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Felix Niedner Islands Kultur zur Wikingerzeit


Mit 24 Ansichten und 2 Karten

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


8. Das altis Fehdewesen

Neben Staat und Familie drückt der angeborene Kriegersinn der Zeit der isländischen Republik seinen Stempel auf, Wir sahen ihn schon in Staats- und Familienordnung seine mächtige Kraft entfalten. Man konnte die kriegerischen Auswüchse wohl eindämmen, aber nie ganz beseitigen. Die Fehdelust in jeder Form ist auch ein Erbteil, das die Isländer aus der alten Heimat mit hinübernahmen.

Die nordische Göttersage weiß von einem schrecklichen Ungeheuer , dem Wolf Fenrir, der ständig die Welt bedroht. Die klugen Asen fesseln ihn durch ein magisches Band. Es dehm sich, jemehr er daran rüttelt, aber läßt ihn nicht frei. Doch endlich reißt er sich los und führt den allgemeinen Untergang herbei, indem er den Göttervater verschlingt.

Man kann den Mythus als einen Ausdruck der Vulkankraft Islands deuten. Noch mehr scheint er ein Symbol jener wilden Kriegerkraft seiner Bewohner. Der heidnische Freistaat ungewöhnlich lange fähig, auch ihre zerstörenden Wirkungen zu ertragen. Aber endlich fällt er doch als Opfer der unersättlichen Fehdelust, die ihn durchwütet.

Das norwegische Staatswesen und das norwegische Familienleben hatten auf die Neuordnung der isländischen Verhältnisse mitbestimmend gewirkt. Islands entlegener Natur war diese angepaßt, und die Einheit des Volkes konnte sich bei der Abgeschlossenheit der Jnsel trefflich entwickeln. Auch das isländische Fehdewesen hatte seinen eigen ausgeprägten Charakter. Auswärtige Kriege für das Vaterland gab es nicht, und sie konnten nicht die Veranlassung bieten zum Weiterwirken des kriegerischen Geistes auf der Insel.

Nur das tägliche Leben auf der Insel selbst konnte dort die Quelle von Streitigkeiten werden, die mit der Waffe ausgetragen werden mußten. Gewiß bot es an sich auch reiche Gelegenheit zu Reibereien. Indes dem Kampfbedürfnis des Volkes genügte dies in keiner Weise. Daher schweift der Isländer, besonders in seiner Jugend, so gern ins Ausland. Nur aus der kriegerischen Abenteuerlust des Volkes ist es



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Das Tal der Jökulsá südwärts von den Hljódaklettar. Nordisland



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verstehen, das sich seine besten Vertreter immer wieder zu dem Mutterlande Norwegen zurückwendeten. Die Nachkommen der Männer, die einen Harald Haarschön nicht ertrugen, nahmen Dienste bei seinen norwegischen Nachfolgern, um ihre im Inlande gesetzlich gehemmte Fehdelust voll entfalten zu können.

Allerdings fand sich Gelegenheit um Streit für den isländischen Mann auch im Inlande. Und wenn es anging, war der Isländer zum Kampf immer bereit. Trotz Thing- und Tempelfriedens, trotz gemeinsamer Arbeit und Erholung blieb immer noch Zeit, daß die Waffen nicht rasteten.

So tobte sich schon der Knabe beim Spiele kriegerisch aus, so sog der Jüngling als Wiking in die Ferne. Dem Mann fehlt es bei Grenzfragen nicht an Hader mit dem Nachbar; und des Greises liebste Erinnerungen sind Fehden und wieder Fehden. Selbst ;u förmlichen Feldschlachten kommt es in den kleinen isländischen Verhältnissen. Aber am häufigsten mißt man sich doch im Zweikampf.

Ein Stück Berserker tum lag in jedem Isländer. Es war eben jener Überschuß der Kraft, die, weil sie in keinem Kampf fürs Vaterland gegen das Ausland Verwendung fand, sich gegen die eigenen Volksgenossen wandte.

