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Felix Niedner Islands Kultur zur Wikingerzeit


Mit 24 Ansichten und 2 Karten

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


13. Christentum und Renaissance

Im Heldenzeitalter waren alle Keime von Islands Wikingerkultur enthalten. Damals waren die großen Taten, die die Saga erzählte. vollbracht. Damals waren die schönsten und denkwürdigsten Skaldenlieder entstanden.

Aber weder Saga noch Skaldenlied wurden in jener tatenreichen Zeit aufgezeichnet. Es mag sein, daß hie und da ein besonders schöner Skaldensang in Runen auf Hol; geritzt wurde, wie dies Egils Tochter mit dem Lied "Der Söhne Verlust tun wollte. Die Mehrzahl der Lieder und Geschichten pflanzte sich mündlich fort von einer Generation auf die andere.

Erst im dreizehnten Jahrhundert erhielten die Sagas das äußere Gewand, in dem wir sie jetzt lesen. Damals wurden Eddadichtung und Skaldenlieder auch in der Schrift zum Gemeingut des ganzen Volkes. Der isländische Staat ging in jener Zeit schon seiner Auflösung entgegen. Er wurde durch innere Uneinigkeit wieder eine Provinz des alten Mutterlandes Norwegen.

In etwa zweihundert Jahren, von 1030-1264, war die jetzt christliche Republik allmählich zu einer Stätte auserlesener Bildung geworden. Das Christentum stand der Überlieferung der heimischen Lieder und Sagas, solange diese mündlich erfolgte, nicht feindlich gegenüber. Als dann später die schriftliche Aufzeichnung im großen Maßstabe begann, waren gerade die Geistlichen mit die besten Hüter der nationalen Schätze.

Dieses, wenn man an die Vorgänge in Deutschland und England denkt, merkwürdige Verhältnis des Christentums zur heidnischen Kultur erklärt sich aus dem Wesen und der Abgeschlossenheit des isländischen Volkes. Wir haben die religiöse Gleichgültigkeit und Skepsis der alten Götterwelt gegenüber schon bei den Männern der Landnahmezeit und des Heldenzeitalters beobachtet. Man übertrug sie im allgemeinen auch auf den neuen Glauben. Die Einführung des Christentums auf der Insel war ein Akt nüchterner Staatsraison gewesen. Von einem religiösen Fanatismus, wie ihn die Könige Olaf Tryggvason und Olaf der Heilige den norwegischen Verhältnißen



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aufprägten, war auf Island keine Rede. Die isländischen Geistlichen fühlten sich immer zuerst als Kinder ihres Volkes.

Die Entfernung der Insel von Europa kam dieser Sonderstellung der isländischen Kleriker sehr zu Hilfe. Die fremden Bischöfe; die auf die Insel gesandt wurden, fanden wie früher die Missionare wenig Anklang im Volk. Ein isländischer Episkopat aber entwickelte sich erst langsam auf der Insel. blieb unabhängiger als irgendwo von der Zentralgewalt in Rom.

Endlich bildeten sich zwei einheimische Bischofssitze heraus, Skalholt im Westen und Holar im Norden wurden unter den ersten beiden Bischöfen gegründet. Aber erst in der Folgezeit wurden sie durch reiche Erhebung des Zehnten und Gründung von Schulen die geistlichen Mittelpunkte der Insel. Die Erzbischöfe von Bremen, dann von Lund, endlich von Drontheim führten aus der Ferne die schwierige Oberaufsicht.

Auf die Abnahme des kriegerischen Geistes hat das Christentum wohl allmählich gewirkt, doch von einem christlich frommen Leben war wenig die Rede. So staunte man Männer, die die Fastenzeit streng innehielten, naiv an. Bei der geringen Zahl und der Unbildung der Geistlichen ging das kirchliche Amt oft auf die früheren Besitzer der Godentümer über. Reiche Häuptlinge bauten sich jetzt statt der Tempel geräumige Kirchen . Denn es war ein Aberglaube, daß so viele Seelen in den Himmel kämen, wie Menschen Platz in einer Kirche hätten. Jene Großen oder Stellvertreter, die diese für ihre Kirche bestellten, bekamen oft auch bei ganz unchristlicher Denkart die kirchlichen Weihen.

