Edda
Erster Band Heldendichtung
Übertragen
von Felix Genzmer /Mit Einleitungen
und Anmerkungen von Andreas Heusler
Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1912
14. Das Lied vom Drachenhort
Jung Sigurds größte Heldentat war sein Drachenkampf. Die
nordische Dichtung hat dies in einen reicheren Zusammenhang
gebracht, indem sie den albischen Schmied, den Erzieher des
jungen Helden, als Bruder des Drachen angliederte und dem
von Sigurd erbeuteten Horte eine Vorgeschichte gab. Dieser
Hort, einst von den Göttern als Lösegeld an ein Riesengeschlecht
gezahlt, dann zwischen Vater und Söhnen umstritten,
endlich von dem Ungetüm mißgünstig bebrütet, gibt der
folgenden langen Strophenreihe ihre innere Einheit, wozu
sich eine verwandtschaft im Ausdruck gesellt. Nach Schauplatz,
Zeit und Handlung fällt freilich die Reihe so sehr in
zwei Stücke, daß man fragen kann, ob nicht mit Str. 9 eine
geschlossene, wohlerhaltene Komposition beginnt "die Tötung
Fafnirs und Regins" ; das vorangehende wäre dann wohl
als Lose Strophen zu fassen, die für eine Saga von Sigurd
gedichtet wurden. Ergänzender Prosa bedarf dieser Teil jedenfalls
in höherem Maße als andere erzählende Gedichte der
rein dialogischen Form.
In dieser eigenartigen Kunstform ließ sich der Drachenkampf
selbst nicht wohl vorführen: die Phantasie des Dichters ergeht
sich in einem langen Scheltgespräch, das dem Kampfe
folgt; es stellt in Sigurd den idealen Heldenjüngling oder
eher den heroischen Naturburschen hin und läßt dazu das beherrschende
Motiv von dem verderblichen Schatze kräftig anklingen,
z. T. in lehrhaftem, tentenziösem Tone, wie er auch
in Str. 7f. und stärker wieder in den beiden Schlußszenen,
Str. 2d ff., 35 ff., vernehmlich wird. In dieser Darstellung
wirkt die berühmteste der germanischen Drachensagen nicht als
glorreiches Abenteuer; sie ist durchzogen von einem düstern,
grimmigen Fatalismus, wie auch der Fluch des Sippenmordes
doppelt vertreten ist. Die Verse — es ist das dialogische Metrum
—haben eine ungewöhnliche Wucht, einen fast rasselnden
Gang. Man wird die Dichtung gewiß noch der heidnischen
Zeit zuteilen dürfen.
Die drei Götter, Odin, Hönir und Loki, kamen einst auf der
Wanderung an einen Wasserfall; darin jagte Otr, der Sohn
des Riesen Hreidmar, in einer Fischotter Gestalt. Er hatte einen
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Lachs gegriffen, saß auf der Uferböschung und verzehrte ihn
blinzelnd, denn er konnte es nicht ansehen, wie es weniger
wurde. Loki warf ihn mit einem Stein zu Tode, dann zogen
sie ihm den Balg ab. Am Abend suchten sie Herberge auf bei
dem Riesen Hreidmar und wiesen ihren Fang vor. Da rief
Hreidmar seinen beiden andern Söhnen, Fafnir und Regin:
sie nahmen die drei Götter fest und legten ihnen als Lösegeld
auf den Otterbalg mit rotem Golde zu füllen und zu hüllen.
Da schickte Odin den Loki ins Schwaralbenreich, das Gold
zu beschaffen. Loki kam zu den Stromschnellen, worin der
Zwerg Andwari in Gestalt eines Hechtes hauste; er sing den
Hecht und sprach zu ihm.
***1
| Wer ist der Fisch,
Der durch die Fluten schießt
Und sich vor Schaden nicht schützt:
Aus Hels Haft
Dein Haupt nun löse;
Gib mir Feuer der Flut! |
***2 Andwari
| Andwari heiß ich,
Oïn hieß mein Vater
viel Schnellen durchschwamm ich schon:
Arge Norne
In der Urzeit mir schuf,
Daß im Wasser ich weilen muß. |
Andwari mußte dem Loki all sein Gold aus der Felshöhle
herausgeben, auch den zauberischen Ring Andwaranaut
aber er sprach einen Fluch aus, daß dieses Gold jedem, der es
besitze, den Tod bringen solle.