In dem äußeren Bilde des Berserkertums ist dieses ungestüme nordische Draufgängertum vortrefflich dargestellt. Bärenhäuter wurden jene Wüteriche genannt, weil sie gegen Abend Tiergestalt annahmen. Als Werwölfe irrten sie nachts unheilstiftend umber. Unwiderstehlich ist die Kraft der Berserker, solange sie im Kampfe stehen. Sie heulen und beißen in die Schilde. Keine Waffe kann sie verwunden. Nach dem Kampf aber, wenn der Wutanfall vorbei ist, sind sie schwach und friedlich wie andere Leute.

Die isländische Saga kennt diese bösartigen Unholde zwar als eine besondere Art Wesen. .Norwegische Könige verwenden sie in ihrem Dienst. Auch treten sie als Mädchenräuber und rücksichtslose Herausforderer zum Zweikampf auf und sind so meist die geborenen Gegner der Sagahelden. Aber sie verkörpern doch nur in stärkstem Maße, was auch in diesen lebt.



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Die Geschichte vom Skalden Egil hat drei Generationen Mes berühmten Geschlechtes mit solchen Zügen ausgestattet. Beim Großvater lebt die Berserkernatur noch in dem Namen "Abendwolf". Den Vater Skallagrim führt die Saga in namenloser Wut vor, als er im Ringkampf zu unterliegen droht. Auch bei dem Sohn Egil noch bricht die Berserkerwut durch und scheint gelegentlich fast sein Heldentum zu gefährden.

Schon Knaben zeigen ausgeprägten Kriegersinn. Der junge Egil tötet beim kindlichen Ballspiel seinen Gegner, der M gehöhnt hat. Ein anderer älterer Knabe leiht ibm dazu seine Art und seine Hilfe. Gans die Art der Erwachsenen.

Ein andermal hat man die Knaben zweier Gegner, als diese zufällig zusammenstießen, angewiesen, sich vor dem Männerkampf in Sicherheit zu bringen. Nachdem die Väter ihre Sache ausgetragen, sieht man, daß jene abseits ebenfalls gestritten haben. Man findet den einen tot. Der andere stirbt bald an seinen Wunden.

Ein anderes Brüderpaar im jugendlichsten Alter stachelt sich gegenseitig auf, einen übermächtigen Berserker zu töten. Beide vollführen die Tat. Der über seine Kinder stolze Vater sucht sie vor der Blutrache in Sicherheit zu bringen.

Auch der Wikingerzug ins Ausland kann nicht früh genug unternommen werden. Gewöhnlich ist es die Kraftprobe, die der junge Mann ablegt, ehe er daheim als bewährter Kämpfer gilt. Drei Jahre währte meist ein solcher Zug. Oft wird so lange die Heirat mit dem verlobten Mädchen aufgeschoben, und der glückliche Erfolg der Auslandreise ist dann wohl von Bedeutung für das Glück der Ehe.

Es war ein hartes und strenges Regiment, das alle nordischen Wikingerscharen unter sich führten. Oft taten sie sich als Genossen zu festen Verbänden zusammen wie die Krieger auf Jomsborg an der pommerschen Küste. Alle Weichlichkeit war verpönt. Das Familienleben fand in dem Wikingerverband keine Stelle. Raub und Plünderung war die Losung, aber Frauen und Kinder schonte man. Vorübergehend durfte der Wiking wohl in den Dienst eines Fürsten treten, aber in seiner Gesinnung blieb er dem alten Bunde treu.



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Solchen Verbänden an Ost- und Nordsee schloß sich hin und wieder wohl auch der junge Isländer an. Schon in seiner Eigenschaft als isländischer Mann wurde er stets mit Neugier, oft aber auch mit starkem Mißtrauen empfangen. Häufig zog er gemeinsam mit einem Schwurbruder nach Norwegen und erwarb sich auch drüben feste Freunde. Auch Verwandtschaftsbande der Väter schlossen die Männer hüben und drüben aneinander.

