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Felix Niedner Islands Kultur zur Wikingerzeit


Mit 24 Ansichten und 2 Karten

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


10. Die Familiengeschichten

Den Charakter des isländischen Heldenzeitalters spiegeln am besten die "Familiengeschichten" wieder. Sie bilden den Hauptteil von "Thule" .

Die Heldengestalten der fünf großen Sagas kennen wir bereits . Die äußerste Grenze, bis zu der die Taten eines Njal und Egil, eines Goden Snorri und Grettir, sowie der Heldin Gudrun aus dem Lachstal gehen, ist das Jahr 1030.

Damals starben kurz hintereinander Snorri und Grettir. Dieser war nach 990, jener nach 960 geboren. Noch eine Generation weiter rückt dann Njal. Seine Geburt fällt 950. Nur der Skalde Egil reicht noch in die Zeit vor der Gründung des Freistaates. Er ist um 900 geboren. Aber seine größten Taten fallen auch in die Epoche nach 930. Vorher teilt er noch den Ruhm mit seinem Vater Skallagrim auf Island und seinem Oheim in Norwegen.

Dies chronologische Verhältnis kehrt ähnlich in allen Familiensagen wieder. Was aus dem Zeitalter der Landnahme und aus dem Norwegen Harald Haarschöns in den Sagas berichtet wird, betrifft die Ahnen ihrer Helden, nicht diese selbst. Dagegen ist das letzte Menschenalter seit der Einführung des Christentums im Jahre 1000 oft noch der Tummelplatz ihrer gewaltigsten Taten. Durch nichts unterscheidet sich das Heldentum jener ersten christlichen Zeit von den beiden ersten Menschenaltern der Republik, wo das Heidentum noch anerkannte Staatsreligion war.

Zehn Jahre vor Einführung der neuen Lehre auf dem Allthing wurde Gunnar von Haldenende ermordet. Zehn Jahre nach der Annahme des Christentums findet der große Mordbrand statt, dem Njal und sein ganzes Geschlecht erliegt. An großartiger Wildheit sind diese Szenen ganz gleich. Um 950 ruht Egil von seinen Jugendkämpfen in Norwegen auf Island aus. Um 1030 besiegelt der junge Grettir mit dem Tode sein unausgesetztes Kriegerdasein. Das Bild des jungen altisländischen Helden hat sich in der Saga während eines Jahrhunderts kaum verändert.



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Die Sagazeit ist in Deutschland die Periode der sächsischen Kaiser. Hier wie überall im Süden von Europa herrscht bereits das Christentum, und die heidnische Dichtung hält sich, soweit sie noch da ist, mühsam neben der geistlichen Poesie. Messiaden vertreten das einheimische Volksepos. Als dieses dann zur Zeit der Staufer eine Wiederauferstehung erlebt , ist das altgermanische Bild stark beeinträchtigt. In den isländischen Familiengeschichten des zehnten Jahrhunderts dagegen lebt es in unvergleichlicher Treue.

Der Schauplatz dieser Erzählungen ist Island selbst von den blühenden Siedelungen der Landnahmemänner bis zu den wüsten Hochebenen des Innern. Außer den Gestalten der Vorfabel bewegen sich freilich) auch die Helden selbst auf ihren Jugendfahrten oft im Ausland. Aber der Schwerpunkt ihrer Taten und Leiden liegt in der Heimat. Selten nahmen die Wikingfahrten im Ausland einen solchen Umfang an wie beim Skalden Egil. Er durchschweift den ganzen Norden Europas. Seine Geschichte wie die der anderen Skalden nähert sich schon dem Stil jener isländischen Sagas, die die Taten der norwegischen Könige erzählen.

Jede Gegend auf Island hatte ihre besondere Saga. Aber die Sagamänner kamen weit im Lande herum. Bei den alljährlichen Zusammenkünften auf dem Allthing besonders fand mannigfacher mündlicher Austausch statt. Dabei ging wohl manche Begebenheit von der einen Geschichte in die andere über. Personen aus den verschiedenen Sagas wurden miteinander in Zusammenhang gebracht. Stil und Erzählungsart der Familiengeschichten bekamen dadurch schon im Heldenzeitalter eine große Einheitlichkeit,

Durch die sorgfältig allerorts überlieferten Geschlechtsverzeichnisse war die Sicherheit der Überlieferung verbürgt. Ganz Island wurde durch jene wie eine große Familie zusammengeschlossen . Sehr häufig treten Mitglieder derselben Familie als Helden in verschiedenen Sagas auf. Ein Verwandter Egils, der Skalde Björn, wird Held einer neuen Geschichte. Eine Gestalt wie der Gode Snorri gibt in einer Reihe von Sagas eine bemerkenswerte Gastrolle.



