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Kapitel 

Die Geschichte von dem starken Grettir dem Geächteten


Übertragen von Paul Herrmann


Mit 8 Ansichten und einer Karte

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


17. Grettir erleidet auf der Reise nach Norwegen Schiffbruch

Haflidi hieß ein Mann, der auf Reydarfell in der Landschaft

Hvitarsida wohnte. Er unternahm Handelsreisen nach fremden Ländern und hatte ein Schiff auf dem Meere; das ließ er an der Mündung der Hvita überwintern. Auf seinem Schiff war ein Mann namens Bard; erbaue eine schöne, junge Frau. Asmund schickte Boten zu Haflidi, er möchte Grettir mitnehmen und für ihn sorgen. Haflidi antwortete, ihm wäre erzählt worden, daß Grettir zu Gewalttätigkeiten neigte, aber



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um der Freundschaft willen, die zwischen ihm und Asmund bestand, nahm er ihn doch auf. Grettir machte sich fertig zur Fahrt ins Ausland. Asmund wollte ibm keine Ausrüstung für die Reise geben außer Lebensmitteln für die Fahrt und ein wenig grobes Woll eug. Grettir bat ihn, ihm irgend eine Waffe zu geben.

Asmund antw-riete "Niemals hast du mir gehorchen wollen. Ich weiß auch nicht, was du nützliches mit Waffen ausrichten könntest; ich gebe dir keine."

Grettir sagte: "Der braucht nichts zu vergelten, der nichts erhält."

Darauf schieden Vater und Sohn mit geringer Zärtlichkeit. viele wünschten ihm Glück auf die Reise, aber wenige Wiederkehr. Seine Mutter geleitete ihn eine Strecke; und ehe sie sich trennten, sagte sie: "Du wirst nicht so ausgerüstet von Hause entlassen, Kind, wie ich wünschte, und wie es sich für einen Mann von deiner Herkunft geziemte. Der größte Mangel aber dünkt mich zu sein, daß du keine Waffe hast; die brauchbar ist; mir ahnt, daß du sie nötig haben wirst.

Sie zog ein Schwert hervor, das sie unter ihrem ärmellosen Überkleide verborgen gehalten hatte; es war ein kostbares Kleinod. Sie fuhr fort: "Dieses Schwert besaß mein Ahnherr Jökul und Leute des Vatnsdalr aus der alten Zeit, und es brachte ihnen Sieg. Jetzt will ich dir das Schwert geben, möchte es dir von Nutzen sein"

Grettir dankte ihr für die Gabe und sagte, sie schiene ihm besser zu sein als andere Schätze, selbst wenn sie wertvoller wären. Danach sog er seine Straße, aber Asdis wünschte ihm Glück und Heil. Grettir ritt südlich über die Heide und reiste ununterbrochen , bis er südlich beim Schiff eintraf. Haflidi nahm ihn freundlich auf und fragte nach seiner Ausrüstung für die Reise. Grettir sprach die Weise:



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Reiter des Rosses der Wellen"
Reiche das Meiste nicht reichen.



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Lager des Lintwurms 2 sie gaben
Lang nicht genug für den Gang. 3
Aber die Mutter um Abschied
Mir verehrt ein Schwert hat —
Wahrlich, das kostbarste Kleinod
Kindern die Mütter sind.

Haflidi sagte; es wäre leicht zu erkennen, daß sie es war, die am besten für ihn gesorgt hätte.

Sie stachen in See, sobald sie fertig waren und Fahrwind bekamen; und als sie an allen Untiefen vorübergekommen waren, setzten sie Segel auf. Grettir machte sich eine Grube unter dem Boote hinter dem Maste. und daraus wollte er sich gar nicht fortrühren, weder um das ins Schiff gelaufene Wasser zu schöpfen, noch um Segel zu setzen, noch sonst eine Arbeit an Bord zu verrichten, damit die andern Mitfahrenden mehr täten als er; sich freikaufen wollte er gang und gar nicht. Sie segelten nach Süden an Reykjanes vorbei und dann südlich das Land entlang, und als das Land aus Sicht war, begann die See hoch zu gehen. Das Schiff war etwas leck; und sie konnten darum den schweren Seegang nicht aushalten; der Besatzung ging es übel. Grettir ließ einen vers nach dem andern fliegen; das ärgerte das Schiffsvolk nicht wenig. Es geschah eines Tages, daß das Wetter stürmisch und kalt war; da riefen ihn die Leute wieder und baten ihn, mit anzupacken: "Denn wir sind jetzt ganz klamm an den Fingern." Grettir antwortete:



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Frost die Rechte zerreißt,
Recht ist das den Knechten.