War der junge Isländer aber auch vom Vater her oder durch einen treuen Freund an einen ausländischen Fürsten oder König empfohlen, die geachtete Stellung hier mußte er sich selbst schaffen. Der Ehrenplatz in der Halle ward ihm erst dann gewährt, wenn er sich im Dienste des Königs hervorragend betätigt hatte. Der junge Haudegen Glum erwirbt sich, zuerst nur sehr gemessen empfangen, jene höchste Ehrung, als er einen übermütigen Prahlhans, dem gegenüber alle Leute in der Halle seiner Stärke wegen nicht aufkommen, durch Wort und Tat drastisch abfertigt.

Man hatte denselben Glum vorher für einen "Kohlenbeißer" gehalten. Diesen eigentümlichen altgermanischen Typ, den scheinbar einfältigen Tölpel, der plötzlich um großen Helden erwacht, enthüllen oft genug die Wikingerzüge erst in seinem wahren Wert. Die Besiegung für unbesiegbar geltender Zweikämpfer für den König kehrt als Aufgabe des jungen Isländers im Auslande häufig wieder.

Aber vor allem nimmt er auch an den Kriegszügen des Königs selbst teil oder fördert dessen Macht durch besondere Wikingerfahrten. Da muß er in Seeschlachten seinen Mann stehen. Auf dem hochragenden Vordersteven, dem der größten Gefahr ausgesetzten Posten, zu streiten ist sein Ruhm und sein Glück. Oft hat er auch auf dem geenterten feindlichen Schiff reichliche Gelegenheit zu überraschenden Heldentaten im Nahkampf. Ein solcher Kampf Mann gegen Mann tobt besonders, wenn es gilt eine Burg am Lande zu überfallen. Freilich hatte man es hier mit keiner Festung nach Art der Ritterburgen zu tun. Jene einfachen Holz befestigungen hielten dem Ansturm und vor allem den Feuerbränden des Gegners oft nicht stand,



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Mancher Isländer wiederholte die erste Vorliebe seiner Jugend auch in späteren Jahren. Immer neue Wikingerzüge führten ihn ins Ausland. Sehr häufig hatte er dort Besitz erworben, den er sich mit bewaffneter Hand oder auf gerichtlichem Wege vor Eindringlingen sichern mußte. Auch war er oft Verbindlichkeiten den Fürsten gegenüber dort eingegangen, die ihn immer wieder an deren Hof trieben. Aber nicht selten war auch nur die Abenteuerlust das treibende Element. Für Helden wie Egil Skallagrimsson sind die Wikingerzüge zum Teil das, was für die Ritter des Mittelalters die Aventüre darstellte. In den kampffrohen Liedern, die viele Isländer im Auslande an den Fürstenhöfen sangen, findet diese Seite des isländischen Doppellebens fern der Heimat einen geschichtlich monumentalen Ausdruck.

Wenn die Skaldenlieder gern des Isländers Fehderuhm in der Fremde preisen, weiß die Saga genug von dem Zwist im alltäglichen Leben auf Island selbst zu berichten.

Diesem starken Männergeschlecht, das die Persönlichkeit um jeden Preis behauptet, gilt jede Art der Vernichtung des Gegners als willkommen. Gewalt und List gelten gleich viel, wenn sie nur zum siele führen. Den Feind aus dem Hinterhalt zu überfallen und auszuplündern erschien nicht unehrenhaft. Freilich gab es auch hier eine Grenze. Helden ersten Ranges balten es für unritterlich, zu rauben, wenn sie nicht gleichzeitig dabei im Kampf ihr Leben aufs Spiel setzen.

Der blinde Haß läßt die Männer in den isländischen Tagesfehden oft jedes Maß der Schonung überschreiten. Wohl findet sich bei den heldenhafteren Gestalten der Saga auch Versöhnlichkeit , ja Edelmut dem Feinde gegenüber. Aber selbst Männer ersten Ranges, die für ihre Person den Kampf Mann gegen Mann als das einzig Würdige erachten, scheuen sich doch nicht; einen Gegner von Sklaven durch Meuchelmord auf die Seite bringen zu lassen.

