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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


52. Lachia und Delesim

Ein Agelith, der der Herr aller andern Ageliths war, hatte einen einzigen Sohn, den hatte er Lachia genannt. Er war der reichste aller Ageliths und hatte unter anderm in dem Garten seiner Fruchtbäume sieben Thaserapht (künstliche Silos, Erdställe, künstlich ausgebaute Kellerräume) voll Gold. Dieses Gold besah er von Zeit zu Zeit. Er hatte Wächter über diesen Garten gesetzt, die sollten



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auch sehen, daß die Goldgruben unangetastet blieben, denn das Gold war das Mittel seiner Macht.

Eines Tages bemerkte nun der Agelith, daß das Gold in den Gruben abnahm. Er rief seinen Sohn herbei, der gerade erwachsen war und sagte zu ihm: "Mein Sohn Lachia, komm mit mir." Er führte den Sohn in den Garten, zeigte ihm die Goldgruben und sagte zu ihm: "Mein Sohn Lachia, das ist das Gold, mit dem ich die andern Ageliths beherrsche. Seit einiger Zeit bemerke ich, daß der Inhalt abnimmt. Ich traue meinen Wächtern nicht. Deshalb sollst du von heute an der Herr über diesen Garten, alles, was er an Früchten hervorbringt und was er in seiner Erde birgt, sein. Wache du selbst über ihn und denke daran, daß ich dir den Namen Lachia gegeben habe, damit ich mich nämlich niemals deiner zu schämen brauche." Lachia sagte: "Mein Vater, ich werde meinen Namen ehrlich machen." Von nun ab blieb Lachia in dem Garten.

Lachia wohnte in dem Garten und wachte darüber, daß niemand die sieben Goldgruben jemals betrat. Wenn aber Leute kamen und um Früchte für sich als Arme oder für ihre Kranken baten, so gab er ihnen dann mit vollen Händen, und wenn sie dafür etwas bezahlen wollten, so wies er die Bezahlung zurück und sagte: "Mein Vater hat mich zum Herren des Gartens gemacht, er hat mir aber auch den Namen Lachia gegeben, damit ich die Ehre wahre, und schämen müßte ich mich, wenn ich für meinen Vater und mich, die wir so reich sind, etwas dafür nehmen würde, wenn Ärmere uns um einige Früchte aus dem Garten bitten. Ich will meinen Namen ehrlich machen." So verschenkte er denn ein Jahr lang von den Früchten fort, ohne jemals dafür Bezahlung zu nehmen.

Eines Tages war der Vater Lachias bei einem andern Agelith eingeladen und speiste bei diesem mit noch einem dritten Agelith. Nach dem Essen sprachen die drei Agelith über ihre Schätze. Der eine rühmte sich. Der zweite Agelith rühmte sich. Der große Agelith, der Vater Lachias, sagte: "Ich habe daheim mein gutes Gold. Dann habe ich in meinem Garten noch sieben Thaserapht mit Gold, die sich jährlich vermehren, da mein Garten reiche Früchte trägt und ich bei meinen sonstigen Einnahmen den Erlös noch sparen kann." Die andern beiden Ageliths waren sehr erstaunt, solche Worte ZU hören und fragten: "Können wir den Garten und die sieben Thaserapht einmal sehen?" Der Vater Lachias sagte: "Kommt mit mir und seht euch alles an. Der Garten ist in besten Händen, denn mein Sohn Lachia wacht über ihn."



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Alle drei Agelith kamen in den Garten. Der große Agelith begrüßte seinen Sohn Lachia und sagte: "Zeige uns, was du in diesem Jahre an Gold eingenommen hast." Lachia sagte: "Was ich an Gold eingenommen habe? Was soll ich an Gold eingenommen haben? Ich habe gesorgt, daß aus den sieben Goldgruben nichts fortkam. Aber wie soll ich denn Gold eingenommen haben?"Der Vater sagte: "Der Garten trägt doch viele Früchte. Du kannst doch die Früchte nicht alle allein gegessen, wirst sie ja wohl auch nicht haben verfaulen lassen. Du mußt die Früchte doch also verkauft und dafür viel eingenommen haben."

Lachia sagte: "Du hast sehr recht, mein Vater, der Garten hatte viele und reichlich Früchte getragen. Ich habe sie auch weder allein gegessen noch verfaulen lassen. Ich habe sie aber nicht verkauft, sondern an Arme und kranke Leute verteilt. Wir sind so reich, daß ich mich geschämt hätte, von diesen Geld dafür zu nehmen. Ich habe das getan, was du von mir verlangt hast. Ich habe meinen Namen ehrlich gemacht. Wenn du es anders gedacht hast, mein Vater, dann hast du mir einen Namen gegeben, der zu teuer ist." Der Vater sagte: "Wenn du so stolz bist, mein Sohn, so sollst du diesen Garten, mit dem was darin ist, als Erbteil erhalten. Mache damit was du willst, mehr gebe ich dir nicht."

Die drei Agelith gingen. Der große Agelith ritt seinen Weg. Die andern beiden nahmen ihren Weg und sprachen untereinander. Der eine sagte: "Hast du den Streit zwischen dem Vater und dem Sohne gehört?" Der andere sagte: "Ich habe ihn gehört. Der Sohn ist augenscheinlich ein Verschwender und der Vater wird nichts mehr an ihn wenden." Der eine sagte: "So ist es, und die sieben Thaserapht mit Gold werden auch schon leer sein." Der andere sagte: "So ist es. Mit dem Burschen wird es sicher ein schlimmes Ende nehmen. Ich würde ihm jedenfalls, wenn er sie haben wollte, meine Tochter nicht zur Frau geben."

Lachia sagte inzwischen bei sich: "Mein Vater hat über mich und mein Besitztum entschieden. Nun werde ich einmal sehen, was daran ist." Lachia ging in den Garten und öffnete die Thaserapht; einen nach dem andern. Er sah, daß sie von oben bis unten gefüllt mit Gold waren. Er betrachtete alles und ging dann wieder in den Garten. Er ließ nun Leute kommen und sich mitten im Garten ein großes Haus bauen, das wurde so groß und prächtig, wie damals überhaupt noch niemand ein Haus gebaut und eingerichtet hatte. Lachia warb sich gute Leute an und wurde bald im ganzen Lande ein angesehener Mann.