Der Zölibat der römischen Kirche fand auf der Insel keinen Eingang. Die Priester waren verheiratet und blieben so ihrem Volke näher. Selbst die Bischöfe lebten in Ehe oder Konkubinat und waren bei der Entfernung der erzbischöflichen Aussicht in Bremen und dann in Lund unabhängig wie früher die Großbauern oder Kleinfürsten. Erst als Drontheim Sitz des Erzbistums für Norwegen und Island wurde, hörte das allmählich auf.

Bei der geringen Kluft, die in altgewohnter Lebensweise



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zwischen Geistlichen und Laien bestand, wurde auch die Erinnerung an die Taten und Sagas der Väter dort wie hier mit gleicher Liebe gepflegt. Jemehr Streitigkeiten und blutig verlaufende Rechtsprozesse auf der Insel aufhörten, bekam der Charakter des Alltagslebens etwas Friedlicheres. Die Versammlungen auf dem Allthing, auf denen jetzt auch die Geistlichkeit Sitz und Stimme bekam, hörten nicht auf, den lebendigen Geistesaustausch des Volkes zu fördern.

Wir haben in der Geschichte vom durchtriebenen Ofeig gesehen, wie ein geschickter Sagaerzähler auch durch die Vorführung unblutig verlaufender pikanter Geschichten sein Publikum zu unterhalten wußte. Wem noch wikingerhafter das Blut in den Adern pochte, der mochte sich an die Geschichte von König Harald dem Harten halten. Wir wissen ja, daß auf dem Allthing ein Kriegsteilnehmer an den Zügen des Königs im Orient seinen Zuhörern dessen Saga erzählte. Die friedlicheren Anekdoten des Tages, die alten wunderbaren Abenteuer der Väter wurden in gleicher Weise gepflegt. Das Leben war nicht mehr so aufregend und tatenreich. So wandte man sich doch oft wieder der Vergangenheit zu.

Die kleinen novellenartigen Erzählungen der Sagas erhielten hier erst vielfach ihre volle Abrundung.

Man lachte über die raffinierte Art, wie der Sohn des Häuptlings Siduhall dein guten Thorhall Biermütze aus der Verlegenheit geholfen hatte. Der arme Kerl, der auf dem Allthing in seiner Bude Bier verkaufte, sollte durch Unvorsichtigkeit einen Waldbrand verursacht haben. Sechs geschädigte Goden sielen über ihn her. Alle mußten durch des Häuptlings schlaue Verteidigung unverrichteter Sache absieben. Das alles war ja kürzlich hier auf dem Allthing passiert.

Aber ein anderer, der noch in der Jugend der Heldengeneration angehört hatte, wußte von ernsteren Auftritten hier auf dem Allthing aus alter Zeit. Hier hatte der junge Grettir verzweifelt gestanden, dem auch ein Brandverbrechen zur Last gelegt wurde. Er wurde erbarmungslos verurteilt. Er eilte in Raserei und Verzweiflung von Ort zu Ort. Er war doch so treu und mußte so elend enden.



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So mischten sich auf dem Allthing neue und alte Geschichten. In dem Aberglauben und Spuk der Familiengeschichten waren die Geistlichen bewandert wie alle. Wie leicht war es, hier christliche Wundermärchen und Legenden einzuflechten. Nannte man nun auch die weissagende Völva entrüstet heidnische Hexe: ein Liebling der Volkserzählung blieb sie doch.

Hier mögen dann endlich die ersten Ansätze zum Heldenroman aus mündlichen Erzählungen entstanden sein. Noch immer kamen Ausländer zum Besuch auf die Insel. Sie wußten von der Liebe Frithjofs aus dem Sognefjord zur schönen Ingeborg zu erzählen, von dem stolzen Wiking, der durch seine Heldentaten sich doch schließlich die Geliebte gewann. Die Geschichte kannte man doch etwas. Das war ja eine Liebesgeschichte wie die von Gunnlaug Schlangenzunge und Helga. Man verglich. Die mußte man im Gedächtnis behalten.

