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Kapitel 

Edda Erster Band Heldendichtung


Übertragen von Felix Genzmer /Mit Einleitungen und Anmerkungen von Andreas Heusler

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1912


5. Das Alte Hamdirlied

Diese uralte gotische Sage haben die nordischen Dichter an den Nibelungenkreis angeschlossen, indem sie die beiden jugendlichen Helden und ihre Schwester zu Kindern der Gudrun machten. Gudrun, die vielgeprüfte, vom Leide unerweichte Fürstin, beherrscht den ersten Teil. Die Reden, die sie mit den Söhnen tauscht, beschwören die blutigen Bilder aus der Sigurd- und Atlisage herauf. Noch einmal schürzt sich ein furchtbares Schicksal; an der Rachepflicht verbluten sich die letzten Sprößlinge des Heldenweibes.

In herber Leidenschaftlichkeit hat dieses Heldenlied kaum seinesgleichen. Die Stimmung ist noch düsterer, schicksalhaft unerbittlicher als in dem Alten Atliliede. An dessen schwerfaltigen Ausdruck fühlt man sich oft erinnert, doch ist der Schritt schneller, zwischen den Reden bleibt nur Zeit zu lose hingeworfenen Impressionen. Auch die Uneinheitlichkeit im Satz- und Versbau trifft man hier wieder. Der Zahn der Zeit hat unser Denkmal noch tiefer zerfurcht: Der beherrschende Zug von der Unverletzlichkeit der Brünnen tritt erst in Str. 26 zutage. Die Strecke von Str. 10 bis 16 gleicht, so wie sie in der Handschrift daliegt, einem Trümmerfelde; aber mit Hilfe der verwandten Berichte konnte der Versuch gemacht werden, dieses im Aufbau des ganzen so wichtige Glied verständlich und genießbar herauszubringen.

Die Untat, die unsern Liedinhalt in Bewegung setzt, hat der Dichter als bekannte Vorgeschichte nur andeutend gestreift. Die junge Gattin des Gotenkönigs Jörmunrek; Schwanhild, ist der Buhlschaft mit ihrem Stiefsohn bezichtigt worden. Da läßt der König seinen Sohn an den Galgen knüpfen, Schwanhild von den Hufen der Rosse zertreten. Die gebornen Rächer Schwanbildens sind ihre Halbbrüder, Gudruns Söhne aus der Ehe mit Jonaker.



***
1
(Das erfuhr ich im Volke
Als die früheste Kunde —)
Kein Ding war eher:
Es ist doppelt so alt —,
Wie Gudrun reizte,
Rache zu gewinnen,
Wider Jörmunrek
Ihre jungen Söhne.



Thule-Bd.01-054 Edda Heldendichtung Flip arpa

2 Gudrun:
"Eure Schwester
War Schwanhild geheißen,
Die Jörmunreks
Rosse zerstampften,
Helle und dunkle,
Auf der Heerstraße,
Graue, gang schnelle
Gotische Hengste.


***
3
Bin einsam worden,
Wie die Espe im Wald,
Der Brüder beraubt,
Wie die Birke der Zweige,
Bar der Freude,
Wie ein Baum des Laubes,
Den der Waldfeind streifte
An warmem Tage.


***
4
Ihr seid nun die letzten
Der Sippe mein,
verkümmerte Sprossen
Nach der Könige Tode:
(Wenig gleicht ihr
Gunnar dem kühnen;
Rascher war Högni
Zum Rachewerke.")


***
5
Das sagte Hamdir,
Der hochgemute:
Nicht rühmetest so hoch du
Högnis Taten,
Als Sigurd vom Schlummer
Die Gesippen weckten:
Du saßest am Lager;
Es lachten die Mörder.


***
6
Deine Bettlinnen,
Die bläulichweißen,
Troffen vom Tau
Der Todeswunde;
Da starb Sigurd,
Du saßest beim Toten,
Vergassest der Freude —
Das war Gunnars Werk!


***
7
Atli wolltest du treffen,
Mit Erps Morde
Und Eitis Tötung;
Doch ärger traf es dich!
Andern zum Unheil,
Nicht zum eignen Verderben,
Soll man verwenden
Das wundenscharfe Schwert."


***
8
Das sagte Sörli,
Er war kluges Sinnes:
"Nicht mag ich in Worten
Mit der Mutter streiten;
Eines doch blieb euch
Noch ungesprochen:
Was begehrst du, Gudrun,
Das nicht Gram bringt?


***
9
Die Brüder beweine
Und die blühenden Söhne:
Beklage die Gesippen,
Die du zum Kampf gereizt!
3 7 Der Waldfeind ist der Sturmwind. 4 Die Ergänzungen hier und in
Str. 10,12 lehnen sich an Gudruns Sterbelied an, unten Nr 11.



Thule-Bd.01-055 Edda Heldendichtung Flip arpa

Uns wirst du, Gudrun, Nun auch beweinen: Tod ist uns bestimmt; Wir sterben in der Ferne."


***
10
(Das sagte Hamdir,
Der hochgemute,
Der kühne in der Halle,
Heftiges Sinnes:
"Das Heergewand hole
Der Hunnenfürsten!
Gereizt hast du uns
Zum Rachewerke."


