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Edda Erster Band Heldendichtung


Übertragen von Felix Genzmer /Mit Einleitungen und Anmerkungen von Andreas Heusler

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1912


Heldendichtung

Viele Völker der Erde haben in ihrer kriegerischen Jünglingszeit eine Dichtung hervorgebracht, die den edelgeborenen Mann der Waffe und die ihm begehrenswerten Güter verherrlicht: eine Heldenpoesie. Und meist geht den großen Buchdichtungen —Ilias, Schachnameh, Nibelungenot — das kurze Heldenlied voraus, das in freiem vortrage an den Höfen der Fürsten ertönt, vor den Bänken der zechenden Gefolgsmannen, deren Sinnen und Trachten es dichterisch vergoldet.

Die Germanen erlebten diese ihre Heldenjugend in der völkerwanderung Damals schufen die Goten, trunken von den ersten Siegen über Ostrom, die Kunst des stabreimenden Heldenliedes und damit die älteste germanische Heldensage. Ihr Beispiel weckte Nachfolge. Bald finden wir bei Franken, Friesen, Engländern den Hofsänger; der zur Harfe ein Heldenschicksal singt. Auch bei den Nordländern bürgerten sich diese Lieder ein und riefen gleichartige mit heimischem Inhalt hervor. Aber seltsam, der Norden, der heute an klangschönen Volksweisen reich ist, entkleidete diese Lieder des Saitenspiels und Gesanges. Den harfenden Sänger haben wir uns aus der nordischen Königshalle wegzudenken. Auch die gesprochene Heldendichtung hat sich — in Norwegen — nicht lange an den Fürstenhöfen gehalten: als jene formenkünstliche Skaldenart zur Hofmode wurde, da trat unser Heldenlied hinaus zu den Seien stolzen Großbauern. Diese verpflanzten es nach Island, und hier dauerte es und trieb neue Schößlinge, als es im Mutterlande schon abgewelkt war.

Eine Fürstendichtung, gepflegt im Bauernhause! Der Gegensatz ist nicht so groß, wie man glauben könnte. von diesen freistaatlichen Bauern führte mancher seinen Stammbaum auf Jarle und Kleinkönige zurück; allen war die Waffe vertraut, kriegerische Tat die Würze ihres Lebens und ein paar Jahre Dienst in der Leibtruppe eines Herrschers ihr schönstes Jugenderlebnis . Es waren bäuerliche Helden, die für die Leidenschaften eines Völkerwanderungsfürsten wohl verständnis



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besäßen. Daß die Haltung da und dort, in den jüngeren Lied ern, etwas ins Kleine und Kümmerliche fällt, kann man dennoch bemerken.

Jene aus Deutschland und England einziehenden Lieder hatten die südlichen Heldenstoffe mitgebracht: die Sagen von Sigfrid und den Burgunden, von Wieland, Ermenrich und von der großen Hunnenschlacht. Diese Stoffe behielten beiden Isländern die Ehrenplätze. Aber auch dänische und schwedische Sagen standen in Gunst, nur daß uns da vieles bloß in jüngerer Prosaform gerettet ist. Der eigene, norwegische Volksstamm steuerte nur ein paar Ausläufer zu diesen Dichtungshelden bei, und Island selbst beschied sich, das Andenken der fremden Vorzeitkönige dichtend zu erhalten. Ohne die Isländer und ihre Edda hätten wir in der Tat nur eine trübe vorsten lung vom altgermanischen Heldenliede: Ist doch von dem, was die Goten sangen, kein vers bewahrt, aus England aber und Deutschland nur je ein stabreimendes Bruchstück und dann die innerlich jüngeren Buchepen.



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Die fünf Gedichte, die bei uns die Reihe eröffnen, veranschaulichen das Heldenlied in seiner altererbten Form, wie es auch bei den südlichen Germanen herrschte. Es sind "Ereignislieder": sie bringen die Handlung unmittelbar vor unser Auge, wir wechseln die Szene, hören die Helden sprechen, sehen sie kämpfen und fallen. Und zwar verteilt sich die Darstellung auf Erzählung aus Dichters Munde und die Reden der Handelnden; sie ist "doppelseitig". Diese fünf Lieder wurden wohl, mehr oder minder aus deutschen vorgängern übertragen. In Gedichten ähnlicher Art haben auch bei uns zu Lande die Heldensagen Jahrhunderte lang gelebt, ehe sie zu großen Epen wie Waltharius, Nibelungenot und Kudrun ausgebaut wurden.