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Der eine der beiden Agelith, die dem Streit zwischen dem Vater und dem Sohne zugehört hatten, hatte daheim eine Tochter, die hieß Schumischa (Aprikose; ganzer Name Schumischa-bel-hetal = aussieht wie Aprikose), die war so schön wie die Sonne. Als ihr Vater nach Hause kam, erzählte er ihr: "Der große Agelith hat einen einzigen Sohn, der heißt Lachia. Er ist ein sehr schöner Bursche; sein Vater hat ihn über seinen Garten und seine Goldgruben gesetzt. Lachia hat aber so viele Wohltaten den Menschen erwiesen, daß von allem nichts mehr übrig ist, und nun hat der Vater ihm den Garten geschenkt und sonst enterbt." Schumischa-bel-hetal hörte das.

Dann ging Schumischa in ihre Kammer und befragte das Orakel (agethän; Orakelfrager = igethellen; das Orakel selbst = tigethin). Da erkannte sie, daß dieser Lachia ihr zukünftiger Gatte sei. Schumischa sagte: "Ich muß meinen zukünftigen Gatten sehen. Wie kann ich dies erreichen, ohne daß Lachia mich erkennt. Ich werde mit dem Gärtner zusammen zu Lachia reiten." Der Gärtner war nämlich Schumischa so ähnlich, als wenn beide den gleichen Vater und die gleiche Mutter gehabt hätten.

Schumischa ging zu ihrem Vater und sagte: "Ich bitte dich, laß mich einmal für einige Tage die Welt betrachten. Ich will, damit mir nichts geschieht, als Mann verkleidet reiten. Der Gärtnerbursche, der mir so ähnlich ist, soll dann als mein Bruder gelten und wird mich beschützen. Gib uns bitte zwei graue (azigthau; NB. die Leute übersetzen merkwürdigerweise dies Wort im Französischen durchweg mit grün) Pferde, zwei gleichfarbige Kleider, sieben Neger, sieben Kamele und reichlich Gold." Der Vater war damit einverstanden. Schumischa und der Gärtnerbursche zogen beide gleiche Kleider an, bestiegen gleichfarbige Pferde und ritten vor dein Zuge her. Schumischa schlug, als sie aus der Sicht des Hauses ihres Vaters war, den Weg auf den Garten Lachias zu ein.

Eines Tages sah Lachia von seinem Hause aus in der Ferne Staub aufsteigen. Es war der Staub von Reitern. Lachia rief seine Leute zusammen und sagte: "Ich weiß nicht, ob mein Vater nicht im Zorne über mich Feinde gegen mich aufgehetzt hat. Jedenfalls sollt ihr diesen Reitern dort entgegenreiten. Wenn die Staubwolke dann anhält, dann weiß ich, daß ihr im Kampfe liegt und ich komme euch sogleich zur Hilfe. Kommt die Staubwolke aber ungestört immer näher, so ersehe ich daraus, daß es Freunde sind, die da kommen und werde sie im Hause empfangen."

Die Diener Lachias kamen dem Zuge Schumischas entgegen. Die



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Diener fragten: "Wie kommt ihr ?" Die Leute Schumischas sagten: ,Wir kommen als sich Einladende." Die Diener Lachias sagten: ,Seid uns willkommen." Sie ritten zusammen auf das große Haus zu. Lachia sah die Staubwolke ungestört näher kommen. Er sagte: ,Rüstet euch, es kommen Freunde." Er bestieg ein Pferd. Er ließ die Musik spielen. Er ritt dem Zuge entgegen. Er sah die als Mann verkleidete Schumischa. Er erstaunte über ihre Schönheit. Schunischa sah Lachia. Sie erstaunte über Lachias Schönheit.

Schumischa sah die Schönheit des Hauses. Sie sah die Schönheit, die Stärke und die Güte Lachias. Sie begrüßte Lachia im Herzen und liebte ihn. Schumischa getraute sich nicht, sich Lachia zu offenbaren. Sie ging mit Lachia durch den Garten und sah alle Schönheit. Schumischa aß mit Lachia zur Nacht. Sie getraute sich aber nicht, sich Laehia zu offenbaren. Sie wollte Laehia das Gold bringen, das sie auf ihren Kamelen hatte. Wie erstaunte sie, daß er noch viel mehr Gold hatte. Und sie getraute sich noch weniger, sich Lachia zu offenbaren. Sie schlief im Hause Lachias. Sie erwachte am Morgen und sagte: "Wenn ich Lachia sage, daß ich nicht ein Mann, sondern Schumischa-bel-hetal bin, wird er mich umarmen und ich werde mich nicht wieder von ihm losreißen können. Ich werde dann bei ihm bleiben und glücklich sein. Aber nur kurze Zeit. Denn bald wird mein Vater kommen und wird uns beide töten. Nein, ich darf mich Lachia nicht offenbaren. Ich werde ihm nur nach der Klugheit der Frauen eine Nachricht hinterlassen."

Schumischa schnitt sich ein Stück aus ihrem Schuh. Schumischa schrieb Zeichen auf das Leder und sagte damit: "Ich bin die, die du heiraten wirst. Ich erwarte dich innerhalb eines Jahres. Wenn du aber in dieser Zeit nicht kommst, wird mein Vater mich zwingen, einen andern Mann zu heiraten. Einen Tag später als ein Jahr, und mein Vater wird mich vergeben haben." Das zeichnete Schumischa auf das Schuhleder und legte es mitten auf den Boden der Kammer, in der sie schlief. Dann nahm sie ganz früh eiligen Abschied und ritt von dannen.

Schumischa kam zu ihrem Vater zurück. Schumischa sagte zu ihrem Vater: "Mein Vater, gewähre mir ein Jahr lang, einen Mann nach meinem Wunsche zu wählen. Wenn ich in diesem Jahr nicht einen solchen Mann finde, so will ich den zum Manne nehmen, den du mir verschreibst." Der Vater sagte dies Schumischa zu.

