Ich traf den Mann, der sagte, er ritte auf Södulkolla und bat mich, es unten in der besiedelten Gegend und im Bezirk zu erzählen, in Feld und Wald; er war groß von Wuchs und hatte einen schwarzen Mantel an."

"Großen Übermut zeigt der Mann," antwortete der Bauer, "Ich will doch erfahren, wer er ist" und dann setzte er ihm nach, Grettir kam nach dem Hof Deildartunga. Da war eine Frau draußen. Grettir redete mit ihr und sprach die Weise:



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Bring dem Herrn der Braunen
Botschaft, die nicht Not schafft.
Frau, sag ihm das verslein,
Werte und verehrte
Auf dem raschen Renner
Reitet Grettir eilig:
Erst in Schluchtenhügel 1
Hält sein Pferd der Held an.

Die Frau merkte sich die Weise. ritt seine Straße weiter. Svein kam ein wenig später dahin, sie war noch nicht wieder hineingegangen, und sobald er kam, sagte er folgendes:



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Welcher Recke ritt heut
Hier vorbei an dir,
Trotzend Wind und Weiter:
Braun er wird gehaun.
Fast den ganzen Tag schon
Floh er vor mir so her,
Unverschämt und schamlos
Scheint mir die Gemeinheit:

Sie sagte, wie Grettir sie gelehrt hatte. Er dachte über die Weise nach und sprach: "Wahrscheinlich ist es, daß dieser Mann nicht mit sich spielen läßt; aber doch will ich ihn treffen."



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Er ritt nun weiter durch die bewohnte Gegend, Grettir nach; der eine konnte immer den andern sehen. Das Wetter war stürmisch und regnerisch. Grettir kam nach dem Hof Gilsbakki am Abend. Als Grim Thorhallsson das erfuhr, nahm er ihn sehr freundlich auf und bai ihn, bei ihm zu bleiben. Grettir nahm das Anerbieten an; er nahm der Stute Zaum und Sattel ab und erzählte Grim, auf welche Weise er in ihren Besitz gekommen wäre. Da kam Svein, schwang sich aus dem Sattel und sah seine Stute. Da sprach erfolgendes:



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Wer ritt meinen Braunen
Wer den Lohn gewährt mir:
Wer sah schlimmern Dieb je,
Mann im schwarzen Mantel:

Grettir hatte seine nassen Kleider abgelegt und hörte die Weise.



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Wollte Gast bei Grim sein,
Würdig dünkt der Wirt mich.
Kleinen Cohn fürlieb nimm,
Friedlich sei und schiedlich!

"So wollen wir quitt sein," erwiderte der Bauer, "der Lohn für den Ritt ist reichlich."

Darauf sagte jeder die Weise her, die er gedichtet hatte, und Grettir erklärte, er wollte Svein nicht tadeln, daß er diese Verse gedichtet hätte, denn er wäre ja der Benachteiligte gewesen. Der Bauer blieb über Nacht da, und beide hatten ihren Spaß an den Weisen. Sie nannten sie "Södulkollu-Strophen". Am Morgen ritt Svein nach Hause, und er und Grettir schieden als gute Freunde. Grim erzählte Grettir viele Neuigkeiten vom Midfjördr, die sich begeben hatten, während er im Elend war, unter anderem, daß Ätti keine Buße gezahlt worden war; Thorbjörns Macht aber wäre so groß, daß es ungewiß wäre, ob sich seine Mutter Asdis auf Bjarg halten könnte, wenn es so bliebe.

Grettir hielt sich nur kurze Zeit bei Grim auf, denn er wollte nicht, daß irgendeine Kunde von ihm nach dem Nordland über das Hochgebirge käme. Grim bat ihn, zu ihm zu kommen,



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wenn er Hilfe bedürfte ; " aber ich will mich keiner Gesetzesübertretung schuldig machen, so daß ich wegen meiner dir gewährten Hilfe friedlos werde.

Grettir sagte, er wäre ein anständiger Mann. " Aber es ist sehr wahrscheinlich, daß ich später mehr deines Beistandes bedarf als jetzt."

Grettir ritt nordwärts über die Tvidögra, dann nach Bjarg und kam dort um Mitternacht an. Alle Leute schliefen dort außer seiner Mutter. Er ging hinten um das Haus herum und durch eine Tür, die da war, denn er kannte die Einrichtung des Hofes, dann nach der Schlafstube an das in die Wand eingelassene Bett seiner Mutter und tastete sich vorwärts. Sie fragte, wer da wäre. Grettir nannte seinen Namen.

Sie richtete sich im Bett empor und umarmte ihn, seufzte tief auf und sprach:"Willkommen, lieber Sohn!" sagte sie."Wenig Freude habe ich an meinen Söhnen; der eine ist erschlagen, der mir von größtem Nutzen war, du bist geächtet, und für deine Tötung braucht man nicht einmal Buße zu zahlen; und der dritte ist so jung, daß er noch nichts ausrichten kann."

"Ein altes Sprichwort sagt," erwiderte Grettir, " am besten kommt man über Kummer damit hinweg, daß man auf den nächsten wartet '; anderes als Geld vermag das Leid zu lindern; Atli wird sicher gerächt werden, und was mich selbst betrifft, so ist es ungewiß zu sagen, wenn ich mit einem zu tun kriege, ob er oder ich den Kürzeren zieht."

Sie sagte, das wäre wohl möglich. Grettir hielt sich nun eine Weile auf Bjarg auf, ohne daß die meisten davon eine Ahnung hatten, und zog Erkundigungen über die Handlungsweise der Leute im Bezirk ein. Man wußte noch nicht, daß Grettir nach dem Midfjördr gekommen war. Er erfuhr, daß Thorbjörn Ochsenkraft zu Hause war und nur wenig Leute bei sich hatte. Es war zu der Zeit, wo man das Gras auf der Hauswiese abgemäht hatte.


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