Dieser alte Stil ist knapp und spröde. Seine Helden haben zwar ihre ausladende Beredsamkeit, aber beschaulich sprechen sie nicht: ihre Worte schieben die Handlung vorwärts; die Geschichte wickelt sich, ohne ruhend zu verweilen, mit einer gewissen Äußerlichkeit ab. In vierzig, fünfzig Strophen er



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zählt ein Heldenlied die nämliche Sage, die ein Epos, mit seiner Darstellungsart, leicht auf den zwanzigfachen Umfang anschwellt.

Es gibt einen jüngern Stil, der sich mutmaßlich auf Island in der nachheidnischen Zeit, im 11. Jahrhundert, ausgebildet hat. Er ist innerlicher, gefühlvoller, auch grüblerischer. Man will eindringen in das Seelenleben der Helden und Heldinnen und sich ihre ungeheuern Taten begreiflich machen. Denn man steht diesen Wesen nicht mehr so gefolgsmannschaftlich nahe- man bewundert sie immer noch, aber mit einem Gefühl von Schauder. So wird dem Dichter die Rede, der klarste Ausdruck des Innenlebens, wichtiger als das äußere Geschehen. Monologe, Ansprachen und Zwiesprachen ohne dramatische Bewegung kommen auf, Rückblicke werden ein beliebtes Mittel, die Entschlüsse zu erläutern und zu rechtfertigen, die man einst keiner Erläuterung und Rechtfertigung bedürftig fand.

Wo man bei dem alten Grundriß des Ereignisliedes blieb, da entstanden nun Gedichte wie Nr. 6 und 7, die ihren vermehrten Umfang wesentlich den ruhenden Reden verdanken und die dort von Brynhild, hier von Gudrun und Atli Bildnisse schaffen, ganz anders ausgeführt und schattiert als bei den frühern Dichtern.

Meist aber ging man einen Schritt weiter. Es kam dem Dichter überhaupt nicht mehr darauf an, die altbekannte Sage naiv zu erzählen: er wollte die vorgänge in den Reden seiner Heldinnen spiegeln. Dies ergab die Situations- oder Rückblickslieder, die heroischen Elegien, Nr. 9-13 (Nr. Z bildet eine für sich stehende Spielart). Man konnte hier so weit gehen, die Erzählverse ganz zu verbannen (Nr. 11, 12). An den alten Sagenfakta haben diese jüngern Dichter wenig gerüttelt. Aber im Zudichten neuer Situationen, Gestalten und Handlungen nahmen sie sich viel mehr Freiheit als die vorgänger.

Diese Heldendichtung der isländischen Nachblüte hat ihr verdienst in lyrischen und seelenmalenden Erfindungen. Etwas wie das Selbstgespräch der rachesinnenden Brynhild im Jüngern



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Sigurd lied Str. 6 f. oder wie der letzte Wunsch Gudruns in ihrem Sterbelied Str. 21 stellt sich zu den Gipfeln altgermanischen Dichtens. Mag die Weichheit und Redseligkeit der Personen zuweilen einen Mißklang geben mit der altüberlieferten Heroentat, mag der Dichter da und dort sein übervolles Gemüt in barocker verzerrung entladen (Jüngeres Sigurdlied Str. 8 3, Gudruns Gattenklage Str. 27 ): diese reicheren und gebrochenen Linien der Menschenschilderung waren doch ein Hinausschreiten über die rechtwinkligen, holzarigehauenen Profile des Heldenalters.

Älter, vorisländisch, aber den Deutschen und Angelsachsen unbekannt, ist die Kunstform des "einseitigen Ereignisliedes." Trafen wir vorhin den Hang zur Lyrik, so dringt hier eine dramatische Neigung über das landläufige Erzählen hinaus. Der Dichter führt zwar auch eine Sage in ihrem unmittel baren verlaufe vor, aber er legt sie sich so zurecht, daß er mit lauter Redeversen auskommt: eine Reihe von Gesprächsszenen, dramatischen Bildern. Was sich nicht einfangen läßt in das Netz des Dialoges, wird in kursen, trockenen Prosa- zwischensätzen erledigt; man hat sie mit "Bühnenanweisungen" verglichen. Diese Gattung bleibt bei den Isländern beliebt und hat die ältere Schwester, die doppelseitige, überdauert. Es trifft sich so, daß innerhalb des Nibelungenkreises gerade nur ein zusammenhängender Ausschnitt, die Sagen von Jung Sigurd, in dieser einseitigen Darstellungsform vorliegen (Nr. 14, 16, , 17).