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Die schriftliche Aufzeichnung hat dann vollends alle Sagas später zum Gemeingut des ganzen Volkes gemacht. Aber die Redaktion bei der Niederschrift folgte auch nur wieder der alten Fabulierkunst, die schon in der Sagazeit selbst zur Vereinheitlichung des ganzen Sagagebietes tätig war.

Am kunstvollsten sind die fünf großen Familiengeschichten aufgebaut. Sie boten schon im alten Island der gelehrten Generation des dreiehnten Jahrhunderts ein ausgeprägtes Gemälde der Wikingerzeit. So bildeten sie auch für die Schilderung von Staat und Familie, von Kriegertum und geistigem Leben den natürlichen Hintergrund.

Das Kulturbild der großen Sagas erweitern die kleineren Geschichten in den Grundzügen nicht wesentlich. Aber im einzelnen wird es selbst in den kürzesten Erzählungen durch manche glückliche Kleinmalerei bedeutend ergänzt und vertieft. Gerade weil die kleineren Sagas nicht das monumentale Gepräge der großen Geschichten haben, wirken sie auf einen unbefangenen Leser noch mehr wie jene mit der treuen Naivität der alten seit.

Die großen Sagas berührten sich, trotz ihrer grundlegenden Verschiedenheit, in dem heroischen Charakter ihrer Haupt personen mit der Edda. Auch die reiche Verwertung von Skaldenstrophen zur Ausmalung der seelischen Vorgänge im Charakter der Helden erinnert an die mythische Dichtung.

Im Süden entstand die Saga von Njal, die von Grettir im Norden. An den schönen Buchten des Breitfjords im Westlande spielen die Geschichten vom Goden Snorri und von den Leuten aus dem Lachstal. Die denkwürdigste Stätte des Westens ist Borg. Hier; nahe einer Bucht des herrlichen Faxafjords, an dem jetzt die Hauptstadt Reykjavik liegi, war der isländische Schauplatz der Saga vom Skalden Egil. Von dem starken Geist der aus Norwegen mitgebrachten ältesten Eddadichtung sind auch seine Lieder am mächtigsten erfüllt. Sie war schon in der Sagazeit im Westland und in den an- grenzenden Teilen des Nord- und Südlandes besonders heimisch.

Aber in der Zeit der schriftlichen Aufzeichnung war auch gerade



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in diesen Gegenden das Interesse für die Erhaltung der Sagas besonders lebhaft. Hier lagen vor allem die gelehrten Schulen, hier neben dem Norden die besten Klöster. Nirgend war der Boden so günstig für eine monumentale Gestaltung des Sagastoffes, wie sie gerade die fünf großen Geschichten zeigen.

Von den kleineren Familiengeschichten stehen ihnen die"Skaldengeschichten und die "Geschichten von Achtern und Blutrache" am nächsten. Der Geist Egils durchweht die ersten, der Geist Grettirs die letzten. Empfangen die Skaldengeschichten erst durch die dichterische Tätigkeit ihrer Helden die volle Weibe, so ist in den Geschichten von Achtern und Blutrache das isländische Kriegertum ganz im heroischen Stil der großen Sagas gemalt. Auch sie spielen alle im Westen oder in dessen Nachbarschaft.

Je mehr der Norden Schauplatz der Saga wird, verliert äch der heldenhafte Charakter. Schon in den Sagas des westlichen Nordlandes tritt neben großzügigem Heldentum eine siegreiche Bauernpfiffigkeit der Personen als Lieblingsvorwurf der Darstellung hervor. In den Geschichten aus dem östlichen Nordland nimmt das bäuerliche Wesen der Gestalten zu. Auch hier erscheint noch unbändiges Kriegertum, wie es die alte Zeit verlangte. Aber die bei allem Bauerntum ritterlichen Kämpferfiguren des Westlandes ersetzen dort mehr kondottierenhafte Haudegen. Auch wo jene Männer des Skaldensangs noch mächtig sind, spielt er doch im Zusammenhang ihrer Taten eine untergeordnete Rolle.

