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Kapitel 

Edda Erster Band Heldendichtung


Übertragen von Felix Genzmer /Mit Einleitungen und Anmerkungen von Andreas Heusler

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1912


10. Gudruns Lebenslauf

von den fünf Frauenelegien führt nur diese den Rückblick ohne Nebenfiguren und einleitende Szenen durch. Aber die Phantasie des Dichters kam der Monologform nicht entgegen: erläßt die Leute so reden, wie es nur bei direkter Vergegenwärtigung möglich wäre; den Ton der halblyrischen Selbstschau, den die Anfangsstrophen gut treffen, hält er nicht fest. Es ist eine stoffreiche Biographie, nicht ohne ergreifende Bilder (Str. 5, 10 ff.) und eine melancholische Stimmungsgewalt, aber auch mit modernen Künsteleien und ohne ein beherrschendes Motiv.

Die neue Erfindung liegt wesentlich in dem großen Mittelstück; Str. 14-34. Diese Umstimmung der verdüsterten Witwe, die Brücke schlagend von der Brynhild- zu der Atlisage, war früher kein Gegenstand der Dichtung, und es scheint fast, als habe das deutsche Epos, die Vorstufe des Nibelungenliedes, herübergewirkt. Doch ist unser Isländer der nordischen Sagenform treu geblieben und sieht in Gudrun die Rächerin der Brüder, nicht des Gatten.

Da der Schluß fehlt, bleibt unklar, in welchem Zeitpunkte ihres Lebens Gudrun diesen Rückblick anstellt. Doch wird der Untergang der Brüder von Str. 36 ff. wohl schon vorausgesetzt, nicht erst prophetisch erschaut.



***
1
War schön als Maid,
Die Mutter erzog mich,
Die lichte, daheim,
War hold den Brüdern
Bis Gjuki mich
Mit Gold beschenkte,
Mit Gold beschenkte
Und Sigurd gab.


***
2
So stand Sigurd
vor den Söhnen Gjukis,
Wie grüner Lauch,
Der im Grase wächst,
Wie der hohe Hirsch
Vor hurtigem Wild,
Wie glutrotes Gold
Vor grauem Silber.


***
3
Doch Gunnar und Högni
Gönnten mir nicht,
Daß mein Gemahl
Der mächtigste war;



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Nicht konnten sie ruhn Noch Recht sprechen, Bis sie dem lichten Das Leben geraubt.


***
4
Heim lief der Hengst,
Der Hufschlag scholl,
Sigurd aber
Selber kam nicht:
Von Schweiß bedeckt,
Dampften die Rosse
Unter den Mördern,
Die mühgewohnten.


***
5
Weinend ging ich
Mit Grani reden,
Feucht von Tränen
Fragte ich ihn;
Da neigte Grani
Ins Gras sein Haupt:
Der Hengst wußte,
Sein Herr war tot.


***
6
Lange zagt ich,
Lange zaudert ich,
Eh ich den Fürsten
Fragte nach ihm:
Der neigte das Haupt;
Högni allein
Sagte Sigurds
Sehrenden Tod.


***
7 Högni;
"Jenseits des Flusses
Gefällt liegt da,
Wölfen zum Mahl,
Der Mörder Guttorms.
Suche Sigurd
Im Südlande:
Da kannst du Raben
Rufen hören,
Aare schreien,
Der Atzung froh,
Wölfe heulen
Um deinen. Herrn."


***
8 Gudrun:
"Wie kannst du, Högni,
Mir solchen Harm
Zu sagen wagen,
Der wonnelosen?
Hacken sollen
Sein Herz die Raben,
Schlimmer Frevler,
Im fernen Land!"


***
9
Eins nur Högni
Zur Antwort gab,
Trüben Sinnes,
Tiefbekümmert:
"Dann wird größer,
Gudrun, dein Leid,
Zerhacken mir
Mein Herz die Raben."



