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Felix Niedner Islands Kultur zur Wikingerzeit


Mit 24 Ansichten und 2 Karten

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


15. Die Kultur der Saga

Der isländische Staat hat das Schicksal aller Normannenreiche geteilt. Er hat länger als irgendein anderes von ihnen die ursprüngliche Kultur der alten Germanenwelt festgehalten Er hat noch in einer Zeit, wo überall sonst der Geist des christlichen Rittertums herrschte, eine kräftige Renaissance gehabt . Aber endlich ist auch dieser eigenartigste Normannenstaat den neu Kulturströmungen des Mittelalters erlegen. Die großartige Wikingerkultur der alten Feit ist aber in der isländischen Saga gerettet worden. Ja diese ist sogar in den skandinavischen Ländern, im Mittelalter in Dänemark, in der Neuzeit in Schweden und Norwegen, zu besonderem Leben wieder erwacht. Sie ist durch Tegnér und Ibsen erneut in die Weltliteratur übergegangen.

Von der außerisländischen Wikingerkultur der alien Zeit mit ihren großen Staatenschöpfungen in Europa war nur Deutschland unberührt geblieben. Rußland und Italien, Frankreich und England haben zeitweise unter dem staatenbildenden Kultureinfluß der Normannen gestanden.

Das früheste Ende nahm diese germanische Sonderkultur in Rußland. Nach der Einführung des Christentums, wie auf Island ums Jahr 1000, unter dem Normannenfürsten Wladimir dem Großen verschmolz das schwedische Warägertum dort allmählich mit dem Slawentum. Kjew und Nowgorod waren die alten Kulturplätze, die die Normannenfürsten dort angelegt hatten. Da standen die stolzen Wikingerburgen der normannischen Herrscher, von denen aus sie ihre Wikingerzüge weithin in die Länder ausdehnten. Dort liefen die alten Handelsstraßen, auf denen die Wikinger ihre Pelzwaren gegen die Schätze des Südens eintauschten. Noch tragen sieben mächtige Stromschnellen des Dnjepr aus jener Zeit normannische Namen.

Am längsten währte die Normannenherrschaft in Italien. Erst um 1200, also zu Snorris Zeit, ging das Reich, das von der Normandie aus gegründet war, in den Besitz der Hohenstaufen über. Damals war es lange ein blühendes Staatswesen,



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das Sizlien und einen großen Teil des süditalienischen Festlandes umfaßte. Echt wikingerhaft war es doch aus ganz kleinen Anfängen heraus gegründet. Robert Guiskard und seine Brüder, die bald nach dem isländischen Heldenzeitalter jenen Normannenstaat im Süden schufen, waren als abenteuernde Söhne eines armen Ritters aus der Normandie gezwungen, durch jene Tat sich eine Existenz zu schaffen. Im normannischen Baustil, der die herrlichen Kathedralen von Palermo und Messina schmückte, ragte hier auf romanischem Boden ihrem und ihrer Nachfolger Namen das ehrendste Denkmal.

Am meisten haben nächst Island Frankreich und England die staatenbildende Macht der Normannen empfunden.

Aus der ersten großen Wikingerperiode, in der dänische Männer die Führer waren, steigt um die Zeit, da Islands Besiedelung im vollen Werden ist, das Herzogtum der Normandie in Frankreich empor. Da die Wogen einer zweiten Normannenbewegung , die nach längerer Friedenszeit doppelt heftig einsetzte , abnahmen, steht das Wikingerreich Knuts des Großen, des Zeitgenossen Olafs des Heiligen, auf England in größter Blüte.

Im Todesjahr Haralds des Harten von Norwegen, während Islands glücklicher Friedensepoche, verbindet Wilhelm der Eroberer nach der Schlacht bei Hastings die Normannenkraft Englands und Frankreichs mit dem Angelsachsentum Großbritanniens. Der Grund zu dem größten Kolonialvolke der Erde ist gelegt.

Was an geistiger Wikingerkultur im Mittelalter auf England und Frankreich überging, ist nicht die Kultur der isländischen Saga. Aber das Heldentum, das die normannische Blutmischung in der langen Zeit der Wikingerherrschaft in diese Länder hineinträgt, ist dem Kämpentum der Saga verwandt .

