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Die Geschichte von dem starken Grettir dem Geächteten


Übertragen von Paul Herrmann


Mit 8 Ansichten und einer Karte

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


32. Stam wird von einem Unhold erschlagen und fängt an zu spuken

Thorhall hieß ein Mann, er wohnte auf Thorhallsstadir im Forsäludalr. Dieses ,Schattental' liegt im oberen Vatnsdalr. Thorhall war ein Sohn des Grim, des Sohnes des Thorhall Fridmund, der den Forsäludalr in Besitz nahm. Thorhall war mit einer Frau namens Gudrun verheiratet. Ihr Sohn hieß Grim, sie hatten auch eine Tochter namens Thurid. Beide waren schon ziemlich erwachsen. Thorhall war ein wohlhabender 1



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Mann, meist an vieh, so daß niemand so viel Herden hatte wie er. Er war kein Häuptling, aber ein rechtschaffener Bauer. Es war nicht recht geheuer auf seinem Hofe, und mit Not konnte er einen Schäfer bekommen, der ihm tauglich erschien, Er pflog mit vielen Rat, was er dazu tun sollte, aber 'keiner vermochte ibm den Rat zu geben, der etwas nützte. Thorhall ritt jeden Sommer zum Thing. Er hatte gute Pferde. Es war eines Sommer auf dem Allthing, daß Thorhall nach dem Zelte des Gesetzessprechers Skapti Thoroddsson ging. Skapti war der klügste der Männer und pflegte guten Rat zu erteilen, wenn er darum angegangen wurde. Vater und Sohn unterschieden sich in der Beziehung: Thorodd konnte in die Zukunft sehen und wurde von einigen seiner Leute unaufrichtig genannt, Skapti aber riet einem jeden das an, was er für das jenem Tauglichste hielt, wenn nichts daran geändert würde; deswegen ward er " der besser als der Vater ist" genannt. Thorhall trat also in Skaptis Zelt. Der nahm ihn freundlich auf, denn er wußte, daß er ein reicher Mann war, und fragte ihn, was es Neues gäbe.

Thorhall sprach: "Einen guten Rat möchte ich von dir haben." "Dazu bin ich kaum imstande sagte Skapti. "Aber was ist dir zugestoßen:"

Thorhall antwortete "Es geht mir so, daß es mir schwer fällt, Schafhirten zu balten; sie erleiden sehr leicht Schaden, andere aber balten ihre Dienstzeit nicht zu Ende aus. Es will sich keiner dazu hergeben, dem es bekannt ist, was vorgeht."

Skapti erwiderte: "Da muß ein böser Geist dahinter stecken, daß die Leute weniger Lust haben deine Schafe zu hüten als die anderer Leute. Weil du aber bei mir Rat geholt hast; so will ich dir einen Schafhirten besorgen, der Glam heißt, aus den Sylgsdalir in Schweden stammt und im vorigen Sommer hierher gekommen ist; er ist groß und stark; aber wenig bei den Leuten beliebt."

Thorhall sagte; daß er sich daraus nichts machte, wenn er nur die Schafe gui hütete. Skapti erwiderte, daß er nicht hoffen dürfte, sich später wieder nach anderen umschauen zu dürfen, wenn diesem die Kraft und der Mut fehlte; die Schafe zu



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hüten. Thorhall ging fort. Es war gegen das Ende des Things.

Thorhall vermißte zwei Falben, und er machte sich selbst auf, sie ;u suchen; daraus glaubten die Leute schließen zu müssen, daß er kein Mann von hohem Stande wäre. Er ging Sledaass entlang und südwärts nach dem Bergzug, der Armannsfell heißt. Da sah er, wie ein Mann oben vom Godenwalde kam und Reisig auf einem Pferde führte. Sie trafen sich bald. Thorhall fragte ihn nach seinem Namen, aber er antwortete; er hieße Glam. Dieser Mann war hochgewachsen und von ungewöhnlichem Aussehen, er hatte graue und graße Augen und wolfsgraue Haare. Thorhall wurde etwas wunderlich zumute , als er diesen Mann sah; aber er merkte doch, daß er es war; an den er gewiesen worden war.

"Was ist dir am liebsten zu arbeiten: fragte Thorhall.

Glam antwortete, daß er geschickt dazu wäre, Schafherden im Winter zu hüten.

"Willst du meine Schafe hüten: " sagte Thorhall."Skapti hat dich mir überlassen."

"Meine Dienste werden dir nur unter der Bedingung zuteil, wenn ich meine eigenen Wege gehen darf, denn es ist nicht leicht mit mir auszukommen, wenn mir etwas nicht gefällt," antwortete Glam.

"Das soll mich nicht hindern," sagte Thorhall, " und ich will, daß du zu mir ziehst."

"Das kann ich machen " sagte Glam. "Sind damit Gefahren verbunden:"

"Es scheint dort nicht recht geheuer zu sein," sagte Thorball.

"vor solchen Unholden bin ich nicht bange," sagte Glam."Es macht mir Spaß, sie zu sehen."

"Spaße sachte," sagte Thorhall."Es wird dir zugute kommen daß du nicht schwächlich bist."

Darauf verhandelten sie miteinander, und Glam sollte in den Winternächten 1 kommen. Dann trennten sie sich, und Thorhall fand seine Pferde, die er soeben noch gesucht hatte. Thorhall



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ritt heim und dankte Skapti für den Dienst, den er ihm er- wiesen hatte.

