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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


39. Die ausgesetzten Geschwister

Man spricht von einem armen Manne, der hatte sieben Töchter. Die Jüngste war noch sehr jung. Sie war außerdem schwach auf den Füßen, so daß sie meist am Känun (Feuerloch) saß, und zu allem war sie auch noch sehr häßlich. Aber sie war klug und in ihrem Herzen voller Güte.

Die Jüngste saß meist daheim. Eines Tages sagte aber der Vater: "Begleite heute deine Schwestern und sammle Holz im Busch!" Die Jüngste machte sich also bereit und begleitete die Schwestern in den Busch. Die sieben Schwestern sammelten das Holz, nahmen ihre Lasten auf und gingen heim. Unterwegs wurde die Jüngste sehr müde. Sie sagte: "Meine Schwestern, laßt mich ein wenig ausruhen; ich bin sehr müde." Vier der Schwestern sagten: "Bleib du nur allein zurück; wir haben Besseres zu tun, als auf dich zu warten." Die vier Schwestern gingen weiter nach Hause.

Zwei der Schwestern blieben bei der Jüngsten und setzten sich mit ihr unter einem Baum nieder. Die drei Mädchen plauderten miteinander. Nach einiger Zeit kam der junge Agelith vorüber. Die älteste der Schwestern sagte: "Wenn mich der Agelith zur Frau nähme, würde ich die gesamten Bewohner des Ortes einladen und allesamt mit einer Maß (thakelischt) Weizen bewirten." Die zweite Schwester sagte: "Wenn mich der Agelith heiratete, würde ich die ganze Ortschaft mit der Haut eines einzigen Widders beköstigen." Die jüngste Tochter sagte: "Wenn mich der Agelith heiraten würde, so würde ich ihm nach einem Jahre einen Sohn und eine Tochter schenken, den Sohn mit dem Mond und den Sternen aus Silber im Haare, die Tochter mit einem Rasiermesser (lemus; hier die Sonne bedeutend) aus Gold auf der Stirne."

Der Agelith hatte gehört, was die drei Mädchen gesprochen hatten. Er ließ am andern Tage den Vater der sieben Töchter zu sich kommen und sagte zu ihm: "Ich will diese deine drei Töchter heiraten." Der arme Mann erschrak und sagte: "Was?! Ich bin so arm. Ich bin nicht deinesgleichen. Du kannst meine Töchter nicht heiraten, denn sie bringen deinem Hause keine Ehre." Der Agelith sagte: "Das laß meine Sorge sein. Ich will deine drei Töchter heiraten, und ob du meinesgleichen bist oder nicht, soll dich nicht kümmern."

Am ersten Tage rief der Agelith nun die älteste der drei Töchter und sagte: "Ich will heute das Fest der Hochzeit mit dir feiern. Sorge nun, daß du, wie du es gesagt hast, die ganze Ortschaft mit



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einem Maß Weizen beköstigst." Die älteste der drei Töchter lief zu einem Amrar asemeni (weisen Manne) und fragte: "Der Agelith will mich heute heiraten, und ich soll die ganze Ortschaft mit eine's Maß Weizen beköstigen; wie mache ich das?" Der Amrar asemeni sagte: "Mische eine halbe Maß Weizenmehl mit einer halben Maß Salz und stelle das Gericht am Eingange hin. Jeder, der kommt, wird ein klein wenig davon nehmen, aber nur ganz wenig, und so wird es für alle reichen." Die älteste der drei Töchter machte es so. Sie stellte ein Gericht aus einer halben Maß Weizenmehl und einer halben Maß Salz her. Sie stellte es am Eingang hin. Ein jeder nahm ein ganz klein wenig davon und das Gericht reichte für alle Bewohner des Ortes.

Am zweiten Tage rief der Agelith nun die zweite der drei Töchter und sagte: "Ich will heute das Fest der Hochzeit mit dir feiern. Sorge nun, daß du, wie du es gesagt hast, die ganze Ortschaft mit der Haut eines Widders beköstigst." Die zweite der drei Schwestern lief auch zu dem Amrar asemeni und sagte: "Der Agelith will mich heute heiraten, und ich soll die ganze Ortschaft mit der Haut eines Widders beköstigen; wie mache ich das?" Der Amrar asemeni sagte: "Webe aus der Wolle des Widders ein Gewand, dies Gewand schneide in lauter kleine Teile und wirf jedem einen der kleinen Teile hin." Die zweite der drei Schwestern machte es so. Sie verfertigte aus der Wolle des Widderfelles ein Gewand, zerschnitt das Gewand in lauter kleine Stückchen und warf jedem Gaste ein Stück hin. So erhielt jeder seinen Teil.