Als Schumischa das Haus Lachias verlassen hatte, kam ein Diener Lachias in Schumischas Kammer. Er fand das Stück Leder, steckte



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es in das Holz der Wand, um es nachher Lachia zu geben, weil er sah, daß Zeichen darauf waren. Er vergaß es aber über andern Dingen, und die Zeichen Schumischas blieben unbeachtet in der Holzwand der Kammer.

Inzwischen hatten die Leute gehört, daß Schumischa sich im kommenden Jahre einen Gatten erwählen wollte. Es kamen von allen Seiten Söhne der Agelith und warben um die Hand Schumischas. Auch Laehia hörte es, aber er sagte bei sich: "Seitdem der schöne Jüngling bei mir zu Gaste war, habe ich kein Herz mehr für Frauen. Möchte doch der Jüngling wiederkommen und als mein Bruder bei mir wohnen bleiben. Dann würde mich das mehr erfreuen, als eine schöne Frau. Es wird genug Agelithsöhne geben, die um Schumischa werben und ihr gefallen. Ich bleibe daheim." So blieb Lachia in seinem Hause und vergeblich blickte Schumischa sich um, ob sie unter den Bewerbern nicht endlich Lachia finden würde.

Schumischa saß mit dem Apfel in der Hand an ihrem Fenster und blickte auf die kommenden und gehenden Agelithsöhne herab. Sie warf aber keinem den Apfel zu. Als das Jahr sich dem Ende näherte, war der Vater Schumischas ärgerlich und sagte: "Meine Tochter Schumischa, du machst uns lächerlich. Du hast gesagt, du wolltest deinen Gatten in einem Jahre auswählen. Nun sind alle Söhne der Agelith gekommen und warten auf deine Entscheidung. Wenn du dich nicht in wenigen Tagen entschließt, werde ich dir den als Gatten bestimmen, der mir geeignet erscheint." Schumischa sagte: "Du hast recht, mein Vater, es ist meine eigne Schuld."

Der Sohn eines Agelith hatte Schumischa gesehen. Er ging zu seinem Vater und sagte: "Dieses Mädchen muß ich gewinnen. Mein Vater tu, was du tun kannst. Geh zu Schumischas Vater und biete ihm, was er verlangt. Und wenn Schumischa und ihr Vater nicht im Guten zustimmen, so sage, daß wir es mit Gewalt versuchen wollen." Der Vater sah, daß sein Sohn aus Sehnsucht nach Schumischa schon ganz krank war. Er sagte: "Mein Sohn, was ich machen kann, werde ich machen."

Der Agelith kam zu dem Vater Schumischas und sagte: "Was ver.. langst du, daß geschehe, damit mein Sohn deine Tochter Schumischa heiraten kann?" Der Vater Schumischas sagte: "Nachdem einige Zeit verstrichen ist, werde ich sie dem zur Frau geben, der Schu. mischa mit Gold aufwiegt." Der andere Agelith sagte: "Was du für deine Tochter Schumischa verlangst, ist nicht so entscheidend. Ich will dir nur sagen, daß ich deine Tochter für meinen Sohn fordere.



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Ob wir sie nun mit Gewalt oder mit Gold gewinnen, das ist uns gleichgültig. Das lange Hinausschieben ist nicht gut."

Der Vater Schumischas erschrak; er sagte zu dem Agelith: "Schumischa hat sich eine Bedenkzeit von einem Jahre ausbedungen. In zwanzig Tagen wird diese Frist abgelaufen sein. Dann soll dein Sohn meine Tochter zur Frau haben. Ich verspreche es dir." Der andere Agelith sagte: "Hieran werde ich mich halten." Er ging zu seinem Sohne und sagte diesem, was er mit Schumischas Vater besprochen habe.

Inzwischen verging die Zeit. Die letzten zwanzig Tage verstrichen auch. Bis auf einen. Ein Tag fehlte noch, dann war das Jahr verstrichen, an dem Schumischa ihr Zeichen auf das Schuhleder geschrieben und in ihrer Kammer bei Lachia niedergelegt hatte. Lachia sagte zu seinem Diener: "Morgen wird ein Jahr verstrichen sein, daß der schöne Jüngling von uns Abschied nahm. Es ist eigenartig, daß er nie wieder eine Nachricht gesandt hat."

Dem Diener fiel das Schuhleder ein, das er damals in Schumischas Kammer gefunden und wegen der darauf gezeichneten Striche in das Holz der Wand gesteckt hatte. Der Diener sagte: "Vielleicht bedeuten die Zeichen auf einem Stück Leder, das ich in der Kammer fand, etwas." Lachia sagte: "Was für Zeichen? Schnell, zeige sie mir." Der Diener ging und brachte dies Lederstück herbei. Lachia sah das Leder. Laehia betrachtete das Leder einige Zeit. Lachia sagte: "Also war dies doch ein Mädchen und deshalb bleiben mir alle Mädchen gleich. Dies war also Schumischa, die sich bis morgen Bedenkzeit ausbat. Es ist noch ein Tag Zeit. Wenn ich aber einen Tag zu spät komme, so werde ich dem Mann, dem sie der Vater gab, den Krieg erklären."

Lachia ließ die Pferde aus dem Stall bringen. Lachia lud vier Kamele voll Gold. Lachia rief seine Diener, gürtete das Schwert um, bestieg sein Pferd und ritt von dannen, um Schumischa zur Gattin zu gewinnen.

Lachia war schon ein gutes Stück weit mit seinem Zuge geritten, da traf er in einer Ortschaft viele Menschen beieinander und in deren Mitte einen Mann, der war sehr schön, aber er war mit Stricken gebunden. Das war Delesim, den ein harter Agelith töten lassen wollte, weil er sich vor Delesims Stärke fürchtete. Lachia sah die Männer mit Messern und Schwertern herbeikommen, um sich auf den schönen Delesim zu stürzen.

