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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


26. Der Fischer und der Affe.

Ein Fischer (achueth) ging alle Tage zu seiner Arbeit aus. Er fing tagtäglich seine vier bis sechs Fische, die brachte er abends auf den Markt und von deren Erlös lebte er ganz behaglich in einer kleinen Hütte, die seitwärts großer Häuser mit vier Stützen errichtet und mit Schilf bedeckt war.

Eines Tages nun war er wieder am Wasser bei seiner Arbeit beschäftigt, da faßte sein Angelhaken schwer an. Der Fischer zog an. Erst meinte er, es habe wohl ein großer Fisch angebissen, als das Ende der Leine aber näher kam, sah er, daß der Haken in das Holz eines kleinen Kästchens gegriffen hatte, das er nun ganz auf das Ufer zog. Neugierig, zu erfahren, was der seltsame Fang enthalten möge, entschloß er sich, es heute mit der Arbeit genug sein zu lassen und nach Hause zurückzukehren. Er legte seine Geräte zusammen, schulterte das Kistchen und wanderte heim. Auf dem Wege sagte er sich: "Wenn ich in dem Kistchen nun nicht irgend etwas finde, dessen Verkauf mir einiges einbringt, so weiß ich nicht, wie ich



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heute noch zu einem Abendessen kommen soll." Damit hatte er aber recht. Denn der Fischer war arm und lebte täglich von dem, was er durch seine Arbeit erbeutet hatte.

In seiner Hütte öffnete er den Kasten mit ziemlicher Mühe. Es war aber kein Schatz darin. Statt des Anblickes von Gold und Silber sprang ihm ein Affe (ibiki) entgegen, der rief fröhlich: "Du bist es! Sei mir gegrüßt!" Der Fischer wußte zuerst nicht, wie er mit gutem Herzen den Gruß beantworten solle, denn nun konnte er sich nicht ausdenken, wie er zu seinem Essen kommen sollte. Er sagte: "Du bist in kein reiches Haus gekommen. Ich weiß nicht, wie ich dir zu essen geben soll." Der Affe lachte aber und sagte: "Darum sorge dich nicht, ich bin Ibiki (der Affe), ich werde schon für alles sorgen. Gehe nur fürs erste unbekümmert zu deiner Arbeit."

Am andern Tage ging der Fischer wieder an das Ufer zu seiner Arbeit. Der Affe aber sprang umher und betrachtete die nächste Umgebung der Fischerhütte. So fand er einige Blumen, die aus dem Fenster eines großen Gebäudes geworfen waren, in dem ein Agelith wohnte. Der Affe hob sie auf und sagte: "Diese Leute wissen mit ihren Sachen nichts anzufangen, ich werde es sie aber lehren." Er nahm die Blumen und pflanzte ihre Stengel sorgfältig auf den Platz hinter der Hütte seines Herrn und dem Hause des Agelith. Er goß die Pflanzen täglich und pflegte sie und so kam es, daß bald an Stelle der öden Fläche ein wundervoll blühender Garten entstand.

Eines Tages nun schaute die Tochter des Agelith zum Fenster heraus und war ganz entzückt über die Schönheit der Blumenpracht. Sie rief ihre Negersklavin herbei und sagte zu ihr: "Sogleich gehe zu dem Herrn herüber, dem dieser prächtige Garten gehört und bitte ihn um einige Blumen für mich. Mein Herz brennt nach ihnen." Die Negerin machte sich sogleich auf den Weg. Sie kam in den Garten, in dem soeben der Affe umherging und entbot ihm freundlich ihren Gruß. Der Affe aber entgegnete der Alten mit einem Gruße und sagte: "Ich habe deinen Gruß nicht nötig, ich arbeite." Die Negerin sagte: "Mein Lieber, du könntest freundlicher sein. Wisse denn, daß ich im Auftrage der Tochter des Agelith komme, die dich um einige Blumen bittet." Der Affe lachte höhnisch und sagte: "Da ist mir deine Herrin etwas Rechtes. Ihr Leute hier im Lande seid sehr unbescheiden und eingebildet. So eine alte Frau, wie du, sollte doch aber vorsichtig sein und fragen, wenn sie um etwas bitten will, ich will es dir sagen: Dieser Garten gehört dem Sohn des großen Fürsten (mit "Agelith", jedoch auch mit "Sul