Am dritten Tage rief der Agelith nun die jüngste der drei Töchter und sagte zu ihr: "Ich will heute das Fest der Hochzeit mit dir feiern. Wie willst du es nun machen, daß du mir in einem Jahre einen Sohn und eine Tochter schenkst, der Sohn mit dem Mond und den Sternen aus Silber im Haar, die Tochter mit einem goldenen Rasiermesser auf der Stirne?" Die Jüngste sagte: "Warte, du wirst es sehen."

Nach einem Jahre gebar die jüngste der drei Schwestern eines Nachts einen Knaben, der hatte den Mond und die Sterne aus Silber in den Haaren und eine Tochter, die hatte ein goldenes Rasiermesser auf der Stirne. Als die beiden älteren Schwestern das sahen, sagten sie untereinander: "In Zukunft wird der Agelith nur noch unsere jüngste Schwester ihrer Kinder wegen lieben und uns übersehen, wenn wir die Kinder nicht sogleich entfernen." Die beiden Schwestern stern gingen sogleich zu einer alten Hexe (setut oder stud) und



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baten sie um ihre Hilfe. Die alte Hexe brachte zwei junge Hunde, die in der gleichen Nacht geboren waren, herbei, und vertauschte sie mit den Kindern. Die Kinder setzte sie aber in eine Kiste und diese Warf sie in das Meer. —

Am andern Morgen kam der Agelith und fragte nach den Kindern, die seine Frau ihm in der vorigen Nacht geschenkt habe. Die Alte Sagte: "Das ist ein großes Unglück. Deine Frau hat nicht einen Knaben und ein Mädchen, sondern einen Hund und eine Hündin geboren." Der Agelith fuhr auf. Er sagte: "Uah! So ist es? Ich Schwöre, daß diese Frau, da sie Hunde geboren hat, bis zum letzten Tag ihres Lebens mit den Hunden zusammengesperrt werden soll." Darauf wurde die junge Mutter entkleidet und im Adaeinin (Stall) bei den Hunden angebunden. —

Am Ufer des Meeres wohnte ein Fischer, der war sehr arm. Er ging jeden Tag zum Fischen heraus und fing dann einen Fisch. Den Verkaufte er und das, was er verdiente, genügte gerade dazu, ihn Und seine Frau zu ernähren.. Eines Tages fischte er auch. Er hatte keinen Erfolg. Nach einiger Zeit aber sah er auf den Wellen eine Kiste schwimmen. Er warf mit Steinen danach und setzte dies so lange fort, bis die Wellen die Kiste an das Ufer trugen. Er ergriff das Kistchen und nahm es, froh über den Fang, mit, denn er glaubte, es müsse Gold darin sein.

In seinem Hause angekommen, rief er seine Frau, öffnete und fand darin einen Knaben, der hatte den Mond und die Sterne aus Silber in den Haaren und ein kleines Mädchen, das hatte auf der Stirne ein goldenes Rasiermesser. Als der Fischer das sah, erschrak er und sagte: "Ich habe nicht genug, um mich und meine Frau zu ernähren, und nun soll ich auch noch diese Kinder ernähren. Wovon sollen wir leben?" Die Frau sagte: "Das laß nur die Sorge Gottes sein. Geh du aber noch einmal an die See und sieh, ob du nach diesem ersten Fang heute nicht auch noch einen zweiten tun wirst."

Die Frau gab den Kindern Nahrung. Der Fischer ging nochmals an das Meer und diesmal fing er dreimal so viel, als er sonst an einem Tage zu fangen gewohnt war. Und das Ergebnis seines Fischzuges steigerte sich von Tag zu Tag, so daß er und seine Frau und die Kinder nicht nur reichlich zu essen hatten, sondern auch noch genug hatten, etwas zurückzulegen. Die beiden Kinder wuchsen auf und wurden ein schöner großer Knabe und ein schönes und gutes Mädchen. Sie wußten nicht, daß der Fischer und seine Frau nicht



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ihre Eltern waren. Sie nannten den Fischer vewa (Vater) und seine Frau jma (Mutter). Alle Leute hatten die beiden Kinder gerne und sprachen von ihnen als dem Knaben mit Mond und Sternen aus Silber im Haar, der immer zur Jagd gehe, und dem Mädchen mit dem goldenen Rasiermesser auf der Stirne, das immer daheim weile.

