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Kapitel 

Die Geschichte von dem starken Grettir dem Geächteten


Übertragen von Paul Herrmann


Mit 8 Ansichten und einer Karte

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


Erster Teil

14 . Grettirs Jugendstreiche

Asmund Härulang hatte in Bjarg einen großen und ansehnlichen Haushalt und viele Leute. Er war beliebt. Asmund und Asdis hatten diese Kinder: Atli war der älteste; er war tauglich und tüchtig, verträglich und zutunlich, und bei allen gern gesehen. Sie hatten einen zweiten Sohn, der hieß Grettir. Es ließ sich sehr schwer mit ihm umgehen, während er heranwuchs; er war karg mit Reden und rauh im Umgang, und schnell zu Gewalttätigkeiten bereit in Worten und Werken. Sein Vater Asmund hatte keine sonderliche Liebe zu ihm, aber seine Mutter liebte ihn sehr. Grettir, Asmunds Sohn, war von Aussehen ein schöner Mann, er hatte ein breites und kluges Antlitz, rote Haare und viele Sommersprossen; er entwickelte sich nur langsam, solange er noch im Kindesalter war. Eine Tochter Asmunds hieß Thordis, die später Glum heiratete, der Sohn des Ospak Kjallaksson von Skridinsenni. Rannveig hieß Asmunds weite Tochter. Sie heiratete Gamli, der Sohn Thorhalls des Winländers. 1 Sie wohnten in Melar am Hrutafjördr . Ihr Sohn war Grim. Der Sohn des Glum und der Thordis, der Tochter Asmunds, war Ospak, der mit Odd, dem Sohn Ofeigs, Streitigkeiten hatte, wie in der "Geschichte vom durchtriebenen Ofeig" berichtet wird.

Grettir wuchs in Bjarg auf. Als er ins zehnte Jahr kam, begann er sich besser zu entwickeln. Asmund befahl ihm, etwas zu arbeiten. Grettir antwortete, er wäre nicht gerade geschickt dazu, Sagte aber doch, was er tun sollte.

Asmund entgegnete: "Du sollst meine zahmen Gänse hüten." Grettir antwortete und sprach: "Das ist eine kleine Arbeit und passend für einen Taugenichts."

Asmund entgegnete: "Besorg das nur gut, und das Verhältnis zwischen uns wird besser werden."

So übernahm es Grettir, die Gänse zu hüten. Es waren fünfzig und eine Menge Küchlein. währte nicht lange, da schien es

1 Winland, Neu-Schottlaud, wurde von Leif, dem Sohne Erichs des Roten, entdeckt und besiedelt (Thule, Bd. 13, S. 35). 2 Thule, Bd. 10, 4.



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ihm beschwerlich, sie zu treiben, und die Küchlein kamen nur langsam von der Stelle. Darüber wurde er sehr ärgerlich, denn Ruhe und Besonnenheit hatte er nur in geringem Grade. Bald darauf fanden Landstreicher die Küchlein draußen auf der Flur tot und die zahmen Gänse mit gebrochenen Flügeln. Das war im Herbste. Asmund wurde sehr zornig darüber und fragte, ob Grettir die vögel getötet hätte. Er lachte und sprach:



***
8
Wahrlich, wird es Winter;
Würg ich ab die Küchlein;
Sind auch ein'ge älter,
Auch sie rupf am Bauch ich.

"Du sollst in Zukunft keine Gelegenheit haben, ihnen das Leben zu nehmen," sagte Asmund.

"Der ist eines andern Freund, der ihn hindert, Schlechtes zu tun," antwortete Grettir.

"Du bekommst jetzt eine andere Arbeit," sagte Asmund. "Mehr weiß der, der mehr versucht", sagte Grettir. "Was soll ich jetzt tun:"

Asmund antwortete: "Du sollst meinen Rücken am Feuer reiben, wie ich immer tun lasse."

"Davon wird man warm an den Händen,"sagte Grettir."'Aber doch ist diese Beschäftigung nur einen Taugenichts passend."