Am kleinbäuerlichsten ist dann der Saga-Hintergrund der Geschichten von den Ostlandfamilien. Kleine nichtige Fehden tragen hier oft etwas Spießbürgerliches in die Handlung hinein Aber dem wirklichen Leben kommen sie gerade am nächsten . Sie machen am meisten den Eindruck der mündlichen Erzählung.

Auch dem Charakter der Landschaft entspricht diese allmähliche Wandlung des Sagastils von heldenhafter Größe zu kleinbäuerlicher Einfachheit.

Wir schilderten Neu-Island vom einfacheren Süden und Osten



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die Nordküste entlang bis zu den reicheren Kulturstätten des westens. Man muß den umgekehrten Weg um Alt-Island einschlagen, will man den Schauplatz der genannten fünf Gruppen kleinerer Familiengeschichten in "Thule" sich vergegenwärtigen .

Am schönen Borgfjord der Westküste spielt die bekannteste der Skaldensagas, die Geschichte von Gunnlaug Schlangenzunge. Sie schildert ein prächtiges, aber leider tragisch endendes Liebesidyll zwischen ihm und der Enkelin Egils, der schönen Helga. Und am winterlichen Eisfjord, im äußersten Nordwesten, ist die Saga heimisch, die in dem alten lahmen Helden Havard die rauhe Pflicht der Blutrache am erschütterndsten darstellt.

An der Nordküste, wenig landeinwärts, im anmutigen Vatnsdal oder "Seetal", hauste Jngemunds schicksalbegünstigtes Geschlecht, das wir schon aus der Darstellung des Besiedlungsbuches kennen. Nach Osten zu schneidet dann tief in die Nordküste der Inselfjord, an dem jetzt Islands zweite Hauptstadt Akureyri liegt.

Alle Helden jener Gegend überragt der berserkerhafte Haudegen Glum. Er weiß zwanzig Jahre hindurch mit List und Gewalt seine ganze Umgebung in Atem zu halten.

Weniger kämpenhaft; aber seelisch reizvoller als alle diese Geschichten wirkt die schönste der Geschichten von den Ostlandfamilien , die Saga vom Freyspriester Hrafnkel. Dieser kleinbäurische Selfmademan mutet uns schon beinahe modern an.

Durch den klaren Gang der Handlung und die Einfachheit der Darstellung wirkt die Geschichte von Hrafnkel ursprünglich wie die Saga von Gunnlaug Schlangenzunge. Über diese Erzählung aus der Heimat Egil Skallagrimssons ist schon ein leiser Hauch mittelalterlicher Romantik gebreitet. Es ist die anmutigste Liebesnovelle des isländischen Heldenzeitalters.

Die Strenge des isländischen Familienlebens ließ für erotische Abenteuer wenig Raum. Liebesverhältnisse habenin der Darstellung der Saga fast immer etwas Peinliches. Sie führen zum Streit mit den Verwandten des Mädchens, die dessen Ehre mißtrauen. Es entspricht ganz dem Wirklichkeitssinn der Familiengeschichten, wenn Liebeshändel als Hauptmotiv der Dich vor



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allem in den Skaldensagas auftauchen. Der bewegliche und leichtentzündliche Dichtergeist hat sich natürlich am schwersten mit der starren Solidität jener geschlechtsstolzen Bauernaristokratie abgebenden.

In dem Leben des großen Tatenmenschen Egil war wenig Platz M sanftere Stimmungen. Auf ihn wirkte die Liebe eher wie eine lästige Krankheit. Um so mächtiger lodert die Leidenschaft auf in den beiden Skaldensagas des Nordlandes. Sie füllt die Jugend des"Königsskalden" Hallfred auf Island aus. Sein Liebesverhältnis zur schönen Rolfinna und die Plänkeleien mit ihren unzufriedenen Verwandten bilden ein farbenprächtiges Vorspiel für die großen Taten und Erfolge beim norwegischen Herrscher. Mit dämonischer Kraft aber ist Kormak "der Liebesdichter" an die schöne Steingerd gefesselt, obwohl sie andern Männern als Gattin gehört. Ruhelos eilt er zwischen den Kriegstaten und Gesängen am Hofe ausländischer Fürsten stets wieder in ihre Nähe. Noch kurz vor seinem ruhmvollen Tode im Zweikampf hat er die Geliebte besungen.