Sie kriegten ihn nicht dazu, an irgendeiner Arbeit teilzunehmen, sie wurden noch ärgerlicher als zuvor und sagten, er werde büßen für seine Neidverse und für seine verachtung der an Bord herrschenden Gesetze. "Es dünkt dich besser," sagten sie, "die Frau des Steuermanns Bard am Bauch zu tätscheln, als deine Pflicht auf dem Schiffe zu tun; und das ist nicht zu ertragen ."



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Der Sturm nahm immerfort zu; sie standen halbe Tage unaufhörlich beim Wasserausschöpfen. Da begannen sie Grettir zu bedrohen. Und als Haslidi das hörte, ging er dahin, wo Grettir lag, und sagte:"Das Verhältnis zwischen dir und der Besatzung dünkt mich nicht gut zu sein; du tust deine Schuldigkeit nicht und dichtest obendrein Neidverse über sie, aber sie drohen dich über Bord zu werfen. Das ist unpassend."

"Warum sollen sie nicht tun, was sie sich vorgenommen haben?" ' sagte Grettir."Aber das wollte ich doch, daß einer oder zwei von ihnen mir folgen, wenn ich über Bord geben sollte."

"Das geht nicht an," antwortete Haflidi."Es wird uns niemals gut gehen, wenn ihr das im Sinne habt; ich will dir indessen einen Rat geben."

"Und der ist —?" "fragte Grettir.

"Sie tadeln an dir, daß du Neidverse über sie dichtest; nun wünsche ich," sagte Haslidi, "daß du einen Neidvers auf mich dichtest; kann sein, daß sie daim eher Nachsicht gegen dich üben.""

Auf dich", entgegnete Grettir" dichte ich nie etwas anderes als Gutes; dich rechne ich nicht zu den vertrockneten Knechten."

Haflidi sagte: "Du kannst ja die Weise so dichten, daß sie schön und ruhmreich aussieht, wenn sie genau untersucht wird, obwohl sie im ersten Augenblick nur Spott zu enthalten scheint."

"von der Art habe ich auch eine Menge," antwortete Grettir.

Haflidi ging zu der Besatzung und sprach: "Schwer ist eure Arbeit, und es ist zu verstehen, daß ihr über Grettir ärgerlich seid."

"Am schlimmsten von allem scheinen uns seine Neidverse zu sein," sagten die Schiffsleute.

Da sprach Haflidi laut: "Darum wird es ihm auch zuletzt schlecht ergehen."

Als Grettir hörte, wie Haflidi ibn tadelte, sprach er diese Weise:



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Mancher 1 reißt den Mund auf
Mächtig, das ist nicht schlecht.
Doch zu Hause hat er



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Hunger stets gering.
Frühstück süsst er zweimal
vormittags an Bord —
Doch zagt er auch nicht zu versehren
Zweimal am Tage Feinde.

Die Schiffsleute wurden sehr ärgerlich und sagten, das sollte er nicht umsonst getan haben, Neidverse auf den Bauer Haflidi zu dichten.

Da sagte Haflidi: "vollauf hätte Grettir verdient, daß ihr ihm irgendeinen Hohn zufügtet; aber ich will meine Ehre nicht aufs Spiel setzen gegen seine Bosheit und Gleichgültigkeit. Jetzt wollen wir nicht dafür Rache nehmen, solange wir uns in einer so großen Gefahr befinden, aber daran denken, wenn wir ans Land kommen, wenn es euch recht ist."