***
11
Die Brust mit der Brünne
Die Brüder deckten,)
Sie schnallten die Schwerter fest,
Schüttelten die Loden,
Die Edeln schlüpften
In die schmucken Gewande.


***
12
Sie schritten vom Hofe,
Schnaubend vor Zorn;
(Doch lachend ging
Gudrun zum Söller.)
Sie fanden am Tore
Den vielschlauen,
(Den jüngsten Bruder,
Den braungelockten.)


***
13
Die ruhmfrohe rief;
Ob den Recken stehend,
Zu diesem Sohne
Sagte die schlanke:
("Rüste auch du dich
Zum Ritt mit ihnen!)
Sie verheißen mehr,
Als sie halten können:
Sollen zwei Männer
Zehnhundert Goten
Binden oder töten
In der Burg, der hohen?"


***
14
(Das sagte Hamdir,
Der hochgemute:)
"Was nützt uns Brüdern
Der braune Knirps?"


***
15
Der Stiefbruder sprach:
"Stützen will ich,
Wie der Fuß den Fuß,
Fest euch beide."


***
Hamdir:
"Was soll der Fuß
Dem Fuße helfen,
Die festgewachsene
Faust der andern?"



Thule-Bd.01-056 Edda Heldendichtung Flip arpa



***
10

(Sie legten den Rossen Das Reitzeug auf; Bald saßen im Sattel Die Söhne Gudruns.) Über feuchtes Gebirg Führten die Jünglinge Die hunnischen Rosse, Zu rächen den Mord.



***
17
Da sagte Erp
Mit einem Male,
Tänzeln ließ
Der tapfre sein Roß:
"Nicht ziemt mirs, Zagen
Den Weg zu zeigen." —
Der Brüder kühnsten
Den Bastard man nannte.


***
18
Aus den Scheiden rissen sie
Scharfe Klingen,
Harte Schwerter,
Hel zur Freude;
Um ein Drittel schwächten
Die Degen die Kraft:
Der junge Bruder
Zu Boden sank.


***
10
Frei lag der Pfad,
Sie fanden den Unheilsweg,
Den windkalten Wolfsbaum
Im Westen der Burg:
Am Galgen schwebte
Der Schwester Stiefsohn;
Der Leichnam schwankte —
Nicht schön war der Ort.


***
20
Tosen war im Saale;
Trunkfrob die Männer,
Niemand vernahm
Das Nahen der Rosse,
Bis das Horn erscholl
Des beherzten Spähers.


***
21
Es jagten die Wächter
Jörmunrek zu melden,
Sie hätten Helden
In Helmen gesehn:
"Wahrt euch! Wehrt euch!
Gewaltige kommen;
Mächtigen Männern
Habt die Maid ihr zerstampft!"


***
22
Da lachte der Gotenfürst;
Griff in den Bart,
Faßte die Kanne;
Kühn war er vom Weine,
Schaute auf den Schild,
Schüttelte das Braunhaar,
Schwenkte in der Hand
Die Schale von Golde.


***
23 Jörmunrek
"Glücklich däucht ich mich,
Könnt ich begrüßen
Hamdir und Sörli
In der Halle mein!
Binden wollt ich beide
Mit Bogensehnen,
Gudruns Heldensöhne,
An den Galgen sie knüpfen."



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***
24
Getöse war im Saal,
Die Trinkschalen fielen,
(Streitruf der Mannen-Es
stürzten die Bänke.
Blut mit dem Biere
Auf dem Boden sich mischte;)
Die Helden wateten
Im Herzblut der Goten.


***
25
Das sagte Hamdir,
Der hochgemute:
"Du begehrtest, Jörmunrek,
Gudruns Söhne
In deiner Burg
Beide zu sehen:
Sieh deine Füße,
Sieh deine Hände,
Herrscher, geworfen
Ins heiße Feuer!"


***
26
Grimmig schrie auf
Der göttliche Sproß,
Als brüllte ein Bär,
Der brünnenbewehrte:
"Greift zu Steinen,
Wenn Gere nicht beißen,
Nicht Erz noch Eisen,
Die Erben Jonakers."


***
27 Sörli:
"Daß du den Mund ihm nicht
schlosses;
Bringt uns schlimmes, Bruder;
Oft kommt Unheilsrat
Aus altem Munde.
Kühn bist du, Hamdir,
Doch Klugheit fehlt dir;
viel fehlt dem Manne,
Der Vorsicht nicht kennt."


***
28 Hamdir
"Ab wäre das Haupt,
Wenn Erp noch lebte,
Der streitkühne Bruder,
Den wir beide erschlugen,
Der ruhmreiche Recke —
Uns reizten Nornen —
Der friedheilige Held —
verführten uns zum Morde.


***
29
Wir stritten tapfer:
Wir stehen auf Leichen,
Erzmüden Goten.
Wie Aare im Gezweig;
Heldenruhm bleibt uns.
Ob auch heute wir sterben:
Niemand sieht den Abend,
Wenn die Norne sprach."


***
30
Da sank Sörli
Am Saalgiebel,
Und Hamdir fiel
An des Hauses Rückwand.


Copyright: arpa, 2015.

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