Als so alle Leute über diese beiden Kinder sprachen, hörten auch die Frauen des Ageliths von ihnen und sie sprachen untereinander: "Das müssen die Kinder unsrer jüngsten Schwester sein. Wir müssen diese Kinder vernichten." Sie gingen wieder zur alten Hexe und erzählten es ihr. Die alte Hexe sagte: "Laßt mich nur machen, ich will die Kinder schon beiseite schaffen."

Die Alte ging eines Tages zu dem Hause des Fischers. Der Fischer war an dem Meer, der Bruder auf der Jagd im Walde und die Frau des Fischers in dem Orte. Die Alte ließ sich an der Tür des Fischerhauses hinfallen und stöhnte. Sie klopfte an der Tür. Das Mädchen mit dem goldenen Rasiermesser auf der Stirne öffnete oben das Fenster und rief hinunter: "Was hast du, meine Alte?" Die Alte stöhnte und sagte: "Öffne mir doch und laß mich ein wenig am Känun niederlegen. Ich habe das Fieber (thoula)." Das Mädchen sagte: "Mein Vater und meine Mutter haben mir verboten, die Tür zu öffnen." Die Alte sagte: "Sie haben nicht daran gedacht, daß eine alte Frau im Fieber darum bitten könne."

Das Mädchen ging hinunter und öffnete die Haustür. Die Alte kam herein und setzte sich am Kamin nieder. Die Alte sagte: "Mädchen, du bist schön. Du hast in dieser elenden Hütte nichts zu suchen." Das Mädchen sagte: "Wieso, bin ich hier denn nicht sehr gut aufgehoben? Was fehlt mir denn?" Die Alte sagte: "Es gibt nur eines, was deiner Schönheit entspricht, das ist Tär Lemeghari (der singende Vogel)." Das Mädchen sagte: "Wie bekommt man den Tär Lemeghani ?" Die Alte sagte: "Wenn heute abend dein Bruder heimkommt, stelle dich krank. Wenn dein Bruder dich fragt, was dir fehlt, sagst du: Ich sehne mich nach dem Tär Lemeghani» — Das Mädchen sagte: "Das werde ich tun." Die Alte ging.

Bis zum Abend wuchs die Sehnsucht des Mädchens nach Tär Lemeghani so, daß sie wirklich Fieber bekam. Sie legte sich auf ihr Lager, und als ihr Bruder heimkam und sie fragte, was ihr fehle sagte sie: "Ich sehne mich nach Tär Lemeghani." Der Bruder sagte "Tär Lemeghani werde ich dir bringen. Bereite mir nur Essen) So will ich mich morgen sogleich auf die Wanderschaft machen»

Am andern Morgen packte der Bruder sein Essen ein, nahm Spiegel,



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Kamm und Rasiermesser in seine Tasche und trat den Weg an. Er wanderte in irgendeiner Richtung, denn niemand hatte ihm sagen können, wo Tär Lemeghani zu finden sei. Er kam zuletzt in einen großen Wald. Und in dem Walde traf er einen alten Mann, dessen Haare reichten bis auf die Knie und sein Bart bis auf den Bauch. Er hatte sich lange Zeit nicht gepflegt. Der Bursche begrüßte den alten, wilden und häßlichen Mann. Der Alte sagte: "Wenn du mich nicht gegrüßt hättest, so würde ich dich und die Erde, auf der du gehst, fressen." Der Bursche fragte: "Weshalb willst du mich fressen? Ich bin doch zu deinem Besten gekommen." Der Alte sagte: "Wieso zu meinem Besten?" Der Bursche sagte: "Halte nur einen Augenblick still."

Der Bursche begann darauf den Bart und die Haare des Alten zu schneiden und zu ordnen. Als er damit fertig war, hielt er dem Alter den Spiegel hin und sagte: "Nun sieh selbst, wie du aussiehst." Der Alte sah in den Spiegel. Er lachte und sagte: "Ich sehe in der Tat jung und schön aus. Du machst mich froh. Nun sage mir, was du in diesem Walde suchst ?" Der Bursche sagte: "Ich suche Tär Lemeghani." Der Alte sagte: "Wenn das alles ist, so ist das nicht schwer. Nimm hier diesen Käfig und stelle ihn in den Baum. Tär Lemeghani wird kommen und wird dich beschimpfen. Wenn du ihn antwortest, wird die Erde sich öffnen und dich verschlingen. Wenn du ihm aber nicht antwortest, wird er nach einiger Zeit mit Schimpfen aufhören und von selbst in den Käfig kommen. Dann schließe ihn und trage ihn heim."