Die normannischen Dichter spielen in der französischen Literatur eine besondere Rolle. Der Begründer der klassischen Literaturperiode Frankreichs, Corneille, war ein Normanne. Der ungewöhnlich heldenhafte Charakter seiner älteren Werke,



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besonders des Cid, ist oft betont. Shakespeares Jugendstück Richard III., so sehr es mit der englischen Königsgeschichte verwachsen ist, ist ein Wikingerdrama durch und durch. Sein Hauptheld könnte in seiner reuelosen Rücksichtslosigkeit Held einer isländischen Saga fein. Bei Corneille wie bei Shakespeare hat der Wikingergeist noch in so später Zeit Pate gestanden.

Eigenartig berühren uns die kargen Reste normannischer Sprache in Rußland, das heldenhafte Normannentum in der französischen Literatur, die Wikingerart mancher shakespearschen Heldengestalt und der prachtvolle Normannenstil sizilianischer Dome. Aber sie sind nur ein letzter flüchtiger Widerschein des einst so stolzen Wikingertums in jenen Ländern.

Der isländischen Saga, in der die Kraftnatur des staaten- gründenden Normannenvolkes am stärksten ausgeprägt war, wurde schon in Dänemark in alter Zeit ein bleibendes Denkmal gesetzt. Von hier war die Wikingerbewegung zuerst ausgegangen , deren letzte elementare Ausbrüche die isländische Renaissance darstellte. Eine solche Wiedergeburt des Wikingertums hatte schon früher unter dem König Waldemar dem Großen auch Dänemark erlebt.

Die Kämpfe dieses Königs und seines streitbaren Bischofs Absalon gegen die Wenden, die auch damals Heinrich dem Löwen in Deutschland so viel zu schaffen machten, hatten die alte Wikingerlust wieder aufleben lassen. Dort an der pommerschen Küste hatte ja auch das alte Wikingernest Jomsborg gestanden, Ein neuer Wikingerbund im Stile des alten wurde gegründet, Die alte Wikingerdevise "Wir sind alle gleich" und dieselbe strenge Manneszucht lebt in diesen Nachfahren der alten Wikinger , deren Heldentum der König und der Bischof begünstigen. Absalon aber ist auch ein gelehrter Kirchenfürst. Durch die Erinnerung an die alten dänischen Heldensagen und das Kriegertum, das die isländischen Sagas bieten, will er das mannhafte Kämpentum seines Volkes unterstützen. Er plant ein Geschichtswerk zum Ruhme Dänemarks.

Ein junger Geistlicher, Saxo, mit dem Beinamen Grammatikus, d. h. der Gelehrte, brachte diesen Plan zur Ausführung,



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Er war ein Nachkomme jener Seehelden, die unter Waldemar dem Großen den alten Ruhm der Wikingerzeit erneuert hatten. In der Darstellung dieser und seiner eigenen Zeit ist sein Werk, Die Geschichte der Dänen, rein historisch. Aber die ersten neun Bücher steigen tief in die heimische Sagazeit hinab. An vaterländischer Begeisterung und umfassender Kenntnis des alten Heldenzeitalters seines Volkes war Saxo ein Gegenstück zu Snorri. Aber obwohl er noch ein älterer Zeitgenosse des großen Isländers war, hat er von dem großartigen Geistesleben auf Island während dessen Renaissance kaum eine eingehende Kenntnis gehabt.

Nicht die alten isländischen Familiengeschichten oder Königsgeschichten haben auf Saxos Darstellung gewirkt. Isländische und norwegische Heldenromane und Märchengeschichten sind es, die vielfach in den sagengeschichtlichen Teil seines Geschichtswerkes verflochten wurden. Sie wurden ihm von isländischen Sagaerzählern am Hofe des Erzbischofs Absalon zugetragen, und ihr Fabulierstil wurde ihm geläufig.