Die Schilderungen des Kampfes verraten deutlich, daß die Gegner ihn als ihr Lebenselement betrachten. Kein Heldenepos kann mit größerem Behagen die Wunden und die Todesarten der streitenden Parteien aufzählen. Aufreizende, höhnende



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Worte begleiten den Kampf, Erfolg und Mißerfolg werden mit überlegenem Scherz behandelt, und noch der gefallene Gegner wird mit ironischem Spott traktiert. Keine Klage des Besiegten wird laut. Der Kampfgenosse, der, ohne dies zu ahnen, durch List zum Beistand gegen einen übermächtigen Gegner gewonnen wurde, ergibt sich, wenn er erliegt, mit trockenem Humor in sein Schicksal.

Sehr häufig entwickeln sich aus dem Streit zweier Gegner Fehden ganzer Kämpfergruppen, ja es kommt zu wirklichen Feldschlachten. Die furchtbarste stellt die"Saga vom Hochlandskampf " dar. Wegen der Ermordung eines Mannes wurden von dessen Bruder und seinen Mördern ganze Streitmächte auf beiden Seiten aufgeboten, und erst der kluge Snorri setzt dem furchtbaren Blutvergießen auf der Zweitageheide ein Ziel.

Dem offenen Kampf steht der heimtückische oft nächtliche Überfall entgegen, wobei sich auch häufig mehrere zur Vernichtung eines Gegners zusammentun. Die furchtbarste Form dieser Kampfart ist die"Brenna" . Das Haus des Gegners wird umstellt, und alle im Innern finden durch einen rings um das belagerte Gebäude des Gegners entfachten Feuerbrand den Tod. Einen solchen furchtbaren Mordbrand schildert außer der Njalssaga besonders eindrucksvoll die Geschichte vom Hühnerthorir.

Daß man sich auf echt bäuerlichem Boden befindet, eigen die oft dürftigen Motive, die einen Heldenstreit hervorrufen können.

Um strittige Wiesen, Acker und Wälder entspinnen sich häufig erbitterte Fehden, die mit Blutvergießen enden. Diebstahl von Korn und Vieh wird leicht beim Nachbar vermutet und bildet die Quelle neuer Streitigkeiten. Oft wird von dem unachtsamen Knecht die Grenze des Nachbars bei der Viehweide überschritten. Schadenfroh weigert sich auch wohl in seiten der Hungersnot ein Eigennütziger, von seinen reichen Hausvorräten zu verkaufen. In allen diesen Fällen waren durch Aussprache, Vergleich oder Geldbußen schwere Konflikte zu vermeiden. Aber gern griff man gleich zu bewaffneter Selbsthilfe. Eine



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Heuernte konnte üch im Umsehen in eine kleine Schlacht verwandeln , wenn man einen Gegner traf, dem man etwas nachzutragen hatte, oder der selbst kam, um eine alte Abrechnung zu halten.

Daß die Spiele, bei denen viele ehrgeizige Männer zusammen waren, oft in Streit ausarteten, war nur natürlich. Nächst Ballspiel und Ringkämpfen führten besonders die seltsamen und unerquicklichen Pferdekämpfe zu ernsten Fehden. Der Besitzer der Pferde identifizierte sich mit der Ehre, die sein Roß einlegen sollte. So traf er mit dem Stab, der das Roß auf sein hochaufgerichtetes Gegenüber anspornen sollte, oft absichtlich dessen Besitzer und leitete eine regelrechte Fehde ein.

Noch häufiger führte ein Wortstreit auf Festen und Trinkgelagen zum Waffengang. Selbst wenn das Gelage aber friedlich verlief konnten im Trunk abgelegte Gelübde neue Fehden zur Folge haben. Solche eidlich abgegebenen Gelöbnisse brach man nie, auch wenn sie im nüchternen Zustande bitter bereut wurden. Nicht selten war der Wunsch nach dem Besitz einer Frau die Ursache für das leichtsinnige Gelöbnis.

Aber auch Frauenübermut machte sich bei den großen Festlichkeiten bemerkbar. Man verglich sich und neidete sich bei dem Platz in der Halle den Vorrang, und dem Wortwechsel der Weiber folgte später der Zwist der Männer. Nicht selten spielt die Frau, so unromantisch man auf Island auch im allgemeinen über sie dachte, bei den Motiven zum Kampf eine recht erhebliche Rolle.

