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Kapitel 

Edda Erster Band Heldendichtung


Übertragen von Felix Genzmer /Mit Einleitungen und Anmerkungen von Andreas Heusler

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1912


4. Das Alte Atlilied

Was das Alte Sigurdlied für die Brynhild sage, das bedeutet das Alte Atlilied für die Sage vom Untergang der Gjukunge (die Burgundensage) es ist die ursprünglichste Darstellung dieses Stoffes, der in jüngerer Gestalt und breit epenmäßiger Ausführung den Schlußteil des Nibelungenliedes bildet.

Unser Gedicht ist nicht unversehrt und einheitlich durch die Jahrhunderte gegangen. Es hat manche dunkle und halbdunkle Stelle, und in seiner Form wirkt es buntscheckig. Eine Erzählweise, die man barock nennen kann, mit entlegenen Wendungen, mit gehäuftem Ausdruck, der die silbenreichen Verse zu sprengen droht, wechselt mit flüssigeren Strophen von leichterem Satzbau, auch mit wunderlich skaldisch gedrechselten Zeilen. Der Eindruck im ganzen ist der eines lauttönenden Pathos, das auch über lebhafte sinnliche Bilder verfügt. Eine rechte Kunstdichtung, in der man selten den schlichteren Klängen der drei vorigen Lieder begegnet; sie scheint jeden Gedanken neu zu prägen, fällt bisweilen ins Gesuchte, nirgends in die abgegriffene Formel. Eine geradezu wilde heroische Begeisterung durchzieht dieses Heldenlied. Der Dichter fühlt noch gans mit seinen Gestalten, seine Bewunderung bricht in persönlichen Zwischen- und Schlußsätzen durch. Ein Höhepunkt der ganzen altgermanischen Dichtung ist die Trutzrede des gefesselten Gunnar (Str. 22—29). vergleicht man sie mit ihrem Doppelgänger im Nibelungenlied, den letzten Strophen Hagens, so fühlt man das derb Heidnische und das hymnisch Erregte bei dem älteren, stabreimenden Künstler.



***
1
Atli sandte Botschaft
Aus zu Gunnar,
Einen klugen Reiter,
Knefröd geheißen.
Er kam zu Gjukis Hof
Und zu Gunnars Halle,
Den herdnahen Bänken
Und dem Bier, dem süßen.



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***
2
Dort tranken die Getreuen —
Doch vom Truge schwieg er —
Wein in der Halle,
Hunnenzorn fürchtend.
Knefröd rief da
Mit kalter Stimme;
Der Mann aus dem Südland,
Er saß auf der Hochbank:


***
3
"Atli gebot mir,
Daß aus ich ritte
Auf kauendem Pferde
Durch den pfadlosen Myrkwid,
Euch beide zu bitten,
Daß zur Bank ihr kämet
Mit ringgeschmückten Helmen,
Zu hausen bei Atli.


***
4
Er schenkt euch Schilde
Und geschabte Lanzen,
Goldgeschmückte Helme
Und der Hunnen Menge,
Silbernes Sattelzeug,
Südländische Röcke,
Geschärfte Speerspitzen,
Schäumende Rosse.


***
5
Die weite Gnitaheide
Will er euch geben,



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Klirrende Gere Und goldene Steven, Strahlende Kleinode, Die Gestade des Danp, Den mächtigen Wald, Den sie Myrkwid heißen."


***
6
Das Haupt wandte Gunnar,
Und zu Högni sprach er:
"Was sagt uns der Bruder,
Da wir solches hören?
Nicht wüßte ich Gold
Auf der Gnitaheide,
Daß wir andres nicht hätten,
Ebensovieles.


***
7
Scheunen hab ich sieben,
Mit Schwertern gefüllt,
Ein Griff von Golde
Glänzt an jedem;
Herrliche Bogen,
Brünnen von Golde,
Mein einer ist besser
Als die aller Hunnen;
Mein Kampfroß ist das beste,
Meine Klinge die schärfste,
Mein Helm und Schild die hellsten
Aus der Halle des Kjar."


***
8 Högni
"Was riet uns wohl die Frau,
Da den Ring sie sandte,
Mit Wolfshaar umwunden ?
Warnung, mein ich, bot sie!



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Ein Haar des Heidewolfs
Haftete am Goldring:
Wölfisch wird der Weg uns
Zur Wohnung Atlis."


