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Felix Niedner Islands Kultur zur Wikingerzeit


Mit 24 Ansichten und 2 Karten

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


12. Skaldentum und Skaldendichtung

Staat, Familie und Kriegertum hatten dem isländischen Heldenzeitalter seinen einheitlichen Charakter aufgeprägt. In der Eddadichtung war dieser mehr als"Dichtung und Wahrheit", in der Prosaerzählung der Saga mehr als"Wahrheit und Dichtung" hervorgetreten. In den isländischen Familiengeschichten erscheint der isländische Großbauer vor uns auf der Scholle seiner Heimat. In den Königssagas lernten wir ibn als Wikinger im Ausland kennen. Immer mehr ragten dabei im Verlauf der Darstellung, daheim wie in der Fremde, aus dem übrigen Volke die Skalden heraus. In den Persönlichkeiten dieser Männer hat der heldenhafte und künstlerische Geist des alten Island seinen vielseitigsten Ausdruck gefunden.

Der kriegerische Sänger am Fürstenhof stand bei allen Völkern des germanischen Altertums in hohen Ehren. Ihn feierten die deutschen, englischen und skandinavischen Heldenlieder gleichmäßig. Ganz natürlich erscheint es, wenn ein Kämpfer und Dichter wie Egil in der Königshalle auftritt und seine hohe Kunst bestaunt wird. Das war schon so in der germanischen Urzeit. Aber wenn diese starke Seele alle Stimmungen ihres reichen Innern im Liede wiederklingen läßt, dann ist schon an die Stelle des Volkssängers der isländische Skalde getreten .

In der Saga sprechen aber auch Grettir und Glum, ja Njal und Snorri in Versen. Jeder Sagaheld kann in gehobenen Augenblicken zum Dichter werden. Selbst Nebenpersonen und Sklaven können sich der gebundenen Rede bedienen. Darin offenbart sich jene angeborene Liebe zur Dichtung und jene Lust, sich in ihr selbst zu betätigen, wie sie noch jetzt das neuisländische Volk erfüllt.

Die Hochachtung der Dichtung auf Island zeigt sich schon in der sorgsamen Weiterpflege der alten Eddadichtung. Dort wird Odin als Meister und Beschützer der Skaldenkunst hingestellt.

Nach dem Mythus hat sich der Gott mit eigener Lebensgefahr den Skaldenmet erobert, den vordem der Riese Suttung besaß . Er war mit List in dessen Felsverließ gedrungen, hatte



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seine Tochter Gunnlöd in Liebe betört und das kostbare Naß in Adlergestalt nach Walhall geführt.

Die Skalden spielen auf diesen geheimnisvollen Ursprung ihrer Kunst oft in ihren Gesängen an. Sie fühlen sich stolz im Schutz des höchsten Gottes.

Der seines Lieblingssohnes beraubte Egil hadert mit Odin, dem Kriegsgott, daß er jenen im Meer ertrinken und nicht im Schlachtentod nach Walhall kommen ließ. Aber dem Dichtergott Odin ist er dankbar, daß er ihm vor allen andern die Kunst verlieh. seinem Schmerz im Skaldensang Ausdruck ;u geben.

Auch die großen Kriegerhelden der Wikingerzeit, die in Odin ihren Schutzgott sahen, stellte eine spätere Zeit sich als Skalden vor. So den berühmten Normannmenkönig Ragnar Lodenhose und den Wikingerkämpen Starkad am alten dänischen Königshof zu Lejre.

Neben Odin taucht dann später ein Dichtergott Bragi auf. In ihm haben sich die ersten Skalden selbst ein Denkmal gesetzt . Der einige bedeutende Skalde vor Harald Haarschöns Zeit trug diesen Namen. Ihn hat man später dem norwegischen Olymp eingereiht.

In Südnorwegen, von wo die meisten norwegischen und isländischen Skalden ihr Geschlecht herleiteten, hat Bragi an Fürstenhöfen gesungen. Er hat die Bilder auf einem ihm geschenkten kostbaren Schilde verherrliche, die Thors Fang der Midgardschlange und andere Szenen aus der Helden- und Götterwelt darstellten. Er sang ein Fürstenpreislied: "Die Haupteslösung". So nannte man es, weil er dadurch sein Leben aus der Gefangenschaft eines feindlichen Herrschers rettete. Solche Dank- und Preislieder sind die ersten Skaldengesänge gewesen.

