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Edda Erster Band Heldendichtung


Übertragen von Felix Genzmer /Mit Einleitungen und Anmerkungen von Andreas Heusler

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1912


18. Gripirs Weissagung

Den passenden Abschluß der ganzen Sigurddichtung mache dieser Spätling: ein vollständiger Überblick über Sigurds Lebenslauf von einem isländischen Epigonen der Schreibezeit, nach 1200, aus fünf einzelnen, unabhängigen Sigurdliedern herausgesponnen. Dieser letzte der Sigurddichter hat zum erstenmal die sämtlichen Sigurdsagen im Rahmen eines Liedes behandelt. Die Form der lehrhaften Wechselrede legten ihm die katalogischen Götterlieder nahe; die Einkleidung mit dem zukunftskundigen Oheim entsprang eigner Phantasie.

von der berben Kraft der alten Ereignislieder, auch von der innigen Lyrik der Frauenelegien ist ein großer Schritt zu der spießbürgerlichen Nüchternheit und der verbrauchten Sprache unseres Poeten. Und doch täte man ihm Unrecht, wenn man nur den exzerpierenden Verseschmied in ihm fände. Er hat sich in die sittlichen Kämpfe dieses Heroenlebens mit Eifer versenkt; die eigentümliche Wärme für den berühmten Helden, die das Gedicht durchzieht, fließt aus der Bewunderung des Ritters ohne Tadel, der nur da seiner wo das Schicksal oder der Trug der Menschen ihn zwang. Man fühlt, daß dieses Zeitalter keine Heldensage mehr geboren hätte, aber daß es mit der Erbschaft früherer Tage sich noch lebhaft auseinandersetzte.

Der junge Sigurd ritt einst allein über Land und kam zur Halle eines 'Fürsten. vor dem Tore redete er einen Mann an, der nannte sich Geitir. Sigurd fragte ihn:



***
1
"Wer gebietet
In dieser Burg:
Wie heißen die Mannen
Den Herrn des Landes?"
Geitir:
"Den Herrn der Helden
Heißt man Gripir,
Der festes Land
Und Volk beherrscht."


***
2 Sigurd:
"Ist der weise Herrscht
Daheim im Land?
Ist mich zu empfangen
Der Fürst bereit:
Auskunft ist not
Dem Unbekannten,
Schnell begehr ich,
Gripir zu sehn."



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***
3 Geitir:
"Der frohe Fürst
Wird Geitir fragen,
Wer der Recke ist,
Der Rat begehrt."
Sigurd:
Bin Sigmunds Sohn
Sigurd heiß ich,
Doch Hjördis ist
Des Helden Mutter."


***
4
Da ging Geitir,
Gripir zu sagen:
"Ein Mann ist außen,
Ein unbekannter;
Des Helden Gestalt
Gar stattlich ist,
Er fordert, Fürst,
Empfang bei dir."


***
5
Aus der Halle trat
Der Herr der Krieger
Und bot dem Helden
Heil und Willkomm:
"Tritt ein, Sigurd,
Eher war besser!
Du, Geitir; gib
Auf Grani acht!"


***
6
Froh plauderten
Viel sie beide,
Da die ratklugen
Recken sich sahn.
Sigurd:
"Melde, vermagst dus,
Mutterbruder,
Wie mein Leben
Verlaufen wird!"


***
7 Gripir:
"Unterm Himmel
Wirst du der hehrste,
Ob allen Herrschern
Hochgeboren,
Ein Goldvergeuder,
Geizend mit Flucht,
Edel zu schaun,
Gescheit in Worten."


***
8 Sigurd:
"Sag, weiser Fürst, —
Ich wüßte gern mehr —
Sigurd genau,
Wenn dus sehen kannst:
Was begegnet mir
Gutes zuerst,
Wenn ich dein Land
Verlassen habe?


***
9 Gripir:
"Zuerst wirst du, Fürst,
Den Vater rächen
Und Eylimi,
Das Unheil sühnen;
Du wirst Hundings
Harte Söhne;
Die schnellen, fällen,
Die Schlacht gewinnen.


***
10 Sigurd:
Sag mir, Oheim,
Edler König,
Ohne Umschweif,
Da wir offen reden:
Schaust du Sigurds
Schnelle Taten
Hoch sich heben
Zum Himmelsdach:"



Thule-Bd.01-136 Edda Heldendichtung Flip arpa



***
11 Gripir:
"Allein erschlägst du
Den schillernden Wurm
Der gierig liegt
Auf der Gnitaheide
Gar bald bringst du
Beiden den Tod,
Regin und Fafnir —
Ich rede Wahrheit."


***
12 Sigurd:
"Reich ist die Beute,
Erring ich nun,
So wie du sagst,
Den Sieg über beide.
Weiter schaue!
Wissen laß mich,
Wie dann mein Leben
Verlaufen wird!"


***
13 Gripir
"Finden wirst du
Fafnirs Lager,
Heben sollst du
Den Hort, den reichen,
Granis Rücken
Mit Gold beladen
Zu Gjuki kommst du,
Kampfstolzer Held."