Lachia fragte: "Weshalb wollt ihr diesen Mann töten ?" Die Leute



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sagten: "Was dieser Mann getan hat, hat noch nie ein Mann vorher getan." Lachia fragte: "Was hat er denn getan ?" Die Leute sagten: "Dieser Delesim hat den Agelith vor allem Volke einen goldgierigen, rachsüchtigen und furchtsamen Feigling genannt. Deshalb soll er getötet werden." Laehia fragte Delesim: "Weshalb hast du das zu dem Agelith gesagt?" Delesim sagte: "Weil es die Wahrheit ist."

Laehia sagte: "Dieser Delesim soll nicht getötet werden, wenn er die Wahrheit gesprochen hat. Geht schnell hin zu dem Agelith und sagt ihm: Lachia hat die Stricke durchschnitten, mit denen du Delesim gefesselt hast. Lachia will nicht, daß du Delesim tötest. Wenn du von Lachia Gold nehmen willst, so wird er dir das Gewicht Delesims in Gold geben. Willst du dies aber nicht, so beginne mit Laehia den Krieg." Lachia schnitt die Stricke durch, mit denen Delesim gebunden war.

Die Leute gingen zu dem Agelith und sagten zu ihm: "Wir wollten Delesim nach deinem Befehl töten. Da kam Lachia und schnitt die Stricke durch, mit denen er gebunden ist. Lachia sagte, er wolle nicht, daß Delesim getötet werde. Lachia will dir das Gewicht des Delesim in Gold geben, oder mit dir um Delesim Krieg führen. Sage nun, wie du entscheidest." Der Agelith erschrak und sagte: ,Nehmt das Gewicht in Gold und laßt Delesim ziehen." Die Leute kamen zurück. Sie berichteten. Lachia ließ das Gewicht Delesims wiegen. Er nahm so viel Gold von seinen Kamelen, als dieses Gewicht betrug und gab es den Leuten des Agelith. Dann ritt Lachia mit Delesim und seinen Leuten weiter.

Sie waren ein Stück weit geritten, da sagte Delesim: "Dies dort ist mein Haus."Lachia sagte: "So hast du noch Vater und Mutter?" Delesim sagte: "Ja, ich habe noch Vater und Mutter."Laehia sagte: "So kehre heim!" Delesim nahm Abschied und ritt in das Haus. Seine Eltern begrüßten ihn und sagten: "Du bist nicht getötet?" Delesim sagte: "Nein, ich bin nicht getötet, weil mich ein großer und starker Mann um Gold oder Krieg von unserm geizigen und feigen Agelith abgefordert hat. Der hat mich ihm gegeben." Der Vater sagte: "Wir müssen ihm danken. Schnell, reite ihm nach und bitte ihn, in unser Haus zu kommen."

Delesim bestieg wieder sein Pferd und ritt hinter Laehia her. Er erreichte Laehia und sagte: "Mein Vater bittet dich, bei ihm einzutreten, damit er dir danken kann." Lachia sagte: "Wenn ich damit ein Bedürfnis des Herzens deines Vaters erfülle, so will ich es



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tun." Delesim sagte: "Ich bitte dich darum."Laehia kehrte zurück. Der Vater Delesims kam ihm entgegen. Er begrüßte Lachia.

Der Vater Delesims hatte einen Hammel geschlachtet. Es wurde ein Abendessen bereitet. Der Vater Delesims sagte: "Bleibe zur Nacht." Lachia sagte: "Ich muß schnell in die Stadt Schumischas. Ich muß dort ankommen, ehe sie ihren Gatten heiratet." Der Vater Delesims sagte: "So reite! Mein Sohn Delesim wird dir den Weg zeigen." Der Vater Delesims sagte zu seinem Sohne: "Mein Sohn, du reitest natürlich mit Lachia und du schützest Lachia. Denn du verdankst ihm das Leben mehr als mir. Merkt euch aber eine Sache: Ihr dürft nicht übernachten neben einem See (amereisch) zwischen zwei Flußarmen oder auf einem Hügel." Laehia und Delesim nahmen Abschied und ritten mit den Leuten fort.

Als es Nacht war, kamen sie an einen See. Lachia sagte: "Hier wollen wir übernachten." Delesim sagte: "Mein Vater hat uns davor gewarnt, an einem See zu übernachten." Laehia sagte: "Ich bin müde. Wir wollen hier übernachten." Die Leute schlugen die Hütten auf. Lachia und Delesim aßen zu Abend. Laehia legte sich auf sein Lager und schlief ein.

Delesim wachte. Als es Mitternacht war, kam Lephaa, der Drache. Der Drache kam an die Zelte heran und spie sein Feuer aus. Das Feuer brannte durch die Hütte und ergriff das Kleid Lachias. Delesim trat aber das Feuer aus, sprang aus dem Zelte und schlug mit einem Schlage den Kopf des Drachens ab. Den Kopf steckte er in seine Tasche. Delesim sagte bei sich: "Wenn Lachia morgen früh erwacht, könnte er bei dem Anblick der Leiche des Drachen erschrecken." Er nahm die Hütte, in der Laehia schlief und trug sie ein Stück weiter fort in die Ebene.

Am andern Morgen erwachte Lachia, trat aus der Hütte und sagte: "Wir haben doch gestern abend unsere Hütte am Ufer des Sees aufgeschlagen gehabt." Delesim sagte: "Du warst gestern abend sehr müde."Lachia sah die verbrannten Stellen seiner Kleider und sagte: "Wie kommt es, daß mein Kleid verbrannt ist?" Delesim sagte: "Vielleicht bist du im Schlafe dem Feuer zu nahe gekommen."

Lachia, Delesim und ihre Leute zogen den Tag über weiter. Als es Abend war, kamen sie auf ein Landstück, das lag zwischen zwei Flüssen. Lachia sagte: "Hier wollen wir unsere Hütte aufschlagen." Delesim sagte: "Mein Vater hat uns gewarnt, wir möchten nicht auf einem Landstück zwischen zwei Flüssen übernachten."Laehia sagte: "Dein Vater hat uns auch gewarnt, wir sollen nicht an einem See



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übernachten. Wir haben es gestern doch getan. Wer hat uns da nun getötet?" Delesim sagte: "Es hat uns niemand getötet." Lachia sagte: "Dann wollen wir hier unsere Hütte aufbauen. Ich bin müde. Wir wollen hier schlafen." Darauf wurde das Lager aufgeschlagen. Lachia legte sich in die Hütte und schlief ein.