Eine ganze Weile verrichtete Grettir dieses Amt. Aber da der Herbst kam, wurde Asmund fösterig und forderte Grettir auf, ihm feste den Rücken zu reiben. Es war damals Sitte, daß auf den Höfen große Küchen waren. Die Männer saßen da am Abend an den Langfeuern; 1 dort wurden auch die Eßtische vor die Leute gesetzt, und danach schliefen die Männer auf den Erhöhungen an den Rückenwänden oberhalb der Feuer. Am Tage arbeiteten dort die Frauen und reinigten Wolle.

Es geschah eines Abends, als Grettir Asmunds Rücken kratzen sollte, daß der Alte sagte: "Laß mich nun sehen, du Lump, daß du dich tüchtig tummeln kannst." 1 Auf dem Steinpflaster in der mitte der Küche, später der Wohnstube, brannten mehrere Feuer nebeneinander jedes war von einem Kreise Pflastersteine umgeben.



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Grettir antwortete: "Übel ist es, den zu reizen, der niemals weicht.

Asmund sprach: "Du taugst zu gar nichts."

Da fiel Grettirs Auge auf die Bank, wo die Wollkämme lagen; er nahm einen davon und ließ ibn über Asmunds Rücken hin und her gehen. Der fuhr wie rasend in die Höhe und wollte Grettir mit seinem Stocke schlagen; aber er sprang beiseite. In dem Augenblick trat die Mutter hinein und fragte, was los wäre. Grettir sprach da diese Weise:



***
9
Mutter, Vater wollte
Schänden meine Hände.
Übel dünkt und schlecht mich
Aber seine Absicht.
Kriegt er mich, ich kratz mit
Allen meinen Krallen.
Rabe macht bereit sich,
Ritz ich, spritzt das Blut gleich.

Übel dünkte es die Mutter, daß Grettir das getan hatte, und sie sagte, er würde schwerlich ein Mann werden. der sich bei seinen Handlungen vorsähe. Das verhältnis zwischen Vater und Sohn wurde dadurch nicht besser. Einige seit darauf sagte Asmund, Grettir sollte seine Pferde hüten. Grettir antwortete, das dünke ihn besser, als Feuer auf dem Rücken 2 anzuzünden .

"Du sollst dich so benehmen," sagte Asmund, " wie ich dir sage. Ich habe eine blaßgelbe Stute, deren Mähne und Schweif sind schwarz, dazu hat sie einen schwarzen Streifen längs des Rückens; ich nenne sie darum Keingala. 3 Sie weiß Wetter und Regen voraus, so daß es niemals fehlschlägt, daß ein Schneesturm kommt, wenn sie nicht hinaus auf die Weide will. Dann sollst du die Koppel im Stall drin lassen; aber wenn strengere Kälte eintritt, sollst du die Pferde nördlich auf dem länglichen Bergrücken grasen lassen. Es wäre zu



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wünschen, daß du dich besser für diese Arbeit schicktest; als für die beiden andern, die ich dir früher aufgetragen habe."

Grettir antwortete: "Das ist eine kalte Arbeit, aber eine, die sich für einen Mann geziemt; doch dünkt es mich übel, sich auf eine Stute zu verlassen, denn soweit ich weiß, hat es niemand Suber getan."