Bragis des Alten Geschlecht war für die Skaldenkunst besonders veranlagt. Aus ihm stammte Gunnlaug Schlangenzunge auf Island. So hingen später Egil Skallagrimsson und sein Verwandter Björn durch die Skaldenkunst eng zusammen. Und noch im dreizehnten Jahrhundert stand Snorris Dichterbegabung die andrer Männer aus dem Sturlungengeschlecht, vor allem seiner Neffen Olaf und Sturla zur Seite.



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Der Stolz der alten Familien wurde in dem Bewußtsein der Skaldenkunst aufs höchste gesteigert. Aus den edelsten Geschlechtern stammten die Skalden. Kriegerische Tüchtigkeit war Voraussetzung. Wie daneben bei den Isländern jede andere Kunst hoch gewertet wurde, so auch die Dichtung. Ein erfinderischer Häuser- und Schiffsbauer, ein kunstvoller Schmied und Holzschnitzer stand in hohem Ansehen. Im höchsten der Skalde.

Die äußere Form der Skaldenkunst lernte man. Ein bestimmtes Wissen war Vorbedingung, das sich von Geschlecht zu Geschlecht im mündlichen Gedankenaustausch übertrug. Notwendig war aber auch eine hohe Gewandtheit im sprachlichen Ausdruck und eine große Geschicklichkeit in der Anwendung glücklicher, dichterischer Bilder. Dazu trat endlich die genaueste Vertrautheit mit den kunstvollen Weisen und Versen.

Das Wissen der Skalden umfaßte zunächst die Vergangenheit . In den alten Götter- und Heldensagen sind jene Dichter ebensogut ;u Hause wie die der Eddalieder. Vor allem aber mußte der Skalde in der Gegenwart Bescheid wissen. Seine Lieder waren stets Gelegenheitsgedichte. Er mußte genau über die Verhältnisse und den Charakter der Männer orientiert sein, vor denen er sang, um im Lied Erfolg ;u haben.

Dieser Erfolg konnte dem Skalden nicht gleichgültig sein. Er sang um Lohn. Keine Kunst wurde auch materiell so hoch gelohnt wie die der Skalden. Als der Norweger Eyvind Skaldaspillir ein Preislied auf alle Isländer gedichtet hatte, wurde ihm nach einem Beschluß des Allthings ein Ehrensold zugesprochen , zu dem das ganze Volk beitrug. Die Gefolgschaftsskalden König Harald Haarschöns und die isländischen Skalden im Dienste der Norwegerkönige erhielten Geld und Ländereien, vor allem aber kostbare Segel oder Schiffe, Streitäxte, Schwerter und Schilde, die sie dann im Liede priesen. Der Dienst bei einem mächtigen und freigebigen König war der natürliche Ehrgeiz der Skalden. Höher als der materielle Lohn stand den tüchtigsten unter ihnen aber doch die Ehre und der Ruhm, der auf sie selbst zurückfiel.

An den sommerlichen Feldzügen und Seeschlachten der Könige nahmen die Skalden persönlich, oft auf hohen Vertrauens



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posten teil. Sie selbst durften dann wiederum im Winter, besonders zur Weihnachtszeit, die Ruhmestaten, an denen sie selbst mitgewirkt hatten, in der Königshalle besingen. Harald Haarschöns Skalden hatten dort den Ehrenplatz. Er wußte ihre Kunst wohl zu werten, da er selbst Liebeslieder auf ein schönes Finnenmädchen gedichtet hatte.

So liegt der Reiz des Persönlichen, Selbsterlebten über Thorbjörn Hornklofis Rabenlied, das Haralds Seesieg im Bocksfjord verherrlicht. Hierin übertrifft es eins der schönsten Eddalieder, das eine Wikingerschlacht auf sturmbewegter See darstellt. Meersturm, Schlachtensturm und Sturm in den Reden Helgis und seiner Gegner wirken dort vielleicht zu einem anschaulicheren Gesamtgemälde zusammen. Dramatische Bewegung erfüllt in höherem Grade das Skaldenlied.