Berühmten dänischen Sagahelden hatte auch die Isländersaga ihr Interesse zugewandt. Vor allem wurde von dem alten König Rolf Krake auf der Königsburg von Lejre und dem strengen Vertreter unverfälschten Wikingertums, dem unermüdlichen Kämpen Starkad, auf Island wie in Dänemark erzählt. Und ebenso gingen Mythen der Götter, von Odin wie von Balder, in beiden Ländern von Mund u Mund.

Saxo hat sein Geschichtswerk in lateinischer Sprache verfaßt. Weder an Volkstümlichkeit noch an kritischer Größe kann es äch mit Snorris Königsbuch messen.

Aber das schlichte dänische Heldentum tritt uns selbst aus den wunderlichsten Gedichten Saxos in vergilischen und horazischen Versen doch plastisch entgegen. Das alte Bjarkilied, das an Olafs des Heiligen Todestag vor der Schlacht bei Stiklestad gesungen wurde, bleibt an Kraft und Schönheit hinter keinem Eddalied in "Thule" zurück.

Auf dem Hintergrunde solches düstern, schicksalsschweren Heroentums wirkt dann die Fabulierfreude des isländischen Heldenromans in demselben Werke oft besonders anmutvoll



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und unterhaltend. Auch die Form der alten isländischen Saga versagt in der geschraubten lateinischen Prosa Saxos nicht ihre Wirkung.

Wie die Erhaltung der alten Sagakultur im Mittelalter bei Snorri und Saxo Isländern zu danken ist; so haben sie allein auch ihre Weiterwirkung in der Neuzeit ermöglicht. Zur Zeit des dreißigjährigen Krieges wurden die alten Handschriften der Eddalieder und von Snorris Skaldenlehrbuch wieder aufgehnden. Allmählich kamen alle die alten Sagaschätze wieder ans Licht. Sie wurden dann von den dänischen Königen zum größten Teil den großen Kopenhagener Bibliotheken einverleibt. Vom Ende des 18. Jahrhunderts beginnt allmählich ihr Bekanntwerden in allen germanischen Ländern.

Für die Sichtung und kritische Durchforschung ihrer Nationalschätze , die erst ein Wiederaufleben durch Übertragung und Nachdichtung in der Jetztzeit ermöglichte, haben große neuisländische Gelehrte mit das meiste getan.

In Deutschland übertrug Herder in den Stimmen der Völker, für seine Zeit meisterhaft, das Eddagedicht "Die Weissagung der Seherin". In seinen Ideen zur Geschichte der Philosophie der Menschheit fand er die treffendsten Worte zur Wertung der isländischen Lieder und Sagas.

Die Arbeiten von Jakob und Wilhelm Grimm, von Uhland und Simrock setzten in Forschung und Nachdichtung zu ihrer Verbreitung ein. In die romantische Dichtung hielten Eddapoesie und isländische Saga ihren Einzug durch Fouqué und Oehlenschläger. Noch heute ist bei den Neuisländern die Liebe und der Idealismus, mit dem jene Männer sich ihrer heimischen Sagastoffe annahmen, unvergessen. Aber das klassische Werk jener romantischen Richtung entstand weder in Deutschland noch in Dänemark, sondern in Schweden. Esaias Tegnérs Frithjofssaga fand die begeistertste Aufnahme in ganz Europa, auch beim alten Goethe. Sie wurde Gemeingut der Weltliteratur und wirkt auf uns wie eine deutsche Dichtung.

Das Geheimnis der Wirkung von Tegnérs Frithjofssaga lag in dem großen Dichter selbst. Tegnér, der Nachkomme kerniger Bauerngeschlechter aus der anm Sagagegend Wärmland,



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trug ein Wikingertum der Seele in sich, das seinen Vorgängern in der romantischen Dichtung fremd war.

Seine Vorlage, die isländische Frithjofssaga, gehörte nicht zu den alten Geschichten des Heldenzeitalters. Sie war einer der späten Heldenromane und ihr sagenhafter Vorwurf reine Dichtung . Aber ihr eines Hauptmotiv, Fritdjofs Liebe zu Ingeborg, war doch auch schon in alten Sagas wie der vor Gunnlaug Schlangenzunge vorhanden. Das andere Hauptmotiv, der Streit Frithjofs mit den Königssöhnen, bekam schon durch den Schauplatz und die Zeit, wohin es verlegt wurde, etwas von der Ehrwürdigkeit der ältesten isländischen Sagas. Noch vor Harald Haarschöns Alleinherrschaft in der Gegend des Sognefjords sollte der Hader Frithjofs mit seinen Pflegebrüdern vor sich gegangen sein.

