Die Geschichte von dem starken Grettir dem Geächteten
Übertragen von Paul Herrmann
Mit 8 Ansichten und einer Karte
Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913
21. Grettirs Kampf mit dem Bären
Bei Thorkel hielt sich auch ein Mann namens Björn auf. Er war hitzig und aufbrausend an Sinnesart, aber von guter Familie und mit Thorkel etwas verwandt. Er war nicht beliebt bei den Leuten, denn er setzte gern die, die bei Thorkel waren, durch seine Redereien herab. Auf diese Weise hatte er erreicht, daß viele fortgejagt waren. Er und Grettir standen auf gespanntem Fuße miteinander. Björn schätzte ihn gering ein im Vergleich mit sich selbst, aber Grettir fügte sich ihm niemals . Björn war ein Freund hoher, tönender Worte und machte viel Wesen von sich; es schlossen sich ihm viele junge Männer an, und sie schlenderten oft abends draußen umher. Im Anfang des Winters geschah es, daß ein grimmiger brauner Bär aus seinem Winterlager fortlief und er war so wild, daß er weder Menschen noch Tiere schonte. Das Volk glaubte, daß der Lärm, den Björn mit seinen Genossen vollführte, ihn geweckt hätte. Der Bär wurde so gefährlich, daß er eine große Menge vieh den Bauern zerriß. Thorkel hatte den größten
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Schaden davon, denn er war der reichste Mann in dieser (hegend.
Eines Tages bot Thorkel seine Dienstleute auf, um zu suchen, wo die Höhle des Bären wäre. Sie fanden sie in den Felsen am Meere; da war ein kleiner Felsen und vorne in der Klippe eine durch überhängende Felsmassen gebildete Höhle, ein ein iger Steg führte dahin. Unter der Höhle war ein steiler Abhang, und steiniger Grund das Meer entlang; der Tod war dem gewiß, der aus der Höhle niederstürzte. Am Tage lag der Bär in der Höhle, des Nachts aber ging er gewöhnlich auf Raub aus. Kein Pferch konnte die Herden vor ihm schützen. Mit Hunden konnte man nichts ausrichten. Björn, Thorkels verwandter, sagte, die Hauptarbeit wäre damit getan, daß man die Höhle des Bären gefunden habe. "Ich will nun einen versuch machen," sagte er, "wie das Spiel zwischen mir und meinem Namensvetter 1 endigt."
Grettir tat so, wie wenn er nicht hörte, was Björn sagte.
Gewöhnlich geschah es so des Abends, wenn die Männer zu Bett gingen, daß Björn draußen verschwand. Eines Nachts begab es sich, daß Björn nach der Höhle ging. Er merkte, daß das Tier da war, es brummte schrecklich. Björn legte sich an dem Steg nieder, er hatte den Schild über sich und gedachte zu warten, bis sich das Tier wie gewöhnlich fort trollte. Petz aber witterte den Menschen und zögerte zu kommen. Björn wurde sehr schläfrig, wo er da lag, und konnte sich nicht wach halten; in diesem Augenblicke trat das Tier aus der Höhle; es sah, wo der Mann lag; es packte den Schild mit den Pranken, entriß ihn ihm und warf ihn den Abhang hinunter. Björn erwachte und sprang auf; er nahm die Füße in die Hände und stürzte davon; es fehlte nicht viel, und das Tier hätte ihn ergriffen. . Seine Gefährten wußten wohl, was da geschehen war, denn sie hatten Björns Wege beobachtet. Sie fanden den Schild am nächsten Morgen und machten sich sehr lustig über ihn.
Zur Julzeit ging Thorkel selbst mit nach der Höhle des Bären; in seiner Begleitung waren Björn und Grettir und andere aus Thorkels Gefolge. Grettir hatte einen Lodenmantel an, den
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legte er ab. während die andern das Tier angriffen. Es war schwer, den Bären anzugreifen, denn man konnte ihm nur mit dem Speere nahekommen, aber er sing jeden Stoß mit dem Gebiß auf. Björn feuerte das Volk sum Angriff an, aber er selbst ging ihm nicht so nah, daß es für ihn irgendwie hätte gefährlich werden können; mit einem Male nahm er Grettirs Mantel und warf ihn in die Höhle zu dem Bären. Sie konnten nichts gegen den Bären ausrichten und zogen am Nachmittag unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Als Grettir gehen wollte, vermißte er seinen Mantel. Endlich bemerkte er, daß der Bär ihn in seine Höhle unter sich gesogen hatte.
Da sprach er: "Wer hat mir diesen Possen gespielt und meinen Mantel in die Höhle geworfen:"
Björn antwortete: "Das hat der getan, der es wohl eingestehen darf."
Grettir erwiderte: "Nun, ich lege dem kein großes Gewicht bei.