Das Bild der Schlacht durfte der Skalde als bekannt voraussetzen. Augenblicksbilder, die mit aufgerissenen Drachenhäuptern nahenden Schiffe, die in ihren Wolfspelzen heulenden Berserker, die mit aufgerecktem Steiß vor Furcht unter die Ruderbänke kriechenden Feinde, sie riefen das Gesamtgemälde der Schlacht in die Erinnerung zurück und durften der Anerkennung und des Jubels der Versammlung in der Königshalle sicher sein.

Im Mittelpunkt steht natürlich der König, und eine Darstellung des fröhlichen Treibens in seiner Halle vervollständigt das Bild des Schlachtenfürsten. Aber Kampf- und Hofleben des Fürsten sind in einen anziehenden mythologischen Rahmen eingekleidet. Eine Walküre Sagt einen auf der Klippe sitzenden jungen Raben: "Woher dein blutiger Schnabel " . Er war bei der Königsschlacht dabei, und nun folgt in weiterer und lebendiger Frage und Antwort die ganze Handlung.

Der Gegensatz zwischen Edda- und Skaldendichtung tritt besonders lebhaft hervor, wo ihr äußerer mythologischer Hintergrund der gleiche ist. Odins glänzende Asenburg mit den auf Erden in der Schlacht gefallenen Helden ist ein Hauptschmuck der Götterlieder. Ein wunderbarer Glanz fällt auch in der Heldendichtung auf den toten Helgi, wenn er mit Einherjarscharen von den aus die treue Geliebte an seinem Grabhügel besucht.



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Mächtiger wirkt doch diese ideale Götter- und Heldenwelt im Skaldenlied, das sie unmittelbar an die Gegenwart knüpft. Aus Schlacht bei Stordö holt den gefallenen König Hakon den Guten die von Odin gesandte Walküre. Er selbst empfängt den Fürsten mit den Göttern Bragi und Hermod. Wenn der letzte große norwegische Skalde Eyvind Skaldaspillir sein Lied beschließt: "Seit Hakon ging zu den heidnischen Göttern, kam manche Plage ins Volk", dann drückt er eine Zeitstimmung aus.

Jene Lieder über König Harald Haarschön und Haken den Guten waren in den alten volksmäßigen Weisen der Edda gedichtet. Fast alle anderen Skaldengedichte haben viel künstlichere Strophenformen. Zu dem Stabreim, den die Eddadichtung mit der deutschen und englischen Volkspoesie gemeinsam hat, tritt in der Skaldendichtung zuweilen schon der Endreim. Besonders hat ihn Egil Skallagrimsson in dem Preislied auf König Erich, durch das er sich aus dessen Gewalt befeit, mit grandioser Wucht verwendet. Vor allem aber wendet die Skaldenkunst Voll- und Halbreim innerhalb der einzelnen Verszeilen an. Die Strophe bekommt dadurch, besonders in der an klangvollen Vokalen reichen altnordischen Sprache, einen großen Wohlklang. Der herben Kraft des Stabreims wird durch die blühende Farbe, die diese Binnenreime auszeichnet, ein anmutiges Gegengewicht geschaffen.

Fast alle Skaldenlieder sind in einer achtzeiligen Prunkstrophe gedichtet. Je wei Zeilenpaare sind durch Stabreim gebunden, außerdem aber durch Binnenreime, die in den ungeraden Zeilen unrein, in den geraden rein sein müssen.

Weil diese Strophe zunächst in den Preisliedern auf Fürsten angewandt wurde, trägt sie den stolzen Namen"Königsweise". Man gab dann aber diese Form auch den sehr beliebten Skaldenimprovisationen in Einzelstrophen.

Aste Feind, der Ostwind,
Ewig pfeift vorm Steven.
Aufwühlt Ägirs Wellen,
Eisige, Sturmes Meisel.



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Stets um Meerschwans Steuer
Frostige Stürme tosen.
Brandend flog ums Bugspriet
Brüllende See in Fülle.

Diese Probe gibt, soweit es eine Verdeutschung vermag, die Königsweise wieder. Der Stabreim ist dabei durch Striche, der Binnenreim durch Punkte unter dem Texte veranschaulicht.