Die seelische Vertiefung jener späten Märchendichtung mit dem Kulturanstrich der alten Saga ist allein Tegnérs Werk. Aus dem phantastischen idealguten Frithjof und seinen unwahrscheinlichen Bösewichtern bat der romantische Dichter menschlich ergreifende Charaktere geschaffen. Aus der für die Entwicklung der Saga in Tegnérs Quelle wenig bedeutsamen Ingeborg ist die tiefempfundene Partnerin Frithjofs geworden, die dies nordische Liebespaar für immer unsterblich gemacht hat.

Die echt menschliche Ausgestaltung jener typischen Figuren des Heldenromans ließen nun auch die Bilder alter Sagakultur durch die Tegnér sein romantisches Liebesgedicht von Frithjof und Ingeborg schmückte, mit der Natürlichkeit der alten Saga wirken.

Der düstere Schicksalsgedanke jener fehlte freilich auch Tegnérs Dichtung. Wie in isländischen Heldenromanen schließt alles gut. Ingeborg reicht am Schluß Frithjof über Balders Altar die Hand zu glücklicher Vereinigung. Dafür gibt aber der männliche Zug, den das Ächtertum und die Wikingerfahrten Frithjofs, die irdischen und himmlischen Walhallszenen der Dichtung aufprägen, ein kampfernstes Gegengewicht.

Der Empfindung des Zeitalters, das in Tegnérs Fruhjofssaga den wahrsten modernen Ausdruck der Wikingerzeit sah,



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gab der alte Goethe wohl den besten Ausdruck: "Die alte kräftige gigantisch-barbarische Dichtart kommt uns, ohne daß wir recht wissen, wie es zugeht, auf eine neue sinnig zarte Weise, und doch unentstellt, höchst angenehm entgegen."

Ein großer Schritt aus der Romantik in die Wirklichkeit war es, als in Norwegen der junge Bjömson und der junge Ibsen den Prosastil der Saga selbst künstlerisch wirksam nachzubilden begannen.

Björnsons Bauernnovellen spielen nicht in der alten Zeit. Aber ihre Helden sind kräftige natürliche Gestalten mit einem eigenartigen inneren Leben wie die Bauern der isländischen Sagens. Hier war diese gegenständliche schmucklose Prosa das wirksamste Kunstmittel, die dichterische Täuschung des wirklichen Lebens zu vollenden.

In einem Drama aus der alten Sagazeit selbst wandte dann Ibsen den scharfzugespitztcn Dialog der Sagas mit großem Glück an. Es war die an Motiven aus der alten Saga überreiche "Nordische Heerfahrt", in der der Dichter seine künstlerischen Aktstudien für die "Kronprätendenten" machte.

Wie Tegnér gegen die Mitte, so ist Ibsen am Ende des 19. Jahrhunderts fur die Verbreitung des Interesses an isländischer Saga von Bedeutung geworden. Der klare, scharfpointierte Dialog seiner Prosa, der an die isländische Saga erinnert, ist ja in allen späteren Stücken Ibsens. Als von den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts an die bürgerlichen Stücke übersetzt wurden und jedes neue Stück in Deutschland ein Ereignis zu werden begann, traten auch die Kronprätendenten in deutscher Übertragung hervor, Sie bildeten den Abschluß der Jugendstücke, ehe Ibsen sich gan; den Gesellschaftsstücken zuwandte. Und sie tragen in dem Gegensatz von Hakon und Jarl Skule am schroffsten den Gedanken, der alle Jugenddichtungen Ibsens durchsieht, den Widerspruch zwischen Können und Begehren, zwischen Willen und Möglichkeit. Hakon der Glückliche löst ihn, Jarl Skule der Unglückliche geht an ibm zugrunde.