Von starker Liebe zur schönen Oddny ist Egil Skallagrims Verwandter Björn aus Hitardal beseelt. Aber er hat auch einen innigen Freundschaftsbund geschlossen, wiesein großer Gesippe einst mit Arinbjörn. Sein Gefährte Thord heiratet Björns Geliebte, indem er verbreiten läßt, jener sei auf dem Wikingzug gefallen. Als Björn aus Norwegen zurückkehrt, folgt scheinbare Versöhnung. Björn wird sogar im Haus des Freundes aufgenommem Aber die Nebenbuhlerschaft bricht zunächst in gehässigen Liedern zwischen ihnen aus, bis zuletzt Björn der Oddny halber durch Thord im Kampfe fällt.

Diesen Konflikt zwischen Liebe und Freundschaft hat auch die Saga von Gunnlaug Schlangenzunge so ergreifend ausgestaltet .

Das düstere Schicksal, das Egils Enkelin bestimmt ist, kündet sich in einer Fülle von Träumen an. Am Hofe des Schwedenkönigs hat Gunnlaug seinen Gegner und Nebenbuhler Hrafn kennen gelernt. Der Sängerkrieg der beiden Skalden dort ist ein Vorspiel ihrer beginnenden Feindschaft.

Auf dem Allthing trifft Gunnlaug Helga mit Hrafn vermählt



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Im Zweikampf wollen äch die Gegner dort messen, aber er muß abgebrochen werden, weil ihn das neue Staatsgesetz verbietet. So fechten sie fern in Norwegen ihre Sache aus und fallen beide.

Die Saga ist eine kleine Schicksalstragödie. Die Schönheit Helgas hat all das Unheil herbeigeführt. Es wäre verhütet worden, hätte ihr Vater Thorstein sie, wie ihm die Träume rieten, als Kind schon ausgesetzt. In zweiter freudloser Ehe läßt sie die Saga am Schluß immer an Gunnlaug gedenken. Er ist es wert — ein Mann vom Schlag der alten Helden. Aber auch auf Hrafn, ihren ersten Gemahl, fällt kaum ein Makel. Man kann ihm nicht grollen, wenn er treuherzig selbst erklärt, nur die Liebe zu Helga hätte ihn die Treue gegen seinen Freund Gunnlaug brechen lassen.

Die kleinen Skaldensagas mit ihren bedeutsamen Frauengestalten ergänzen wirkungsvoll die Verherrlichung starker Männlichkeit in der Geschichte von Egil. Auch die Saga von Grettir dem Starken hat in den Geschichten von Achtern und Blutrache lebensvolle Gegenstücke gefunden.

Von der wilden Tatenlust Grettirs ist auch Hard, Grimkels Sohn, aus dem Südwesten der Insel, beseelt. Er erinnert in seiner Jugend an die Kämpennaturen der Heldenromane. Mit Odins Hilfe gewann er ein verhängnisvolles Schwert, das seinem Besitzer den Tod bringt. Geächtet aber macht er wie Grettir von einem entlegenen Holm aus seine Raubzüge in die Umgegend, als Führer von zwölf Genossen, den "Holmleuten", bis er im Kampf untergeht.

Nicht so kriegerisch geartet wie Grettir und Hard zeigt sich im Nordwesten Suis Sohn Gisli. Er ist durch das Schicksal, nicht durch seine eigene Abenteuerlust, zum unsteten Flüchtling geworden. Gislis ganzes Wesen ist eigentlich auf Frieden gestellt. Er ist ein geschickter Landwirt und vortrefflicher Handwerker. Treu und ehrlich hält er zu seinen Freunden. Aber gerade dies, die Liebe zum Bruder seiner Frau, stürzt ihn ins Verderben. Um an diesem Blutrache zu nehmen, muß er seinen anderen Schwager töten, den Gemahl seiner Schwester, die ihn dann verrät. Ihr zweiter Mann erzwingt Gislis Ächtung,



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daß er fortan ruhelos umherirren muß. In schwermütigen Träumen und Dichtungen, die schon hie und da christliche Anwandlungen zeigen, bricht sich des mutigen und doch so weichen Mannes Sorge Bahn. Treu aber folgt ihm seine tapfere Gattin Aud in die Einsamkeit, ein Gegenstück zu Bergthora, der Gemahlin Njals. Aud fürchtet den Zorn seiner Feinde nicht und steht ihm noch im Augenblick seines Heldentodes bei.