***
14 Sigurd:
"Weiter sollst du
In weiser Rede,
Deuter der Zukunft,
Dem Degen sagen: —
Als Gjukis Gast
Geh ich von hinnen —
Wie dann mein Leben
Verlaufen wird."


***
15 Gripir
"Auf dem Hochland schläft
Die Herrschertochter,
Hell im Harnisch,
Seit Helgis Tod;
Mit scharfem Schwert
Schneiden wirst du,
Mit Fafuirs Töter
Trennen die Brünne."


***
16 Sigurd:
"Die Rüstung brach,
Es redet die Maid,
Erweckt hab ich
Das Weib vom Schlaf;
Was wird die Frau
Dem Fürsten sagen,
Das für den Degen
Gutes bedeutet?"


***
17 Gripir.
"Sie wird den Recken
Runen lehren,
Die alle Männer
Zu Eigen wünschen,
In aller Menschen
Mundart zu reden,
Und gute Heilkunst;
Sei glücklich, Fürst"



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***
18 Sigurd:
"Beendet ists,
Einsicht erlangt,
Gerüstet bin ich
Zum Ritt von dort;
Weiter schaue!
Wissen laß mich,
Wie dann mein Leben
Verlaufen wird!"


***
19 Gripir:
"Hin zu Heimirs
Hofe reitst du
Und weilst als Gast
Gern beim König;
Zu Ende ist
All mein Wissen,
Begehr nicht weiter
Gripir zu fragen!"


***
20 Sigurd:
"Lust weckt mir nicht
Dein letztes Wort,
Da du vorwärts, Fürst
Noch ferner siehst:
Schlimmes Unheil
Schaust du für mich,
Weil du, Oheim,
Dies eine hehlst."


***
21 Gripir:
"Von Anfang an
vor Augen lag mir
Licht dein Leben;
Verlang nicht mehr!
Nicht bin ich mit Recht
Ratklug genannt
Und Weissager:
Mein Wissen ist aus."


***
22 Sigurd
"Keinen König
Kenn ich auf Erden,
Der Künftiges weiter
Erkennt als du;
Verbirg mir nichts,
Obs böse sei,
Ob schlimmer Tat
Auch schuld ich bin!"


***
23 Gripir
"Kein Tadel wird
Dich treffen auf Erden,
Das kann ich, König,
Verkünden dir;
So lange Menschen
Leben, wird hoch,
Nährer des Schwertsturms,
Dein Name stehn."


***
24 Sigurd:
"Schlecht gefällt mirs,
Scheiden will nun
Sigurd vom König,
Da so es steht;
Zeige den Weg —
Die Zukunft steht fest —
Mir, wenn du magst;
Mutterbruder!"



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***
25 Gripir:
"So will ich, Sigurd,
Sagen genau,
Da der Recke mich
Zu reden zwingt —
Wohl nun wisse,
Daß wahr ich spreche! —
Ein Tag ist dir
Zum Tod gesetzt."


***
26 Sigurd:
"Nicht reizen will ich
Den reichen König,
Nur guten Rat
Von Gripir haben;
Wissen will ich,
Mags erwünscht nicht sein
Was klar du siehst
Als Sigurds Geschick."


***
27 Gripir:
"Bei Heimir weilt
Eine herrliche Maid,
Brynhild heißen
Die Helden sie,
Budlis Tochter
Der treffliche Fürst,
Heimir, erzieht
Die Heldenmaid."


***
28 Sigurd;
"Was gehts mich an,
Daß die edle Maid,
Herrlich zu schauen,
Bei Heimir erwächst:
Ganz begehr ichs,
Gripir, zu wissen:
Erkennen kannst du
Das künftige all."


***
29 Gripir:
"Der Freude beraubt
Den Recken sie,
Die Maid bei Heimir,
Herrlich zu schaun:
Nicht kannst du ruhn
Noch Recht sprechen,
Meidest Menschen,
Ist die Maid dir fern."


***
30 Sigurd:
Was besänftigt
Sigurds Kummer?
Sag mirs, Gripir,
Wenn dus sehen kannst!
Werd ich die Maid
Um Mahlschatz kaufen,
Sie, die herrliche
Herrschertochter."


***
31 Gripir
"Ihr werdet alle
Eide leisten,
Feste Schwüre,
Doch schlecht sie halten:
Du bist Gjukis
Gast eine Nacht;
Vergißt der klugen
Königstochter."



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***
32 Sigurd:
"Was heißt das, Gripir:
Gib mir Antwort!
Siehst du untreu
Des Edlings Sinn:
Werd ich der Maid
Mein Wort brechen,
Die ich begehrte
Aus ganzem Herzen?"


***
33 Gripir:
"Fremdem Truge,
Fürst, erliegst du,
Entgelten mußt du
Grimhilds Ränke:
Sie bietet dir
Die blonde Maid,
Ihre Tochter,
Betrügt den Fürsten."


