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Die Geschichte von dem starken Grettir dem Geächteten


Übertragen von Paul Herrmann


Mit 8 Ansichten und einer Karte

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


Grettir öffnet den Grabhüget Kars des Alten

Grettir blieb bei Thorsinn zurück; er betrug sich anspruchslos und redete gewöhnlich wenig. Thorfinn ließ ihm Essen reichen und gab sich sonst wenig mit ihm ab. Grettir begleitete



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ihn selten und wollte nicht mit ihm draußen am Tage gehen: das gefiel Thorsinn wenig, aber doch konnte er ihm das Essen nicht verweigern. Thorfinn hielt auf ein schmuckes Aussehen seines Hauses und der Wohnungseinrichtung und war ein heiterer Mann; er wollte auch, daß andere heiter wären. Grettir machte gern Besuche und ging zu andern Höfen dort auf der Insel. Audun hieß ein Mann, er wohnte auf einem Hof namens Vindheimr. Dorthin begab sich Grettir täglich, und er und Audun wurden gute Freunde; dort saß Grettir gewöhnlich bis tief in den Abend hinein.

Es war eines Abends sehr spät, daß Grettir, als er nach Hause geben wollte, ein großes Feuer draußen auf der Landzunge hervorbrechen sah, die sich nördlich von Auduns Hof erstreckte. Grettir fragte, was das bedeutete. Audun sagte, das brauchte er nicht zu wissen.

"In unserer Heimat würde man sagen," erwiderte Grettir, "wenn man dergleichen sähe, daß das Feuer von einem Schatz kommt."

Der Bauer antwortete: "Ich glaube, der, von dem das Feuer herrührt, ist von der Art, daß nichts Gutes dabei herauskommt, sich danach zu erkundigen."

"Ich will es nichtsdestoweniger wissen," erwiderte Grettir.

"Dort auf der Landzunge steht ein Hügel," sagte Audun."In ihm ist Kar der Alte, Thorsinns vater; beigesetzt; Vater und Sohn hatten zuerst ein Gehöft auf der Insel, aber seitdem Kar gestorben ist, hat er so sehr gespukt, daß er alle Bauern fortgescheucht hat, die hier Höfe hatten, so daß jetzt Thorsinn die ganze Insel allein besitzt. Nur denen, über die Thorsinn seine Hand hält, tut er kein Leid."

Grettir war zufrieden mit dieser Erklärung und sagte: "Ich will morgen früh hierher kommen, sorge du für Gerätschaften zum Graben."

"Ich rate dir," antwortete Audun, "laß dich nicht darauf ein, denn ich weiß, daß du dir dadurch Thorfinns Feindschaft zusiehst."

Grettir erwiderte, er wollte es auf eine Probe ankommen lassen.



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Nun verging die Nacht. Grettir kam am nächsten Morgen dahin . Die Werkzeuge zum Graben waren zur Stelle. Der Bauer ging mit ihm nach dem Hügel.

Grettir brach den Hügel auf, und das war eine harte Mühe; er arbeitete ununterbrochen, bis er auf Hols stieß. Da neigte sich der Tag bereits zum Ende. Danach schlug er ein Loch in das Holz. Audun riet ihm dringend ab, in den Hügel zu gehen. Grettir bat ihn, auf das Seil aufzupassen:"Denn ich will nachsehen, wer hier wohnt" .

