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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


31. Das stumme Mädchen


(Auszug. Vgl. Schöpfungslegende Bd. 1, Nr. 18)

Eine schwangere Frau geht in den Wald, Holz zu suchen; sie trifft im Walde wilde Kühe. Die Frau erschrickt so, daß sie das Kind, ein Mädchen, gebiert. Die Mutter läuft voll Entsetzen nach Hause. Das kleine Mädchen bleibt im Walde liegen. Das Mädchen wird von einer der wilden Kühe, die ihr das Euter hinhält, genährt. Das kleine Mädchen läuft nun immer mit den wilden Kühen umher Das Mädchen ist stumm und nackt und lebt genau wie die wilden Tiere. Das Mädchen ist aber sehr schön. Es irrt nun immer mit den wilden Kühen in dem gleichen, gewaltigen Walde umher.

Eines Tages kommen in diesen großen Wald sieben Brüder. Sie sind auf der Jagd, verlieren die Richtung und verirren sich vollkommen. Sie laufen ein Jahr lang im Walde umher, ohne Ausgang oder Weg zu finden. Ihre Kleider fallen vom Leibe. Sie schießen nun wilde Tiere, ziehen die Haut ab und kleiden sich in die Häute.. Die Häute beginnen zu stinken. Die Brüder legen die Häute nun in Asche und reiben sie so lange mit Asche ein, bis sie tragbar werden. Von nun ab ziehen sie, in Felle gehüllt, wie Tiere im Walde umher.

Eines Tages haben die sieben Brüder gelagert. Einige gehen zur Quelle, um Wasser zu holen, einige sammeln Holz. Ein Rudel wilder Kühe zieht an ihrem Lager vorbei. Die Brüder springen auf und werfen ihre Lanzen auf die wilden Kühe. Die wilden Kühe laufen von dannen. Das Mädchen aber bleibt bei dem Anblick der in Felle gekleideten Männer ganz entsetzt stehen und läuft nicht fort. Die sieben Brüder umringen sie, bitten sie, mit in ihr Lager zu kommen und ihr Essen zu genießen. Das Mädchen ist stumm, nimmt aber alles dankbar hin, ißt, läßt sich eine kleine Hütte bauen, in der sie schläft und läßt sich in Fellkleider von der gleichen Art hüllen, wie sie die sieben Brüder tragen. Das stumme, schöne Mädchen zieht nun mit den sieben Brüdern im Walde herum.

Eines Tages finden die sieben Brüder und das stumme schöne Mädchen den Ausgang aus dem Walde. Sie kommen in die Ebene und in einen Ort. Im Orte erzählen sie von ihren Erlebnissen. Eine alte Frau schreit: "Das muß meine Tochter sein, die ich im Walde geboren habe." Die Leute denken nun darüber nach, wie sie dem stummen Mädchen die Sprache wiedergeben können. Man ist der Ansicht, daß gleichzeitig mit dem Saugen am Euter der Kuh einige kleine Halme von der Art der Thimah'schicht (dies wäre wohl Hanf)



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in den Hals des Mädchens gekommen sei. Das Mädchen wird an den süßen in dem Hause aufgehängt, und nun kommen aus dem Mädchen drei Schlangen heraus, die sich aus Würmern gebildet haben, die das Kind mit der Milch der wilden Kuh eingesogen hat. Als die drei Schlangen herausgekommen sind, ist große Seligkeit, denn das Mädchen kann nun wieder sprechen.

Die sieben Brüder wollen nach Hause zurückkehren. Sie haber das Mädchen, das so lange mit ihnen herumgezogen ist, so hei gewonnen, daß sie es mitnehmen wollen. Aber nun entwickelt sich ein Streit. Der Vater des Mädchens will dieses daheim behalten um macht sein Anrecht an das Mädchen mit der Begründung geltend daß er das Mädchen erzeugt habe. Die sieben Brüder machen ihr Anrecht an das Mädchen geltend, daß sie es aus der Wildnis befreit in der Wildnis versorgt und heimgebracht, also gewissermaßen auf neue dem Leben wiedergegeben haben. Der Streit ist nicht zu entscheiden. Die sieben Brüder ziehen zornig ab, um einen anderen Richterspruch zu erzielen.

Die sieben Brüder ziehen heim an den Ort, in dem ihr Vater Agelith ist. Sie schwärzen sich aber vor dem Eintritt in den Ort die Ge sichter und vermummen sich so, daß nicht einmal der Vater sein Söhne wiedererkennen kann. Sie treten in dieser Weise als Freunde vor den Vater und fragen unter Darlegung des ganzen Vorganges den Vater, ob das Mädchen von Rechtswegen nun dem Manne gehöre, der es erzeugt habe, oder denjenigen, die es dem Leben zurückgewonnen haben. Der Vater entscheidet sich für das Besitzrecht dei letzteren Art. Nun geben die Söhne sich dem Vater zu erkennen und rüsten dann den Kriegszug gegen den Ort, in dem das Mädchen lebt

Die sieben Brüder überfallen den Ort und besiegen die Männer darin Sie erobern das schöne Mädchen und kehren mit ihm heim. Daheim geraten sie sich aber nunmehr in die Haare und bekämpfen einander, weil jeder das schöne Mädchen heiraten will. Zuletzt haben sich alle untereinander getötet bis auf den Jüngsten, der als Sieger aus dem Kampfe hervorgeht, das Mädchen heiratet den Jüngsten, der anstelle seines Vaters Agelith wird.


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