Die Weise dichtete Egil auf dem Meer, als er vom Wikingerzug in die Heimat zurückkehrte. Sie würde, wörtlich übersetzt, so lauten: "Gewaltig und unablässig haut das wütendschnaubende zweigvernichtende Riesenungeheuer das kalte Meer mit dem Meißel der Stürme vor dem Steven auf dem Wege des Schiffes, und der frostige Wolf der Weide dringt ohne Schonung ein auf den Schwan Gestels mit Windstößen über Steven und Bugspriet."

Die Weise ist voller poetischer Umschreibungen. Eine Übertragung , die der Kunstform der Strophe und der Verständlichkeit im Deutschen gleich gerecht werden will, kann die Umschreibungen nur mit Einschränkung wiedergeben.

"Sturmes Meißel" für den Orkan, "Meerschwan" für das Schiff, vielleicht auch "Aste Feind" für den Sturm könnten als kühne Bilder auch in unserer Dichtersprache den Platz behaupten . Der Ausdruck "Weg des Schiffes" für das durchfahrene Meer würde fremdartig und rätselhaft klingen. Die wörtliche Übertragung"Schwan Gestels" statt "Meerschwan" bliebe unverständlich, da nur die alten Normannen wußten, daß Gefiel ein berühmter Seekönig war.

Vollends versagt die Wiedergabe, wenn das Original den Sturm "Wolf der Weide" nennt. Nur ein ausgeführtes Bild "der Sturm, der wider die Schiffe auf dem Meere wütet, wie der wolfartige Orkan in den Zweigen der Weide" könnte im Deutschen hier einen verständlichen Ersatz bieten.

Diese prägnanten Umschreibungen und kurz angedeuteten Bilder muten einen modernen Leser leicht befemdlich an. Sie sind aber das Wesen der Skaldendichtung. In ihrer glänzen- und virtuosenhaften Handhabung ist das Künstlertum deo



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Skalden beschlossen. Wie an die kunstvolle Strophe ist er auch an jenen kunstreichen Stil gebunden. Beide sind durch alte Überlieferung für ihn geheiligt.

Eine Fülle von Bildern, aus der Natur und der Menschenwelt , aus den Mythen der Vorzeit und aus dem Wikingerleben der Gegenwart steht jedem Skalden zur Verfügung. Diese aus sprunghaft und blitzartig hingeworfenen geistvollen Andeutungen seine Hörer erraten zu lassen, ist seine Aufgabe. Tritt aus diesem sprachlichen Wunderwerk der dichterische Vorwurf den Hörern zugleich verständlich und interessant entgegen, dann ist das Skaldenlied gelungen.

Der Schmuck dichterischer Umschreibung war auch dem deutschen und englischen Heldenepos eigen. Viel reicher ziert er die nordischen Balladen der Edda. Im Skaldenlied wird fast jeder Ausdruck des gewöhnlichen Lebens durch eine hochpoetische Wendung ersetzt. Dennoch bleibt bei bedeutenden Dichtern der Ausdruck stets so, daß ihn jeder Mann in der Halle verstehen und an ihm sein Ergötzen haben konnte. Wirksam unterstützt wurde das Verständnis durch den Vortrag des Skalden. Die großen Skaldenlieder waren keine Improvisationen. Sie wurden vom Dichter gewöhnlich zur Nachtzeit geschaffen und während der Produktion fest dem Gedächtnis eingeprägt.

Egil Skallagrimsson jubelt auf seinem dritten Wikingerzuge, daß er zum Lohn für seinen Sang " den Felsen der Helme" von König Erich erhalten habe. Die Männer in der Königshalle verstanden alle diese Hindeutung auf sein eignes Haupt, das er durch seine Gewalttaten gegenüber dem Herrscher verwirkt hatte. Wie einst Bragi hatte ein kunstvolles Preislied ihm das Leben gerettet.

Dei Held war, wie der König und sein versammeltes Kriegsvolk wußte, von Island herübergekommen und trug, wie alle Skalden, einen Vorrat von dichterischen Stoffen in seinem Innern. Durch die geistvolle Wendung: "Ich belud den Hintersteven meines Seelenbootes mit der Beute des Liedes" reizte er von vornherein das Interesse seiner Zuhörer.