Sie machten sich auf den Heimweg. Als sie eine Weile gegangen waren, zerriß Grettirs Strumpfband. Thorkel bat die andern, auf ihn zu warten. Aber Grettir meinte, das wäre nicht nötig.
Da sprach Björn: "Ihr müßt nicht glauben, daß Grettir seinen Mantel im Stiche läßt. Jetzt wird er eine große Tat verüben und allein das Tier töten, vor dem wir acht ausgekniffen sind; dann erst wäre er der Mann, als der er gepriesen wird; aber heute hat er nicht gerade Tapferkeit bewiesen."
"Nicht weiß ich," erwiderte Thorkel, " was du taugst; aber ich glaube kaum, daß du dich mit ihm an Tapferkeit messen kannst; hüte dich, ihn zu beleidigen."
Björn entgegnete; weder Thorkel noch Grettir hätten ihm vorzuschreiben , was er zu sagen habe.
Nun hatten sie sich so weit von Grettir entfernt, daß sie ein Hügel von ihm trennte. Er kehrte wieder um und ging nach dem Steg. Da konnte man keinem andern mehr den Angriff zuschreiben, sondern nur ihm allein. Er zog das von Jakut stammende Schwert, aber am Griff des Schwertes war ein Ring befestigt, durch den Grettir die Hand hindurchstecken konnte; das tat er; weil er dann besser vornehmen konnte, was
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er wollte, da die Hand frei war. Er kletterte sogleich den Steg nach der Höhle empor. Und als das Tier den Mann gewahrte, sprang es in größter Wut auf, griff Grettir an und schlug nach ihm mit der Tatze, die nicht dem Abgrunde zugekehrt war Grettir schlug nach dem Bären mit dem Schwerte, traf die Pranke oberhalb der Klauen und schnitt sie ab. Da wollte das Tier ihn mit der Pfote schlagen, die noch unversehrt war; es stützte sich auf den Stumpf stand aber dadurch nicht so hoch, wie es sich gedacht hatte, und fiel darum Grettir gerade in die Arme. Er packte den Bären da fest an seinen Lauschern und hielt ihn so weit von sich ab, daß der Bär ihn nicht beißen konnte. So hat Grettir selbst gesagt, daß nach seiner Meinung dies seine größte Kraftäußerung war, wie erden Bären von sich abhielt. Da nun das Tier hin und her drängte, der Platz aber eng war, stürzten sie beide den Abhang hinunter. Nun war der Bär schwerer und stürzte darum zuerst auf die Steine am Strande nieder; Grettir fiel auf ihn drauf, aber der Bär wurde auf der Seite ganz zerschlagen, die nach unten lag. Grettir zog nun sein kurzes Schwert und stieß es dem Bären ins Herz, und das ward dessen Tod. Darauf ging er nach der Höhle un d holte seinen Mantel, der in lauter Stücke zerfetzt war. Er nahm auch das Stück mit, das er dem Bären von seiner Tatze abgeschlagen hatte. Thorkel saß beim Trunk, als Grettir in die Stube trat. Sie lachten über den in Stücke gerissenen Mantel, den Grettir anhatte. Er warf das Stück, das er dem Bären von der Pranke abgeschlagen hatte, auf den Tisch.
Thorkel Sagte: "Wo ist nun mein Vetter Björn: Niemals sah ich deine Wassen so scharf beißen; und ich will, daß du Grettir Genugtuung gibst für die Kränkung, die du ihm zugefügt
Björn antwortete, darauf könnte er lange warten. "Mir verschlägt es nicht, ob ihm das gefällt oder nicht." Grettir sprach diese Weise:
Wolltest in der Höhle Petzen oft verletzen, — Scheu doch schlichst du heimwärts,
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Haut hat keiner geschaut noch. Mich sah nie ein Mensch voll Mordlust lauern dorten, — Doch ins dunkle Felsloch Drang ich und bezwang ihn. |
"Wahr ist," erwiderte Björn, "daß du dich als tapferer Mann gezeigt hast; aber du verstehst auch, über uns ein verschiedenes Urteil auszusprechen; ich merke wohl, daß der Hieb mich treffen
Thorkel sprach: "Ich bitte dich, Grettir," sagte er, "räche dich nicht an Björn, ich will dir für ihn volle Mannsbuße zahlen, vergleich dich mit ihm:" —
Björn sagte, er könne sein Geld besser anwenden, als daß er Buße hierfür bezahlte. "Mir scheint es geratener; was Grettir und mich betrifft, daß des einen Verdruß des andern Freude
Grettir sagte, er wäre zufrieden damit.
"So bitte ich dich, Grettir," sagte Thorkel, " um meinetwillen, tu Björn nichts Böses, solange ihr bei mir seid."
"Das soll geschehen," erwiderte Grettir.
Björn sagte, er würde keine Angst haben, wo immer auch Grettir und er sich träfen. Grettir lachte, aber das Geld, das ibm für Björn geboten war, wollte er nicht annehmen. Sie blieben den Winter über dort.
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