Auch die gewaltigen Mordbrände und Fehden der Geschichten von Njal und vom Goden Snorri finden sich in den kleinen Geschichten des Westens wieder.

Die Erschlagung eines Mannes hatte den gewaltigen Hochlandskampf im Nordwesten zur Folge, der auf Tvidögra, der "Zweitageheide", ausgefochten wurde. Diese Feldschlacht war nur durch Snorris kluge Vermittlung beigelegt worden. Im Südwesten gab sogar der Geiz eines reichgewordenen Hühnerhändlers die Ursache zu erbitterter Fehde. Während einer Mißernte hatte ihn der edle Häuptling Blundketil gezwungen ihm Heu von seinem Vorrat zu verkaufen. Da hetzt jener einen anderen Häuptling auf ihn, und in einem furchtbaren Mordbrand wird Blundketil mit allen seinen Mannen vernichtet. Der Streit zwischen den feindlichen Parteien endet erst, da Totschlag und Friedlosigkeit auf dem Allthing die Schuldigen trafen.

Skaldensaga und Saga von Blutrache reichen sich am nachbarlichsten die Hand am rauhen Eisfjord auf der nordwestlichsten Halbinsel Islands, die schon fast grönländischen Carakter trägt.

Dort dichtet der junge Skalde Thormod feurige Liebeslieder auf ein schwärbrauiges Mädchen. Später aber ruft ihn die Botschaft vom Tode seines Freundes Thorgeir nach Grönland. Er ruht nicht, als bis er diesen durch die Vernichtung seines Mörders und andere Bluttaten gerächt hat. Thormod fällt selbst später als Held im Dienste König Olafs des Heiligen. Vorher hat er noch dem toten Freunde ein herrliches Grablied gedichtet. Und doch hatten sie sich zuletzt veruneinigt. Aber Thormod und Thorgeir hatten einst Blutsbrüderschaft geschlossen. Ihre Pflicht ist es, die die Saga wundersam verherrlicht.



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Der Wasserfall Brüarfoß in Südisland



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Die Verpflichtung der Verwandtschaft zur Blutrache ist in der Geschichte des alten Havard vom Eisfjord am ergreifendsten dargestellt. Wie in der Njalssaga erfahren wir vom Haupthelden nichts über seine Jugendtaten. Mer der Vulkan in seinem Innern, der ihn nach der Erschlagung seines Sohnes Olaf nicht zur Ruhe kommen läßt, zeigt die gewalttätige Natur, die ihm früher innegewohnt haben muß. Jahrelang liegt der Alte lahm im Bette und muß sich mit dem Gedanken an Rache begnügen. Und ihm beigesellt ist die energische Frau, die ihm die Schmach des Geschlechtes ständig vorwurfsvoll vorhält. Ihm stand nicht wie dem alten Njal ein Skarphedin nr Seite, der die Rachepflicht übernehmen konnte. Als ihm dann endlich die Vernichtung des verhaßten Gegners gelingt, muß er noch in seinem Alter die Heimatgegend verlassen.

Alle diese Sagas schildern die Geschichte einer Hauptperson. Mehrere Generationen durchläuft die Saga von den Leuten aus dem Seetal, die schönste der westlichen Nordlandsgeschichten

Eine Geschichte, die durch mehrere Menschenalter ging, war schon die Lachstalsaga. Zwar ihrer Heldin Gudruns Geschlecht wird erst spät in die Handlung eingeführt. Aber die Lichtgestalt des jungen Kjartan, ihres Geliebten, ist schon durch wei glänzende Vertreter des Geschlechtes vorbereitet. Höskuld , ein Nachkomme Kolls aus der Schar jener berühmten Heldin Aud aus dem Besiedlungsbuch, hat mit einer gefangenen irischen Königstochter Melkorka Kjartans Vater Olaf Pfau gezeugt. Dieser stolze und prachtliebende Häuptling war es, in dessen bildergeschmückter Halle die Skalden sangen. Durch ihn ist freilich auch das Unglücksschwert "Fußbeißer" in das Geschlecht gekommen, mit dem Ballt, Gudruns Gemahl, später auf deren Geheiß den jungen Kjartan fällt.

