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Kapitel 

Die Geschichte von dem starken Grettir dem Geächteten


Übertragen von Paul Herrmann


Mit 8 Ansichten und einer Karte

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


35. Grettirs Kampf mit Glam

Grettir ritt nach Thorhallsstadir. und der Bauer nahm ihn freundlich auf. Er fragte, wohin Grettir zu reisen beabsichtigte, er aber sagte, daß er über Nacht da bleiben wollte, wenn es dem Bauern genehm wäre. Thorhall entgegnete; daß er ihm dafür zu Dank verpflichtet wäre. "Aber wenigen scheint ein Vorteil damit verbunden zu sein, hier zurzeit als Gast zu sein; du wirst wohl gehört haben, was hier vor sich geht. Ich möchte nicht gern, daß du durch mich Unannehmlichkeiten hättest. Aber wenn du auch mit heiler Haut davonkommen solltest, so weiß ich doch für gewiß, daß du dein Pferd einbüßen wirst; denn niemand, der hierher kommt, behält sein Pferd unverletzt,"

Grettir sagte, Pferde gäbe es genug, was auch mit diesem geschähe.



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Thorhall freute sich darüber, daß Grettir dableiben wollte, und nahm ihn mit offenen Armen auf. Grettirs Pferd wurde fest im Hause eingeschlossen. Darauf gingen sie schlafen, und die Nacht verging, ohne daß Glam ins Haus kam.

Da sprach Thorhall: "Es hat gut geholfen, daß du hierher gekommen bist, denn Glam ist gewohnt, jede Nacht auf dem Hause herumzureiten und die Türen aufzubrechen, wie du deutlich sehen kannst."

Grettir erwiderte: "So wird wohl eins von beiden der Fall sein, daß er sich nicht länger ruhig verhält, oder daß seine Gewohnheit, hierher zu kommen, mehr als eine Nacht aufhört . Ich will noch eine zweite Nacht hierbleiben und sehen, was geschieht."

Darauf gingen sie zu Grettirs Pferde, und ihm war nichts geschehen. Den Bauern schien nun alles gut ablaufen zu wollen. Grettir blieb noch die zweite Nacht, und der Schafknecht kam nicht in die Wohnung. Das schien dem Bauern eine Wendung zum Bessern zu bedeuten. Er ging darauf, um nach Grettirs Pferd zu sehen. Da war der Stall erbrochen, als der Bauer heran kam, der Gaul war vor die Tür gezogen und ihm jeder Knochen im Leibe zerschlagen worden.

Thorhall erzählte Grettir, was geschehen war und bat ihn, sich vorzusehen: "Denn gewiß ist dein Tod, wenn du Glam erwartest."

Grettir antwortete: "Sehen will ich den Kerl doch, das ist dag wenigste, was ich für meinen Gaul haben muß."

Der Bauer sagte, daß damit wenig gewonnen wäre, ihn zu sehen. "Denn er ist keiner menschlichen Gestalt ähnlich aber gui dünkt mich jede Stunde, die du hier bleiben willst."

Der Tag verstrich nun, und als die Leute sich schlafen legen sollten, wollte Grettir seine Kleider nicht ausziehen und legte sich auf dem Sitze nieder, gegenüber dem Bettschrank des Bauern. Er hatte einen zottigen Pelz über sich und wand den einen Zipfel unter den Füßen zusammen, den andern aber legte er sich unter den Kopf und guckte aus dem Schlitz heraus. Ein sehr starker Pfosten der Zwischenwand war vor dem Sitze; und dagegen stemmte er die Füße. Der ganze Türrahmen war



