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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


27. Der andere Fischer und der Affe

E in Fischer ging jeden Tag an das Wasser und warf seinen Angelhaken aus und jeden Tag fing er einen Fisch. Den verkaufte er und erlöste dafür so viel, daß er jeden Tag für sich und seine Frau je ein Brot kaufen konnte. Eines Tages warf der Fischer seine Angel aber wieder und wieder aus, und er hatte kein Glück, bis seine Schnur endlich gegen Abend beim Aufziehen straff wurde. Sorgsam zog er sie heraus. Es war aber kein Fisch an dem Angelhaken, sondern ein alter Kasten.

Mittlerweile war es Abend geworden und der Fischer ging mit Angelhaken, Schnur und Kasten nach Hause. Er warf den Kasten ärgerlich in den Winkel und sagte zu seiner Frau: "Heute werden wir nun einmal nichts essen. Dies ist alles, was ich gefangen habe." Die Frau war hungrig und traurig wie der Mann. Beide saßen still da und hungerten. Da sagte eine Stimme aus dem Kasten: "Sucht am Fuße der Kiste den Schlüssel, öffnet den Kasten und steckt eine Nadel in die Tasche." Der Fischer und seine Frau sahen einander an. Da sie aber nichts Besseres zu tun hatten, steckte der Mann die Nadel in die Tasche, während die Frau den Schlüssel suchte, fand und den Kasten öffnete. Sie traten beide an den Deckel, öffneten ihn und sahen auf dem Boden der Kiste einen kleinen Affen. Die Frau und der Fischer waren ärgerlich. Die Frau sagte: "Für den Affen gibt uns kein Mensch ein Brot." Der Fischer wollte den Kasten zuwerfen. Der Affe sagte: "Seid nicht so eilig." Der Fischer sagte: "Was willst du Affe uns Gutes tun oder anraten ?"

Der Affe sagte: "Achte genau auf alles, was ich dir sage! Reiche mir die Nadel, die du in die Tasche gesteckt hast, damit ich sie einmal berühre." Der Fischer tat wie aufgefordert. Der Affe sprach wieder: "Nun stecke die Nadel wieder ein. Jetzt geh zu dem Bäcker und kaufe eine Doppellast Brot. Nachher bezahle mit der Nadel. Dann geh zum Fleischer und kaufe eine Doppellast Fleisch. Zögere nicht, sondern tue das alles sogleich."

Der Fischer schüttelte den Kopf, aber er ging. Er kaufte beim Bäcker eine Doppellast Brot. Er gab ihm als Bezahlung die Nadel. Der Bäcker war zufrieden und versprach, das Brot sogleich zu schicken. Der Fischer schüttelte den Kopf. Er ging zum Fleischer, kaufte eine Doppellast Fleisch und griff in die Tasche, voller Angst, darin nichts zu finden. Die Tasche war aber voller Goldstücke, die um die Nadel lagen, die der Affe berührt hatte, die der Fischer dem



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Bäcker als Zahlung gegeben hatte, die inzwischen aber wieder in seine Tasche zurückgekehrt war. Er zahlte das Fleisch und der Fleischer sandte die Doppellast.

Abends schüttelten der Fischer und seine Frau den Kopf und aßen sich im übrigen satt. Sie gingen schlafen. Als es noch ganz früh am andern Morgen war, weckte der Affe den Fischer und rief: "Holt mir den Milchkaffee herein." Der Fischer war noch halb im Schlaf und rief: "In meinem Hause gibt es keinen Milchkaffee." Die Frau des Fischers stand aber auf. Sie trat auf den Hof. Der ganze Hof stand voller Schafe, Rinder, Säcken voll Korn und Ballen von allerhand Ware. Der Fischer und seine Frau schüttelten den Kopf. Der Affe sagte: "Heute ist Markttag! Geht hin und kauft alle Krüge." Der Fischer tat es. Er kaufte alle Krüge und stellte sie in eine Kammer, so daß diese ganz damit angefüllt war. Er kam zum Affen zurück und fragte: "Was soll mit den Krügen ?" Der Affe sagte: "Sieh morgen früh nach." Am andern Morgen sahen der Fischer und seine Frau in die Krüge; sie waren von unten bis oben mit Gold angefüllt. Der Fischer und seine Frau schüttelten den Kopf.

Der Fischer und seine Frau waren nun die reichsten Leute weit und breit. Sie bauten sich ein neues großes Haus und lebten sorgenlos und bequem. Dem Fischer wurde es nach einiger Zeit langweilig. Er sagte zu seiner Frau eines Tages: "Ich werde auf Reisen gehen." Der Affe sagte: "Das ist recht, nimm mich aber mit. Die Frau soll das Haus hüten." Der Fischer machte sich also auf den Weg, um die Welt kennenzulernen, und er nahm den Affen überall mit.

Eines Tages kam der Fischer mit dem Affen in eine Stadt, die wurde von einem Amin regiert, der eine sehr schöne Tochter hatte. Der Amin hatte aber bis jetzt jeden, der sich um seine Tochter bewarb, töten lassen und auf diese Weise waren schon neunundneunzig Männer ums Leben gekommen. Als der Fischer in diese Stadt kam, sagte der Affe zu ihm: "Erkundige dich, warum der Amin dieser Stadt jeden, der sich um seine Tochter beworben hat, töten ließ." Der Mann fragte die Leute danach. Kein Mensch wollte es ihm sagen. Er kam zum Affen und sagte dem, daß ihm niemand Bescheid tun wolle. Der Affe sagte: "So versuche es in der Weise, daß du beim Bäcker den ganzen Laden auskaufst, ihm aber erst dann das Geld gibst, wenn er dir die Frage beantwortet hat. Der Fischer ging hin und sagte dem Bäcker, daß er ihm den ganzen Laden auskaufen wolle. Der Bäcker war erfreut. Der Fischer sagte, daß er aber wissen wolle, weshalb der Amin alle Bewerber seiner Tochter töten lasse.