Der Bursche bedankte sich und stellte den Käfig in den Baum. Als es Abend war, kam Tär Lemeghani, setzte sich auf einen Zweig und begann zu schimpfen und dem Bruder schlechte Worte zu sagen. Der Bursche blieb stumm und antwortete nicht. Tär Lemeghani schimpfte und flog endlich in den Käfig. Der Bursche schloß den Käfig und begab sich sogleich auf den Heimweg. Er brachte Tär Lemeghani seiner Schwester. Seine Schwester war sehr glücklich. Sie dankte ihrem Bruder und ward sogleich gesund.

Die beiden Frauen des Agelith hörten, daß die Kinder ihrer jüngsten Schwester schöner und glücklicher seien als vordem. Sie gingen ZU der Alten und sagten: "Die Kinder sind glücklich; schaffe sie aus der Welt." Die Alte sagte: "Ich werde es tun."

Die Alte kam wieder zu dem Fischerhaus, als das Mädchen mit dem goldenen Rasiermesser auf der Stirne allein zu Hause war und der Fischer sich beim Fischfang am Meer, der Bruder auf der Jagd



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im Walde und die Mutter zum Einkauf im Orte befand. Die Alte begrüßte das Mädchen und sagte: "Hast du nun Tär Lemeghani?" Das Mädchen sagte: "Ja, wir haben Tär Lemeghani und er macht mich glücklich." Die Alte sagte: "Du siehst, wie gut ich dir geraten habe. Jetzt fehlt dir nur noch das Wasser aus der Quelle zwischen den zusammenschlagenden Felsen." Darauf ging die Alte. Das Mädchen ward aber sogleich mit einer solchen Sehnsucht nach dem Wasser aus der Quelle zwischen den zusammenschlagenden Felsen erfüllt, daß es am Abend ein schweres Fieber hatte.

Am Abend kam der Bruder heim und fand seine Schwester im Fieber. Er fragte sie: "Was fehlt dir?" Das Mädchen sagte: "Ich habe die Sehnsucht nach dem Wasser aus der Quelle zwischen den zusammenschlagenden Felsen." Der Bruder sagte: "Meine Schwester, beruhige dich. Bereite mir Essen für die Reise. Ich will morgen sogleich aufbrechen und dir das Wasser aus der Quelle zwischen den zusammenschlagenden Felsen holen."

Am andern Morgen packte der Bursche sein Essen und ein Gefäß (einen eisernen Topf: tassedeledz) in seinen Reisesack. Er bestieg seinen Maulesel und ritt in die Welt hinaus. Nachdem er lange Zeit auf der Wanderschaft war, kam er eines Tages in ein Land, das war bedeckt mit Felsen. Er sah die zusammenschlagenden Felsen. Er sah in der Ferne die Quelle zwischen den zusammenschlagenden Felsen.

Der Bursche setzte sich nieder. Er sah im Grase vor sich zwei kleine Schlangen miteinander streiten. Er sah, wie die eine der beiden Schlangen die andre im Streit tötete. Der Bursche fragte die Schlange: "Weshalb tötest du deinen Bruder?" Die kleine Schlange sagte: "Das macht nichts; gib acht, ich werde meinen Bruder Sogleich wieder zum Leben bringen." Die Schlange lief hin und pflückte von dem Kraut Thah(a)schicht (e)hajun, zerrieb die Pflanze zwischen zwei Steinen und drückte die Masse der toten Schlange in den Mund. Sogleich erhob sich die tote Schlange und lief mit der andern von dannen.

Der Bursche sammelte von der Pflanze. Er zerquetschte die Pflanze auf einem großen Stein. Sogleich wurde der Stein zu einem Manne. Der Bursche fragte den Mann: "Wie kommst du hierher?"Der Mann sagte: "Ich kam hierher, um von dem Wasser aus der Quelle zwischen den zusammenschlagenden Felsen zu holen. Als ich zwischen die Felsen kam, wurde ich zu Stein und ich wäre immer als Stein hier liegen geblieben, wenn du mich nicht gerettet hättest.