Es kommt häufig vor, daß der Verlobte eines Mädchens im Auslande die für die Hochzeit angesetzte Zeit versäumt und sie dann einem andern vermählt wird. Kehrt der erste Liebhaber aus der Fremde zurück, dann ist der Konflikt da, und Zweikämpfe sind die Folge; die gewöhnlich mit dem Tode eines der beiden Gegner enden. Oft macht es die tragische Ironie voll, daß die beiden Feinde früher die besten Freunde gewesen sind.

Waren die Nebenbuhler Skalden, dann schüren auch aufreizende Spottverse, die hin- und herfliegen, die Todesfeindschaft. Überhaupt ist angeborene Seeck- und Hohnlust oft Anlaß zum Streit. Ein skelettartiges Pferdehaupt, auf einer



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Stange errichtet, in die Spottrunen geritzt waren, eine sogenannte Neidstange; errichtete man als Kriegserklärung.

Die Herausforderung zum Zweikampf aus angeborenem Übermut und Fehdedrang beschränkt sich nicht auf die mythischen Berserker. Diese Art des Fehdetums findet nur in jenen den schärfsten Ausdruck. Ganz von dieser Gesinnung waren schon manche Landnahmemänner beseelt, die sich ihren Besitz ers um nicht durch Landschenkungen Verpflichtungen einzugehen oder sich ein Gebiet kaufen müssen. Neben der Habsucht wirkte auch bei solchen Raufbolden die lüsterne Begier nach schönen jungen Mädchen oft zur Ansage einer Fehde mit.

Die Domäne dieser Männer war der Zweikampf. Bei den großen Feldschlachten und Mordbränden der Sagas konnte der einzelne leicht durch tüchtige Bundesgenossen eine persönliche Niederlage vermeiden. Hier war er ganz auf seine eigene Kraft angewiesen. Nirgend wurde die Persönlichkeit so rückhaltlos aufs Spiel gesetzt wie im "Holmgang".

Diesen Namen trug der Zweikampf, weil er fast immer auf einer der im Norden zahlreichen,"Holm" genannten, Schären ausgefochten wurde. Der Termin für den Holmgang wurde lange vorher bestimmt, der Preis, den der Sieger erhalten sollte, in Geld oder Landbesitz, ward genau vereinbart. Der Platz, innerhalb dessen der Streit vor sich ging, wurde abgesteckt . Die den Göttern heilige Haselrute, die sonst dazu verwandt wurde, mußte auf Island in Wegfall kommen. So fest eingewurzelt war diese Einrichtung des Zweikampfs, daß sie; ehe man das oberste Gericht einsetzte, die letzte Zuflucht bei allen strittigen Rechtshändeln blieb.

In den meisten Fällen war doch der Grund des Kampfes für den Mann nicht Abenteuertum, sondern eine Pflicht, die jeder unbedingt auf sich nehmen muste: die Blutrache.

Der gewaltsame Tod eines Mannes, er mochte erfolgt sein unter welchen Umständen er wollte, erforderte unerläßliche Sühne. Die gan ;e Sippe war für die Bestrafung des Mörders verantwortlich. Als Njals ganzes Geschlecht im Mordbrand vernichtet ist, ruht der einzige Überlebende, Kari, nicht eher,



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als bis die Rache vollzogen ist. Die Nächstverpflichteten sind natürlich Vater; Sohn und Bruder. Auch Schwurbrüder müssen für den Freund Blutrache nehmen. Die Strenge dieser Verpflichtung tritt oft in ergreifender Weise bei denen zutage, die aus Mangel an Kraft selbst nicht imstande sind, sie ohne Bundesgenossen zu vollführen. An Greisen, die mit unerschütterlicher Zähigkeit den Gedanken der Rache in sich herumtragen, bis er doch irgendwie zur Tat wird. An Frauen, die Männern und Söhnen keine Ruhe lassen, bis sie ihrer Pflicht genügt haben.