Delesim schlief nicht. Delesim wachte. Als es Mitternacht war, begannen die Flüsse zu steigen. Sie stiegen so hoch, daß das Wasser in die Hütte lief und Lachias Kleid anfeuchtete. Das Wasser stieg weiter. Da ergriff Delesim die Hütte und Lachia und alle Sachen und trug sie über den einen Fluß in das Land hinein.

Am andern Morgen erwachte Laehia, trat aus der Hütte und sagte: "Wir haben doch gestern die Hütte zwischen zwei Flüssen aufgeschlagen ?" Delesim sagte: "Du warst gestern abend sehr müde." Lachia sah, daß sein Kleid naß war und sagte: "Wie kommt es, daß mein Kleid naß ist ?" Delesim sagte: "Vielleicht hat der Fluß uns weitergetragen als wir schliefen."

Sie brachen auf. Lachia, Delesim und die Leute wanderten den ganzen Tag. Als es Abend war, kamen sie an einen Hügel. Lachia sagte: "Auf diesem Hügel wollen wir übernachten." Delesim sagte: "Mein Vater hat uns davor gewarnt, auf einem Hügel zu übernachten." Lachia sagte: "Wir haben vorgestern an einem See und gestern zwischen zwei Flüssen übernachtet. Was hat es uns getan?" Delesim sagte: "Es hat uns nichts getan." Lachia sagte: "Dann wollen wir heute ruhig auf einem Hügel übernachten. Ich bin müde." Darauf schlugen die Leute die Hütte auf einem Hügel auf. Lachia legte sich auf sein Lager und schlief ein.

Delesim aber wachte. Als es Mitternacht war, kam ein Löwe auf den Hügel zu. Der Löwe war sehr hungrig. Der Löwe brüllte. Er brüllte, daß die Erde erbebte und die Hütte hochgeworfen wurde. Die Maulesel rissen sich los und rannten umher. Delesim wußte nicht, ob er die Maulesel bändigen oder die Hütte festhalten sollte. Er sprang aus dem Lager. Er zog sein Schwert, er lief auf den Löwen zu und schlug ihm den Kopf ab. Den Kopf des Löwen steckte er in seine Tasche. Dann machte er eine Grube und warf den Leib des Löwen hinein. Den Leib deckte er mit frischer Erde zu.

Am andern Morgen erwachte Lachia. Er trat aus der Hütte. Er sah die frische Erde und fragte: "Wie kommt diese frische Erde hierher. Ich habe sie gestern abend nicht gesehen."Delesim sagte: "Vielleicht hat in der Nacht hier ein Hund gescharrt."

Lachia und Delesim und ihre Leute brachen auf. Sie wanderten



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den ganzen Tag. Gegen Abend kamen sie zu der Stadt, in der der Vater Schumischas Agelith war. Sie fanden vor den Toren der Stadt einige leere Hütten. Sie stiegen ab und bereiteten in den Hütten ihr Lager. Die Leute liefen überall umher und waren sehr emsig. Delesim ging unter die Leute und fragte: "Was geht hier vor?" Die Leute sagten: "Schumischa-bel-hetal, die Tochter unseres Agelith, soll morgen abend heiraten. Es wird heute alles zum Fest vorbereitet."

Delesim sagte am andern Morgen: "Zeigt mir das Haus des Agelith!" Die Leute führten Delesim vor das Haus des Agelith und sagten: "Dies ist das Haus. Hier wohnt der Agelith mit seiner Tochter Schumischa. Dieser Neger bewacht das Haus." Vor dem Hause stand ein großer Neger, dessen eine Lippe hing bis auf die Brust herab, während er die andere über den Kopf auf den Rücken schlagen konnte. Delesim sagte zu dem Neger: "Laß mich vorbei, ich will zu Schumischa." Der Neger brüllte vor Zorn. Er sagte: "Du wagst es, mich, der ich der Stärkste bin, zu beleidigen ?" Der Neger zog sein Schwert. Er hatte die Kraft von neunundneunzig Männern. Delesim kämpfte mit ihm, bis es Nacht war. Alle Leute im Orte versteckten sich. Der Agelith und sein Schwiegersohn versteckten sich. Schumischa blickte zum Fenster hinaus und sagte: "Sicher ist dieser von Lachia gesandt." Als es Nacht war, hatte Delesim dem Neger die Unterlippe abgeschlagen. Kein Mensch dachte daran, die Hochzeit Schumischas zu begehen. Alle Leute hielten sich versteckt. Der Agelith sagte: "Wir werden die Hochzeit Schumischas um einen Tag verschieben müssen." Der Schwiegersohn sagte: "Es geht nicht anders."

Abends kam Delesim in die Hütte Lachias. Laehia sagte: "Was gibt es neues, mein Delesim ?" Delesim sagte: "Die Hochzeit Schumischas wird um einen Tag verschoben werden. Das ist alles. Ich werde morgen aber wieder in die Stadt gehen und nach dem Rechten sehen." Am andern Morgen ging Delesim wieder in die Stadt. Der Agelith hatte eine Frau in der Straße aufgestellt, die galt als das stärkste Geschöpf der Erde. Als die Frau Delesim kommen sah, stürzte sie auf ihn zu, um mit ihm zu kämpfen. Delesim schlug ihr aber eine Brust ab. Alle Leute erschraken. Alle Leute schrien. Der Agelith sagte: "Ich muß das Fest der Hochzeit Schumischas um noch einen Tag verschieben." Der Schwiegersohn sagte: "Ich sehe, es geht nicht anders."