Es wird verstärkt dadurch, daß der Dichter aus "Odins Skaldenmet" ein Preislied des Königs zum Dank für die an



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dem Feinde geübte Gastfreundschaft verspricht. Noch einmal heischt Egil besondere Aufmerksamkeit von König und Volk. Er kündigt des Herrschers Kriegstaten als Hauptthema seines Liedes an.

Der Dichter spricht von den Speergeweben der munteren Krieger des Königs und von dem Brandungsgefilde, das unter ihren Fahnen rauscht. Den Kriegern ist eine Seeschlacht, in der sie sich in der Schildburg um ihren König scharten, mit wenig Strichen in Erinnerung gerufen. Aller Augen ruhen auf dem Herrscher. Der Liedrefrain "Erich den Held ehrte die Welt" ertönt zum ersten Male.

Die Schilderung der Schlacht geht weiter. Bei der Erwähnung der"Schildespalter", der"Mundensäger der Waräger"greifen die Recken verständnisinnig an ihr Schwert und denken an die genannten Wikingbrüder im Osten. Die gefällten "Odinseichen" erinnern sie an ihre gefallenen Freunde und Feinde, die nun in Walhall weilen. Mieder darf der Skalde den ruhmvollen Refrain auf Erich erklingen lassen, dem sie alle zum Siege verhalfen.

Wilder wird der Kampf. Üppiger werden des Dichters Bilder. "Vernichter der Schotten" nennt Egil den König. Das Bild ist für Erich in jedem Zusammenhang möglich. Hier aber wissen die Recken zugleich genau, daß nur ihr größter Sieg für den Herrscher gemeint sein kann.

Jeder von ihnen hat die krächzenden"Kampfkraniche"auf die Leichen fliegen sehen. Sie sahen den Schnabel der schwarzen "Wundenmöven" sich in der "Welle des Schwertes" röten. Rabe, Adler und Solf folgten ja stets den Kriegerscharen. Die Helden kennen alle die Todesgöttin Hcl, sie wissen, daß bei Balders Begräbnis die Riesin Hyrrokin auf einem Wolfe ritt. Die alte Mythenwelt tritt vor ihre Augen. Sie wissen, was es bedeutet, wenn im Kampfe der "Riesin Roß" gefüttert wird oder wenn Hcl auf des "Adlers Beute" tritt.

Auch das überkühne Bild "Erich an Bord ast Wölfe dort , das von jetzt ab den Refrain schmückt, hat für die Zuhörer nichts Ungewöhnliches. Rabe und Wolf sind im dichterischen Sprachgebrauch eben unzertrennliche Gäste an der Leichengabe



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Lavalandschaft am Mývatn (Mückensee) in Nordisland



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des Fürsten. So konnte der wolf seinen Spießgesellen auch bei einer Seeschlacht vertreten.

Das Sausen der Speere, das Klirren der Bogen, der Bis der Schwerter hat den höchsten Grad erreicht. In ganz Island und Norwegen ist König Erich berühmt. Ein "Blutverschwender " wird König Erich genannt; bevor zum letzten Male der Refrain durch ibn den Wölfen freigebige Ätzung zuteil werden läßt.

Das Wort"Verschwender" ruft unter den Mannen eine angenehme Bewegung hervor. Der freigebige Herrscher ist im Liede vorbereitet, dessen Lob nun im letzten Teile des Gedichtes mit dem des Schlachtenhelden Erich wetteifert. Der Schwertgott, dessen Schlag die Schildburg der Drachenschiffe ertönen machte, weicht im Preise des Skalden allmählich dem "Ringbrecher . Schon das germanische Heldenepos kennt ja den König, der die Goldringe zerhieb und sie zum Lohn an seine Mannen verteilte. Oft haben die Helden Erichs den König auf der Jagd mit dem Falken auf der Faust gesehen. Jeder hat von den beiden Riesenmägden gehört, die König Frodi auf einer Zaubermühle unerschöpfliches Gold malten, oder von dem Nibelungenhort, der in der Tiefe des Rheines ruht.

"Frodis Mehl" aus des Königs "Habichtsstrand" war ein willkommenes Bild für die lauschenden Mannen. Man sieht sie vor Freude die Schilde aneinanderschlagen, wenn zuletzt unter dem Gesamtbilde "Des Flußfeuers Verschwender fest schützt er Länder" die Persönlichkeit des Herrschers in seiner ganzen Größe, die auch dem Feinde Egil Achtung abnötigt, charakterisiert wird.