Grettir begann nun die Pferde zu hüten, und die Zeit verging so bis Weihnachten. Da trat starker Frost ein und Schneefall, so das die Pferde kaum draußen weiden konnten. Grettir war schlecht mit Kleidern versehen und noch wenig abgehärtet. Ihn fror erbärmlich; aber Keingala blieb fortwährend, wenn das Wetter auch noch so rauh war, an den Stellen stehen, wo der Wind am stärksten wehte; und wenn sie auch noch so früh auf die Weide kam, sie wollte niemals in den Stall zurück, ehe es ganz dunkel war. Da siel Grettir ein, der Stute einen solchen Streich zu spielen, daß sie für ihr fortwährendes Draußenbleiben gestraft würde. Eines Morgens früh kain Grettir nach dem Pferdestalle; er schloß auf, und Keingala stand allein vor der Krippe; denn obwohl allen Pferden Futter vorgelegt wurde, behielt sie doch alles für sich allein. Grettir setzte sich nun auf ihren Rücken. Er hatte ein scharfes Messer in der Hand, und damit schnitt er ihr einen Riß quer über ihre Schultern, und ebenso beide Seiten des Rückens entlang. Die Stute bäumte und stieg hoch, denn sie war wohlgenährt und scheu, sie schlug mit den Hinterfüßen so mächtig aus, daß die Hufe gegen die Wände krachten. Grettir fiel herunter, aber sobald er wieder auf die Beine kam, wollte er sich von neuem auf den Rücken der Stute schwingen. Zwischen beiden war ein harter Kampf aber das Ende war, daß er dem Pferde die ganze Rückenhaut herunter riß bis zu den Lenden; darauf trieb er die Koppel auf die Weide. Reingala wollte kein Gras fressen, sondern schnappte immer nach ihrem Rücken, und kurz nach der Mittagsstunde machte sie sich davon und lief wieder nach dem Stalle. Grettir schluß den Pferdestall ab und ging beim. Asmund fragte, wo die Pferde wären. Grettir erwiderte , er hätte sie wie gewöhnlich in den Stall eingeschlossen . Asmund meinte, in kurzer Zeit hätte man einen



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Schneesturm zu erwarten, da die Pferde bei solchem Wetter nicht weiden wollten.

Grettir antwortete: "Oft irren die, von denen man mehr Verstand erwarten sollte." Die Nacht verging, und es kam kein Schneesturm. Grettir trieb die Pferde hinaus, aber Reingala konnte es auf der Weide nicht aushalten. Asmund kam es merkwürdig vor, daß das Wetter nicht umgeschlagen war. Am dritten Morgen ging Asmund selbst zu den Pferden, und zwar zuerst zu Keingala und sagte: "Ich finde, die Pferde sind in ziemlich kläglichem Zustande, und doch war der Winter so milde; aber dein runder Rücken, Bleikala, 1 wird sich wohl erhalten haben."

"Beides kann kommen," sagte Grettir, " was man erwartet, und ebenso, was man nicht erwartet."

Asmund streichelte den Rücken der Stute mit der Hand, aber dav Fell löste sich los. Er konnte nicht verstehen, wie das zuginge , meinte aber, Grettir wäre gewiß daran schuld. Grettir grinste und entgegnete nichts.

Der Bauer ging heim und schimpfte sehr. Er ging in die Küche und hörte, wie die Hausfrau sagte: "Ach, wenn doch der versuch , die Pferde zu hüten, für meinen Sohn gut ausgefallen wäre!"

Asmund sprach die Weise:



***
10
Ach, die arme Stute —
Übles Grettir übte!
Schlauer scheint als ich er,
Schinder ist das Kind.
Künftig wird der Kerl mir
Kaum den Willen erfüllen.
Goldgeschmückte Göttin, 2
Merk dir Grettirs Werke!

Die Mutter antwortete: "Ich weiß nicht, was mir verkehrter vorkommt, daß du ihm immer etwas zu tun aufgibst, oder daß er sich immer auf dieselbe Weise davon drückt." 1 von derselben Bedeutung wie Keingala. 2 Die mit Gold geschmücke Göttin ist eine Umschreibung für Frau hier ist Grettirs mutter gemeint,



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"Dem soll jetzt ein Ziel gesetzt werden," sagt Asmund. "Aber er soll es teuer bezahlen"

"So wird keiner dem andern was vorzuwerfen haben," sagte Grettir; und so verging eine Weile.

Asmund ließ Keingala töten. viele Bubenstreiche verübte Grettir; die nicht aufgezeichnet sind. Er wurde jetzt groß von Wuchs; seine Kräfte kannte man nicht genau, denn an den Ringkämpfen nahm er nicht teil. Häufig dichtete er Lieder und kurze Verse, meist spottenden und kränkenden Inhalts. Er saß nicht immer in der Küche 1 und war gewöhnlich wortkarg.


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