Edda
Erster Band Heldendichtung
Übertragen
von Felix Genzmer /Mit Einleitungen
und Anmerkungen von Andreas Heusler
Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1912
8. Gudruns Gottesurteil
Zweierlei ist an dem kleinen Gedichte merkwürdig. Einmal
läßt es unter den überlieferten Sagenpersonen eine gans neue
Handlung spielen: wie sich die des Ehebruchs bezichtigte Fürstin
durch ein Gottesurteil reinigt. Sodann treffen wir hier
zwei Gestalten der oberdeutschen Heldensage, die sonst der
Edda völlig fremd geblieben sind: Thjodrek, d. i. Dietrich von
Bern, und Herkja, d. i. Helche, Etzels erste Gemahlin. Diese
stellt unser Dichter als Atlis Kebse neben Gudrun und gibt
ihr die Rolle der Verleumderin. An der heimischen Sagenform
hält er in dem Hauptpunkte fest: Atli ist der Verderber seiner
Schwäger. Um nun seine Fabel überhaupt unterzubringen,
muß der Dichter aus der rachedurstigen Gudrun eine wehmütig
klagende, halb versöhnte machen. Dietrichs Stellung
hat er sich wohl so zurechtgelegt, daß er von Atli gezwungen
gegen die Gjukunge kämpfte und daher in feundlicher Beziehung
zu Gudrun bleiben kann. Wieviel ihm von der oberdeutschen
Sage klar geworden war, wieviel er unwissentlich
änderte, steht dahin.
Der Anlage nach gehört das Gedicht noch zu der alten Gattung
der Ereignislieder; aber inhaltlich stellt es einen Seitenschößling
dar, einen Versuch mit neuem Lehngut, der auf die eddische
Nibelungendichtung weiter keinen Einfluß gewann.
***1 Gudrun:
| "Was ist dir, Atli,
Erbe Budlis?
Drückt Leid dein Herz?
Du lachst niemals,
Wohl dünkte das
Die Degen besser,
Sähest du mich
Und sprächest Männer." |
***2 Atli:
| Mich grämt. Gudrun,
Giukis Tochter,
Was in der Halle
Mir Herkja sagte,
Daß dich und Thjodrek
Ein Tuch deckte
Und liebend ihr
Unterm Linnen schlieft." |
***3 Gudrun:
| "Will um alles
Dir Eide leisten
Beim geweihten
Weißen Steine,
Daß nichts ich tat
Mit Thjodmars Sohn,
Thule-Bd.01-087 Edda Heldendichtung |
Flip
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arpa
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was Mann und Maid
Meiden sollen. |
***4
| Umhalst hab ich
Den Heerführer,
Den edeln Fürsten,
Kein einzigmal;
Anders waren
Unsre Reden,
Als traurig wir zwei
Zwiesprach pflogen. |
***5
| Mit dreißig Tapfern
Kam Thjodrek her;
von ihnen allen
Nicht einer lebt.
Du nahmst mir die Brüder,
Die Brünnenträger;
Du nahmst mir alle
Nahen Verwandten. |
***6
| Nicht kommt Gunnar,
Nicht grüß ich Högni,
Nicht treff ich mehr
Die trauten Brüder.
Mit dem Schwert rächte
Den Schimpf Högni;
Nun muß ich mich selbst
vom Makel befrein. |
***7
| Sende zu Saxi,
Dem Südlandsfürsten!
Er weiß zu weihn
Den wallenden Kessel. —
Siebenhundert
In den Saal schritten,
Eh des Königs Weib
In den Kessel griff. |
***8
| Sie griff zu Grund
Mit glänzender Hand
Und hielt empor
Die hellen Steine.
Gudrun:
"Schuldlos ward ich
Durch geweihten Spruch;
Nun seht, Krieger,
Wie der Kessel wallt!" |
***9
| Das Herz im Leibe
Lachte Atli
Als heil ersah
Die Hände Gudruns. Atli:
"Nun trete Herkja
Hin zum Kessel,
Die solchen Gram
Gudrun schuf!"
Thule-Bd.01-088 Edda Heldendichtung |
Flip
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arpa
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***10
| So klägliches sah
Keiner zuvor,
Wie Herkja da
Die Hand verbrühte.
Sie führten sie
Zum fauligen Moor. —
So hat den Gram
Gudrun gerächt.
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