Der Preis des Königs ist zu Ende. Aber der Skalde fügt noch ein Schlußwort an den König und die wannen hinzu. Er ist sicher, daß er etwas Gutes in der Halle gesungen hat. Erichs Kriegstüchtigkeit und Freigebigkeit war Wahrheit. Er weiß, daß jede öde Schmeicheln mit Verachtung von dem selbstbewußten Königshofe zurückgewiesen worden wäre. Darum bestätigt er sich selbst, daß ein schönes Lied aus seiner Brust emporgestiegen sei.

Selbst diese Wendung weiß er durch kunstvolle Umschreibung



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geistreich zu gestalten. Er hat "Odins Sangmet" aus dem Grunde der Seele" und " dem Sitz des Gelächters" emporgeholt . Beides geläufige Skaldenumschreibungen für Brust.

Und doch liegt wohl im letzten Ausdruck eine versteckte Pikanterie. Man meint aus ihm das seines Erfolgs sichere Hohnlachen herauszuhören. Der in die Gewalt des Königs geratene Skalde fühlt es, daß seine Kunst ihm die Freiheit bringen werde. Der wassengewaltige Mann in der Halle empfindet, daß über alle Königsmacht hier eine geistige Kraft triumphiert, die den äußeren Sieger zum Besiegten macht.

Die Anerkennung, die das Lied Egils fand, zeigt; daß es allgemein verstanden und gewertet wurde. Freilich ist es in der Form einfacher als die meisten anderen Skaldenlieder. Aber auch Gedichte von viel dunkleren mythologischen Anspielungen und mit viel künstlicheren Umschreibungen konnten bei der allgemeinen Vertrautheit mit dem dunklen skaldischen Stil auf Erfolg rechnen.

Von der Fülle und Vielseitigkeit der skaldischen Bilder gibt Egils Haupteslösung eine Vorstellung. Das Gedicht zeigt aber auch, wie bei aller Formelhaftigkeit die meisten dieser künstlichen Ausdrücke mit dem Wirkungs- und Vorstellungskreise des isländischen Heldenzeitalters aufs engste verwachsen waren.

Das Gedicht stellt endlich den äußeren Rahmen eines isländischen Preisliedes anschaulich dar. Den kunstvollen symmetrischen Aufbau, in dem wirkungsvolle Refrains die Ausführung des dichterischen Vorwurfs belebend unterbrechen. Der berichtende epische Stil, der von des gefeierten Königs Taten spricht, ohne ihn anzureden. Das selbstbewußte Eingangs- und Schlußwort, in dem der Skalde sein Lied ankündend für sich Gehör heischt oder es abschließend seine eigene Kunst preist.

Die Macht der Konvention, die den Skalden als Kämpen und Gefolgsmann wie als Künstler und Mitglied der Dichterzunft band, scheint die Entfaltung einer freien menschlichen Persönlichkeit in ihm fast zur Unmöglichkeit zu machen. Die Lieder, die Bragi und Egil furchtlos und siegesgewiß zu



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ihrer Befreiung sangen, zeigen das Gegenteil. Die "Haupteslösung " bekam einen Ehrenplatz in der Skaldendichtung.

Aber auch in Fürstenliedern, wo die Aussicht auf klingenden Lohn oder ehrende Auszeichnungen die Sangeskunst der Skalden bestimmten, ist gegenseitige Achtung, oft Liebe von König und Dichter die Regel. Das innere Verhältnis löste der Tod ächt: gerade unter den Erinnerungsgedichten an die toten Könige sind die schönsten Skaldenlieder. Am feinsten kam die Persönlichkeit des Skalden doch in den kleineren Improvisationen um Ausdruck.

Fürstenlieder haben der Liebesdichter Kormak, der Königsskalde Hallfred und der letzte große Dichter des isländischen Heldenzeitalters, Sighvat, gesungen. In ihren Improvisationen gaben sich diese nächst Egil Skallagrimsson phantasievollsten Skalden doch am anziehendsten.