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tan" bezeichnet) von Indien*, in dessen Dienst ich hier arbeite" Die Negerin erschrak und rief: "Was? Dem Sohn des großen Fürsten von Indien? !" Der Affe sagte: "So ist es. Der Sohn des Fürsten hat von einer sehr schönen Agelithtochter gehört, die hier irgendwo im Lande wohnen soll, und so hat er sich auf die Reise gemachte, um selbst zu sehen, was an dem Gerede wahr ist. — Nun ist es aber genug mit dem faden Gewäsch, nimm hier diese Blumen und bring sie deiner Herrin. Versteckt sie aber gut und laßt sie nicht etwa am Fenster sehen, so daß sie mein Herr gar eines Tages entdeckt und zornig wird. Mach nun überhaupt, daß du wegkommst, denn ich muß nach dem Essen sehen." Die Negerin sagte: "Ich danke dir, ich danke dir, ich danke dir! Was aber das Essen anbelangt, so laß dich das nicht kümmern. Wir haben heute ein großes Mahl bereitet. Ich werde als Dank alles Nötige herüberschicken, du brauchst deinem Herrn ja nichts zu sagen, woher das Essen kommt, damit er nicht erfährt, daß du meiner Herrin von euren Blumen gegeben hast."

Die alte Negerin schlug die Blumen in ein Tuch, lief zu ihrer Herrin herüber und berichtete ihr alles, was sie von dem Affen gehört hatte. Die Tochter des Agelith war sehr erstaunt über dieses alles. Sie betrachtete neugierig die schönen Blumen und merkte es in ihrer Verwunderung gar nicht, daß es keine anderen Blumen waren als die, die sie vor einiger Zeit aus dem Fenster geworfen hatte. Sie sagte zu der alten Negerin: "Mit dem Essen hast du recht gehabt. Sorge, daß sogleich schöne Gerichte hergestellt und alsbald hinübergebracht werden. Geh, mache dich geschwind an die Arbeit."

Nach einiger Zeit kamen die Diener des Agelith mit einer Reihe von Platten und Töpfen zu dem Affen. Die alte Negerin sagte: "Dieses wird, denke ich, deinem Herrn zusagen." Der Affe schnüffelte an den Speisen und sagte zu der Alten: "Ich hoffe, daß du recht hast, und daß mein Herr, der ein sehr gutes Essen gewohnt ist, nicht merkt, daß die Sachen von auswärts kommen. Laß nur die paar Platten hinstellen. Das übrige ist ja sowieso meine Sorge. Sage deiner Herrin auch meinen Dank." Die Platten und Töpfe wurden niedergesetzt, und die alte Negerin ging mit den Dienern wieder nach Hause.

Als nun der arme Fischer nach Hause kam, fand er die Töpfe und



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Platten voll Speise rund herumstehen und rief entzückt aus: "Wo kommt denn dieses prachtvolle Essen her?" Der Affe lachte und sagte: "Ich habe dir doch gesagt, ich werde für alles sorgen, denn ich sei Ibiki. Nun setze dich hin und iß, schlage dir aber den Leib nicht zu voll, denn heute abend wirst du ein Mahl erhalten, das dieses hier an Güte weit übertrifft." Der Fischer begann sogleich Zu essen und hörte auch sobald nicht wieder auf.

Kaum hatte der Fischer aber den letzten Brocken zum Munde geführt, so ergriff der Affe alle Platten und Töpfe und zerwarf sie, außerdem rieb er sich die rußigen Bodenscherben im Gesicht ab, So daß er ganz verschmiert aussah. In diesem Zustande ging er in den Garten und heulte und wehklagte. Die Tochter des Agelith, die oftmals an das Fenster trat in der Hoffnung, einmal den Sohn des Fürsten von Indien zu erblicken, sah den Affen jammernd im Garten liegen. Erschrocken rief sie ihre Negersklavin und sagte: "Schnell, laufe hinab und frage den armen Affen, was ihn bekümmere, daß er sich so jämmerlich auf dem Wege im Sand wälzt. Ich hoffe, daß dem Sohn des Fürsten von Indien nichts zugestoßen ist. Eile dich und bringe mir bald Nachricht "

Die alte Negerin lief schnell herab und in den Garten, trat zu dem Affen und fragte: "Sage mir doch, was dir ist? Die Tochter des Agelith sendet mich, ich soll ihr schnell die Auskunft über den Grund deiner Kümmernis bringen." Der Affe erhob sich vom Boden, zeigte der Sklavin sein mit Ruß bestrichenes Antlitz und sagte: "Sieh hier, das danke ich meiner Gutmütigkeit Wie konnte ich nur deiner Herrin die Blumen schenken! Hätte ich es nicht getan, dann wäre nie dieses schreckliche Essen auf den Tisch gekommen Oh, wie teuer habe ich meine Gutmütigkeit bezahlen müssen." Die Negerin erschrak noch mehr und sagte: "Ich beschwöre dich, erkläre mir, wieso dieses Essen, das ich selbst mit aller Sorgfalt herstellen ließ, der Grund zu deinem Leiden wurde!"