Abgelöst werden konnte die Blutrache nur mit Zustimmung der ganzen Sippe durch einen Vergleich. In diesem Falle mußte für den erschlagenen Mann Wergeld, das heißt"Mannesbuße" , bezahlt werden. Dieses wurde entrichtet in Silber oder Gold, das damals noch gewogen wurde, auch in Ballen Friestuch oder einer Zahl von Kühen. Die geringste Buße für einen Mann betrug in unserm Gelde etwa 5400 Mark. Kam es wegen anderer Dinge, besonders Vermögens streitigkeiten, zu einem Vergleich beider Parteien, dann mußte der Schuldige ebenfalls ähnliche Bußsummen zahlen, deren Wertbestimmung er oft freiwillig dem Geschädigten überließ.

Kam es zwischen beiden Parteien weder zur persönlichen Rache noch zu einem gütlichen Vergleich mit oder ohne Schiedsmann, dann blieb nur der Rechtsgang übrig.

Nichts spricht vielleicht so für den durch und durch kriegerischen Sinn des Volkes, als daß auch der Prozeß in seinem ganzen Verlaufe das Bild eines Kampfes trägt. Nach wie vor stehen sich die beiden Parteien wie zwei Kämpferscharen gegenüber. Schon in der Art, wie die Partei des Klägers und des Beklagten sich Bundesgenossen werben, erinnert vollständig an die Vorbereitungen zu einer großen Schlacht. Die Art, wie sich in der Saga vom Hühnerthorir die Mordbrenner Spießgesellen werben, ist äußerlich gar nicht so verschieden von der Weise, wie in der Egilssaga Thorstein sich Bundesgenossen in dem Prozeß gegen Önunds Sohn Steinar sucht. Man hat, wenn man auf dem Allthing die Njalssöhne um Bundesgenossen für ihre Rechtssache werben sieht, kaum einen



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weniger kriegerischen Eindruck als bei den Vorbereitungen, die Bard in der Saga vom Hochlandskampf trifft, um die Häuptlinge der Umgegend für diese mörderische Schlacht zu gewinnen.

Die Freunde, die der Kläger oder der Beklagte für seine Sache gewinnt, sind seine Bundesgenossen wie im wirklichen Kampf. Nicht darauf kommt es an, daß jene den Sachverhalt, um den es sich bei dem Prozeß handelt, aus eigener Anschauung kennen, sondern daß der Mann, dem sie helfen sollen, ihnen als zuverlässiger Ehrenmann bekannt ist. In naiver Weise machen die Parteien gar kein Hehl daraus, daß es vor allem gilt, sich mächtige, angesehene, reiche Männer zur Unterstützung zu sichern.

Wie bei der Einleitung des Prozesses, so hat man auch bei dessen Verlauf selbst den Eindruck, daß sich zwei regelrechte Kämpferscharen gegenüberstehen, die ihre Sache selbst ausfechten.

Der Gerichtshof leitet den Rechtsgang nicht in dem Sinne, daß er den Verlauf der Verhandlung im einzelnen bestimmt. Diese entwickelt sich vielmehr von selbst aus Rede und Gegenrede der streitenden Parteien. Ihre Sache war es, die Beweismittel richtig zu stellen, um den Gegner von seinem Unrecht zu überführen. Kläger wie Beklagter wollen nicht dem unparteiischen Richter, sondern ihrem Prozeßgegner die Aussichtslosigkeit seiner Klage oder Verteidigung dartun. Nicht die Wahrheit oder Unwahrheit des fraglichen Tatbestandes ans Licht zu bringen ist im letzten Grunde das Bestreben der streitenden Parteien, sondern diesen zum Nachteil des Gegners außer Streit zu stellen.

So sind auch die Männer, die sich die Partei des Klägers oder die des Verklagten zur Unterstützung ihrer Sache verschafft hat, durch das diesen gegebene Versprechen auf eine bestimmte Aussage festgelegt. Auf ihre Vernehmung haben die Richter keinen Einfluß. Deren Aufgabe ist es allein, wenn sich die streitenden Parteien nicht selbst einigen können, ein Urteil abzugeben. In jeder Phase des Prozesses ist indes ein Umschlagen in freiwilligen Vergleich, aber auch in kriegerische Selbsthilfe möglich.