Delesim ging inzwischen zu einem Juden und sagte: "Welches ist



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der beste Eingang in das Haus des Agelith ?" Der Jude (usäj oder uthäj; plur. uthajen) zeigte ihn und sagte: "An dieser Stelle hat der Agelith nur Neger als Wächter." Darauf kaufte sich Delesim eine großen Korb mit Bohnen und Kichererbsen (l'härnmäs), ging umher und rief: "Wer kauft Bohnen und Kichererbsen? Wer kauft Bohnen und Kichererbsen ?" Erging an dem Eingang des Agelithhauses, an dem die Neger Wache hielten, vorbei und rief: "Wer kauft Bohnen und Kichererbsen?" Sofort kamen die Neger herbeigelaufen (denn Bohnen und Kichererbsen sind die Lieblingsspeise der Neger) und riefen: "Komm hierher!" Delesim sagte: "Ihr sollt haber" Aber ihr seid wohl arme Kerle. Denn als Wächter des Agelith gewinnt ihr nicht so viel. Also nehmt nur alles. Ich schenke euch diesen ganzen Korb voll."

Die Neger aßen sogleich den ganzen Korb leer und wurden so satt, daß sie einschliefen. Darauf nahm Delesim den Schlafenden die Schlüssel ab und ging in das Haus des Agelith, öffnete die Tür zum Tarorfiz und trat in die Kammer Schumischas. Schumischa sagte: "Wer bist du? Wie bist du hierher gekommen?" Delesim sagte: "Ich bin der Diener Lachias und komme in seinem Auftrage." Schumisdha sagte: "Also ist Lachia gekommen? Was willst du nun von mir ?"Delesim sagte: "Ich will dich nur fragen, wann du von hier fort zu Lachia gehen willst." Schumischa sagte: "Ich möchte sogleich von hier fort und zu Lachia gehen; aber wie sollte das möglich sein ?" Delesim sagte: "Es ist möglich. Die Wächter an diesem Eingang des Hauses sind eingeschlafen. Nimm du nun meine Kleider und gehe getrost heraus. In der Hütte vor den Toren der Stadt triffst du Lachia. Ich werde inzwischen deine Kleider anziehen und an deiner Stelle hierbleiben."Schumischa nahm sogleich die Kleider Delesims. Sie nahm von Delesim Abschied und ging aus dem Hause ihres Vaters. Delesim aber blieb in den Kleidern Schumischas im Hause.

Am andern Tage veranstaltete der Agelith das Fest der Hochzeit seiner Tochter Schumischa. Delesim ward als Schumischa auf ein Pferd gesetzt und im Zuge des Sohnes des Agelith mit fortgeführt. Als der Zug eine Strecke weit vor der Stadt angelangt war, sprang Delesim auf seinem Pferd auf, warf die Kleider Schumischas beiseite und rief: "Seht, dieser angebliche Agelith führt einen Mann als Braut heim, während Schumischa, die wahre Braut mit dem wahren Agelith schon lange weggeritten ist!" Die Leute stürzten sich voll Zorn auf Delesim und wollten ihn auf der Stelle töten. Delesim sagte: "Wißt ihr denn, ob ich euch getäuscht habe? Wißt ihr denn,



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Ob es nicht vielleicht Schumischas Vater, der Agelith war, der mich an die Stelle der Braut gesetzt hat, um den Bräutigam zu täuschen?" bie Leute sagten: "Das ist schon möglich. Du aber hast dies mitgetan." Sie stürzten sich auf ihn, rissen Delesim vom Pferde, stachen ihm die Augen aus und warfen ihn in eine Erdgrube.

Lachia war mit seiner jungen Frau Schumischa nicht nach Hause gereist. Lachia und Schumischa sagten: "Wir werden in der Gegend bleiben und auf Delesim warten. Wir können ohne Delesim nicht nach Hause reiten." Sie zogen bis zum Rande eines Waldes und Schlugen ein Dorf auf. Sie nahmen da alle Kranken und Armen des Landes auf und pflegten sie. Sie sagten: "Vielleicht bedarf Delesim eines Tages unserer Guttat, und dann soll er sie schnell finden." bald wußten alle Leute im Lande, daß am Walde ein sehr schöner Mann mit seiner sehr schönen Frau ein Dorf aufgeschlagen hatte, in dem den Menschen nur Gutes getan wurde. Nach einem Jahre Ward Schumischa Mutter eines kleinen Knaben.

Delesim kroch blind aus seinem Loche. Er kroch an dem Wege hin, So gut er konnte. Delesim bettelte am Wege. Einige Vorübergehende gaben ihm etwas. Viele nicht. Delesim schlief unter den Bäumen und lebte von den kleinen Gaben der reisenden Leute. Delesim wurde immer kränker und schwächer. Er magerte ab und verlor seine ganze Kraft. Er ward nach einem Jahr so elend, daß er kaum noch die Kraft hatte, zu sprechen. Die Leute sahen ihn nicht mehr, und so lebte er nur noch von Kräutern.

Eines Tages kam ein Zug von Kaufleuten an der Stelle vorbei, an der Delesim im Graben lag und bettelte. Delesim hörte die Schritte ihrer Tiere. Delesim rief sie an. Seine Stimme klang aber heiser und nicht mehr wie die Stimme eines Menschen. Der eine von ihnen rief: "Kommt schnell, das war das Knurren eines Löwen." Sechs von den Kaufleuten ritten so schnell wie möglich von dannen.

Der siebente Kaufmann aber sagte: "Das kann nicht das Knurren eines Löwen gewesen sein." Er ritt an den Graben am Wege. Er fand Delesim. Er stieg ab und betrachtete Delesim und sah, daß es ein blinder und kranker Mann war, der nicht mehr weit vom Sterben war. Er fragte: "Wer bist du ?" Delesim sagte: "Ich bin ein Mensch wie du." Der Kaufmann sagte: "Du bist aber krank, ich weiß hier in der Gegend einen Mann, der mit seiner Frau nichts anderes tut, als Kranke und Arme versorgen. Ich werde dich zu ihm bringen.' Der Kaufmann setzte Delesim auf seinen Esel und brachte ihn in das Dorf Lachias am Waldrande.