***
34 Sigurd:
"Gunnars Verwandter
Werd ich heißen,
Gudrun werd ich
Zur Gattin nehmen;
Glücklich hieß ich
Des Helden Ehe,
Trübte ihm nicht
Der Treubruch den Sinn."


***
35 Gripir
"Grimhild wird dich
Ganz betrügen:
Sie bittet dich,
Um Brynhild zu werben
Zugunsten Gunnars,
Des Gotenfürsten;
Du gelobst die Fahrt
Der Fürstenmutter."


***
36 Sigurd:
"Unglück naht mir.
Ich abn es wohl;
Alle Besinnung
Sigurd verliert,
Ziehe ich aus,
Die edle Maid
Für Gunnar zu Seien,
Die ganz ich liebte."


***
37 Gripir :
"Ihr werdet alle
Eide leisten,
Gunnar und Högni,
Du, Held, als dritter;
Ihr wechselt dann
Auf dem Weg die Gestalt,
Gunnar und du —
Gripir lügt nicht."


***
38 Sigurd:
"Wie geht das zu?
Sag, Gripir, warum
Wechseln wir zwei
Auf dem Weg die Gestalt?
Falschheit wird da
Folgen noch mehr,
Gefährlicher Art;
Fahr fort, Gripir!"


***
39 Gripir:
"Du stehst in Gunnars
Gestalt und Gebärde,
Hast deine Stimme
Und deinen Verstand;
Du verlobst dir
Die lichte Maid,
Die kühngesinme,
Kennst keine Vorsicht."



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***
40 Sigurd :
"Das scheint mir schlimm:
Schlecht wird heißen
Sigurd im Volk
Ob solcher Tat:
Nicht freut es mich,
Der Fürstenmaid
Trug zu wirken,
Die die trefflichste ist."


***
41 Gripir:
"Zugleich wird beider
Brautmahl getrunken,
Sigurds und Gunnars,
In Gjukis Saal;
Die Gestalt wechselt
Ihr wieder daheim,
Jeder jedoch
Die Gedanken behält."


***
42 Sigurd:
"Gewinnt Gunnar
Ein gutes Weib,
Der edle König?
Künd es, Gripir!
Doch schlief die hehre,
Des Herrschers Braut,
Drei Nächte bei mir;
Das nimmt mich Wunder."


***
43 Gripir:
"Du ruhst bei ihr;
Edler Schlachtheld,
Als ob die Maid
Deine Mutter sei;
So lange Menschen
Leben, wird stehn,
Herrscher des Volks,
Hoch dein Name."


***
44 Sigurd:
"Wird die Magschal
Uns Männern später
Segen bringen?
Sag mirs, Gripir!
Wird sich Gunnar
Glück erringen
Durch solche Tat
Und ich selber mir?"


***
45 Gripir:
"Du denkst des Schwurs,
Schweigen wirst du,
Du lebst mit Gudrun
In guter Ehe;
Doch Brynhild meint
Sich bös vermählt,
Das Weib sinnt Ränke
Zur Rache sich."


***
46 Sigurd:
"Was wird Brynhild
Als Buße nehmen,
Daß voll Falschheit
Die Frau wir trogen?
Die Edle hat
Eide von mir,
Lauter gebrochne;
Entbehrt der Freude."


***
47 Gripir:
"Sie wird zu Gunnar
Gehn und sagen,
Du habest nicht wohl
Bewährt den Eid,
Wo Gjukis Erbe;
Der edle König,
Festen Sinnes
Auf Sigurd baute."



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***
48 Sigurd:
"Was heißt das, Gripir?
Gib mir Antwort!
Wird solche Rede
Mit Recht mich treffen?
Verleumdet mich
Die erlauchte Frau
Und sich nicht minder?
Sag mirs, Gripir!"


***
49 Gripir:
"Es wird aus Groll
In Gram und Leid
Dir übles antun
Die edle Frau;
Keine Schande
Schufest du ihr,
Täuschtet ihr auch
Durch Trug die Fürstin."


***
50 Sigurd:
"Wird der weise Gunnar
Guttorm und Högni
Der Aufreizung
Der Edeln folgen?
Werden Gjukis Erben
Eisen röten
An ihrem Gesippen?
Sag mirs, Gripir!"


***
51 Gripir:
"Gram ergreift dann
Gudruns Seele,
Wenn ihre Brüder
Dein Blut vergießen:
Das weise Weib
Wird Wonne nie
Wieder spüren —
Das waltet Grimhild."


***
52 Sigurd:
Scheiden wir froh!
Das Schicksal siegt.
Den Wunsch hast du, Gripir,
Mir wohl erfüllt.
Gern würdest du
Gutes allein
Mir verkünden,
Könntest du das."


***
53 Gripir:
"Das tröste dich,
Tapferer Herrscher:
Dies Schicksal wird
Dir beschieden sein:
Kein edlerer Fürst
Auf die Erde kommt,
Untern Sonnensitz,
Als, Sigurd, du!"


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