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411e diese Steine hier herum sind Männer, Pferde, Maulesel, Hunde, esel. Sie sind alle in gleicher Weise Stein geworden wie ich." Der bursche sagte: "So komm und hilf mir. Wir wollen allen diesen Menschen und Tieren das Leben wiedergeben." Der Bursche und der Mann sammelten nun sehr viel von dem Kraut und zerquetschten es auf allen Steinen, die herumlagen, und alle wurden zu Menschen, Pferden, Mauleseln, Hunden und Eseln. Und alle Menschen kamen zu dem Burschen und sagten zu ihm: "Wir danken dir, du hast uns das Leben wiedergegeben. Wir werden in Zukunft deine Diener sein!"

Der Bursche sagte: "Wir werden sogleich wieder zurückkehren; ich will nur erst dieses Gefäß voll Wasser aus der Quelle zwischen den zusammenschlagenden Felsen nehmen. Merkt nun auf, wie ich es machen werde und wie ihr dann mir den gleichen Dienst erweisen könnt, den ich euch verrichtete. Ich werde mich mit dem Gefäß vorbeugen und das Wasser auffangen. Ich reiche euch das Gefäß zu und ihr ergreift es schnell. Ich werde dann zu Stein werden. Ihr aber müßt dann auf diesem Steine das Kraut zerquetschen, wie ich es euch gezeigt habe." Die Männer sagten: "Wir werden es so tun."

Der Bursche ging mit den Männern dicht an die Quelle. Er beugte sich weit vor und schöpfte das Gefäß mit dem Wasser aus der Quelle. Die andern ergriffen sogleich das Gefäß mit dem Wasser. Der Bursch aber wurde in einen Stein verwandelt. Die andern Männer zerquetschten sogleich von dem Kraut auf dem Stein, und der Bursche kam wieder zum Leben.

Der Bursche machte sich mit dem Gefäß voll Wasser aus der Quelle zwischen den zusammenschlagenden Felsen auf den Heimweg. Alle Männer, die er wieder zum Leben gerufen hatte, folgten mit ihren Tieren. Es war ein langer, langer Zug. Sie kamen beim Dorfe des Fischers an. Der Bursche sprang von seinem Maulesel und eilte in das Haus. Er reichte seiner Schwester das Wasser aus der Quelle zwischen den zusammenschlagenden Felsen. Die Schwester trank davon; sie wurde sogleich gesund. Sie dankte ihrem bruder.

Der Bursche ging zu dem Fischer und sagte: "Alle diese Leute und Tiere, die ich mitgebracht habe, gehören dir, meinem Vater, dem ich das Leben verdanke." Der Fischer sagte: "Mein Sohn, ich danke dir; dies Geschenk kann ich nicht annehmen. Da du nun dieses noch nicht weißt, muß ich dir sagen, daß ich nicht dein und deiner Schwester Vater bin. Ich habe euch beide, als es meiner Frau und mir sehr



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schlecht ging, eines Tages in einer Kiste auf dem Meere schwimmend gefunden und euch mit meiner Frau zusammen groß gezogen. Seitdem ihr aber in meinem Hause wart, ging es meiner Frau und mir so gut, daß das, was ich an euch getan habe, längst vergolten ist. Behalte also deine Leute und Tiere. Ich will dir nur behilflich sein, alles gut und nützlich einzurichten."

Der Bursche baute nun mit den Leuten einen großen Ort. Er ließ sich Felder und Gärten anlegen. Er ließ zwei große Häuser bauen. eines für den Fischer und seine Frau, eines für sich und seine Schwester. Der Bursche und der Fischer wurden bald reiche Leute, und der Ruhm ihres Reichtumes und ihrer Freundlichkeit wurde weiter und weiter im Lande verbreitet.

Auch der Agelith, der einst die drei Schwestern geheiratet hatte, hörte von dem Fischer und seinem Sohne, die so gut und dabei reiche Leute geworden waren. Er wollte diese Leute gern kennenlernen und lud den Fischer und den Burschen und die Frau des Fischers und die Schwester des Bruders ein, ihn zu besuchen und seine Gäste zu sein. Der Fischer und seine Frau, der Bruder und seine Schwester machten sich also auf den Weg und kamen nach einer guten Reise auch bei dem Agelith an.