Der Sommer verging, und Thorhall erfuhr nichts von dem Schafhirten; keiner wußte etwas von ihm. Aber zu der verabredeten Zeit kam er nach Thorhallsstadir. Der Bauer nahm ihn gut auf, aber alle übrigen mochten ihn nicht, am wenigsten die Hausfrau. Er übernahm die Schafhut, und es machte ihm wenig Mühe; er hatte eine laute, tiefe Stimme, und alles vieh rannte herbei, wenn er es rief. Eine Kirche war in Thorhallsstadir. Aber Olam wollte nicht hineingehen, er war kein Freund des Gottesdienstes und war ungläubig, eigensinnig und unfreundlich; er wurde von allen verabscheut. Nun ging es so hin, bis Weihnachtsheiligabend herankam. Da stand Glam früh auf und verlangte sein Essen.

Die Hausfrau sprach: "Das ist nicht Brauch bei Christenmenschen , an diesem Tage zu essen, denn morgen ist der erste Weihnachtsfetertag," sagte sie. "Darum ist es Pflicht; heute zu fasten."

Er antwortete: "manchen Aberglauben habt ihr; der keinen Zweck hat. Ich weiß nicht, daß es den Menschen jetzt besser geht als damals, wo die Leute dergleichen nicht trieben. Es gefiel mir damals besser, als sie Heiden genannt wurden, und ich will mein Essen haben und nicht solche Albernheiten."

Die Hausbau antwortete: "Ich weiß gewiß, daß es dir heute schlecht ergehen wird, wenn du solche schlechte Tat begehst."

Glam verlangte, sie sollte auf der Stelle das Essen bringen; sonst würde es ihr, sagte er, schlecht gehen. Sie konnte nicht anders handeln, als seinen Willen erfüllen. Und als er satt war, ging er hinaus, und sein Atem stank. Das Wetter war so geworden, daß es rings umher dunkel war, der Schnee stöberte vom Himmel, es sauste und brauste in der Luft; und es wurde immer ärger; je mehr der Tag zu Ende ging. Bei Tagesanfang hörten die Leute den Schäfer noch, aber weniger, als der Tag verstrich. Es begann richtig zu schneien, und am Abend erhob sich ein Unwetter. Man ging zum Gottesdienst, und so verstrich die Zeit bis zum Schlusse des Tages. Glam kam nicht heim. Es wurde nun darüber gesprochen, ob man ihn



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nicht suchen sollte, weil aber ein Unwetter und Finsternis wie während des Neumondes war, wurde nichts aus dem Suchen. Er kam in der Julnacht nicht nach Hause, und sie warteten, bis der Gottesdienst vorüber war. Als es vollständig Tag geworden war, machten sich die Leute auf, ihn zu suchen und fanden das Vieh rings umher in den Mooren, vom Unwetter durchpeitscht, oder oben in den Bergen, wo es Schutz gesucht hatte. Dann kamen sie zu einer Spur weiter oben im Tal. Es schien ihnen, wie wenn da ein heftiger Ringkampf stattgefunden hätte, denn das Steingeröll war weithin aufgewühlt und ebenso der Erdboden. Sie blickten genauer bin und sahen den Ort, wo Glam lag, etwas seitwärts ab von ihnen. Er war tot und schwarz wie Hcl und geschwollen wie ein Ochs. Es ekelte sie sehr vor ihm, und sie schauderten im Geiste bei seinem Anblicke . Dennoch versuchten sie ihn in die Kirche zu tragen, brachten ihn aber nicht weiter als bis zum Rande einer Schlucht, die sich etwas weiter nach unten zu befand, und gingen so heim und erzählten es dem Hausherrn. Er fragte, was wohl die Ursache von Glams Tode gewesen sein könnte. Sie antworteten, sie wären auf Spuren gestoßen so groß, wie wenn der Boden eines Fasses von dort herabgestürzt worden wäre, von wo die Spur sichtbar war, bis hinauf zu den Bergen, die oben im Tale lagen, und große Blutlachen wären in ihrer Nähe gewesen. Daraus schlossen die Leute, daß das Gespenst, das schon früher da gehaust hatte, den Glam getötet haben könnte, daß es aber dabei einige Wunden abbekommen hätte, an denen es genug gehabt haben dürfte, denn seitdem hätte es sich nicht wieder sehen lassen. Am zweiten Weihnachtsfeiertag ging man wieder hinaus, um zu versuchen, Glam nach der Kirche zu bringen gen. Es wurden Pferde vorgespannt, aber sobald sie auf ebenem Gelände waren und es nicht den Abhang herunter ging, konnten sie ihn nicht von der Stelle bringen. Sie mußten unverrichteter Dinge heimkehren. Am dritten Tage ging der Priester mit ihnen, und sie suchten den ganzen Tag, und Stam wurde nicht gefunden. Der Priester wollte nun nicht mehr mitgehen, aber sobald er nicht mehr dabei war, wurde der Schäfer gefunden. Da gab man es auf, ihn nach der Kirche zu bringen,



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und sie warfen Steine über ihn an der Stelle; wo er lag. Etwas später wurden die Leute gewahr, daß Glam zu spuken anfing. Das brachte ihnen großen Schaden, denn viele verloren das Bewußtsein, sobald sie ihn sahen, andere verloren den verstand dadurch. Sogleich nach Weihnachten glaubten Leute ihn daheim auf dem Hofe zu sehen. Die Leute erschraken entsetzlich, und viele zogen davon. Zunächst begann Glam des Nachts oben auf den Häusern zu reiten, so daß sie fast völlig zerstört wurden. Es dauerte nicht lange, so ging er bei Tag und bei Nacht um. Kaum wagte man noch, das Tal hinauf zu ziehen, selbst wenn man dort wichtige Geschäfte hatte. Alle Bewohner des Bezirkes fanden, daß es ein gewaltiges Unglück war.


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