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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


32. Der dankbare Löwe


(Auszug)

Zwei Brüder sind verheiratet. Der eine hat einen kleinen Knaben; der andere hat keine Kinder. Der kinderlose Onkel hat aber seinen kleinen Neffen außerordentlich lieb, und da er dem Bruder direkt benachbart wohnt, bittet er den Bruder oft: "Laß doch heute deinen Jungen zu mir kommen, damit ich mich an seinem Spiele erfreue." Der Bruder sendet denn auch seinen Buben oft hinüber.

Eines Tages geht der Bube wieder vom Elternhause weg und zu dem Onkel hinüber. Unterwegs wird er aber von einem Löwen und einer Löwin angefallen, die von Hunger und Kälte geplagt in das Dorf gekommen sind. Die Löwen packen das Kind, töten es und schleppen es heim in ihren Bau, um es mit ihren Jungen zusammen zu verschlingen. Nur wenige Überreste von dem Kinde bleiben übrig.

Inzwischen wundern sich Vater und Onkel über das Fernbleiben des Buben. Sie suchen sich gegenseitig auf, erkennen, daß hier etwas vorgekommen sein müsse und machen sich auf die Suche. Sie finden die Blutspur, die die Löwen hinterlassen haben, folgen ihr und kommen mit den Waffen an die Behausung der Löwen. Sie finden die zwei Jungen der Löwen. Sie steigen auf einen Baum und töten von dort durch Schüsse die anspringenden alten Löwen. Im Bau finden sie die Reste des Kindes. Die Reste des Kindes und die jungen Löwen nehmen sie mit sich.

Die beiden Brüder beschließen, nicht nach Hause zurückzukehren, sondern mit den Resten des Kindes und den jungen Löwen eine Reise zu unternehmen. Einmal soll die Mutter des Kindes nicht gleich das ganze Elend hören, und dann wollen sie Ablenkung vorn eigenen Unglück und eigener Trauer suchen.

Die beiden Brüder nehmen also die Überreste des Kindes auf, hüllen sie ein und gehen mit diesem Paketchen und den beiden jungen Löwen, die sie unterwegs gut füttern, auf Reisen. Sie treffen erst auf ein Dorf, dessen Bewohner von einem Wuarssen getötet und zerstreut sind. Sie töten den Wuarssen und ziehen dann weiter.

Danach kommen die beiden Brüder (immer mit dem Leichenrestpaket und den beiden jungen Löwen) in einen Wald und an eine Wasserstelle. Über der Wasserstelle hat eine mächtige Schlange einen großen Löwen, mit ihrem Leib ihn fest umklammernd, in den Zweigen aufgehängt. Der Löwe ist nahe daran, in der Umklammerung zu sterben. Die beiden Brüder töten die Schlange und befreien so den



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Löwen. Der Löwe ist ganz schwach und halb verhungert. Die Brüder ernähren und pflegen ihn, bis er wieder hergestellt ist. Dann ziehen die Brüder weiter. Der Löwe folgt ihnen. Die Brüder fragen ihn, weshalb er nachkomme. Der Löwe schüttelt nur den Kopf und weint.

Als die Brüder nun am nächsten Lager ankommen, haben sie nur noch gerade für sich selbst und die zwei jungen Löwen, aber für den großen Löwen nichts zu essen. Sie sagen das dem Löwen. Der große Löwe läuft weg und kommt nach einiger Zeit wieder, mit dem Kopf einen Widder vor sich herstoßend. So haben sie reichlich zu essen. Sie ziehen weiter und lagern abermals. Der Löwe fragt die Brüder: "Habt ihr zu essen ?" Da dies nicht der Fall ist, läuft der Löwe wieder fort und bringt nun ein Kalb. Die Brüder schlachten und leben nun wohl. Sie ziehen weiter.

Sie lagern an einer anderen Stelle im wilden Wald, und nun kommen alle wilden Tiere und wollen die beiden Brüder überfallen und töten. Die beiden jungen Löwen springen aber gegen die wilden Tiere an und halten eine längere Rede, in deren Verlauf sie schildern, wie ihre Eltern das Kind der Brüder getötet haben, wie die Brüder sich aber der jungen Löwen angenommen haben, ohne Rache zu nehmen. Auch der vom Untergang durch die Schlange befreite große Löwe hält eine Lobrede auf die beiden Brüder. Auf solche Zeugenschaft hin werden die großen wilden Tiere gerührt und bringen ihrerseits auch Essen.

Die beiden Brüder hausen nun wohigespeist und versorgt im Walde und kommen nach einer langen Wanderschaft endlich auf den Gedanken, heimzuwandern. Sie erreichen das Dorf. Als sie nahe dem heimatlichen Dorfe sind, bleibt der große Löwe stehen. Er weint und trottet dann weinend in den Wald zurück. Er hat die Brüder wohlbehalten in das Dorf gebracht und damit seinen Vorsatz erfüllt. Die Brüder gehen ihrerseits gerührt und getröstet in das Dorf zurück.

So weit habe ich alles noch genau in Erfahrung bringen können. Es gibt aber noch einen Schluß, den meine Leute nicht gut kannten. Diesem Schluß zufolge hat der Löwe in seiner Dankbarkeit auch zuletzt die Reste des getöteten Kindes wieder zum Leben gebracht


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