Als der Agelith die beiden Geschwister sah, gewann er sie sogleich lieb. Er sagte zu ihnen: "Ehe wir uns zum Essen niedersetzen, will ich euch mein Haus zeigen." Der Agelith führte die Geschwister überall herum. Sie kamen auch in den Stall. Das Mädchen sah im Stall die nackte, angebundene Frau. Das Mädchen begann zu weinen. Der Agelith sagte: "Kümmere dich nicht um diese Frau; es ist ein schmutziges Weib, das mir statt zweier Kinder zwei ekelhafte Hunde geschenkt hat." Das Mädchen hörte aber nicht auf zu weinen. Das Mädchen sagte: "Das glaube ich nicht. Ich werde in diesem Hause nichts essen, wenn diese arme Frau nicht losgebunden und mit zum Essen eingeladen wird." Der Agelith sagte: "Mein Kind, beruhige dich; was ich sage, ist die Wahrheit." Das Mädchen weinte und sprach: "Ich glaube nicht, daß dieses die Wahrheit ist. Du mußt belogen sein. Was ich dir aber sage, ist auch die Wahrheit und ich werde keinen Bissen anrühren, wenn du die Frau nicht losbindest und mit uns essen läßt."

Der Agelith sagte: "So bindet die Frau los, badet sie, kleidet sie und laßt sie mit uns essen." Das Mädchen sagte zu ihm: "Ich danke dir." Die beiden Frauen des Agelith banden ihre jüngste Schwester los. Sie badeten sie, sie kleideten sie. Sie sagten: "Morgen werden



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Wir dich töten!"Die Frau sagte: "Ich weiß, wie ihr es mit mir meint, meine Schwestern."

Die Frau kam in den Raum, in dem der Agelith und seine Gäste Waren. Der Agelith sah sie nicht an. Er sah nur auf den Burschen Und das Mädchen. Das Mädchen aber ging auf die Frau zu und sagte: "Erzähle du mir auch, wie es mit deinen Kindern war." Die Frau sagte: "Der Agelith heiratete mich mit meinen beiden älteren Schwestern zusammen. Er heiratete mich, weil ich versprochen hatte, ihm nach einem Jahre zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen zu schenken. Nach einem Jahre gebar ich einen Knaben und ein Mädchen. Meine beiden Schwestern aber, die befürchteten, ich würde nun alle Gunst des Agelith an mich ziehen, nahmen meine Kinder und brachten sie fort. Dafür legten sie mir zwei junge Hunde hin und sagten am andern Tag zu dem Agelith: ,Deine Frau hat dir in dieser Nacht zwei junge Hunde geschenkt.' Darauf ließ der Agelith mich im Stall anbinden."

Der Bursche fragte die Frau: "Würdest du deine Kinder denn wiedererkennen?" Die Frau sagte: "Gewiß würde ich meine Kinder wiedererkennen, die ich dem Agelith geschenkt habe. Mein Sohn hai den Mond und die Sterne aus Silber im Haare. Meine Tochter hat eir goldenes Rasiermesser auf der Stirne. Daran kann jeder sie wiedererkennen, auch ihr Vater, der Agelith, denn ich habe ihm das vorher gesagt." Der Bursche trat vor den Agelith, nahm die Mütze ab und sagte: "Sieh hier, mein Vater!" Das Mädchen nahm das Tuch von der Stirne, trat vor den Agelith und sagte: "Sieh hier, mein Vater!" Der Agelith sah den Mond und die Sterne aus Silber in den Haaren des Burschen; er sah das goldene Rasiermesser auf der Stirne des Mädchens. Der Agelith umfing sie mit den Armen und sagte: "Ja, ihr seid meine Kinder; ich fühle es in meinem Herzen."

Der Agelith ließ die Mutter in herrliche Stoffe kleiden und gab ihr viel Schmuck. Der Agelith sagte: "Verzeih mir." Der Agelith ließ die beiden älteren Schwestern kommen. Er ließ sich alles erzählen. Er ließ die alte Hexe kommen und ließ sich alles erzählen. Der Agelith ließ den beiden Schwestern und der alten Hexe den Kopf abschlagen. Den Fischer machte er zu einem reichen Manne. Er setzte ihn über das Dorf, das der Bursche gegründet hatte mit den Leuten, die er wieder zum Leben gerufen hatte. Seinen Sohn setzte er aber an seiner Stelle ein.


Copyright: arpa, 2015.

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