Noch eine weitere Stilform taucht in diesen Jung Sigurd Sagen auf (Nr. ): eine Gruppe von "Losen Strophen". Die Isländer hatten den Brauch entwickelt, ihre Prosageschichten, die Sagas, auszuschmücken mit einzelnen Redestrophen, die auch einmal zu kleinen Redeszenen auswachsen, ohne doch die Anlage eines selbständigen Gedichtes zu erreichen . Eine solche Lose Strophen-Gruppe hat der Eddasammler in unserem Falle aufgenommen.

Endlich führt Nr. 18, Gripirs Weissagung, aus der frei künstlerischen Unterhaltungspoesie hinüber in die halbgelehrte Memorialdichtung. Die dramatische Form des Zwiegesprächs



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ist hier nur vorwand für eine sauber geordnete Belehrung über Sigurds ganzen Lebenslauf, ohne erhebliche neue Motive, ein Auszug aus vorhandenen Liedern. Ähnliche Lehrdialoge werden uns unter den Götterliedern begegnen.

Die Formen, die wir hier an den deutschen Sagenstoffen überblickt haben, kehren wieder in den Dichtungen mit skandinavischer Sagenwurzel, Nr. 19- —31. Die Urgattung, das doppelseitige epische Lied, erscheint nur noch zweimal, irr. C, 20; denn das Mühlenlied, Nr. 22, nähert sich schon dem Situationsgedicht. Ausgezeichnete vertreter hat das einseitige Ereignislied in Nr. 19 D, 23 u. a. Zu jenen Frauenelegien (Nr. 9 —33) treten hier männliche Gegenstückegeringeren geringeren Schwergewichtes, die Rückblicks- und Sterbelieder von Helden, Nr. 23, 26, 29, 30. Schließlich zeigen die Fridthjofsstrophen, Nr. 31, eine späte reizvolle Blüte am Aste der Losen Strophen.

von all diesen Kunstformen dürfen wir nur die erste, ursprüngliche als gemeingermanisch ansehen. Alles übrige ist nordische oder isländische Neuerwerbung. So rührig diese Dichter ihre Kunst vermannigfachten: die eine Form, die man seit Homer unwillkürlich als das Staatsgewand der Heldensage ansieht, das große Epos, haben sie nicht verwirklicht. Das hat seine guten Gründe, unter anderm den, daß ein Epos nur in der Schreibezeit, unter dem Einfluß der südlichen Muster denkbar war. Diese Muster aber haben den alten Isländer nie tiefer ergriffen; und Dichtkunst hinterm Tintenfaß zu betreiben, ging ihm nicht ein. So verharrte er bei seiner formenreichen freimündlichen Kunst.



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Schauen wir auf die Heldendichtung zurück, so steht sie vor uns nicht als chronikenhafte Buchung völkergeschichtlicher Begebnisse, auch nicht als Lobgesänge auf Eroberungen und Siege. Das rein menschliche, unpolitische Schicksal sieht allen Anteil auf sich, und diese Schicksale sind fast immer dunkel, auf Untergang gestimmt. Die tapfersten und schönsten erliegen frühem Tode. Und was vor allem den tragischen Klang vertieft: die Bande der Sippe und Freundschaft werden



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zerrissen durch die übermächtigen Leidenschaften und durch ein unerbittlich waltendes Geschick. Der triumphierende Ton, der trotz allem hindurchdringt, gilt der Kriegerehre, die sich in Selbstbehauptung und Rache bewährt und hochgemut sterben lehrt, wenn der Nornenspruch es verhängt. Das Alte Atlilied, Str. 22 —29, 45 und das Alte Hamdirlied Str. 29 sind rechte Zeugen dieser heidnischen Heldengesinnung; welch andere Schlußakkorde als in unsrer deutschen Nibelungenot mit ihrem weinerlichen Gemeinplatz: " wie Freude immer zuletzt Leid ergibt"!

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