Dieser Grundgedanke Ibsens bekommt aber in dem Stück auch eine tiefe historische Wahrheit, Hakon der 'Alte ist der



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Der östliche Eisstrom des Snaefellsjökull. Westisland



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Mann, der eine neue Zeit schafft und darum der geborene Herrscher des norwegischen Staates. Jarl Skule wurzelt ganz in den Traditionen der alten Zeit. Er wagt es nicht mit der durch diese geheiligten Überlieferung zu brechen und legt so stets die Erfolge seiner eigenen Tatkraft lahm. Er kann nicht König werden, weil er in einer Zeit, wo das Neue bereits zum Durchbruch gekommen ist, das Hakon mühelos pflückt, noch immer die "alte Saga" wiederholt.

Die "alte Saga"ist in Snorris Königsbuch bei Olaf Tryggvason und Olaf dem Heiligen. Aus ihr hat wie Tegnér auch Ibsen den Stoff fin sein Drama nicht geschöpft. Es spielt während der Sturlungenkämpfe auf Island und der ewigen Zwiste der Birkebeiner und Bagler in Norwegen.

Der Gegensatz des Erfolgs und des Mißerfolgs, des Glücks und des Unglücks in Hakon und Jarl Skule war durch die Darstellungen der Sturlungengeschichten und die Saga Hakons des Alten gegeben.

Die tapfere Größe die Jarl Skule in Ibsens Stück auszeichnet und die in so seltsamem Widerspruch zu seinem traurigen Ende steht, fand der Dichter bereits in den isländischen Quellen scharf ausgeprägt. Hakons neidlose Anerkennung Skules bei Ibsen ist tiefe innere Wahrheit und weit von dem leichten Edelmut eines glücklichen Märchenprinzen entfernt.

In Snorris Lobgesang auf Hakon und Skule ist die größere Liebe doch bei dem Jarl. Und selbst in den Zeiten des Zwists beider verfaßt der ältere Neffe Snorris ein Preislied auf König und Jarl, das neben Hakon, dem Günstling des Glücks, auch Skule, dem Mann der kühnen Tat, volle Gerechtigkeit widerfahren läßt.

Ibsens Kronprätendenten haben ihre literarische Bedeutung nicht durch das Interesse, das sie für die alte isländische Saga erweckten, allein bekommen. Die verwickelten Gedankengänge König Hakons und Jarl Skules, die durch die Grundidee des Stückes bestimmt wurden, waren der alten Saga und den alten Skaldenliedern fern. Aber im ganzen bat sich doch das Ringen eines modernen Geistes, der das Stück durchweht, so einheitlich mit dem alten Stoff verbunden, daß der Charakter



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der Saga gewahrt bleibt. Mit Ibsens Kronprätendenten ist die isländische Saga, am modernsten gestaltet, in die Weltliteratur eingetreten.

Keine Gestalt gibt einen so lebendigen Widerschein aus der alien Saga wie der Skalde Jatgeir, der treue Freund und Sänger Jarl Skules während seines kurzen Königsglücks.

Die Gestalt des isländischen Skalden hatte es vor allem nötig, unserem modernen Empfinden näher gebracht zu werden. Die Vorstellung des Skaldentums ist bis auf unsere Tage im allgemeinen kaum weniger nebelhaft gewesen als das phantastische Bardentum der Klopstockzeit.

Der Skalde Jatgeir tritt in Ibsens Stück äußerlich nur episodenhaft auf. Er ist nicht so tief in die Schicksale der Haupthelden Hakon und Skule verflochten, wie der geniale ränkesüchtige Bischof Niklas oder die Königin Margarete, eine der entzückendsten Frauengestalten, die Ibsen je geschaffen hat. Jatgeirs Auftreten gerade an dem bedeutsamen Wendepunkt des Dramas genügt aber; um die Größe und Bedeutung des alten Skaldentums in diesem modernen Gegenbilde eines Hallfred, eines Sighvat und eines Egil Skallagrimsson unvergleichlich zu offenbaren.