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von der Tür abgebrochen, es war aber das Bruchstück einer Tür davor gebunden und ohne Sorgfalt befestigt. Die Wand, die das Schlafgemach vom Hausflur trennt, war gänzlich aus dem Zimmer herausgeworfen, oberhalb und unterhalb des Querbalkens, der das Dach stützt. Die Bettbänke waren sämtlich von der Stelle gerückt. Es war dort ganz ungemütlich. Licht brannte während der Nacht in der Stube. Und als ungefähr ein Drittel der Nacht vorüber war, hörte Grettir von draußen ein gewaltiges Dröhnen; es stieg da etwas auf die Dächer und ritt auf dem Schlafzimmer und schlug mit den Fersen gegen das Dach, so daß es in allen Balken krachte. Das währte geraume Zen, dann kam es oben vom Dache herab und ging nach der Tür. Und als die Haustür geöffnet war, sah Grettir, daß der Knecht den Kopf hereinsteckte. und der erschien ihm schrecklich groß und ungeschlacht. Glam ging langsam und reckte sich lang aus, als er in die Tür kam; er ragte bis oben an die Dachbalken hinauf; er ging in die Stube und legte die Ellbogen auf das Gebälk und streckte den Oberkörper über die Querbalken in das Gemach hinein. Der Bauer ließ keinen Laut von sich hören, denn es schien ihm schon das entsetzlich genug, daß er das hörte, was draußen vorging. Grettir lag still und rührte sich nicht. Glam sah, daß ein Haufe auf dem Sitz lag, ging hinein in die Stube und packte den Pelz fest. Grettir stemmte sich gegen das Brett, und der Mantel blieb, wo er war. Glam zerrte zum zweiten Male, noch viel stärker, aber der Pelz bewegte sich nicht. Beim dritten Male riß er mit beiden Händen so gewaltsam, daß er Grettir vom Sitze empor in die Höhe sog, sie rissen den Mantel mitten zwischen sich entzwei. Glam beobachtete den Fetzen, den er in der Hand hielt, und wunderte sich sehr, wer ihn so kräftig gegen ihn gepackt haben möchte. In diesem Augenblick sprang ihm Grettir zwischen die Hände durch, faßte ihn mitten um den Leib, spannte seine Arme um Glams Rücken, so fest er konnte, indem er beabsichtigte, Glams Oberleib dadurch rückwärts zu beugen. Der Knecht aber ergriff Grettirs Arme so fest, daß er vor solcher Gewalt gänzlich nachgeben mußte denn seine Kräfte reichten nicht aus, sich aufrecht zu halten. Grettir wurde von einer Bank auf die



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andere gedrängt. Die Pfosten wurden ausgerissen, und alles zerbrach, was ihnen im Wege war. Glam wollte ihn hinaus erren, Grettir stemmte aber seine Füße gegen alles, was er erreichen konnte. Dennoch gelang es Glam, ihn aus dem Gemache zu zerren. Sie hatten da einen sehr starken Strauß, denn der Knecht beabsichtigte, ihn aus dem Hause hinaus zu bringen aber so schlimm es auch war, mit Glam drinnen etwas zu tun zu haben, das sah Grettir doch ein, daß es noch schlimmer war, sich draußen mit ihm einzulassen, und deshalb wehrte er sich mit allen Kräften dagegen, hinaus zu kommen. Glam strengte sich außerordentlich an und preßte ihn an sich heran, als sie an die Flurtür kamen. Und als Grettir sah, daß er die Füße nicht dagegen stemmen konnte, führte er zu gleicher Zeit zwei Handlungen aus: er sprang, so gewaltig er konnte, dem Knechte gegen die Brust und stemmte beide Füße zugleich gegen einen an der Tür fest im Boden stehenden Stein. Darauf war Glam nicht vorbereitet; er hatte gerade mit besonderer Kraftanstrengung Grettir an sich gezogen und dabei sich schon rückwärts gebeugt und vorne angestemmt; gerade deswegen stürzte er rückwärts aus der Tür, so daß seine Schultern gegen den über dem Türpfosten liegenden Querbalken stießen, und die Decke ging entzwei, sowohl die Balken und Sparren, als auch die zusammen gefrorenen Erd- und Rasenstücke, mit denen das Dach gedeckt war; so siel er mit ausgestreckten Armen rückwärts aus dem Hause hinaus und Grettir über ihn. Es war heller Mondschein draußen und durchsichtige Wolken; sie zogen bald vor ihm hin, bald von ihm weg. In dem Augenblicke nun, da Glam fiel, zog eine Wolke von dem Monde fort, und Glam stierte mit den Augen dagegen. Und so hat Grettir selbst gesagt, daß dies der einzige Augenblick war, der ibn mit Entsetzen erfülle hätte. Da wurde ihm so elend zumute, daß er aus Erschöpfung und weil er sah, wie Glam seine Augen rollen ließ, nicht vermochte sein Schwert zu gebrauchen, sondern fast zwischen Leben und Sterben lag. Darin hatte Glam eine furchtbarere Zaubermacht als die meisten übrigen Wiedergänger, daß er wie folgt sprach: "Du hast dich sehr bemüht, mit mir zusammenzutreffen, Grettir!" sagte er. "Und es wird nicht