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Der Kaufmann brachte Delesim in das Haus der Kranken. Schumischa sah ihn. Schumischa sah, daß es Delesim war. Schumischa sah, daß Delesim krank war. Schumischa wandte sich ab und weinte. Schumischa kam zurück zu Delesim und fragte: "Wie bist du um deine Augen gekommen?" Delesim sagte: "Ich habe als Diener meines Herrn die Stelle einer Frau eingenommen, damit diese zu meinem Herrn gehen und ihn glücklich machen konnte. Der junge Ehemann der Frau hat mir dann die Augen ausstechen lassen. Ich hoffe nur, daß mein Herr glücklich geworden ist." Schumischa weinte über Delesim und sagte: "Ja, das ist er."

Lachia und Schumischa nahmen von allen Armen und Kranken Abschied. Sie ließen ihnen viel Gold da, so daß sie keine Sorge mehr hatten und zogen dann mit Delesim, ihrem Kinde und ihren Dienern nach Hause. Sie wanderten durch den Wald. Eines Tages lagerten sie unter einem Baume. Schumischa und Delesim schliefen. Lachia hatte die Wache.

Lachia hatte die Wache. Lachia saß unter dem Baume. In den Zweigen des Baumes sprachen zwei Vögel miteinander. Der eine Vogel sagte: "Dort unten liegt nun der Delesim. Der hat für Lachia alles getan. Aber Lachia ist undankbar." Der andere Vogel sagte: "Was sollte Lachia denn tun ?" Der erste Vogel sagte: "Wenn Lachia seinen kleinen Sohn tötet und dann mit dem Blute seines Sohnes Delesims Augen bestreicht, so würde Delesim wieder das Augenlicht gewinnen und würde besser sehen als vorher."

Lachia hörte die Vögel sprechen. Lachia verstand die Vögel. Er sprang auf. Er ging in die Hütte. Er nahm seinen kleinen Sohn aus der Wiege und schnitt ihm den Hals durch. Er trat an das Bett Delesims. Er träufelte das Blut seines kleinen Sohnes auf seine Augen. Dann trug er das tote Kind zurück in die Wiege.

Delesim erwachte. Delesim wandte den Kopf nach rechts und nach links. Delesim rief: "Laehia, ich sehe wieder!" Laehia sagte: "Wo sind denn die Maulesel ?" Delesim sagte: "Sie stehen dort. Und da ist ein Baum und dort ein Hund. Ich sehe. Ich sehe besser als früher!" Lachia sagte: "Dann ist es also gelungen, und wir können nach Hause reiten."

Lachia bestieg mit dem in ein Tuch geschlagenen toten Kinde sein Pferd. Sie ritten. Nach einiger Zeit sagte Schumischa: "Gib mir das Kind; ich will es nähren." Lachia sagte: "Warte noch, es ist noch nicht die Zeit." Nach einiger Zeit kam Delesim und sagte zu Lachia: "Laß mich euren kleinen Sohn sehen." Lachia sagte: "Warte



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noch, unser kleiner Sohn schläft noch." Sie kamen an einer Quelle vorbei. Als Lachia an der Quelle vorbeiritt, hörte er das Kind in seitien Armen weinen. Er schlug das Tuch auseinander. Das Kind lag lebend darin. Da aber, wo am Halse der Schnitt ausgeführt war, verlief eine feine Goldkette.

Sie blieben an der Quelle und nahmen an der Quelle ihr Essen ein. Nach dem Essen pflanzten sie auf dem Hügel neben der Quelle einen Knochen und schworen einander: "Der Hügel soll jeden, der den andern vergißt, erinnern." (Wörtlich: thesusak [Hügel] um [derselbe] itsun [vergessen] uwaijed [der andere] adi muchthi [sich erinnern].) Danach kehrten sie heim und lebten in dem schönen Hause des Lachia.

Nach einiger Zeit kam der alte Agelith, der Vater Schumischas, zu Lachia, um seine Tochter zu besuchen. Delesim sagte zu Lachia: "Sei zu deinem Vater in jeder Weise freundlich. Leihe ihm auch jedes Pferd. Nur dein eigenes Pferd laß ihn nie besteigen!" — Der Vater Schumischas war lange Zeit zu Besuch bei Lachia. Eines Morgens aber, als Delesim abwesend war, nahm er von Lachia Abschied und sagte: "Ich will nun wieder heimkehren. Leihe mir bitte ein Pferd." Lachia sagte: "Wähle dir, welches Pferd du willst." Der Vater Schumischas wählte Lachias eigenes Pferd.

Der alte Agelith bestieg das Pferd. Er nahm von Lachia Abschied. Er sagte: "Schumischa, gib mir noch einmal die Hand." Schumischa sagte: "Wir haben uns vorher schon die Hand gegeben." Lachia sagte: "Schumischa, dies ist dein Vater, du wirst doch deinem Vater zum Abschied nicht die Hand verweigern!" Lachia drängte seine Frau Schumischa an ihren Vater heran. Der Vater ergriff die Hand Schumischas und sagte: "Meine Tochter, sei deinem Gatten stets eine gute Frau, vergiß aber nicht, daß dein Vater das erste Recht an dich hat." Dann riß der alte Agelith seine Tochter auf sein Pferd, nahm sie vor sich auf den Sattel und jagte mit ihr fort, so schnell das Pferd nur laufen konnte.

Das Pferd war aber das schnellste im Lande, und keines kam ihm an Kraft und Schnelligkeit gleich. Lachia konnte ihn nicht einholen. Der alte Agelith brachte Schumischa in das Haus des Sohnes jenes Agelith, der ihm einst gedroht hatte, daß er Schumischa mit Gold oder Gewalt für seinen Sohn als Frau haben wolle. In dem Hause wurde Schumischa eingesperrt. Sie weinte Tag und Nacht und weigerte sich, irgendeinen Mann zu sehen.