Der Affe erhob sich ganz. Er ging auf die Negerin zu und sagte: "Gut so, mit aller Sorgfalt! Eine schöne Sorgfalt! Ich roch ja gleich an den Speisen, daß das wohl kaum etwas für den Sohn des Fürsten von Indien sein könne. Daß es schlimm war, dachte ich allerdings, aber ich wähnte, ihr wäret doch wenigstens leidlich wohlhabende Leute und hättet einige Lebensart. Als mein Herr das Essen versucht hatte, wurde er so wütend, daß er mir alle Platten und Töpfe an den Kopf warf und noch schlimmer - mich zum Schluß zwang, von dem schrecklichen Zeug eine gute Portion zu genießen. Sieh,



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meinen Kopf! Sieh, wie eure rußigen Töpfe mir in das Gesicht flogen sind. Fühl an meinen Leib, wie heiß er von dem Fieber geworden ist, das dieses schreckliche Mahl mir erzeugte. Dir und deiner Herrin danke ich das. Laufe hin und berichte ihr diese sch Sache!"

Die Negerin lief, so schnell sie konnte, zurück. Sie erzählte alles der Tochter des Agelith. Die Tochter des Agelith aber erschrak noch mehr als die Dienerin. Sie begann zu weinen und sagte: "Der arme Sohn des Fürsten von Indien ist schrecklich gekränkt. Der arme Affe hat fürchterlich leiden müssen. Oh, daß ich nicht daran dachte, daß diese Leute nur das Allerbeste gewöhnt sind. —Aber nun schnell, rufe mir alle meine Frauen und Mädchen zusammen, daß sie unter meiner persönlichen Aufsicht ein Mahl bereiten, das uns mehr Ehre macht als deine schrecklichen Gerichte!" Die Negerin rief sogleich alle Mädchen und Frauen zusammen, und nun begannen sie aus dem schönsten Mehl, mit dem besten Öl und den seltensten Gewürzen ein herrliches Mahl zu bereiten. Die Tochter des Agelith versuchte selbst jede einzelne Speise und Tunke und Zukost und sandte das Ganze dann auf schönen Platten aus Silber und in feinen Gefäßen zu dem Fürsten hinüber.

Nach dem Mittagsmahle hatte der Fischer sich auf den Weg gemacht und war ein wenig umhergegangen, um das ungewohnt reichliche Mahl besser zu vertragen. Er hatte einen langen Weg zurückgelegt und dachte mit Bedauern daran, daß er sich nichts davon für ein Nachtmahl aufgehoben habe. Als er seine Hütte nun wieder betrat, erschrak er freudig bei dem Anblick des noch reicheren und feiner duftenden Mahles. Er ließ sich sogleich nieder, verzehrte, soviel er vermochte, legte sich nieder und sagte einschlafend: "Mein Affe, ich habe dir sehr unrecht getan, als ich dich am ersten Tage so unfreundlich begrüßte!" Der Affe lachte und sagte: "Warte, morgen beginnen wir wirklich ein anderes Leben. Dann erst wirst du mit mir wahrhaft zufrieden sein."

Am anderen Morgen rieb sich der Affe das Gesicht weiß an. Dann kämmte er die Haare, so daß sie wild umherstanden. So rannte er im wilden Laufe hinüber zu dem Hause des Agelith und pochte hastig an die Tür. Die Negerin öffnete. Als sie den Affen in so wildern Zustande sah, erschrak sie noch mehr als am Tage vorher und schrie: "Was ist das? Was ist denn noch Schrecklicheres geschehen! Das Essen war doch das Beste, das man auf Erden her stellen kann!" Der Affe sagte: "Schnell schließe die Tür, daß



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mich nicht sieht. Vielleicht kann mich deine Herrin vor dem mir drohenden Tode bewahren, indem sie mich versteckt!" Die Negerin schloß hastig die Tür und sagte: "Schnell komm zur Tochter des Agelith und erzähle ihr, was geschehen ist." Dann führte sie den Affen zu ihrer Herrin.