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Loki kam zu Hreidmar; sie füllten den Otterbalg mit dem
Golde und stellten ihn auf die Füße; dann hüllten sie ihn mit
Gold, aber Hreidmar sah noch ein Schnauzhaar hervorstehn:
das mußte Odin mit dem Ringe Andwaranaut zudecken. Da
sprach Loki zu Hreidmar:
***3
| Das Gold ist gezahlt,
Großes Lösegeld
Erhieltst du für mein Haupt.
Kein Segen
Deinen Söhnen erwächst:
Es bringt euch allen Unheil! |
***4 Hreidmar:
| Gaben gabst du,
Nicht Gaben der Freundschaft,
Nicht gabst du ohne Arg!
Euer Leben
Hättet ihr lassen müssen,
Wußt ich früher den Fluch. |
***5 Loki
| Verderblicher wird —
Ich denk es zu wissen —
Verwandtenhaß um ein Weib;
Ungeboren
Noch acht ich die Fürsten,
Denen zum Streit sie bestimmt. |
***6 Hreidmar:
| Den roten Hort
Zu behalten denk ich,
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So lange mein Leben währt.
Deine Drohung
Dünkt mich ein Nichts.
von hinnen hebt euch heim! |
Die Götter zogen davon. Fafnir und Regin aber forderten von
ihrem Vater ihren Anteil an dem Wergeld für Otr, ihren Bruder;
er verweigerte es ihnen. Da erstach Fafnir mit dem Schwerte
seinen Vater Hreidmar im Schlafe. Hreidmar rief seinen Töchtern:
***7
| Lyngheid und Lofnheid,
Mein Leben ist aus!
viel heischt die Freveltat.
Lyngheid:
Am Bruder wird schwerlich
Sich die Schwester rächen,
Wenn auch ihr Vater fiel. |
Als Hreidmar tot war, nahm Fafnir alles Gold an sich. Regin
wollte seinen Teil vom Vatererbe haben, aber Fafnir verweigerte
es ihm. Da suchte Regin Rat bei seiner Schwester Lyngheid.
Sie sagte:
***8
| Bitten mußt du
Den Bruder freundlich
Um Erbteil und Edelmut:
Nicht scheint mirs rätlich,
Daß mit dem Schwerte du
Den Hort von ihm heischst. |
Fafnir zog nun auf die Gnitaheide und wandelte sich in die Gestalt
eines Drachen und legte sich auf den Goldhort.
Viele Jahre später kam der Knabe Sigurd zu Regin und
wuchs bei ihm auf, er wurde der stärkste und beherzteste allen
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Menschen. Regin war ein kunstreicher Schmied und fertigte
ihm ein Schwert, das hieß Gram; es war so scharf, daß, als
er es in den Rhein hielt und eine Wollflocke dagegen treiben
ließ, die Schneide die Flocke zerteilte. Darauf reizte Regin den
Sigurd, wenn er kein Feigling sei, den Drachen Fafnir zu erschlagen
und den Hort zu gewinnen. Er zog mit ihm auf die
Gnitaheide; dort grub Sigurd eine Grube unter der Fährte
des Drachen und setzte sich hinein. Aber als Fafnir zur Tränke
kroch und über die Grube kam, stieß ihm Sigurd das Schwert
ins Herz. Fafnir schüttelte sich und schlug mit Kopf und
Schwanz um sich. Sigurd sprang aus der Grube hervor, da
sah einer den andern.
***9 Fafnir
| Gesell, Gesell!
Wem bist, Gesell, du entstammt,
Welcher Sippe Sohn :
Der in Fafnir du färbtest
Dein funkelndes Schwert,
Das zum Heft mir im Herzen steht. |
***10 Sigurd:
| Wundertier heiß ich;
Gewandert bin ich,
Ein mutterloser Mann.
Keinen Vater hab ich,
Wie das Volk der Menschen,
Ging immer einsam. |
***11 Fafnir:
| Hast du keinen Vater,
Wie das Volk der Menschen,
wird. Die jüngere nordische Dichtung hat dies anders gewandt,
sieh Nr. 10. Ob unser Dichter noch jene ältere Sagenform festhielt, ist ungewiss,
sieh zu Str. 10. . Prosa 3.2 f. Der Zug wird aus der frühen deutschen
Sage stammen, denn ein nordländer hätte hier kaum den namen des
Rheines eingesetzt. 10 Diese Strophe seht deutlich du eben erwähnte ursprüngliche
Sagenform voraus: Sigurd kennt weder Vater noch Mutter.