Grettir ließ sich in den Hügel hinab. Darinnen war es gans dunkel und durchaus nicht wohlriechend. Er tastete sich nun vorwärts, um zu sehen, wie es innen im Hügel aussah. Er fand einige Pferdeknochen, und danach stieß er gegen den Rücken eines Stuhls, und bemerkte, daß ein Mann auf dem Stuhle saß. Da war ein großer Schatz an Gold und Silber zusammengetragen, und ein kleiner Schrein, mit Silber angefüllt, diente dem Mann als Fußschemel. Grettir nahm alle diese Schätze und schleppte sie nach dem Seile hin; aber als erden Hügel entlang nach außen ging, packte jemand ihn fest an. Er ließ den Schatz los und stellte sich zur Gegenwehr; sie faßten nun einander; und nicht gerade sanft. Alles zerbrach, was ihnen in den Weg kam. Der Hügelbewohner ging angriffsweise vor. Grettir tat lange nichts anderes als sich verteidigen, aber zuletzt sah er ein, daß es nichts nützte, sich zurückzuhalten. Keiner schonte jetzt den andern. Sie gerieten dahin, wo die Pferdeknochen lagen; da rangen sie eine lange Weile, und bald brach der eine, bald der andere in die Knie. Aber das war das Ende, daß der Hügelbewohner rücklings hinfiel, und das gab ein mächtiges Getöse. Audun verließ jetzt die Stelle, wo das Seil festgebunden war, und glaubte, Grettir wäre tot. Grettir zog nun das Schwert Jökulsnaut 1 und schlug nach dem Hals des Hügelbewohners, so daß der Kopf vom Körper getrennt wurde. Er setzte den Kopf an das Hinterteil des Hügelbewohners. Danach ging er mit dem Schatz nach dem Seit, aber Audun war verschwunden; da mußte er



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sich mit den Händen an dem Seil emporarbeiten. Er batie einen Strick um den Schatz gebunden und zog ibn hinterher empor. Grettir war ganz steif geworden von dem Ringen mit Kar; er ging nun mit dem Schatz heim nach Thorsinns Gehöft. Da saßen alle Leute zu Tische. Thorsinn sah mit scharfen, zornigen Blicken nach Grettir, als er in die Trinkstube trat, und fragte ihn, was er so nötig zu tun gehabt hätte, das er sich nicht nach dem Brauch anderer Leute richtete.

Grettir antwortete: "Manches muß in späten Abendstunden gemacht werden, wenn es auch nur geringfügig ist."

Dann legte er den ganzen Schatz, den er in dem Hügel erbeutet hatte, auf den Tisch. Ein Kleinod war darunter, das Grettir besonders in die Augen stach; es war ein kurzes, breites Schwert, eine so gute Waffe, das er niemals eine bessere gesehen zu haben glaubte; das legte er zuletzt auf den Tisch. Thorfinn runzelte zornig die Augenbrauen, als er das Schwert sah; denn es war ein Erbstück; das immer in seiner Familie gewesen war. "Wo hast du diesen Schatz bekommen fragte Thorsinn. Grettir sprach diese Weise:



***
17
Stanz des Meeres-Geber: 1
Gold ich holen wollte
Aus der Erde Schoße —
Euch erzähl' ichs gleich jetzt.
Wahrlich wen' ge Kämpfer
Werden in die Erde
Dringen, um des Drachen
Fluch 2 sich dort zu suchen.

Thorfinn antwortete: "Du läßt dich gewiß nicht durch Kleinigkeiten erschrecken, niemand hat vor dir gewagt, den Hügel zu erbrechen. Aber da ich weiß, daß die Schätze schlecht angewendet sind, die in der Erde verborgen oder in einem Hügel niedergelegt sind, so will ich nicht mit dir deswegen rechten, besonders da du mir den Schatz gebracht hast. Aber woher hast du das gute Schwert erhalten:"



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Grettir antwortete und sprach die Weise:



***
18
Fen'r der Flut-verderber! 1
Fand (der Tag mir schwand schon)
Schwert, das schwelgt im Blute,
Schwer der Treu sich wehrte.
Ließ der Helme Lohe 2
Leicht nicht von mir weichen.
Hätt ich erst die scharfe
Schneide mir zur Seite. 3

Thorsinn antwortete: "Gut ist das gesagt; aber eine Heldentat musst du erst verrichten, ehe ich dir das Schwert gebe, denn so lange mein Vater lebte, wollte er es mir niemals überlassen."

Grettir sagte: "Man kann nicht wissen, wem das Schwert den größten Nutzen bringt, wenn das Ende da ist."

Thorfinn nahm den Schatz und versteckte das Schwert bei seinem Bett. Der Winter verging so bis zur Weihnachtszeit, ohne daß etwas geschah, das zu erzählen der Mühe lohnte.


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