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Ein neues Verfahren tritt dann ein, wenn die Richter bei normalem Verlaufe des Prozesses zu keiner Einstimmigkeit des Urteils gelangen. Auf der obersten Instanz des Allthings war indes schon Stimmenmehrheit entscheidend.

Im übrigen war nur die feierliche Eröffnung und Schließung des Things sowie die Wahrung des Thingfiedens während der Verhandlung Sache des sonst bei ihr so pasiven Gerichts

Auch den Strafbestimmungen und deren Folgen kommt wieder der kriegerische Charakter des Volkes zum Ausdruck.

Geldbußen im Strafprozeß wurden, wenn sie nicht durch den Vergleich der Parteien selbst festgesetzt waren, durch den Urteilsspruch der Richter in der Regel nicht verhängt. Leichtere oder schwerere Verbannung war für Totschlag und andere Vergehen die gewöhnliche Strafe, auf die geklagt wurde. Die teichtere"Friedlosigkeit", die Landesverweisung, wurde bereits bei der Verbannung Gunnars von Haldenende erwähnt, Auch sie hat wohl schon wie jenem manchem tapferen Manne damals das Leben gekostet.

Furchtbar aber war der "Waldgang" oder die lebenslängliche Verbannung, die den Betroffenen für immer ächtete. Der Ausdruck stammt aus den norwegischen Verhältnissen, da im Mutterland die Ausgestoßenen in die großen Wälder der Heimat flüchteten. In Island waren sie auf die entsetzlichen Steinwüsten des Innern angewiesen. Da der für immer Geächtete vogelfrei und deshalb ganz in diese Einöden gebannt war, so harrte seiner M gewöhnlich ein Leben voller Verzweiflung.

Die Strenge der Strafe entsprach jedoch keineswegs immer der Schwere des Vergehens. Auch bei ihrer Zumessung waren oft persönliche Verhältnisse maßgebend. Einflußreiche Persönlichkeiten wurden infolge ihres Anhangs oft gelinder bestraft, wo Geringere, denen der Schutz von Freunden fehlte, die härteste Achtform zugesprochen erhielten. Überhaupt spielten Rang und Besitztum in allen Phasen eines Prozesses eine beträchtliche Rolle. Selbst direkte Bestechlichkeit der Richter kam vor. Das alles erklärt sich nur aus der Auffassung des Rechtsganges ab



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eines Streites. Wie bei diesem ließ man in jener alten Zeit ist und Gewalt naiv walten.

Wir sahen, wie Staat und Familie in den Persönlichkeiten Snorris und Njals klassische Vertreter des altisländischen Volkes boten. Das isländische Fehdewesen ist nirgends stärker und menschlich ergreifender verkörpert als in der Gestalt des jungen Grettir. Neben dem ehrwürdigen Greisentume Njals und der kraftvollen Männlichkeit Snorris steht hier der Jüngling, dessen Leben Fehde ist vom Beginn bis zum letzten Atemzuge.

Grettir ist vier Jahre vor der Einführung des Christentums 996 geboren, und im Jahre 1031 erlag er einem Leben voll unerhörter Unruhe und Verfolgung. Zwanzig Jahre mußte er als Geächteter seinem Vaterland gegenüberstehen. Aber als er fünfunddreißigjährig starb, hatte er ein Heldenleben ohnegleichen hinter sich. So mächtig lebte und webte die Kraft des heidnischen Wikingertums noch im ersten Menschenalter nach der Einführung des Christentums.

Schon in der Saga des Goden Snorri und in der Geschichte vom weisen Njal fanden sich äußerliche christliche Einwirkungen . Sie hängen damit zusammen, daß gerade den monumentalen Sagas, die in "Thule" neben den Eddaliedern vorangestellt wurden, in der christlichen Zeit, wo ihre endgültige Ausgestaltung folgte, eine besonders liebevolle Behandlung zuteil ward. Auch die Saga von den Leuten aus dem Lachstal und vor allem die größte, die Geschichte vom Skalden Egil, eigen solche späteren Einflüsse. Mit den beiden letztgenannten teilt die Saga von Grettir auch den heroischen, ja romantischen Charakter, der dem Durchschnitt der Isländergeschichten sonst fremd ist und die Gestalt des Helden fast ins Mythologische steigert. Aber auch diese spätere Stilfärbung der Saga schmiegt sich dem durch das unstäte Verbannungsleben Grettirs bedingten Abenteuertum verständnisvoll an.