Glück und Unglück beherrschen so auch Jngemunds, des Seetalhäuptlings Geschlecht, Generationen hindurch. Wir kennen ihn schon aus der Landnama. Unter glücklicheren Auspizien als die andern Siedler, in Freundschaft mit dem gefürchteten König Harald Haarschön, war er nach Island gezogen. Die Weissagung, die ihm noch in Norwegen durch die Seherin



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ward, erfüllt sich auf Island. Vater, Sohn und Enkel herrschen glücklich und weitgeachtet in der ganzen Gegend.

Zwar mit blutigen Fehden ist auch das Leben dieses Geschlechtes ausgefüllt. Vor allem gerät der haderlustige weite Sohn Ingimunds, Jökul, mit dem starken Finnbogi aus der Nachbarschaft in ununterbrochenen Kampf. Die nach ihm benannte Saga hat jenen starken Helden mit übernatürlichen Kräften ausgestattet und ließ ihn im Auslande die berserkerhaftesten Taten verüben. Sie hat Finnbogis und Jökuls Zwist in noch abenteuerlicheren Farben gemalt als die Saga der Leute aus dem Seetal.

Hochherzigkeit und Klugheit ist immer auf die ältesten Söhne von Ingimunds Geschlecht übergegangen. An ihnen hat sich vor allem die Weissagung der glückbringenden Schutzgöttin erfüllt.

Aber wie die Lichtgestalten der Egilssaga, Thorolf, Oheim und Neffe, ereilt auch die der Seetalgeschichte ein tragischer Tod. Den alten Ingimund, der im menschenfreundlichen Bestreben , einen Hader mit Nachbarn zu schlichten, heimtückisch niedergestreckt wird, und seinen gleichnamigen Enkel, der so schön war, daß alle Mädchen des Seetals, wie es im Liede hieß, nur mit ihm geben mochten.

Der romantische Glanz, der die Geschichten von Ingimund und noch mehr von Finnbogi umstrahlt, fehlt den andern Sagas dieser Gegend.

Mit köstlichem Humor ist in der Saga Ofeigs der Sieg durchtriebener Bauernschlauheit über mächtige Gegner dargestellt. Dieser alte geriebene Fuchs greift wiederholt und immer mit Erfolg in die Prozesse ein, die sein reichgewordener und vielbeneideter Sohn mit eifersüchtigen Nachbarn hai. In Wirklichkeit sind diese Bundesbrüder", wie die acht Häuptlinge nicht ohne pikanten Scherz in der Saga beißen, gar nicht so einig, wie sie tech in ihrem Haß gegen Ofeigs Sohn geben. Durch Bestechung und schlaue Ausnutzung der Schwächen dieser Ehrenmänner macht der Alte alle ihre Umtriebe zuschanden. Aber nur mit Worten wird gestritten. In der ganzen Saga fließt kein Blut. Diese Männer leben nicht mehr im Heldenzeitalter.



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Die Saga vom durchtriebenen Ofeig istdie einzige Familiengeschichte , die erst um 1050 entstanden ist. Sie zeigt die Wandlung an, die sich in den beiden ersten ruhigeren Jahrzehnten des Christentums in dem Charakter des Volkes allmählich vollzogen hatte.

Ein Kranz von Sagas umgibt im Nordosten den Inselfjord. Hier herrscht noch Fehde und Blutvergießen. In Reykjadal und Svarfadardal, am Ljosavatn, dem "Lautersee", überall spielen erbitterte Kämpfe zwischen den einzelnen Geschlechtern . Man denkt dabei an den Zwist der Leute von Eyr mit den Männern vom Schwanenfjord aus der Saga des Goden Snorri zurück. Vor allem erinnern an diesen die Fehden der Esphölinger mit dem Geschlecht des Haudegen Glum".Mut und Verschlagenheit sichern ihm wie am Breitfjord dem Goden Snorri lange den Erfolg gegen alle Gegner. Aber eine weitblickende Natur wie jener ist er nicht.