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wunderbar scheinen, daß du nicht viel Glück durch mich erreichst . Auch muß ich dir sagen, daß du jetzt nur die Hälfte der Kraft und Stärke erhalten bast, die dir vom Schicksal bestimmt war, falls du nicht mit mir zusammengekommen wärest. Jetzt kann ich die Kraft nicht von dir nehmen, die du früher gehabt hast; aber das kann ich veranstalten, daß du nie stärker wirst als du jetzt bist, und doch bist du hinreichend stark, so daß es viele zu ihrem Schaden erfahren werden. Du hast bis jetzt Ruhm durch deine Taten errungen, aber von nun an werden dir verbannung und Mordtaten als Los zufallen, und die allermeisten deiner Taten werden sich dir zu Unglück und Mißgeschick verwandeln. Du wirst vogelfrei erklärt werden, und es ist dir bestimmt, beständig einsam in der Fremde wohnen. Den Fluch lege ich auf dich, daß diese meine Augen dir stets und ständig vor den Blicken stehen, wie ich sie habe; und es wird dich schwer bedünken allein zu sein, und das wird dich wohl zum Tode ziehen."

Und wie der Knecht das gesprochen hatte, da wich die Ohnmacht von Grettir; die ihn wie befangen hielt. Er zog sein Schwert, hieb Glam den Kopf ab und setzte ihn an sein Gesäß. Da kam der Bauer heraus; er hatte sich angekleidet, während Glam seine Worte sprach, aber er hatte es nicht gewagt näher zu kommen, eh Glam gefallen war. Thorhall pries Gott und dankte Grettir herzlich, daß er diesen unreinen Geist besiegt hatte. Sie gingen dann daran und verbrannten Glam zu kalten Kohlen. Darauf taten sie seine Asche in einen Sack und gruben sie da ein, wo am wenigsten Schafweiden und Menschenpfade waren. Dann gingen sie nach Hause, und der Tag war schon ganz angebrochen. Grettir legte sich nieder, denn er war ganz steif. Thorhall schickte Boten zu den Leuten auf den nächsten Gehöften und zeigte und erzählte ihnen, was geschehen war. Allen, die es hörten, schien diese Tat großartig. Es wurde allgemein gesagt, daß im ganzen Lande, was Mut, Stärke und Gewandtheit beträfe, niemand wie Grettir Asmundarson wäre.

Thorhall entließ Grettir freundlich von seinem Hofe und gab ihm ein gutes Pferd und geziemende Kleider denn die er vorder



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getragen hatte, waren ganz zerrissen. Sie schieden freundschaftlich voneinander. Grettir ritt von da nach Ass im Vatnsdalr. Thorvald nahm ihn gut auf und befragte ihn genau nach seinem Zusammenstoße mit Glam; Grettir erzählte ihm ihr Zusammentreffen und sagte, daß er niemals zu einer solchen Kraftprobe gekommen wäre, so lange hatte der Kampf gedauert , den sie miteinander gehabt hätten.

Thorvald riet Grettir; sich nicht übermütig zu betragen:"Dann wird alles gut gehen, aber sonst kann es dir leicht zum Unglück ausschlagen."

Grettir sagte, daß sich seine Stimmung nicht gebessert hätte, er wäre jetzt viel weniger ruhig als früher und könne Kränkungen noch schlechter hinnehmen. In der Hinsicht war eine große veränderung mit ihm vorgegangen, daß er so furchtsam vor der Finsternis geworden war, daß er nirgends hingeben mochte, sobald es finster wurde. Es traten dann bei ihm allerlei Sinnestäuschungen auf, und es war später eine Redensart geworden, daß Glam denjenigen, die anders sehen als es wirklich ist, Augen leibi oder ihnen das Glamsgesicht gibt. Grettir ritt heim nach Bjarg, als er seine Unternehmungen vollendet hatte, und blieb den Winter über zu Hause.


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