Fünfzehn Jahr ist Grettir; als ihn die erste dreijährige Verbannung trifft. Sein im Grunde tiefer und gemütvoller Charakter wird durch die schwere Strafe, mit der er einen unbedachten Totschlag zu büßen hat, verdüstert und trotzig. Sein



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frühes Selbstbewußtsein der Knabenzeit wandelt sich in Hochmut , seine Stärke und Hilfsbereitschaft, die ihn auch in den schlimmsten Zeiten nicht verlassen, schlagen oft in staatsgefährliche Gewaltsamkeit um. Die bittere Not der Achtung führt ihn wiederholt nach Norwegen. Kampf gegen Berserker, , kriegerische Untaten bei veranstalteten Kampfspielen, Fehden mit Bären, Riesen, Unholden und Gespenstern lassen seinen Ruhm überall kund werden.

Ein großer Mordbrand in Norwegen, in den Grettir wider seinen Willen verwickelt wird, steigert seine bisher schon unerquickliche staatliche Lage zu verzweifelter Hoffnungslosigkeit . Wegen seiner angeblichen Hauptschuld an jener Brenna wird er auf dem Allthing sum Waldgang verurteilt. Von jetzt an wählt er, in wildem Trotz gegen den allmächtigen Spruch des Gerichtes und voller Liebe doch gegen das Vaterland, das ihn ausstieß, gerade Island zum Schauplatz seiner verzweifelten Taten, die ihn in immer neue Konflikte bringen.

Dabei ist im letzten Grunde die Sympathie jedes, der seine Saga liest, immer bei dem unglücklichen Mann, der in Lagen gerät, die seiner großen Seele so weh tun müssen. Mit andern Geächteten, oft wirklichen niedrigen Verbrechern, muß er in der Einöde hausen. Bei den Halbriesen im Gebirge findet der von den Menschen so unmenschlich Behandelte vorübergehend liebevolle Aufnahme.

In all seinem Unglück hält Grettir fest an der Sippe und behält auch als Verbannter Zeit, ihre Interessen zu vertreten. Er rächt den Tod seines Bruders. Er kehrt immer wieder in Pausen seiner furchtbaren Einsamkeit zur Mutter zurück, die das eigenwillige Kind schon gegen die Unduldsamkeit des Vaters schützte. Erschütternd ist der letzte Abschied, den er von jener nimmt, ehe ihn endlich auf einer Felsenwildnis, in die er sich vor der Übermacht der Verfolger zurückzog, der Tod ereilt. Keinen größeren Mann, so urteilt noch im dreizehnten Jahrhundert der Gesetzessprecher Sturla am Schluß der Saga, habe es gegeben als Grettir den Starken. Keiner habe so gefochten und sei, solange er wohlauf war, so unverwundbar



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gewesen wie er. Und keiner auf Island habe je eine so furchtbare Verbannung ertragen.

Dieses Urteil zeigt die Achtung und Anerkennung des Helden Grettir selbst dort, wo das Interesse des Staates sprechen müßte. Auch unter befreundeten Geschlechtern hat Grettir während seiner Verbannungszeit seinen Anhang. Björn, der Held der Saga aus Hitardal, und Snorri der Gode sehen den Hilfe aus der schrecklichen Einsamkeit Suchenden vorübergehend bei sich auftauchen. Ja, der große Politiker sucht wie andere Freunde seine Verbannung auf dem Allthing durch seine Fürsprache rückgängig zu machen.

Aber die Macht des Staates zeigt sich darin, daß auch jener mächtige Häuptling es nicht wagt oder es doch nicht für richtig hält; ihn bei sich aufzunehmen. Und an dem Widerstand der alten Familien, die Grettir feindlich sind, scheitert doch die Wiederaufnahme in die isländische Gesellschaft selbst bei diesem gewaltigsten Vertreter isländischen Fehdetums.


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