In Glum ist ein berserkerartiges Draufgängertum mit ausgesuchter Hinterlist gepaart. Jenes läßt ihn über alle Gegner triumphieren, diese zwingt ihn schließlich im Alter noch aus seiner Heimat zu gehen.

Aus blöder und träger Jugend ist Glum plötzlich in seine Kraftnatur emporgewachsen. Die Saga verleiht ihm eine Ungeheuerlichkeit; die an Egils dämonisches Auftreten in der Königshalle erinnert. Als Glum von einem Gegner verhöhnt wird, da bricht erin ein solches Lachen aus, daß sein Gesicht ganz fahl wird und Tränen aus seinen Augen gleich großen Hagelkörnern fallen. Der mächtigste Häuptling der Gegend war dem Besitzstand der Mutter während Glurns Wikingfahrt ins Ausland ;u nahe getreten. Mit der Erschlagung von dessen Sohn eröffnet der junge Glum seine Heldentaten.

Eigenartig berührt bei einem Helden wie Glum die unritterliche Art, wie erden Totschlag eines Gegners von sich auf einen andern Helden abzuwälzen sucht. Lange gelingt es ihm, die ganze Nachbarschaft über den wirklichen Täter in Ungewißheit zu halten. Ja er scheut sich nicht, in drei Godenbezirken auf die in Opferblut getauchten silbernen Tempelringe einen höchst zweideutigen Reinigungseid zu schwören, den man zu seinen Gunsten auslegt.



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Verliert Glum durch dies selbstsüchtige Vorgehen bei uns an Teilnahme, so gewinnt er sie einigermaßen wieder durch seine Dichtung. Wie Gisli den Geächteten, verrät ihn sein eigener Skaldensang. Was er sonst mit äußerster Hinterlist verbirgt, kann er dort nicht zurückhalten. Diese tragische Ironie stimmt uns milde. Wir haben ein Mitgefühl mit Glum wie mit dem alten Egil, wenn er wie jener im Liede voll Lebensüberdruß über das ibn erdrückende Alter klagt.

Der Skaldensang fehlt fast vollständig in den Sagas der Ostlandfamilien. Sie bilden in ihrem prächtigen kleinbäuerlichen Milieu eine Welt für sich, wenn sie auch bier und da in die großen Sagas des Westlands übergreifen. So wird Gunnar, der Töter Thidrandis, in der Lachstalsaga von Gudrun und dem Goden Snorri vor den Folgen seines Totschlages sicher nach Norwegen gerettet. Die Geschichten der Leute von der "Waffenförde", von Thorstein dem Weißen und Thorstein Stangenhieb, sie alle tragen untereinander mehr den Charakter ein und derselben Saga als die Geschichten in den andern Gegenden Islands.

Der Held der schö der Priester Freys, Hrafknkel, eine eigensinnige, halsstarrige Bauernnatur. Er herrscht als allmächtiger Gode in seiner Gegend. Dein Tempel seines Gottes hat er das Roß Freymähne geweiht. Er hat geschworen, jeden zu töten, der auf diesem heiligen Roß einen Ritt wage. Die Erfüllung dieses Gelübdes bringt ihm Verfolgung auf dem Allthing. Er muß sein Godentum in Jökuldal räumen und findet in der Fremde eine neue Heimat. Dort kommt er bald durch seine wirtschaftliche Tüchtigkeit zu neuem Wohl tand und reichem Ansehen. Inzwischen haben seine Gegner aen Tempel zerstört und das verhängnisvolle Roß vom Felsen ins Meer gestürzt. Da erklärt Hrafnkel allen Glauben an eine Gottheit für Unsinn. Er schwört dem Frey ab. Es gelingt ihm aber in seinen alten Tempelbezirk zurückzukehren und an seinen Gegnern gebührende Rache zu nehmen. Jetzt herrscht der gottlose Mann als Gode mächtiger denn zuvor,

Ein rationalistischer Zug geht durch diese Saga, der ihr eine so moderne Färbung verleiht. Hrafnkels Sieg bedeutet den



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Sieg der kraftvollen Menschennatur, die sich in allen Widerwärtigkeiten des Schicksals durchsetzt.