Dem widerspricht Str. 12. Entweder hat hier ein jüngerer Dichter eingegriffen
oder das Lied folgte von Anfang an dieser späteren Auffassung und
hat in Str. 10 ein älteres, widerstrebendes Überlebsel bewahrt.
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Welcher Zauber erzeugte dich:
(Lügner beiß ich dich,
Wenn in meiner letzten Stunde
Du deinen Namen nennst.) |
***12 Sigurd:
| Allbekannt wird
Meine Abkunft dir sein,
Und nicht anders auch ich:
Sigurd heiß ich,
Sigmund hieß mein Vater
Deß Waffe dich überwand. |
***13 Fafnir:
| Wer riet dir die Tat:
Was reizte dich,
Zu trachten nach meinem Tod :
Helläugiger Gesell,
Ein Held war dein Vater,
Früh gewannst du Wagemut |
***14 Sigurd
| Mich reizte mein Mut,
Meine Rechte mir half
Und mein scharfes Schwert.
Keiner noch
Ward kühn als Greis,
Der vordem feige war. |
***15 Fafnir
| Wärst du erwachsen
An der verwandten Brust,
Säh man im Kampf dich wohl kühn;
Doch ein Knecht bist du
Und kriegsgefangen,
Stets in Angst find Unsere, |
***16 Sigurd:
| Du schmähst mich, Fafnir,
Weil fern ich weile
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Meinem Vatererbe
Kein Knecht bin ich,
Ob auch kriegsgefangen,
Daß ich frei bin, fühltest du |
***17 Fafnir:
| Feindlichen Sinn
Findst du in allem,
Doch Wahrheit nur weis ich dir!
Das gleißende Gold
Und der glutröte Schatz —
Es bringt der Hort dich zur Hel. |
***18 Sigurd:
| Bis zum einen Tage
Können alle Männer
Raten ihres Reichtums;
Denn einmal
Müssen aue Menschen
Zur Hel von hinnen fahren. |
***19 Fafnir
| Mein Schreckenshelm
Scheuchte die Menschen,
Da den Hort ich hütete;
Der allerstärkste
Glaubt ich einzig zu sein,
Nicht fand ich Männer gleich mir. |
***20 Sigurd.
| Der Schreckenshelm
Schützt wohl keinen,
Treffen tapfre sich;
Dann findet sichs,
Wenn man vielen begegnet,
Daß keiner der kühnste ist.
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***21 Fafnir
| Gift schnob ich,
Als auf dem Gold ich lag,
Dem funkelnden vatererbe;
(Niemand noch
Mir zu nahen wagte,
Kein Schwert mich schrecken konnte). |
***22 Sigurd.
| Gleißender Wurm,
Du hast Grausen geweckt
Und Heldenmut gehegt;
Desto mehr Grimm
Den Männern erwächst,
Die gewinnen diese Wehr. |
***23 Fafner:
| Ich rate dir, Sigurd,
Den Rat nimm an
Und reit heim von hinnen:
Das gleißende Gold
Und der glutröte Schatz —
Es bringt der Hort dich zur Hel. |
***24 Sigurd:
| Du rietst den Rat,
Doch ich reite dorthin,
Wo der Hort auf der Heide liegt;
Du aber lieg
Im lesten Kampfe,
Bis Hel du gehörst! |
***25 Fafnir:
| Regin verriet mich;
verrät auch dich:
Er will unser beider Blut.
Lassen muß
Sein Leben nun Fafnir;
Ein stärkrer in dir erstand.
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Regin war vor dem Kampfe abseits gegangen; er kam jetzt zurück
und sagte:
***26
| Heil dir, Sigurd!
Du hast Sieg erstritten
Und Fafnir gefällt.
Von allen Männern,
Die auf Erden schreiten,
Bist der kühnste Kämpe du. |
***27 Sigurd:
| Ungewiß ist,
Kommen alle zusammen,
Wer der kühnste Kämpe ist:
Kühn ist mancher,
Der die Klinge noch nie
Gerötet in Reckenbrust. |
***28 Regin:
| Heitern Herzens
Und der Heldentat froh,
Wischst du Gram im Gras.
