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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


34. Die Prinzessin und die 7 Brüder

Ein Fürst (Sultan) hatte sieben Söhne. Eines Tages wurde die Frau des Sultans wieder guter Hoffnung und alle Leute sprachen darüber, ob der Fürst dieses Mal Vater eines Sohnes oder einer Tochter werden würde. Auch die sieben Söhne des Fürsten, die ein gutes Stück entfernt von der Stadt in den Bergen wohnten, hörten von dem, was alle Welt besprach und sagten: "Wenn das Kind unserer Mutter wieder ein Sohn wird, ziehen wir in die Welt hinaus. Wenn das Kind unserer Mutter eine Tochter wird, wollen wir ein Fest begehen."

Das Kind wurde geboren. Es war ein Mädchen. Die Frau des Fürsten rief ein altes Weib und sagte: "Gehe in die Berge zu meinen Söhnen und sage ihnen, daß sie eine Schwester erhalten haben." Das alte Geschöpf war ein böses Weib. Das alte Weib ging in die Berge und sagte zu den Brüdern: "Ihr habt einen achten Bruder erhalten." Da sattelten die Brüder ihre Pferde, bestiegen sie und ritten weit fort, so weit, daß kein Mensch wußte, wo sie sich befanden.

Es waren vierzehn Jahre vergangen, seitdem die sieben Brüder verschwunden waren. Die Prinzessin ging eines Tages zur Quelle, um Wasser zu holen. An der Quelle traf sie die böse Alte, die seinerzeit die Brüder durch ihre Lüge vertrieben hatte. Die Alte saß da und schöpfte das Wasser mit einem Siebe. Das Wasser lief stets wieder aus dem Siebe unten heraus und es kam nichts in den Krug. Die Prinzessin lachte und sagte: "Hier nimm meinen Schöpfer. So wird dein Krug nie voll werden." Die böse Alte wurde aber zornig und sagte: "Laß mich, du schlechtes Mädchen, das sieben Brüder verjagt hat." Die Prinzessin sagte: "Was meinst du? Ich habe keine



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Brüder!" Die Alte sagte: "Du hast doch Brüder gehabt. Du hast sie aber verjagt!" Das Mädchen wurde traurig, nahm seinen Krug und ging heim.

Die Mutter sah, daß ihre Tochter traurig heimkehrte. Die Mutter sagte: "Was fehlt dir, meine Tochter?" Das Mädchen sagte: "Bereite mir eine besondere Speise." Die Mutter begann zu kochen. Sie ging hinaus. Die Tochter warf schnell ein Stück Holzkohle in die brodelnde Suppe. Die Mutter kam zurück und sah den Unrat auf der Suppe schwimmen. Sie wollte ihn mit zwei Stöckchen herausfischen' Die Tochter hielt die Hand der Mutter über die brodelnde Suppe und sagte: "Entweder du sagst mir die Wahrheit über meine Brüder, oder ich stoße deine Hand in den kochenden Brei." Die Mutter erschrak. Sie erzählte der Tochter alles.

Die Tochter verlangte von der Mutter Wegzehrung und eine Negerin. Sie ließ sich vom Vater ein Pferd geben. Der Vater gab ihr noch einen Vogel mit, der war in einem kleinen Käfig eingeschlossen und fragte man ihn etwas, so antwortete er: "Nur immer weiter so!" Das Mädchen nahm Abschied und ritt mit dem Vogelkäfig auf dem Pferde und der Negerin, die hinterherlief, von dannen, um ihre Brüder zu suchen und zu bewegen, heimzukehren.

Nachdem die Prinzessin einen Tag geritten und die Negerin immerfort hinter ihr her gelaufen war, sagte die Negerin: "Laß uns einmal wechseln. Ich bin müde und möchte ein wenig reiten." Die Prinzessin fragte: "Mein Vater und meine Mutter, eine Negerin bittet mich, daß ich vom Pferde steigen und sie reiten lassen solle." Der Vogel im Bauer sagte: "Nur immer weiter so!" Darauf schlug sie der Negerin die Bitte ab und ritt weiter voraus.

Abends kamen sie an eine Quelle. An der Quelle blieben sie. Die Prinzessin setzte ihren Vogel auf die Steine des Quellrandes. Am andern Tage brachen sie früh auf. Die Prinzessin vergaß aber, ihren Vogel mitzunehmen. Nachdem sie wieder einen Tag lang wie gestern marschiert waren, sagte die Negerin: "Laß uns einmal wechseln. Ich bin müde und möchte ein wenig reiten." Die Prinzessin fragte: "Mein Vater und meine Mutter, eine Negerin bittet mich, daß ich von meinem Pferde steige und sie weiter reiten lassen solle." Die Prinzessin erwartete eine Antwort. Da sie den Vogel aber stehen gelassen hatte, erhielt sie keine Antwort. Darauf stieg sie ab und ließ die Negerin reiten.

An diesem Abende hatten sie eine doppelte Quelle vor sich. Wenn sich eine schwarze Person in der einen badete, wurde sie weiß, und



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Wenn sich eine weiße in der anderen badete, wurde sie schwarz. Da nun die Negerin voranritt und schneller vorwärtskam, erreichte sie den Brunnen früher. Sie stieg sogleich ab und badete in der weißfärbenden Quelle. So wurde sie weiß. Als nun die Prinzessin ankam, War zum Baden nur noch in der anderen Quelle Platz. Da stieg sie in die andere Quelle und wurde schwarz.