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Da wurde der Bäcker zornig und sagte: "Mein Ware ist warm und wird auch verkauft, ohne daß ich so dumme und unangenehme Fragen beantworte." Der Fischer ging zum Affen zurück und berichtete von seinem neuen Mißerfolg. Der Affe sagte: "So nimm einen Dolch unter das Kleid, kaufe beim Fleischer eine Doppellast Fleisch und sage ihm, er solle dies hinter die Stadtmauer bringen. Wenn er dort dann die Bezahlung erhalten soll, so halte in der linken Hand das Gold, in der rechten den Dolch. Dann frage ihn und er wird antworten." Der Fischer ging. Nach einiger Zeit kam er zum Affen zurück und sagte: "Nun weiß ich, weshalb der Amin bisher alle Bewerber seiner Tochter hat töten lassen." Der Affe sagte: "Wenn du es weißt, so nimm mich unter deinem Kleid auf dem Schoße mit dir, bewirb dich beim Amin um die Tochter und beuge dich, wenn du mit dem Mädchen allein bist, vor, so daß man nicht erkennen kann, ob die Stimme aus deinem Munde oder aus deinem Schoße kommt."

Der Fischer nahm den Affen unter sein Kleid und ging zum Amin. Der Amin empfing ihn. Der Fischer sagte: "Ich bin fremd hier, besitze aber Gehöft und alles Zugehörige in jener Stadt dort. Ich möchte gerne deine Tochter zur Frau haben. Willst du sie mir geben?" Der Amin sagte: "Gewiß will ich dir meine Tochter gerne geben. Es handelt sich dabei um eine sehr einfache Sache. Ich werde meine Tochter hereinrufen. Sie wird sich auf die Erde setzen, gerade dir gegenüber. Wenn es dir nun gelingt, meine Tochter bis zum Abend zum Sprechen zu bewegen, so wird sie deine Frau. Gelingt es dir aber nicht, so töte ich dich." Damit ging der Amin heraus. Gleich darauf trat die Tochter des Amin herein und setzte sich dem Fischer gegenüber auf den Boden.

Der Fischer überlegte: "Was soll ich reden? Was ich auch rede, sie wird mir nicht antworten. Wenn sie bis zum Abend nicht spricht, werde ich getötet." Der Fischer überlegte. Die Schatten wurden kürzer. Es war Mittag. Der halbe Tag war verflossen. Der Fischer hatte noch keine Weise ersonnen, die Tochter des Amin zum Sprechen zu bringen. In seiner Angst beugte er sich vornüber, stützte seine Arme auf die Knie, senkte die Stirn und nahm so die Stellung ein, die der in seinem Schoße hockende Affe ihm vorgeschrieben hatte, denn nun konnte niemand unterscheiden, ob die sprechende Stimme aus dem Munde oder aus dem Schoße des Fischers kam. Sogleich begann der Affe auch zu sprechen und sagte: "Höre und entscheide gerecht!

Ein Schnitzer fertigte einmal aus einem Baumstamm die Gestalt



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einer Frau an. Die Gestalt machte er so genau nach der Natur wie nur möglich. Er schnitzte die Hände und Nägel, die Füße und Zehen, den Kopf mit den Haaren, Augen, Ohren, der Nase, dem Munde und dem ganzen Körper so sorgfältig wie nur irgendmöglich, getreu nach der Art einer lebenden Frau. Das Holzbildnis setzte er auf die Straße.

Nach einiger Zeit kamen zwei Kaufleute mit allerhand Kleiderstoffen und Schmucksachen auf diese Straße. Sie kleideten die Figur, weil ihre Nacktheit bei so vollendeter Schönheit ihnen leid tat. Sie gaben ihr die besten Kleider, die sie hatten und den schönsten Schmuck, der in ihren Ballen war.

Nach einiger Zeit kamen zwei Händler auf der Straße daher. Sie sahen die hölzerne, schöngekleidete, schöngeformte Frau und es tat ihnen leid, daß sie nicht geschminkt war. Darauf nahmen die Händler Tasult (Antimon) und schminkten die Augenränder. Sie nahmen Agussin (Nußschalenpräparat) und schminkten die Lippen.

Nach einiger Zeit kam ein Prophet auf der gleichen Straße einher. Der sah die hölzerne, schöngeschnitzte, schöngekleidete und schöngeschminkte Figur und betrachtete sie. Der Prophet sagte: ,Wie schade, daß diese schönen Formen kein Leben haben', und er bließ der Figur das Leben ein. Die Figur begann zu atmen, schlug die Augen auf und ging von dannen.

Höre und entscheide gerecht! Ich habe mich gefragt, wer es verdient, daß die Frau ihm gehöre. Ich meine, am meisten habe sie ihr Dasein dem Holzschnitzer zu danken."

Die Tochter des Amin sprang erregt auf und rief: "Nein, das ist nicht wahr. Der Prophet hat sie verdient, denn er gab ihr die Seele einer lebenden Frau!"

Der Fischer sagte: "Du hast gesprochen." Die Tochter des Amin sagte: "Du hast recht. Nun werde ich deine Frau werden." Der Fischer ging nach Hause, nahm den Affen aus seinem Kleide und dankte ihm, daß er ihm jetzt auch noch zu einer jungen schönen Frau verholfen habe. Der Affe sagte: "Wer hat denn eigentlich aber die Frau verdient, du oder ich ?"


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