Meinen Bruder
Hast du blutig gefällt;
Doch hab ich teil an der Tat. |
***29 Sigurd:
| Ferne schlichst du,
Als in Fafnir ich rötete
Mein scharfes Schwert;
Wider seine Macht
Setzt ich meine Kraft,
Als du im Kraut dich verkrochst. |
***30 Regin.
| Liegen ließest
Du lange auf der Heide
Den bejahrten Jöten,
Wenn der Schmied dir nicht half:
Ich schweißte selber
Dir dein scharfes Schwert.
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***31 Sigurd:
| Mut ist mehr wert
Als die Macht des Schwertes,
Treffen tapfre sich:
Kühnen Mann
Sah den Kampf ich gewinnen
Mit stumpfer Stahlklinge. |
***32 Regin
| (Gibst du mir nichts
von dem Gold auf der Heide
Für dein scharfes Schwert,
So fordr ich Wergeld
Für den Fall des Bruders:
Aus der Beute zahl Buße mir!) |
***33 Sigurd
| Du rietest mir,
Daß ich reiten sollte,
Übers Hochgebirg her,
Gut und Blut
Hätte der gleißende Wurm,
Warfst du mir Feigheit nicht vor. |
Da schnitt Regin dem Fafnir das Herz aus und trank dann das
Blut aus der Wunde.
***34 Regin:
| Sitz nun, Sigurd —
Ich such mir ein Lager —
Das Herz Fafnirs ans Feuer halt!
Der Muskel mir
Munden soll
Nach dem Trunk vom Totenblut. |
Regin ging weg, aber Sigurd nahm Safnirs Herz und briet
es an einem Zweige. Der Saft schäumte aus dem Herzen, und
Sigurd faßte mit dem Finger an, um zu versuchen, ob es gar
sei. Er verbrannte sich den Finger und steckte ihn in den
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Mund: als aber das Blut von Safnirs Herzen auf seine Zunge
kam, da verstand er die Vogelsprache. Er hörte im Gebüsch
Meisen zwitschern. Die erste sagte:
***35
| Da sitzt Sigurd,
Besudelt mit Blut;
Er brät am Feuer
Des Fafnir Herz;
Ratklug wäre
Der Ringbrecher,
Ass er den lichten
Lebensmuskel. |
***36 Die zweite.
| Da liegt Regin,
Berät mit sich;
Den, der ihm traut,
Betrügen will er;
Finster sinnt er
Falschen Anschlag:
Den Bruder rächen
Will der Ränkeschmied |
***37 Die dritte:
| Einen Kopf kürzer
Lasse erden kundigen Alten
Zur Hel von hinnen fahren!
Alles Gold
Ist sein Eigen dann,
So viel unter Fafnir lag. |
***38 Die vierte.
| Weise wär er,
Wollt er nützen,
Den ihr Schwestern gebt,
Den guten Rat:
Den Raben letzter,
Rasch entschlossen;
Dort liegt der Wolf,
Wo die Lauscher man sieht |
***39 Die fünfte:
| Nicht ist so klug
Der Kampfesbaum,
Wie den Heerleiter
Bisher ich wähnte,
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Läßt einen Bruder
Er unversehrt,
Wo er den andern
Eben erschlug. |
***40 Die sechste:
| Unklug ist er,
Wenn er immer noch schont
Den gefährlichen Feind —
Da dort Regin liegt,
Der ihn verraten hat —
Wenn er vor dem Schuft sich nicht schützt! |
***41 Die siebente:
| Einen Kopf kürzer
Lasse er den kalten Riesen
Der Ringe beraubt sein!
Dann wird er des Hartes,
Den der Wurm gehütet,
Einziger Erbe sein. |
Als Sigurd diese Stimmen vernahm, da sagte er zu sich selbst:
***42
| Kein Geschick ist so stark,
Daß so schnell das Leben
Mir Regin rauben sollte:
Beide Brüder
Gar bald nun sollen
Zur Hel von hinnen fahren! |
Er schlug Regin den Kopf ab. Dann ass er Fafnirs Herz auf
und trank der beiden Brüder Blut. Er ritt zu der Höhle des
Drachen und belud sein Roß mit dem gewaltigen Goldhorte.
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