***
9
Es schwiegen die Schwäger
Und die Schwertmagen alle,
Die Berater und Vertrauten
Und die Reichen des Landes.
Wie dem König gebührt;
Gebot da Gunnar,
Herrlich in der Halle,
voll hohen Mutes:


***
10
"Erhebe dich, Fjörnir!
In die Halle laß bringen
Der Krieger Goldschalen
Durch der Knechte Hände!


***
11
Genießen sollen Wölfe
Des Niblungenerbes,
Grimme Grauröcke,
Wenn Gunnar ausbleibt;
Braunzottige Bären
Sollen beißen mit den Hauern,
Wenn der König nicht kommt,
Der Krieger Meute!"


***
12
Den Landherrn geleiteten
Untadlige Leute,
Beweinend den Heerkühnen,
vom Hof der Niblunge.
So sagte da der jüngere
Sohn des Högni:
"Wo Beherztheit euch hinführt,
Fahret heil und klug!"



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***
13
Ausschreitend ließen sie
Laufen übers Bergland
Die kauenden Pferde
Durch den pfadlosen Myrkwid.
Es bebte die Hunnenmark,
Wo die Hartgemuten zogen;
Sie spornten die Renner
Über sprießende Felder.


***
14
Das Hunnenland sahn sie
Und die hohen Zinnen,
Budlis Krieger stehn
Auf der Burg, der hohen,
Den Saal der Südvölker,
Mit Sitzen erfüllt,
Mit verbundenen Reihen
Blinkender Schilde.


***
15
Mit seinen Getreuen
Trank da Atli
Wein in der Halle.
Wächter saßen draußen,
Gunnar zu begegnen,
Wenn zur Gastung er käme
Mit klirrendem Gere,
Zu wecken Kampf dem Fürsten.

16

Die Schwester sah sie,
Als in den Saal sie traten,
Ihre beiden Brüder —
Von Bier war sie nüchtern —:
"Verraten bist du, Gunnar!
Du Reicher, was vermagst du



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Wider hunnische Hinterlist? Aus der Halle geh eilend!


***
17
Besser tätst du, Bruder,
In der Brünne zu reiten,
Als mit ringgeschmückten Helmen
Zu hausen bei Atli
Dann säßest du im Sattel
Sonnenhelle Tage,
Ließest notfahle Leichen
Die Nornen beweinen
Und hunnische Heermaide
Harm erdulden
Und schicktest Atli
In den Schlangenbof.
Der Schlangenhof ist nun
Beschieden dir selbst!"


***
18 Gunnar:
"Versäumt ists, Schwester;
Zu sammeln die Niblunge;
Zu weit ists, die Helden
Zur Heerfahrt zu entbieten
von des Rheines Rotgebirg,
Die Recken ohne Tadel!"


***
19
Sie griffen Gunnar;
Begannen zu knebeln
Den Burgundenpreund
Und banden ihn fest.



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***
20
Sieben erschlug
Mit dem Schwerte Högni,
In heiße Flamme
Flog der achte.
So besteht ein Held
Im Streit die Feinde,
Wie Högni bestand
Der Hunnen Überzahl.


***
21
(Gefesselt ward Högni
Mit harten Banden;
Es gingen die Hunnen,
Mit Gunnar zu reden;)
Sie Sagten den Kühnen,
Ob er kaufen wolle,
Der Goten Herr,
Mit dem Gold sein Leben.


***
22 Gunnar:
"Högnis Herz soll
In der Hand mir liegen,
Blutig geschnitten
Aus der Brust dem Helden
Mit schlimmbeißendem Sachsschwert,
Dem Sohne des Volkskönigs."



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***
23
Sie schnitten dem Hjalli
Das Herz aus der Brust;
Blutig auf der Schüssel
Brachten sie es Gunnar.


***
24
So rief da Gunnar,
Der Goten König:
"Hier hab ich das Herz
Hjallis des feigen,
Ungleich dem Herzen
Högnis des kühnen
Gar heftig bebt es
Hier auf der Schüssel;
Es bebte zwiefach,
Da in der Brust es lag."


***
25
Da lachte Högni,
Als sum Herzen sie schnitten
Dem kühnen Kampfbaum;
Zu klagen vergaß er.
Blutig auf der Schüssel
Brachten sie es Gunnar.


***
26
Jetzt rief Gunnar,
Der Gernibelung:
"Hier hab ich das Herz
Högnis des kühnen,
Ungleich dem Herzen
Hjallis des feigen:
Gar schwach bebt es
Auf der Schüssel hier;
Es bebte minder,
Da in der Brust es lag.



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***
27
So wenig wird, Atli,
Ein Auge dich sehen,
Wie du selber, König,
Die Kleinode schaust!