Sie antworteten: "Warum sollten wir nicht dasselbe können wie du : Warum sollen seine Spottverse uns mehr beißen als dich" '

Haslidi bat sie, so zu handeln. von da an ertrug die Besatzung seine verse leichter als vorher. Sie hatten eine lange und beschwerliche Seereise; das Leck im Schiff wurde immer größer. Die Leute wurden durch die Arbeit ganz erschöpft. Die junge Steuermannsfrau pflegte, wenn Grettir aufgestanden war, ihm die Hemdärmel unten wieder zuzunähen, 1 und die Schiffsleute verspotteten ihn deswegen. Haslidi ging dahin, wo Grettir lag und sprach die Weise:



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Hurtig heb dich vom Lager,
Tief sich senkt das Schiff.
Fröhlich gedenk der Freundschaft,
Froh der Frau auch so.
Wieder hat die Holde
Hemd genäht dem Fremden.
Tüchtig sollst du dich tummeln,
Während wir treiben im Meere.

Grettir stand schnell auf und sprach:



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Schaukeln mags und schlingern,
Schnell kommt eu 'r Geselle,
Schelten würd ' die Schöne,
Schlief ich auf dem Schiffe.
Flachses-Gonin flucht mir,
Flieht mich, Huld entzieht mir:
Andre solln nicht immer
Allein bei der Mbeki sein.

Danach lief er nach dem Achterdeck des Schiffes, wo sie mit Schöpfen beschäftigt waren und fragte; was sie wollten, das er täte. Sie antworteten, er würde wenig Gutes tun.

Er sagte: "Etwas ist eines Mannes Hilfe immer wert."

Haflidi bat sie, seine Hilfe nicht abzuschlagen."Kann sein, daß er beabsichtigt, seine verpflichtungen erfüllen, wenn er uns seinen Beistand anbietet."

Damals leerte man das Wasser aus den Schiffen nicht durch eine Rinne, in die es aufgepumpt wurde, sondern mit Bottichen oder Bütten, das nannte man "Bottich- oder Büttenschöpfen". Diese An zu schöpfen war beschwerlich, und man wurde ganz naß dabei; man hatte nämlich zwei Bottiche, und der eine sollte niedergereicht werden, während der andere emporgereicht wurde. Die Leute baten Grettir, die Bottiche zu füllen und emporzureichen; sie fügten hinzu, jetzt könne man erproben, was er vermöchte."Kleine Proben sind die besten," erwiderte er. Er ging hinunter in das Schiff und füllte die Bottiche, zwei Mann sollten sie ausleeren, wenn er sie ihnen zureichte. Aber es währte nicht lange, bis die beiden ganz erschöpft waren. Da gingen vier hin, aber es verlief ebenso. So sagen einige, daß am Ende acht zu gleicher Zeit die von Grettir zugereichten Bottiche ausleerien; da war das Schiff aber auch lenz gepumpt. von der seie an schlug die Schiffsmannschaft Grettir gegenüber einen ganz andern Ton an. denn sie hatten gesehen, welche Kräfte er hatte. Aber auch er war von der Zeit an der Tüchtigste und faßte immer zu, wobei man ihn auch gebrauchte.



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Sie trieben weiter nach Osten und waren immer von dichtem Nebel umgeben; eines Nachts merkten sie plötzlich, daß sie mit dem Schiff auf eine Schäre auffuhren, wobei der ganze Unterteil los ging; das Boot wurde in See gelassen und die Frauen hineingebracht und alles, was los im Schiffe war. Nicht weit von ihnen war eine kleine Insel, und dorthin schafften sie ihr Hab und Gut; soweit es ihnen im Laufe der Nacht gelang. Als es zu tagen begann, suchte man sich klarzumachen, wo man wäre. Die von den Schiffsleuten, die füher zwischen Island und Norwegen gefahren waren, erkannten, daß sie nach Söndmör in Norwegen gekommen waren. Da war eine Insel dicht bei ihnen auf dem Wege nach dem Festlande, die Harhamsö heißt. Auf der Insel gab es viele kleine Gehöfte, und da war auch der Sitz des Gauvorstehers.


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