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***
10
Einsam zog ich
vom Zwiegespräch
Zum Wald, zu suchen
Der Wölfe Beute;
Ich schluchzte nicht,
Schlug nicht die Hände,
Ich weinte nicht,
Wie Weiber sonst.


***
11
Schwarz und lichtlos
Schien mir die Nacht
Als wund ich saß
Bei Sigurds Leiche:
(Raben riefen
Rings um mich her;
Wölfe heulten
Im Waldesdunkel.


***
12
So saß ich dort,
Bis die Sonne kam;)
Eines schien mir
Das allerbeste,
Ließe ich selbst
Das Leben fahren,
Ließ ich mich brennen
Wie Birkenholz.


***
13
Talwärts sog ich
Fünf Tage lang,
Bis zu Halfs hoher
Halle ich kam;
Ich saß mit Thora,
Der Tochter Hakons,
Dort drei Jahre
In Dänemark.


***
14
Sie stickte in Gold,
Meinen Gram zu lindern,
Südlandsäle,
Segler der Dänen;
Wir wirkten ins Tuch
Taten der Krieger,
Ins kunstreiche Werk
Des Königs Helden.


***
15
Wir flochten hinein,
Wie Fürsten kämpften,
Sigar und Siggeir,
Südlich auf Fünen,
Das Schiff Sigmunds
In See stechend
Mit schmuckem Goldbug,
Geschnitztem Steven.


***
16
Da hörte Grimhild,
Die Gotenfürstin,
Wohin ich geeilt,
Harmvollen Sinns.
Heftig stieß sie
Das Sticktuch fort,
Holte die Söhne,
Heischte Antwort,
=b Ob mir für Sigurds
Und des Sohnes Tod
Die Brüder Buße
Bieten wollten.



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***
17
Gold zu geben,
War Gunnar bereit
Und Högni auch,
Den Harm zu sühnen.
Sie fragte weiter,
Wer fahren wolle,
Wagen rüsten,
Rosse satteln.


***
18
Herein kamen
Königen gleich,
Des Langbarts Recken
In roten Pelzen,
Kappenhelmen,
Kur en Brünnen,
Schwertumgürtet,
Schwarzbraunen Haars.


***
19
Alle kamen
Mit Kleinoden,
Mit Kleinoden
Und klugem Trostwort:
Für alles Weh
Wollten sie mir
Buße bieten;
Ich blieb aber fest.


***
20
Da trug mir Grimhild
Den Trank herbei,
Kühl und herbe,
Den Harm zu löschen;
Vereint war in ibm
Der Erde Kraft,
Eiskalte See
Und Eberblut.


***
21
Allerhand Stäbe
Standen im Horn,
Rote, geritzt,
Nicht riet ich sie:
Der Heidefisch,
Des Haddingenlands Reife Ähre,
Das Innre der Tiere.


***
22
Viel Böses war
Im Bier gemischt,
Gebrannte Eckern
Und Baumwurzeln,
Des Herdes Asche,
Eingeweide;
Des Schweines Leber;
Da schwand mein Grimm.


***
23
Da vergaß ich
Gunnars und Högnis
Traurige Tat,
vom Trank bezwungen.
Vors Knie kamen
Drei Könige mir;
Dann suchte Grimhild
Selber mich auf.



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***
24 Grimhild:
"Ich geb dir, Gudrun,
Gold zu eigen,
Glänzendes Gut
Aus Gjukis Erbe,
Rote Ringe,
Das Reich Hlödwers,
Teppiche, Decken
Des toten Fürsten.


***
25
Hunnenmädchen,
Die auf Hölzchen weben,
Was du begehrst,
In Gold sticken;
Zu eigen nimm
Das Erbe Budlis,
Mit Gold geschmückt,
Als Gattin Atlis!"


***
26 Gudrun:
Keinem Manne
Mag ich folgen,
Nimmer Brünhilds
Bruder haben;
Nicht gebührt mir,
Budlis Sohne
Frohen Sinnes
Söhne zu schenken."