Kormaks ganzes Leben wird durch die unglückliche, aber bis in den Tod treue Liebe zur schönen Steingerd bestimmt. Des Dichters rastloses Kämpendasein nimmt diesem Verhältnis doch alle schmachtende Weichlichkeit. Im Zweikampf hat er äch mit seinen begünstigten Nebenbuhlern gemessen, und dem Streit mit dem Schwerte gesellt sich der Kampf im Liede. Wilde Hohnworte hat Kormak auf seine Rivalen mitten in seine Liebeslieder geschleudert, die glutvollsten, die je auf Island gedichtet sind.

Auch die gekünsteltste Form der Königsweise kann nicht verhindern, daß die starke Empfindung des Dichters sich Bahn bricht zu unserm Herzen, wenn wir ihn klagen hören:

"Die Frau verließ den Saal. Nur um so heftiger steht mein Sinn nach der Herrin des Feuers der Flut (des Goldes). Was schmückt jetzt noch die Halle : Das ganze Haus durchschweifte ich mit den Wimperstrahlen (den Augen) nach der Göttin der Speerruhe (des Friedens). Ich wollte sie noch einmal erblicken. Ehe schwimmen Steine schnell wie Saatkörner auf dem Wasser , eher versinkt die Erde, ehe stürzen die herrlichen mächtigen Berge ins Meer, als wieder ein Weib geboren wird so schön wie Steingerd. Aber ich bin der jungen Spange des Reichtume (der Frau) noch immer gleichgültig."



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Hallfreds treuer und ehrlicher Charakter trat uns schon in seinem Preislied auf König Olaf Tryggvason entgegen. Am schönsten offenbart er sich in den Improvisationen, wo er sich mit seiner Bekehrung zum Christentum auseinandersetzt. Unter der Übergangszeit des alten und neuen Glaubens leidet er, der als Skalde einst dem alten Dichtergotte opferte, am meisten. Freimütig gibt er im Liede noch nach seiner Bekehrung der Vorliebe für Odin und Freyja Ausdruck. Es war nicht blinde Unterwürfigkeit, wenn er den Tadel des Königs darüber ertrug. Er liebte und verehrte den König. Der kluge und sonst so weltgewandte Skalde mochte sich sagen, daß jener in Sachen des Christentums recht hatte. Innerlich währte der Zwiespalt bei Hallfred wohl fort, und erst die herrlichen Verse in seiner Todesstunde sind von reinem Christenglauben erfüllt.

Der ersten Generation des isländischen Heldenzeitalters gehörte Kormak, der zweiten, Hallfred an. In seinem letzten Menschenalter dichtete Olafs des Heiligen Skalde Sighvat. Beim Tode seines Königs in der Schlacht von Stiklestad weilte er in Rom. Sighvat war, wie er selbst im Liede ehrlich zugibt, kein Kämpe ersten Ranges. An Takt und Klugheit übertraf er alle seine neiderfüllten Mitwlden am Königs

Der stolzen Form der Königsweise hat Sighvat den anmutigsten Inhalt einverleibt. Er hat seine Fahrten im Auftrag des Königs nach Schweden, England und Frankreich in lustigen und scherzhaften Reiseschilderungen besungen. Ein Lied von unerhörtem Freimut aber dichtete er an Olafs Sohn und Nachfolger Magnus, dem er einst selbst den Namen gab. Das Gedicht ist ein politisches Dokument. Es enthält eine scharfe Mahnung an den jungen zu Willkür neigenden Herrscher, gerecht und im Sinne seines großen Vaters das Volk zu beherrschen, um mit ihm in Einklang zu bleiben,

Wie das Staatswesen im Goden Snorri, die Familie in Njal, das Fehdewesen in Grettir dem Starken, so haben die Dichtkunst und das Skaldentum in Egil Skallagrimsson auf Island ihren glänzendsten Vertreter gefunden. Bei keinem anderen Dichter bat das Skaldentum so den ganzen Geist durchdrungen,



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so die Skaldenkunst das ganze Leben ausgefüllt. Egil dichtete nur, was erlebte, und lebte nur, wenn er sang.

Gleich dem Geist des unbekannten Dichters, der die "Weissagung der Seherin" schuf, beherrscht Egil Skallagrims Skaldenkunst das ganze isländische Heldenzeitalter. Wie die Zustände, die das große Eddagedicht schildert, noch für die Zeit der isländischen Renaissance im dreizehnten Jahrhundert ihre Gültigkeit behalten, so steht unter dem Bann von Egils Leben und Dichtung noch der größte Mann jenes Zeitraums, Snorri Sturluson.