So bekamen allmählich auch diese romantischen Heldennovellen aus dem Ausland den alten liebgewordenen Stil der Saga,

Nun kam vielleicht ein Skalde. Er kannte die neueste witzige Improvisation seines Freundes Thjodolf, die er am Hofe Haralds des Harten gehört hatte. Es war jenes Gedicht, das einen Gerber in Fafnirs, einen Schmied in Sigurds Maske darstellte.

"Der Sigurd des Schmiedehammers reizte die schreckliche Gerberschlange, und der Drache der Heide wand sich heraus aus der Lohgrube. Die Menschen fürchteten den Wurm der Stiefel, bis der langnasige König der Zangen die Natter des Rindleders überwand." Man lachte. Mancher dachte an die alten Heldengedichte von Sigurd dem Fafnirtöter und Brynhild zurück. Es mochten dabei auch hier schon gelegentlich Stücke in Prosa erzählt werden, die unwillkürlich die gewohnte treue und schlichte Form der Saga annahmen. Die heldenromanartige Paraphrase der Völsungensaga war in einem Stück vorbereitet, dem bald mehr in gleichem Stile folgte.

Diese glückliche Friedenszeit währte auf Island etwa fünf Menschenalter. Die Bischöfe und Geistlichen, die häufig auf Reisen im Auslande ihre gelehrte Bildung empfingen, verloren darüber nicht das Interesse an der Geschichte der Heimat. Das glänzendste Beispiel dafür ist der Priester Ari aus vornehmem



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Häuptlingsgeschlecht, der jene erste vaterländische Geschichte in isländischer Sprache schrieb, deren alte Geschlechterannalen M das Besiedelungsbuch von so großer Bedeutung wurden. Als Aris grundlegendes historisches Werk entstand, mehrten sich bereits die gelehrten Bildungsstätten im Lande.

Vor allem wurden die beiden Bistümer Skalholt im Westen und Holar im Norden der Insel Mittelpunkt der Bildung. Als dort der Bischof Thorlak, hier der Bischof Jon Ögmundarson heilig gesprochen wurde, strömten die Zehnten aus dem Lande und Weihgeschenke aus dem ganzen christlichen Norden nach diesen Plätzen. Besonders Skalholt wurde ein Sitz der Wohlhabenheit . Eine Schulbildung in großem Umfange konnte dort gepflegt werden und weit in das Land hin wirken.

Neben diesen Domschulen aber entstanden, besonders im Südwesten, andere mehr privater Natur. Sämund der Kluge, den die Überlieferung lange als Dichter der Eddalieder bezeichnete , unterrichtete in Odde. Eine andere berühmte Schule, wo Ari, der Vater der isländischen Geschichte, seine Ausbildung empfing, war in Haukadal, nahe dem großen Geysir.

Hierzu traten dann endlich von 1130 ab Klosterschulen. Unter diesen nahmen die Benedictinerklöster zu Thingeyrar und Munkathvera im Nordlande die hervorragendste Stellung ein. Aber auch im Westen und Süden, gerade dort, von wo die schönsten Sagas überliefert sind, entstanden Klöster, wo deren Aufzeichnung vorbereitet wurde. In allen diesen Schulen wurden neben der lateinischen Gelehrsamkeit, neben heimischer Geschichte und Rechtskunde auch Sagaerzählung und Skaldenkunst gepflegt.

Von 1200 ab beginnt eine emsige Tätigkeit in der künstlerischen Redaktion der alten Sagas, der Familiengeschichten und Königsgeschichten.

Der Stil der Saga war ein so einheitlicher und fest gefügter, daß er für jede Form der Prosaerzählung fortan das äußere Gewand blieb. Im Inhalt der Sagas aber ging allmählich eine Veränderung vor. Jene schöne Mischung von Wahrheit und Dichtung, die die alten Familiengeschichten des 10. Jahrhunderts auszeichnete, ging verloren.

