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Kapitel 

Die Geschichte von dem starken Grettir dem Geächteten


Übertragen von Paul Herrmann


Mit 8 Ansichten und einer Karte

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


16. Grettirs erste Verbannung

Thorkel Krafla war nun ein sehr alter Mann geworden; er hatte das Godord 1 der Leute aus dem Vatnsdalr und war



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ein großer Häuptling. Er war Asmunds treuer Freund, wie es sich schickte um ihrer Verschwägerung willen, und jedes Frühjahr pflegte er nach Bjarg zu reiten, um seine Verwandten dort zu besuchen. Das tat er auch das nächste Frühjahr, nachdem das, das hier früher erzählt worden ist, geschehen war. Asmund und Asdis nahmen ihn mit offenen Armen auf. Er verweilte drei Nächte bei ihnen, und er und sein Schwager sprachen über viele Dinge miteinander. Thorkel fragte, wie Asmund über seine Söhne dächte, und auf welchem Gebiete sie tüchtige, arbeitsame Männer werden würden. Asmund antwortete nach seiner Meinung würde Atli ein sehr wirtschaftlicher, vorsichtiger und reicher Mann werden.

Thorkel sagte: "Also ein nützlicher Mann, wie du; aber was sagst du über Grettir:"

Asmund entgegnete: " von ihm ist das zu sagen, daß er ein starker und unbändiger Mann werden wird; vielen verdruß und manchen Arger hat er mir bereitet."

Thorkel sagte: "Das verheißt nichts Gutes, Schwager! Aber wie soll es mit unserer Thingfahrt im Sommer werden:"

Asmund antwortete: "Ich bin schon etwas schwerfällig und möchte gern daheim bleiben."

"Willst du, daß Atli an deiner Stelle reist " fragte Thorkel

"Ihn kann ich kaum entbehren", antwortete Asmund, "wegen seiner Tüchtigkeit in den Arbeiten im Hause und im Hof; aber Grettir hat zu keiner Arbeit Lust. Doch hat er einen so guten verstand, daß ich glaube, er wird mit deiner Hilfe allen gesetzlichen Verflichtungen an meiner Statt nachkommen."

"Wie du willst, Schwager" sagte Thorkel.

Er ritt nun heim, da er das ausgerichtet hatte, was er wollte, und Asmund gab ihm gute Gaben beim Abschiede.

Einige Zeit darauf machte sich Thorkel fertig zur Reise nach dem Thing. Er ritt mit sechzig Mann; denn alle ritten mit ihm, die in seinem Godord waren. Er kam nach Bjarg, und von da ritt Grettir mit ihm. Sie ritten südlich über die Heide, die Tvidögra heißt, denn man braucht zwei Tage, um sie zu



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durchreiten. 1 Grasplätze gibt es nur wenig auf diesem Hochgebirge, und sie ritten darum statt, um in bewohnte Gegenden zu kommen. Und als sie nach Fljotstunga kamen, dünkte es sie Zeit zum Schlafen zu sein, sie nahmen ihren Pferden die Zäume ab und ließen sie mit den Sätteln auf dem Rücken grasen. Sie lagen und schliefen bis hoch in den Tag hinein. Als sie aufwachten, suchten sie ihre Pferde; diese waren in wischen jedes seinen Weg gegangen, und einige von ihnen hatten sich gewälzt. 2 Grettir fand sein Pferd zuletzt. Es war damals Brauch, daß jeder sich seinen eigenen Mundvorrat auf der Reise nach dem Thing hielt, und die meisten hatten einen Eßsack mit, der hinter dem Sattel befestigt wurde. Auf Grettirs Pferd war der Sattel unter den Bauch gerutscht, und der Schnappsack war fort. Er machte sich nun auf, ihn zu suchen, fand ihn aber nicht. Da bemerkte er einen Mann, der eilig lief. Grettir fragte; wer er wäre.

Er antwortete und sagte, er hieße Skeggi und wäre ein freier Diener von Ass im Vatnsdalr im Nordlande. "Ich bin einer von Thorkels Gefolge", fügte er hinzu, "und habe durch Unachtsamkeit meinen Schnappsack verloren."

Grettir antwortete: "Das schlimmste Unglück dünkt einen das, das ihn allein trifft; auch ich habe meinen Sack verloren, laß uns nun beide zusammen suchen!"