In der Königshalle beim Siegesmahl Jarl Skules singt der Skalde Jatgeir sein Preislied und wird in die Gefolgschaft aufgenommen . Aber der Ruhm des Königs und der Hohn über die besiegten Feinde fliegt auch in bartgeprägten Scherzworten in die Versammlung, die immer zünden. Jatgeirs Drängen nach neuen Waffentaten, nach neuem Stoff für seine Lieder ist unersättlich und reißt alle Mannen mit sich fort. Für seinen König stirbt er gern. Das ist Hallfred der Königsskalde.

Aber in scharmintiertem Gespräch mit Jarl Skule tritt die kluge und berechnende Art in Jatgeirs Wesen hervor. Der für seinen König stirbt, kann doch nicht in dem Sinn für ibn leben, daß er ihm seine Wesenheit opfert. Der Stolz der Skalden macht sich geltend, der die gleiche Einheitlichkeit des Wesens, die ihn selbst beseelt, auch vom Könige verlangt. Jatgeir ist der feimütige Berater; den Skule sich zum Freunde wünscht. So war auch Sighvat einst den Königen gegenübergetreten.



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Glänzender noch als der Skalde und Kämpe in der Halle, als der Vertraute des Königs unter vier Augen leuchtet der einsame Dichter Jatgeir hervor. "Am Tage mag das Skaldenlied aufgezeichnet werden, in der Stille der Nacht wird es gedichtet . Die Skaldenkunst lehrt man nicht. Durch den Schmerz wird der Skalde zum Dichter." Dies Bekenntnis hebt Jatgeir doch über den Kämpen, Sänger und Freund der Könige hinaus . Hier lebt Egil wieder auf in seinen größten Liedern.

An ihn dachte Ibsen schon in der nordischen Heerfahrt, wo er das Lied des höchsten Skaldenschmerzes, Egils "Der Söhne Verlust" nachdichtete. Man mag es nun mit der Nachbildung des Originals in Thule vergleichen. Vielleicht findet die Übertragung der bilderreichen Skaldenlieder in der Geschichte vom Skalden Egil gerade bei den Vertretern unserer modernen L'art pour l'art'-Dichtung Verständnis. Trotz des großen Zeitabstandes lebt in Egils Liedern etwas ihren künstlerischen Idealen Wesensverwandtes.

Der Leser Thules wird selbst beurteilen können, wie weit der Zusammenhang Ibsenscher Kunst mit den alten Liedern und Sagas auf Wahrheit beruht. Er kann den Stil der alten Geschichten mit dem Ibsens vergleichen. Er kann sich ein Urteil bilden, inwiefern auch in den Gestalten der bürgerlichen Dramen Ibsens etwas Wikingerhaftes steckt. Vielleicht werden Charaktere wie die sehnende Frau Ellida am Norwegerfjord oder die abenteuerlustige Hilde Wangel manchem in neuem Lichte erscheinen. Am meisten wird vielleicht der alte wikingerhafte Wolf John Gabriel Borkmann an Verständnis gewinnen. Auch für die Grundidee von Ibsens Dramen ist die Saga von Bedeutung. Neben den Schicksalsgedanken der Alten und der modernen Vererbungstheorie hat auf jene auch die Idee von dem eigentümlichen Walten des Geschickes in den isländischen Familiengeschichten gewirkt. Inwieweit, kann der Leser Thules selbst entscheiden.

In den Liedern und Geschichten Thules fehlt es nicht an Vorwürfen, die zu moderner Nachdichtung reizen können. Der Heldenroman ist in Tegnér, die spätere geschichtliche Saga in Ibsen verjüngt auferstanden. Noch mehr verdient die ehrwürdige



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isländische Familiengeschichte mit ihren prächtigen Skaldenliedern eine Wiedergeburt in moderner Dichtung. Keine ladet dazu in ihrer großartigen Verbindung von Poesie und Prosa mehr ein als die Geschichte vom Skalden Egil.

Gerade heute vor tausend Jahren kündigte der zwölfjährige Egil in einer übermütigen Improvisation den Beginn seiner Wikingerlaufbahn an. Vielleicht wird das Wort seiner schönen Altersdichtung auch in der Poesie unserer Tage für ihn noch einmal zur Wahrheit: "Der Ruhmeshügel, den ich errichtet, wird dauernd stehen im Reich der Dichtung."


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