Delesim kam zu Lachia zurück. Delesim sah Laehia traurig und



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allein sitzen. Delesim fragte: "Wo ist Schumischa ?" Lachia sagte: "Ihr Vater hat sie mir wieder geraubt. Nur unser kleiner Sohn ist mir geblieben." Delesim ging zum Hügel neben der Quelle, auf den sie den Knochen gepflanzt hatten. Delesim sah, daß der Knochen grüne Blätter trug. Er pflückte von den Blättern des Knochenstrauches. Delesim kehrte zurück und sagte zu Laehia: "Sei nicht traurig. Schumischa ist dir treu geblieben. Ich werde dir Schumischa wiederbringen."

Delesim legte sich ein Kleid von Gold an. Darüber zog er das Gewand eines schmutzigen Bettlers. In solchem erbärmlichen Aufzug kam er in die Stadt des Agelith, in dessen Haus Schumischa eingeschlossen war, um sich auf die Ehe mit dem Sohne des Agelith vorzubereiten. Delesim ging zu einer alten Frau, die sich ihren Unterhalt mit Buttern verdiente. Er sagte: "Ich will in deinem Dienste arbeiten." Die alte Frau sagte: "Zeige, was du kannst!" Sie reichte ihm einen Ledersack voll Milch und einen leeren Kürbis. Delesim warf in den leeren Kürbis ein klein wenig von den Blättern des Knochenstrauches herein; sogleich war der ganze Kürbis voller Butter.

Die alte Frau war so betroffen, daß sie sogleich in allen Häusern der Nachbarschaft herumlief und von dem Manne erzählte, der so gut buttern kann. Der Agelith hörte nach acht Tagen auch von dem Manne und ließ ihn rufen, daß er im Hause der Frauen das Buttern übernehme. Der Agelith sah es selbst und sandte ihn in das Haus seines Sohnes, daß dieser es auch sehe, mit welcher Geschwindigkeit dieser Mann große Mengen von Butter herstellen könne. Delesim blieb in dem Hause und machte da seine Butter. Einmal hörte er, daß nebenan Schumischa war. Da sang er während des Butterns: "Der Hügel soll jeden, der den andern vergißt, erinnern! Der Hügel soll jeden, der den andern vergißt, erinnern!"

Schumischa hörte den Gesang. Sie verstand den Gesang. Sie hörte, daß es die Worte des Schwures waren, den Lachia, sie und Delesim auf dem Hügel neben dem gepflanzten Knochen ausgesprochen hat.. ten. Schumischa kam in den Raum, in dem Delesim butterte. Schumischa sah den zerlumpten Mann. Sie sagte: "Was singst du da ?" Delesim sagte: "Es ist irgendein Lied." Schumischa sagtet "Woher kennst du das Lied?" Delesim sagte: "Ich weiß es nicht." Schumischa sagte: "Du lügst. Es gibt nur drei Menschen, die den Schwur kennen." Delesim sagte: "Nun, Lachia bin ich nicht." Schumischa rief: "Du bist Delesim. — Delesim hilf mir! Delesim



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sage mir: Wie kann ich wieder hier fort zu Lachia kommen?!"

Delesim sagte: "Falle vor den andern Leuten hin, Schumischa! Sei krank. Laß dich von einem Adjenu (böser Geist) besessen sein. Laß dich von keinem Arzt heilen. Laß den Adjenu (oder Aldjenu?) aus dir sprechen: ,Nur der Buttermann kann mich heilen. Ich will mit dem Buttermann auf dem besten Pferde ausreiten. Dann will ich Schumischa verlassen.' Sprich so und überlaß dann alles andre mir!" Schumischa sagte: "So werde ich es tun." Schumischa verließ Delesim.

Als es Abend war, saßen die Frauen beisammen. Schumischa erhob sich. Sie ließ sich fallen. Sie schrie. Alle Frauen kamen zusammen und wollten sie beruhigen. Schumischa schlug um sich. Schumischa schrie und schrie. Die Frauen sandten sogleich nach einem Arzte. Der Arzt kam. Der Arzt wollte an Schumischa herantreten. Schumischa schlug ihn und schrie: "Du Narr, was weißt du mit einem Aldjenu anzufangen." Der Arzt wich zurück. Der Arzt sagte: "Hier kann ich nichts machen." Der Arzt ging.

Der Agelith kam. Der Agelith sagte: "Was ist hier zu tun?" Die Frauen sagten: "Schumischa ist von einem Aldjenu befallen; so lange der Aldjenu nicht selbst sagt, was mit ihm ist, so lange kann man ihr nicht helfen." Schumischa schrie: "Gewiß könnt ihr helfen! Ihr Törichten! Laßt Schumischa mit dem Buttermanne auf dem besten Pferde des Agelith einmal ausreiten, so werde ich Schumischa verlassen." Der Agelith sagte: "Sogleich sattelt das Pferd, das neulich Schumischas Vater von Lachia mitbrachte. Ruft den Buttermann." Der Buttermann kam und sagte: "Was, ich alter Mann soll mit der Frau des Agelith auf diesem Pferde ausreiten ?" Der Agelith sagte: "Tue es, ich werde es dir reichlich bezahlen." Der Buttermann schüttelte den Kopf und sagte: "So zeigt mir wenigstens, wie ich auf ein solches Pferd heraufkomme. Wie ich wieder herunterkomme, wird mir wohl das Pferd zeigen. Ich hoffe nur, daß Schumischa dabei keinen Schaden nimmt."

Die Leute des Agelith halfen dem Buttermann auf das Pferd. Sie sagten ihm: "Halte die Zügel so, halte die Füße so; dies ist kein Maulesel; sondern es ist ein Pferd." Der Buttermann sagte: "Macht man es so ?" Die Leute lachten und sagten: "Nein, wenn man es so macht, geht das Pferd durch. Mache es so!" Dann hoben die Leute Schumischa auf das Pferd. Der Buttermann sagte: "So, nun geht zur Seite." Die Leute traten zur Seite.



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Delesim hob sich im Sattel; er zog das alte Bettlerkleid ab und warf es den Leuten zu. Delesim saß da in seinen goldnen Kleidern. Er rief: "Grüßt den Vater Schumischas!" Er drückte dem Pferd die Knie in den Leib und jagte mit Schumischa heimwärts in das Haus Lachias.


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