Skeggi gefiel das wohl. Sie gingen nun eine Weile. Mit einem Male begann Skeggi über die Heide zu laufen und hob einen Schnappsack auf. Grettir sah, wie er sich bückte, und fragte, was er aufgenommen hätte. .

"Meinen Schnappsack," antwortete Skeggi.

"Wer außer dir kann das bezeugen:" fragte Grettir. "Laß mich ihn sehen, denn viele Dinge gleichen einander."

Skeggi erwiderte, keiner sollte ihm nehmen, was sein Eigen



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tum wäre. Grettir griff nach dem Schnappsack, und sie zerrten sich um ihn, und jeder von ihnen wollte seinen Sack haben.

"Das wäre ein wunderlicher Glaube," sagte der Knecht, " wenn keiner sein Eigentum gegen euch verteidigen dürfte, ihr Leute aus dem Midsiördr, wenn auch nicht alle so reich sind wie ihr."

Grettir erwiderte, das hätte mit Stand und Ansehen nichts zu tun, wenn jeder das bekäme, was sein Eigentum wäre.

Skeggi sagte: "Schade, daß Audun so weit weg ist, um dich zu drosseln; wie beim Ballspiel."

"Nein, gut ist das!" sagte Grettir. " Aber du kommst gewiß nicht dazu, mich zu drosseln, wie auch das andere abgelaufen sein mag."

Skeggi packte seine Art und schlug nach Grettir. Aber als das Grettir sah, faßte er mit der linken Hand den Schaft der Art so kräftig oberhalb von Skeggis Händen, daß er loslassen mußte. Grettir schlug ihm dann seine eigene Art gegen den Kopf. daß sie in das Gehirn drang und er sogleich tot umfiel. Darauf nahm Grettir den Schnappsack und legte ihn quer über seinen Sattel. Danach ritt er hinter seinen Reisegefährten her.

Thorkel war voraus geritten, denn er wußte nicht, was geschehen war. Die Leute vermißten Skeggi in dem Gefolge. Aber als Grettir zu ihnen stieß, fragten sie ihn, was er über Skeggi wüßte.

Da sprach Grettir diese Weise:



***
11
Unhold aus dem Felsen 1
Keck sich stürzt' auf Skeggi.
Gierig der Kampfes-Göttin
Mut begehrte Blut-mit
der scharfen Schneide
Schien das Beil auf ihn,
Traf den Kopf in Trümmer.
Traun: ich mußt es schaun.

Thorkels Gefolge sprang auf und sagte, ein Troll hätte doch nicht einen Menschen am hellen, lichten Tage entführen können.



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Thorkel schwieg eine Weile und sagte danach: "Die Sache wird sich anders verhalten; ich glaube, Grettir hat ihn getötet; übrigens was war die Ursache:"

Grettir erzählte darauf alles von ihrem Zwist,

Thorkel antwortete: "Das ist eine recht unangenehme Geschichte , denn Skeggi gehörte zu meinem Gefolge, und er war aus guter Familie. Indes, ich will die Sache auf die Weise übernehmen, daß ich die Buße trage, die über dich verhängt wird. Aber daß du verurteilt wirst, kann ich nicht hindern. Du hast nun die Wahl, Grettir, ob du lieber mit aufs Thing reiten willst und es darauf ankommen lassen, wie es dort ausläuft, oder hier umkehren."

Grettir zog vor; aufs Thing zu reiten, und dabei blieb es.

Diese Sache ward von den Erben des Erschlagenen zur Sprache gebracht. Thorkel verpflichtete sich zur Ausführung des Urteils und zur richtigen Bezahlung der Buße, was er auch tat, Grettir aber wurde für friedlos erklärt und sollte drei Winter im Elend sein. Die Häuptlinge ritten vom Thing fort und rasteten am Sledaass, bevor sie sich trennten. Da hob Grettir den Stein empor, der im Grase liegt und jetzt Grettirshub heißt. Da gingen viele Leute bin, um den Stein zu sehen, und es dünkte sie höchst wunderbar, daß ein so junger Mann es vermochte, einen so großen Felsblock zu heben.

Grettir ritt beim nach Bjarg und erzählte von seiner Reise. Asmund nahm es kühl auf und sagte, er würde ein Unruhstifter werden.


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