Niemand auf Island hat im Heldenzeitalter dem heidnischen Staat mehr Ruhm eingetragen wie Egil. Nächst dem alten Recken Starkad und dem Normannenkönig Ragnar Lodenhose hat es im germanischen Norden keinen berühmteren Wikingerhelden gegeben als ihn. Den Widerstand der alten Geschlechter gegen Harald Haarschön, der zur Besiedelung der Insel und zur Gründung des heidnischen Freistaates führte, hat niemand so unerbittlich in Norwegen selbst fortgesetzt wie er. So erbitterte Kämpfe gegen das norwegische Königstum hat kein Isländer in der Zeit des Freistaates ausgefochten. Aber um den Staat, dessen Ruhm er in die Fremde trug, hat sich Egil kaum gekümmert. Wir hören nie, daß er auf dem Allthing oder sonst im Staate durch Wort und Tat eine entscheidende Rolle gespielt hätte.

Die isländische Familie kannte kaum ein vornehmeres und selbständigeres Geschlecht als das Egil Skallagrimssons. Und doch hören wir in seiner Saga nur einmal, daß Egil von der Macht seiner Familie auf Island selbst Gebrauch machte. Auf dem Thingstreit zwischen seinem Sohn Thorstein mit einem Nachbar erscheint er und wirft sein mächtiges Wort zur Verurteilung des Gegners in die Wagschale. Dem Sohn selbst, einer schönen und ritterlichen Erscheinung, stand er jedoch fremd und mißtrauisch gegenüber. Überhaupt bestand kaum ein tieferes Verhältnis Egils zu einem Familienmitgliede, das sein innerstes Wesen berührt hätte. Der Preis seines im Kampf gefallenen Bruders Thorolf und seiner Tochter Thorgerd, als sie ihn über den Vertust seines ertrunkenen Sohnes Bödvar tröstet, gilt der



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Kraft, die beide beseelte. Sie setzte er aber in seinem Geschlecht als selbstverständlich voraus. Selbst in dem tiefempfundenen Gedächtnislied auf jenen Lieblingssohn Bödvar ist der Verlust von so viel Kraft und Mannhaftigkeit der Hauptakzent seiner Klage.

Der Mann, der in Staat und Familie seine eigenen Wege ging, tat dies auch im Kriege. Egils vier Wikingerzüge sind der schönste Schmuck seiner Dichtung. Ihre Motive sind gan; verschieden. Der Drang, die ersten Lorbeeren zu pflücken, der Wille, in der Verteidigung seines Besitzes dem verhaßten König Erich einen Streich zu spielen, die übermütige Lust, sich selbst in eine Lebensgefahr ohnegleichen zu begeben, und endlich die Laune, als Helfer und Schirmer der Bedrängten aufzutreten. Auf dem Ehrensitz in König Adalsteins Halle, beim Errichten der Neidstange gegen König Erich, in Mrk, da er sein Haupt löste, und im Eidawald, wo er allein gegen erdrückende Übermacht stritt, sind die vier Höhepunkte dieses seltsamen Lebens. Mut der eigenwilligen Abenteurerlust des Dichters hat sich der Kämpe Egil alle diese Situationen selbst geschaffen.

Egil Skallagrimsson ist der einzige Sagaheld, dessen Bild ganz allein aus seiner Dichtung emporsteigt. Die Saga mochte diesen merkwürdigen Mann mit noch so viel Anekdoten ernster und heiterer Natur umgeben, um sein Bild der Mitwelt und Nachwelt zu ergänzen und verständlicher machen: sein tiefstes Wesen liegt beschlossen in seinen Liedern. Die Saga hat das richtig gefühlt, wenn sie schon den dreijährigen Knaben dichten läßt und noch dem achtzigjährigen Greis in seiner Hilflosigkeit ein Skaldenlied in den Mund legt.

Das Skaldentum war die größte Kulturmacht des isländischen Heldenzeitalters. Aber kein Skalde hat die Dichtung als elementare Gewalt stärker und tiefer empfunden als Egil, der Stolz seines Volkes und doch im letzten Grunde ein einsamer und unverstandener Mann.


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