***
27 Grimhild:
"Haß zu hegen,
Höre nun aufl
Am schlimmen Schicksal
Sind Schuld auch wir.
So wird dein Los,
Als lebten beide,
Sigurd und Sigmund,
Wenn du Söhne gewinnst."


***
28 Gudrun.
"Nicht kann ich, Grimhild,
Glück genießen,
Noch dem schlachtstolzen
Schwüre leisten,
Seit Wolf und Rabe
In wilder Gier
Sigurds Herzblut
Zusammen tranken."


***
29 Grimhild.
"Den Herrscher fand ich
Hoher Geburt,
Der erste ist er
In allen Dingen.
wähle Atli
Doch weigerst du dich,
Bleib unvermählt,
Bis dein Ende kommt!"


***
30 Gudrun
"Nicht denke dran,
Dieses Geschlecht,
Das unheilvolle,
Mir aufzudrängen!
Gunnar bringt er
Graufes verderben;
Högni reißt er
Das Herz aus der Brust."


***
31
Weinend Grimhild
Das Wort vernahm,
Das ihren Söhnen
Unheil verhieß.



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***
Grimhild:
"Ich geb dir Lande
Und Leute viel;
Nimm es, Tochter,
Genieß es lange!"


***
32 Gudrun:
"Erkiesen muß ich
Den König denn;
Doch nehm ich ihn nur
Genötigt von euch.
Nimmer bringt Glück
Der Gatte mir,
Noch Högnis Tod
Heil den Kindern.


***
33
(Selber muß ich
Die Söhne töten,
Zur Bruderbuße
Böses wirken;)
Nicht laß ich ab,
Bis der lebensstärke;
Des Schwertspiels Schürer,
Erschlagen liegt."


***
34
Im Sattel sah man
Sitzen die Männer,
Welsche Weiber
Im Wagen fahren.
Ich ritt eine Woche
Durch rauhes Land
Die andre Woche
Wir Wogen schlugen,
Wir zogen die dritte
Durch dürre Steppe.


***
35
Die Hüter schlossen
Der hohen Burg
Riegel da auf;
Wir ritten hinein.


***
36
Mich weckte Atli;
Ich aber war
Voll bösen Grolls
Ob der Brüder Tod.


***
37 Atli
"Aufweckten mich
Eben die Nornen
Mit dunkelm Traumbild;
Deutung such ich:
Ich sah dich, Gudrun,
Gjukts Tochter,
Mich tödlich treffen
Mit tückischem Schwert."


***
38 Gudrun:
"Feuer bedeutet
Das funkelnde Schwert
Und Frauenzorn
Freude und Lust:



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Brennen werd Ein böses Geschwür, Heg ich auch Haß, Dich heilen und pflegen."


***
39 Atli:
"Ich schaut im Hof
Schößlinge liegen —
Weiter wollt ich
Sie wachsen lassen —
Dem Boden entrissen,
Gerötet mit Blut,
Die Bäumchen zur Bank
Mir gebracht zum Mahl.


***
40
Habichte sah ich
Meiner Hand entfliegen,
Ohne Atzung,
sum Unglückshaus;
Ihre Herzen meint ich
Mit Honig zu kauen,
Gefüllt mit Blut.
Finstern Mutes


***
41
Hündlein sah ich
Meiner Hand entrissen,
Sie heulten kläglich,
Kummererfüllt; Sie schienen mir
Geschlachtet zu sein,
Genötigt mußt ich
Genießen ihr Fleisch."


***
42 Gudrun:
"Männer werden
Von Meerfang reden
Und Klippfischen
Den Kopf abschneiden;
Nach wenig Nächten
Werden sie sterben,
Kurz vor Tage,
Zur Kost den Mannen."


***
43
Ich lag sodann —
Nicht dacht ich an Schlaf —
Trotzig im Bett;
Tun will ich so,
. . . . . . . . .


Copyright: arpa, 2015.

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