***
28
Einzig bei mir
Ist all verhohlen
Der Hort der Niblunge:
Nicht lebt mehr Högni!
Immer war mir Zweifel,
Da wir zwei lebten:
Aus ist er nun,
Da ich einzig lebe.


***
29
Nun hüte der Rhein
Der Recken Zwisthort,
Der schnelle, den göttlichen
Schatz der Niblunge!
Im wogenden Wasser
Das Welschgold leuchte,
Doch nimmer an den Händen
Der Hunnensöhne!"


***
30 Atli:
"Der Gefangne ist gebunden:
Bringt nun den Wagen!"
Der Zaumzerrer
Zog den Schatzwart,
Den Herrn der Schlacht,
Hin zum Tod.


***
31
Atli, der reiche,
Ritt auf Glaum,



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Der Sieggötter Sproß, Von Speeren umringt. Da sprach Gudrun, Gjukis Tochter, In die Halle tretend — Den Tränen sie wehrte — :


***
32
"So geh dirs, Atli,
Wie dem Gunnar du
Die Eide gehalten,
Die einst du schwurst
Bei der südlichen Sonne
Und Siegvaters Felsen,
Bei dem Roß des Ruhbetts
Und dem Ringe Ulls!"


***
33
Den lebenden Herrscher
Warf in den Hof,
Wo Schlangen krochen,
Der Krieger Schar.
Aber Gunnar,
Der edle König,
Mit der Hand die Harfe
Hochgemut schlug;
Die Saiten klangen.
So soll ein kühner
Ringvergeuder
Den Reichtum hüten.


***
34
Atli wandte
Wieder heimwärts



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Das stampfende Roß zurück vom Morde. Gedröhn war im Hofe, Gedränge der Pferde; Waffenklang der Männer, Da vom Wald sie kamen.


***
35
Hinaus trat Gudrun
Mit goldenem Becher,
Atli entgegen,
Vergeltung ihm zu bringen:
"Empfange, Fürst,
Fröhlich in der Halle,
Die zur Hel hingingen,
Die Haustiere Gudruns!"


***
36
Es tönten die weinschweren
Trinkschalen Atlis,
Als in der Halle die Hunnen
Unterhaltung pflogen;
Die langbärtigen Krieger
Kamen herein,
Die vom Morde Gunnars
Aus Myrkheim nahten.


***
37
Da trat in die Halle,
Ihnen Trank zu bringen,
Die hellwangige Frau
Aus dem Fürstenstamme;
Dem fahlen Fürsten
Gab die furchtbare den Imbiß,
Gehorchend der Pflicht,
Und hohnvoll sprach sie:



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***
38
"Hüter der Schwerter,
Du hast deiner Söhne
Blutige Herzen
Mit Honig verzehrt!
Du Mutiger magst
Menschliche Leichen
Hungrig verzehren
Und auf den Hochsitz entsenden.


***
39
Nimmer kommen
Zu den Knieen dir
Erp und Eitil,
Die immer frohen;
Auf dem Sitz im Saal
Siehst du nimmer
Die Goldspender
Gere schäften."


***
40
Getöse ward im Saal,
Toben der Mannen,
Weinen unter Gewanden,
Wehklagen der Hunnen.
Das Weib allein
Beweinte nimmer
Ihre bärenkühnen Brüder
Und blühenden Kinder,
Die jungen, arglosen,
Die sie von Atli gewann.


***
41
Gold verschenkte
Die schwanenweiße, Rote Ringe
Reichte sie den Mannen;



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Das Schicksal ließ sie wachsen Und die Schätze wandern, Die Königin schonte Der Schatzkammer nicht.


***
42
Sorglos hatte Atli
Sinnlos getrunken;
Nicht hatte er Waffen,
Nicht wehrte er Gudrun.
Besser war das Spiel,
Wenn beide sich oft
Innig umarmten
vor den Edlingen!


***
43
Blut gab mit dem Schwerte
Dem Bett sie zu trinken
Mit helgieriger Hand;
Die Hunde löste sie,
Trieb sie vors Tor;
Die Trunkenen weckte sie
Mit heißem Brande:
So rächte sie die Brüder.


***
44
Dem Feuer gab sie alle,
Die innen waren,
Den Bau der Budlunge;
Die Balken stürzten,
Die Schatzkammern rauchten,
Die Schildmaide innen
Sanken entseelt
In sengende Lohe.



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***
45
Die Mär bat ein Ende;
Keine Maid tut je
In der Brünne ihr gleich,
Die Brüder zu rächen:
Drei Königen
Verkündete sie
Todesschicksal,
Eh die tapfre starb.


Copyright: arpa, 2015.

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