Der romantische Charakter, der uns schon in der endgültigen



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Redaktion mancher älteren Familiengeschichte, wie der von Grettir , entgegentrat, wird jetzt zur Regel. Ein ungeheurer Apparat von wunderbaren Ereignissen und übernatürlichen Personen wird in den Heldenromanen aufgeboten. Wikingerfahrten im Osten spielen eine Hauptrolle. Ihre Helden und Heldinnen sind in eine Fülle von Glanz und Schönheit getaucht. Von dem düsteren Geschick, das so viele der alten Familiengeschichten durchzieht, ist nichts in ihnen zu finden. Die Fabel endet meist glücklich.

Die meisten dieser Sagas spielen in Norwegen, Schwede und Rußland. Aber auch in Finnland, dessen als Zauberer verschrieene Einwohner so recht in die phantastische Welt des Heldenromans passen. Auch wo diese Sagas historische oder halbhistorische Männer zu Helden haben, sind diese doch in der Darstellung zu typischen Heroen geworden, die mehr den Gestalten der Edda als denen der isländischen Saga gleichen. Einige der schönsten Eddalieder in Thule, so das Gedicht, in dem Hervor das Zauberschwert Tyrfing von ihrem Vater Aegantyr aus dessen Grabhügel erhält, stammen aus solchen Sagas.

In die Form des Heldenromans wurden dann zuletzt sogar fremde Stoffe gekleidet. Die Ritterdichtung kam nach dem Norden. Aus Frankreich zogen die Gestalten der Artusromane, Parzival und Gawan, in die Saga ein. Aus Deutschland aber erzählte ein Nordländer auf Grund mündlicher Berichte niederdeutscher Männer die Saga von Dietrich von Bern. Diese Geschichte ist also eine deutsche Heldensage im nordischen Gewand.

Hier war alles, was deutsche Männer erzählt hatten, auch die Geschichte von Wieland dem Schmied und den Nibelungen, um den großen Gotenkönig gruppiert.

An Sigurd den Fafnirtöter als seinen angeblichen Verwandten knüpfte man die Heldengestalt des berühmten Wikingerkönigs Ragnar Lodenhose, der in Frankreich und England große Taten vollführt hatte. Die Helden der Nibelungendichtung in der Edda, die Völsungen, wurden nun auch als zusammenhängende Saga der Lebensgeschichte jenes Königs vorangestellt .

In den Heldenromanen gingen "Wahrheit und Dichtung"



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der alten Saga fast in reine Dichtung über. So nannte man sie wohl auch Lügensagas.

Die Königssagas trugen schon in alter seit einen mehr geschichtlichen Charakter als die Familiengeschichten. Jetzt schwindet allmählich die Dichtung fast ganz. Äußerlich behalten sie wie die Heldenromane den Stil und die Erzählart der alten Saga bei. Sind aber diese dem Inhalte nach wirkliche Sagen geworden, so haben wir in den Königssagas jetzt einfache Geschichte. Aus Ibsens Kronprätendenten ist der Streit der Birkebeiner und Bagler bekannt, vor allem die Seele des ewigen Aufruhrs Bischof Niklas. Von alledem erzählt schon die Geschichte des Königs Sverrir, des Großvaters von König Hakon in Ibsens Stück. Diese Geschichte ist von einem isländischen Abt nach genauer Anweisung König Sverrirs und unter gewissenhafter Benutzung der königlichen Archive verfaßt. Sie ist Geschichte wie später die seines Enkels Hakons des Alten.

Auch die Bischofsgeschichten tragen geschichtlichen Charakter. Neben den norwegischen Königen, die immer mehr ansingen, auf die isländischen Verhältnisse Einfluß zu gewinnen, erregte das Leben dieser oft mächtigen und energischen Kirchenfürsten vornehmlich das Interesse des Zeitalters. Auch die Kirchengeschichte gruppierte man echt sagamäßig um berühmte Persönlichkeiten.

