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Kapitel 

Edda Erster Band Heldendichtung


Übertragen von Felix Genzmer /Mit Einleitungen und Anmerkungen von Andreas Heusler

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1912


11. Gudruns Sterbelied

Ein lehrreiches Beispiel, wie die jüngere Dichtung mit der älteren schalten durfte ! Unser Elegiker hat aus dem Alten Hamdirliede, o. Nr. 5, die ganze Eingangsszene mit leichten Änderungen herübergenommen. So weckt er die Stimmung und gewinnt den großen Augenblick, wo Gudrun, von ihren letzten, todgeweihten Kindern verlassen, einsam auf der Szene zurückbleibt. Hier setzt seine eigene Dichtung ein, der Rückblick der lebensmüden Heldin. Es ist ein wirkliches Selbstgespräch, sehr unepisch; die Tatsachen steigen in der Erinnerung auf, ganz in Gefühl, in Klage getaucht. Dazu ein leiser Ton von Selbstrechtfertigung: das Schicksal wollte es so mit mir!

Der Dichter gebietet über eine heiße, leidenschaftliche Lyrik, und einen Abschluß hat er gefunden, der ihm den höchsten Rang unter den eddischen Elegiendichtern verschafft: Gudrun ruft den ersten Gatten, den einzig geliebten, aus dem Totenreich herauf; an seiner Seite will diesmal sie, wie einst die Fremde, Brynhild, in den Flammen aufgehn! — Die beiden ausklingenden Strophen bringen den Weltschmerz dieses jüngeren Zeitalters zu überraschend unmittelbarem Ausdruck



***
1
Den Wortstreit weiß ich
Den wehvollsten,
Böse Reden
Aus bitterm Leid,
Als hartgemut
Zur Heerfahrt reizte
Mit grimmen Worten
Gudrun die Söhne,


***
2 Gudrun:
"Was sitzt ihr träge,
Verträumt die Zeit,
Wie freut euch noch
Frohes Gespräch?
Zertreten ließ
Die traute Schwester,
Jung an Jahren,
Euch Jörmunrek.


***
3
Gunnars Geschlecht
Gleicht ihr wenig;
Nicht seid ihr beherzt,
Wie Högni war:
Nicht ruhtet ihr,
Bis gerächt sie wäre
Wenn meiner Brüder
Mut ihr hättet.


***
4
Dies sagte Hamdir,
Der hochgemute:



Thule-Bd.01-101 Edda Heldendichtung Flip arpa

"Nicht rühmtest so hoch du Högnis Taten, Als die Gesippen Sigurd weckten; Deine Bettlinnen, Die bläulichweißen, Färbte Reckenblut, Rötete Wundentau.


***
5
Dir brachte Böses
Die Bruderrache:
Zu schlimmem Schmerz
Erschlugst du die Söhne;
Wir könnten alle
vereint rächen
Die junge Schwester
An Jörmunrek.


***
6
Das Heergewand holt
Der Hunnenfürsten!
Gereizt hast du uns
Zum Rachewerk."


***
7
Lachend ging
Gudrun zur Kammer,
Nahm aus den Kisten
Die Königshelme,
Lange Brünnen,
Brachte sie ihnen -
Auf Rosses Rücken
Die Recken stiegen.


***
8
Dies sagte Hamdir,
Der hochgemute:
"So kehrt später
Der Speergott, gefällt
Im Gotenvolk,
Zu Gudrun heim,
Daß unser aller
Erbmahl du trinkst,
Deiner Söhne
Und Sigurds Tochter."


***
9
Es ging Gudrun,
Gjukis Tochter,
Traurig weinend,
Am Tor zu sitzen,
Und zu erzählen,
Zährenbenetzt, Trübe Mär
von mancherlei Harm.


***
10 Gudrun:
"Drei Heime sah ich,
Drei Herde sah ich;
Drei Herrschern ward ich
Ins Haus geführt.
Sigurd war mir
Wert vor allen,
Deß Blut vergossen
Die Brüder mein.


***
11
Schlimmeren Schmerz
Schaut ich nimmer,
(Nicht konnten die Brüder
Mir böser tun;)
Dennoch schien mir
Schwerer mein Los,
Als die Edeln mich
Atli gaben.



Thule-Bd.01-102 Edda Heldendichtung Flip arpa



***
12
(Im Hofe spielten
Des Herrschers Söhne;)
Die raschen Knaben
Rief ich heimlich:
So lange blieb mir
Buße versagt,
Bis ich Atlis Erben
Abhieb das Haupt.


***
13
Ich ging zum Strand,
Gram den Nornen,
Fliehen wollt ich
Ihren Fehdehaß;
Nicht sank ich, mich hoben
Hohe Wogen;
Ich stieg ans Land:
Leben mußt ich.


***
14
Ins Bett kam ich —
Bessres wünscht ich —
Zum drittenmal
Mächtigem König,
Zog Kinder auf;
Erbesbüter,
Jonakers Söhne
Und die junge Schwanhild.


***
15
Um Schwanhild saß
Schar der Mägde:
Sie liebt ich zumeist
von meinen Kindern
Allen schien sie
In unsrer Halle,
Als sei sie ein lichter
Sonnenstrahl.


***
16
Ich schenkt ihr Gold,
Schmucke Kleider,
Eh ich sie gab
Ins Gotenvolk;
Aller Schmerzen
Schärfster war der
Um meiner Schwanhild
Schimmerndes Haar,
In den Straßenstaub
von Hufen gestampft.


***
17
Der brennendste doch,
Als im Bett sie mir
Sigurd erschlugen,
Des Sieges beraubt;
Der bitterste doch,
Als dem Bruder mein
Lichte Schlangen
Ans Leben krochen.


***
18
Der herbste doch,
Als zum Herzen sie
Dem lebenden König,
Dem kühnen, schnitten. —
Bittres schaut ich;
(Böses schaut ich:
Enden will ich
Nun all mein Leid.)


***
19
Schirre, Sigurd,
Das schwarze Roß,



Thule-Bd.01-103 Edda Heldendichtung Flip arpa

Den hurtigen Hengst, Lenk ihn her zu mir! Nicht sitzt bei mir Sohn noch Tochter, Die Gudrun Goldschmuck Geben könnten.


***
20
Entsinn dich, Sigurd,
Was du sagtest,
Als auf dem Bett
Wir beide saßen!
Du wolltest, kühner,
Kommen zu mir,
von Hel zur Erde,
Und ich zu dir.


***
21
Schichtet, Edle,
Eichenscheite!
Unterm Herrscher laßt sie
Hoch sich türmen ':
Die leidvolle Brust
Brenne Feuer
Es schmelze im Herzen
Schwere Sorge"


***
22
Am Tor tönte
Trauerklage
Zur freudlosen Zeit
Der Zwergennot;
Des Morgens früh
Mehrt die Sorgen
Aller Kummer
Um Erdenleid.


***
23
Auen Männern
Mindre den Harm,
Allen Weibern
Wende das Leid
Das Klagelied,
Das erklungen ist,
(Wie Gjukis Tochter
Den Gram geendet.)


Copyright: arpa, 2015.

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