Am andern Tage stieg die Negerin als weiße Frau auf das Pferd, Und die Prinzessin lief als Schwarze hinterher. So ging es nun Tag für Tag. Sie reisten sehr weit, die Negerin immer als weißes Mädchen Voraus und die Prinzessin als Negerin hinterher. Nachdem sie sehr Weit gereist waren, kamen sie bei den sieben Brüdern an. Die weiße Negerin ritt sogleich auf sie zu und sagte: "Als ich geboren wurde, Seid ihr getäuscht worden. Euer achtes Geschwister ist nicht ein Bursche, sondern ein Mädchen, und das Mädchen bin ich. Ich bin gekommen, euch das zu sagen und mit euch zu wohnen. Auch habe ich eine Negerin mitgebracht. Sie kommt hinter mir her und ihr könnt Sie zum Arbeiten anstellen." Da wurden die Brüder froh und begrüßten die Schwester und gaben ihr gutes Essen. Dem schwarzen Mädchen aber gaben sie Arum (gebackenes Gerstenmehl) und Sandten es aus, die Kamele auf die Weide zu treiben.

Jeden Tag saß nun die schwarz gewordene Prinzessin bei den Kamelen auf der Weide und weinte und jammerte: "Mein Gott, mein Gott (Gott =[ar]robi)! Weshalb bin ich so verlassen. Um meine Brüder zurückzurufen bin ich ausgereist, und unterwegs hat die Negerin sich weiß und mich schwarz gemacht! Mein Gott, mein Gott, Weshalb bin ich so elend!" Die schwarze Prinzessin hatte von ihren Brüdern sieben Kamele bekommen, die sie weiden sollte. Sechs von diesen Kamelen hörten, das siebente aber war taub und hörte nichts. Wenn die sechs Kamele die Klagen der Prinzessin hörten, dann Weinten und klagten sie mit und sie vergassen darüber das Fressen. Nur das siebente taube Kamel fraß und wurde immer dicker, während die andern sechs Kamele vor Gram abmagerten.

Die sieben Brüder sahen, daß sechs von den Kamelen abmagerten, während das siebente fett wurde. Sie fragten das schwarze Mädchen: "Wie kommt es, daß sechs von den Kamelen abmagern, während das siebente fett wird?" Das schwarze Mädchen sagte: "Das ist nicht mein Fehler. Ich kann die Kamele nicht zum Fressen zwingen."

Als die sechs Kamele immer magerer wurden, versteckte sich der älteste Bruder einmal an der Stelle, an der die Kamele geweidet wurden. Da hörte und sah er das Weinen und Klagen des Mädchens



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und der Kamele. Er ging abends heim und erzählte es seinen Brüdern und am zweiten Tage versteckte sich ebenda der zweite, der dritte am dritten Tage, und so weiter bis auf den sechsten. Und jeder ging abends heim und verwunderte sich über das, was er gesehen hatte und sprach mit den Brüdern darüber.

Am siebenten Tage versteckte sich nun der siebente. Der hörte auch das Weinen und Klagen des schwarzen Mädchens und der sechs Kamele, und er konnte es nicht über das Herz bringen, im Busche liegen zu bleiben, sondern er trat hervor und sagte zu dem schwarzen Mädchen: "Negerin, was sprichst du da für Klagen aus!" Das schwarze Mädchen sagte: "Ich bin keine Negerin, sondern eure Schwester. Das Negermädchen hat es so eingerichtet, daß wir in den Quellen badeten, die sie weiß und mich schwarz machten, und wenn ihr Brüder euch davon überzeugen wollt, so seht euch meine Haare an, die schlicht und lang sind wie die eurigen und seht die des jetzt weißen Mädchens an, und ihr werdet finden, daß sie kraus sind." Der jüngste der sieben Brüder ging heim.

Der Jüngste sagte zu seinen sechs Brüdern, als er heimkehrte: "Wir wollen die Haare unserer Schwester ansehen!" Sie riefen das weiße Mädchen und sagten: "Nimm deinen Kopfschal ab und zeige uns deine Haare!" Das weiße Mädchen erschrak und sagte: "Mein Haar zeige ich nicht. Es schickt sich nicht." Da riß der jüngste Bruder dem weißen Mädchen den Kopfschal herab und nun sahen alle sieben, daß das schwarze Mädchen recht gehabt hatte. Das weiße Mädchen hatte krause Haare.

Am andern Tage fragte der jüngste Bruder das schwarze Mädchen: "Kannst du den Weg zu den Quellen finden, in denen ihr euch gebadet habt?" Das schwarze Mädchen sagte: "Das kann ich wohl." Da brachen die Brüder auf und gingen dahin, wo die Quellen waren, und das weiße Mädchen mußte sich in der Quelle baden, die schwarz macht, während die Schwester in der andern badete. Nun erst sahen die Brüder, wie schön ihre Schwester war.

Die sieben Brüder waren aber über die Negerin zornig. Sie ließen die betrügerische Negerin durch ein Pferd in den Wald schleifen, hieben ihr den Kopf ab und warfen ihn ins Feuer, hieben ihr die Hände ab und warfen sie ins Feuer und schlugen die Arme ab Und benutzten sie als Schüreisen.

Die Brüder blieben noch einige Tage mit der Schwester in der Wüste, dann kehrten sie mit ihr heim. Der Vater ließ sich alles er zählen und sagte: "Hättest du den kleinen Vogel nicht stehengelassen,



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assen, so wäre es nicht so schlimm gekommen. Nun ist aber alles floch gut gegangen. Wir danken dir, daß du deine sieben Brüder Wiedergebracht hast und wollen ein großes Fest feiern.

Dann feierten sie ein großes Fest und die sieben Brüder waren glücklich, daß sie bei Vater und Mutter und Schwester daheim sein konnten.


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