Eine Herrschernatur war der zweite Bischof von Skalholt, Gissur. Er hatte die auf ihn gefallene Wahl nur unter der Bedingung angenommen, daß sämtliche Häuptlinge des Landes sich förmlich ihm gegenüber verpflichteten, allen kirchlichen Geboten, die er erlassen werde, unbedingt zu gehorchen. Von ihm schrieb der gelehrte Historiker Adam von Bremen am Hofe des dortigen Erzbischofs Adalbert: "Die Isländer haben einen Bischof als König. Auf seinen Wink gehorcht das ganze Volk. Was er bestimmt, halten sie für Gesetz." Harald der Harte aber, der gescheite und witzige Norwegerkönig, rühmte Gissur nach, daß er zu dreierlei gleichmäßig das Zeug habe, zu einem guten Bischof, zu einem tüchtigen Wikingerführer und zu einem regiersamen Könige.



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Kraftvolle Erscheinungen aus späterer Zeit waren die Bischöfe Thorlak und sein Neffe Pal.

Der erste fühlte sich schon mehr als seine fünf Vorgänger in Skalholt als Vertreter der römischen Hierarchie. Jene hatten sich in ihrer äußeren Erscheinung und Lebensführung wenig von den weltlichen Häuptlingen ihres Volkes unterschieden. Thorlak drang auf strenge Durchführung des unvolkstümlichen kanonischen Rechtes. Er lebte in Ehelosigkeit und ging so seinen Geistlichen mit gutem Beispiel voran. Darum wurde er um 1200 auf dem Allthing von Rom aus heilig gesprochen.

Volkstümlicher war Thorlaks Nachfolger, Bischof Pal. Unter ihm entfaltete sich auf Skalholt ein reiches und prächtiges Leben. So stattlich war damals der Bischofssitz, daß Pal neben seinen zahlreichen Gefolgsleuten noch 100 Gästen bei sich Unterkunft gewähren konnte. Kräftig trat der Bischof für die Interessen seiner Leute den weltlichen Häuptlingen gegenüber ein. Nach einer Feststellung, die der Bischof in seiner Diözese machen ließ, hatte er über 200 Kirchen unter sich, und an 300 Geistliche mußten dafür ordiniert werden.

Hinter den Bischöfen von Skalholt traten die von Holar zurück. Der streitsüchtige Gudmund Arason dort zeigt schon den Dekadenzcharakter der fehdereichen letzten Zeit des isländischen Freistaates. Damals war die Macht in Händen von kaum einem Dutzend alter Familien, die in ewigem Hader liegend den Untergang der Republik herbeiführten.

In der Doppelgestalt der Geistlichen als Glieder der römischen Hierarchie und als Förderer der alten einheimischen Kultur liegt der Reiz aller dieser Bischofsgeschichten. Streitbare Männer, kluge Juristen und treffliche Kunsthandwerker stellte auch die Geistlichkeit. Es gab unter ihr treffliche Sagaerzähler, aber auch Skalden. Neben geistlichen Gedichten betrieben auch die Priester die weltliche Dichtkunst und sangen an Fürstenhöfen.

Die glückliche Friedenszeit, deren Sagaerzählung auf dem Allthing wir schilderten, nimmt in dem Menschenalter von 1150 ab allmählich ein Ende. An den Wirren im Lande, die es dem norwegischen Königtum ermöglichten, seine Macht



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Ringförmiger Krater bei Skútustadir am Myvatn (Mückensee). Nordisland



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Island gegenüber immer mehr geltend zu machen, hatte auch die römische Kirche ihr Teil. Das Erzbistum Drontheim bekam nun großen Einfluß auf die Insel.

Mehr wirkte nach dieser Richtung doch das Wiederaufleben des Wikingergeistes in den edlen Geschlechtern auf der Insel. Die Aufzeichnung der alten Geschichten und Lieder lenkte den Blick mehr als vorher in die Vergangenheit. Der Stolz auf diesen Besitz schuf auch im Alltagsleben ein ungeheures Bedürfnis, sich wie die Ahnen, wie ein Egil, wie ein Gode Snorri auszutoben und auszuleben.