Kleinere und engere Lebensverhältnisse schildern die Sagas, die auf dem 980 von Island aus entdeckten Grönland spielen. Einem dort entstandenen Eddalied erschienen der mächtige Hunnenkönig Atli und seine Helden schon heroenhaft, wenn es sie in den Verhältnissen einer isländischen Großbauemifamilie schilderte. Eine noch bescheidenere Umwelt setzen die vielen Abenteuer voraus, die der Held Thorgils aus der Saga von den Leuten aus Floi auf Grönland erlebte, nachdem er, vergeblich von seinem alten Schutzgott Thor in Träumen gewarnt , in die fremde Glescherwelt segelte.

Aber ein frischer Zug, eine Robinsonstimmung herrscht in den eigentlichen Grönländergeschichten. Mit naiver Fabulierlust werden die neuen Wunderländer vorgeführt. Grönland mit seinem Walreichtum und kostbaren Pelzwerk, mit seinen Eisbären, die zum Geschenk für norwegische Könige verwandt werden.

Das von Erich dem Roten entdeckte Land wird "Grünes Land" genannt, um die Ansiedler anzulocken. Dann taucht gar ein "Weinland" auf. Erichs Sohn Leif kommt an die nordamerikanische Küste. Sein Begleiter, der Deutsche Tyrkir, giebt dort den ibm aus Deutschland wohlbekannten Weinstock. Schiffe werden mit köstlichen Trauben beladen und andere mit den Ranken der Rebstöcke. Der Sagaerzähler stellt sie sich naiv als Bäume und diese Schiffsmacht als eine Ladung Bauholz vor. Auch die Indianer Kanadas tauchen auf ihren schnellen Boten auf. Es kommt zum Kampf und friedlichen Warenaustausch . Die erste Entdeckung Amerikas ist vor sich gegangen.

Das Kulturbild der Entdeckung Erichs des Roten und Leifs ergänzt dann die Geschichte von Einars Sohn Sökkvir. Hier sind wir schon in einer späteren Zeit. Ein Bischofssitz soll auf Grönland errichtet werden.

Eine höchst ergötzliche Novelle spielt auf Grönland zur seit König Haralds des Harten von Norwegen.

Fuchs der Listige ist ein virtuosenhafter Schiffsbauer und noch genialer im Hausbau. Um seine Burg auf Grönland



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hat er eine künstliche Wasserleitung gelegt, die das Feuer löscht, das die zum Mordbrand anrückenden Feinde seiner Vernichtung sicher, angefacht haben.

Ebenso vielgewandt ist Fuchs in der Rede. Nachdem er zwei Mannen des Norwegerkönigs, die ihm und der Ehre seines Weibes zu nahe traten, getötet hat, teilt der Verwegene dies jenem verkleidet in rätselhafter Rede mit. Vergebens sucht der kluge König, der allein den Sinn des in Wortspielen versteckten Bekenntnisses erraten hat, seiner habhaft zu werden. Er ist längst auf und davon beim Dänenkönig.

Auch auf den Faröern haben die isländischen Familiengeschichten ein interessantes Gegenstück. Selbst in diesen kleinen Verhältnissen treten zwei Helden hervor, die ein ungewöhnliches Interesse beanspruchen.

Sigmund ist fern der Heimat bei einem vornehmen, aber geächteten Norweger in völliger Einsamkeit zum Helden herangereift. Er hat im Dienst der Könige ander großen Schlacht gegen die Seekrieger auf Jomsborg teilgenommen. König Olaf Tryggvason hat ihn für das Christentum gewonnen, Sigmunds Verwandter Thrand aber ist eimer Heide. Der kluge ränkevolle Mann weiß alle Versuche Sigmunds und nach dessen Tode auch andrer, die neue Lehre auf den Inseln einzuführen, zuschanden zu machen. Selbst König Olafs des Heiligen sonst so glückliche Bekehrungskunst versagt gegenüber Thrand. Erst nach dem Tode des zähen und listigen Mannes siegt endlich der neue Glaube.


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