Eine Renaissance des Heldenzeitalters beginnt im Staatsleben wie in der Literatur. Wie später in der Zeit der großen italienischen Renaissance gehen dabei zügellose Wildheit und Unsittlichkeit wie tiefes Bildungsbedürfnis und bewundernswerte Genialität eng nebeneinander her.

Wörtlich erfüllt sich in dieser Zeit, was in der Blütezeit des Wikingertums der weitausschauende Dichter der"Weissagung der Seherin"prophezeit hatte: "Es befehden sich Brüder und fällen einander. Die Bande des Bluts brechen Schwestersöhne. Arg ist's in der Welt. Viele Unzucht gibt es. Beilzeit, Schwertzeit , es bersten die Schilde! Nicht einer der Menschen wird den andern schonen". Diese allgemeine Auflösung kostet Island seine Selbständigkeit und Freiheit. Nicht der Untergang der Welt, wie jener Dichter weissagte, aber der Untergang des Staates ist die Folge.

Aber dieselbe Zeit hat es überhaupt nur ermöglicht, daß die alten Geistesschätze so emsig und treu auf der Insel bewahrt wurden. Das große Eddagedicht, das den sittlichen Verfall dieser Zeit voraussagt, ist durch den national-wikingerhaften Seist, der sie beherrscht, uns allein in der schönen großen Liederhandschrift erhalten, die jetzt der Stolz der Kopenhagener Königlichen Bibliothek ist. Und so wie die Edda alle Sagas und Skaldenlieder.

Die ganze Insel war damals in der Gewalt weniger aristokratischer Geschlechter, die alle Godentümer in Händen hatten. Im Osten traten die Männer von Svinafell und Hof, im Norden die von Mödruvellir und vom Skagafjord hervor. Die



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Leute von Odde und Haukadal spielten im Süden die Hauptrolle . Im Westen vor allem die Sturlunge. Endlos waren die Fehden, in denen sich diese Geschlechter bekämpften.

Im Heldenzeitalter hatten sich Thord Gellir und Tunguodd mit zweihundert wider vierhundert Mann gegenüber gestanden . Mit vierhundert Mann sog der Gode Snorri gegen fünfhundert Feinde, an denen er den Tod seines Schwiegervaters Vigastyr rächen wollte. Nach dem Jahre 1100 kamen die Häuptlinge schon mit 700, ja 1200 Mann Gefolge auf das Allthing. Um 1200 wurden auf Island dann bereits große Landschlachten, ja sogar eine Seeschlacht geliefert.

Aus diesen Aristokraten geschlechtern ragt als mächtigstes das der Sturlunge heraus. Das Erbe der Nachkommen Snorri Godes und Egils ging auf sie über. In den Streitigkeiten der Insel, aber auch in den Kämpfen und diplomatischen Verhandlungen mit dem norwegischen Königshaus vor dem Ende des Freistaates spielen die Mitglieder dieses mächtigen Geschlechtes die hervorragendste Rolle. Vor allem die Brüder Thord, Sighvat und der größte Isländer jener Zeit, Snorri.

Aber das Sturlungengeschlecht hatte auch in der geistigen Renaissance der Feit die unbestrittene Führung. Man beschränkte sich nicht auf Inventarisierung der alten Geistesschätze. Man wollte wie die alte Zeit dichten und erzählen.

Eddalieder und Skaldengedichte entstehen, im Stil der Heldenzeit , dieser geistesverwandt, wenn auch nicht ebenbürdig. Vorallem dichten Snorri und nach ihm seine Neffen als Königsskalden am norwegischen Königshofe.

So lebten auch die"Familiengeschichten" und die"Königsgeschichten" in der Darstellung der Gegenwart wieder auf. Sie konnten jetzt aus den Aufzeichnungen der zeitgenössischen alten Geschlechter, aus den Archiven der Könige direkt schöpfen. Sturla, der letzte Große des Geschlechtes, schrieb die Geschichte König Hakons des Alten und legte in der Isländersaga den Grund zu den Geschichten von den Sturlungen. Eine Hauptrolle in jener spielt sein genialer Oheim Snorri, in dessen Persönlichkeit die isländische Renaissance ihre höchste Blüte erreichte,


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