Der Affe brach aber in Tränen aus, beschwor die Tochter des Agelith und sagte: "Nun bitte ich dich nur noch, mich zu verstecken und mich dann vor dem Zorne meines Herrn entfliehen zu lassen, nachdem deine elende Dienerschaft durch den Diebstahl mein Glück vernichtet hat." Die Tochter sagte: "Was ist denn geschehen ?" Der Affe antwortete: "Gestern nacht brachten deine Diener dem Sohne des Fürsten von Indien ein leidlich gutes Mahl. Ich nahm gleich wahr, daß einige aufmerksam im Hause umherblickten und zumal nach den Kisten schielten, in denen wir unser Geld aufbewahren. Heute nun gegen Morgen höre ich es brechen und krachen und dann einige Leute durch die Räume gehen, wobei sie dicht an mir vorüberkamen. Ich hatte solche Furcht, daß ich mich nicht rührte und so ihrer Aufmerksamkeit entging. Nun hörte ich einen zum andern flüstern: ,Der Diener der Tochter des Agelith hat gesagt, daß die Kisten mit Gold im Tharkunth (Winkel an der Hinterwand neben der Krugbank) des zweiten Hauses stehen.' Ich hörte, wie die Räuber dann sieben von unsern Kisten wegschleppten und wie sie gehend zueinander sagten: ,Wie schade, daß wir die Hälfte des Raubes dem Diener der Tochter des Agelith abgeben müssen.' — Sieh, derart wurde mein Herr heute Nacht bestohlen. Ich bin sogleich entflohen. Denn der Sohn des Fürsten von Indien pflegt jeden Nachmittag seine hundert Goldkisten zu zählen, und wenn er dann merkt, daß sieben fehlen, so wird er mich hinrichten lassen. Darum bitte ich dich, mich bei dir verstecken zu dürfen."

Die Tochter des Agelith sagte: "Mein armer Affe, wie bedaure ich es, daß du durch den Diebstahl meiner Leute so erschreckt bist. Aber ich will das wieder gut machen, was sie dir Schlimmes antaten. Mein Vater hat zwar nicht hundert, sondern nur vierzig Goldkisten. Er hat sie mir zur Aufbewahrung anvertraut und wird es nicht gewahr werden, wenn ich dir sieben davon sogleich zusende. Sie sollen bei euch im Hause sein, ehe dein Herr seinen Reichtum zu zählen pflegt. Zum Abschied bitte ich dich, mir zu verzeihen, daß meine Leute dir so schweres Leid zufügen!" Der Affe bedankte sich und sagte: "Ich freue mich, in dir eine so gerechte und vernünftige Person kennengelernt zu haben. Auch bist du schön. Vielleicht



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kann ich dir einmal einen großen Dienst erweisen." Damit kehrte der Affe zu dem Fischer zurück.

Kurze Zeit nachher kamen die Diener der Tochter des Agelith und brachten sieben Kisten mit Gold. Der Affe nahm sie in Empfang. Als der Fischer von seiner Arbeit nach Hause zurückkehrte, sagte er zu dem Affen: "Nachdem ich gestern zweimal so gut gegessen hatte, wurde mir in dem Gedanken, daß ich heute dafür wohl fasten müßte, recht traurig zumute. Immerhin habe ich vier Fische gefangen, bringe sie auf den Markt und verkaufe sie und erhandle dafür ein Brot oder derartiges." Der Affe sagte: "Von heute ab brauchst du nun nicht mehr zum Fischen fortzugehen. Schau hier.. her!" Damit zeigte er dem Fischer die Kisten, öffnete eine derselben und ließ seine Finger in das Gold gleiten." Der Fischer schlug die Hand vor den Mund und schrie: "Aeaeaeaeae!" —

Am gleichen Tage noch ging der Affe hin und kaufte für seinen Herrn die schönsten Kleider und Schmuck und Waffen, alle viel schöner noch, als sie der Agelith selbst zu tragen pflegte, und wo er gefragt wurde, für wen die Kostbarkeiten seien, antwortete er: "Für meinen Herrn, den Sohn des Fürsten von Indien." So kam es, daß bald alle Welt von dem reichen Sohne des Fürsten von Indien sprach, und daß das Gerücht von dessen großem Reichtum und Prachtliebe auch zu den Ohren des Agelith drang. Dieser war nun neugierig, den Sohn des Fürsten von Indien kennenzulernen, und sagte dieses auch eines Tages zu seiner Tochter. Die Tochter, die noch emsiger als der Vater dieses Ziel verfolgte, suchte ihn anzuspornen, indem sie sagte: "Durch meine Negersklavin hörte ich daß er mit nicht weniger als hundert Kisten Gold in der Welt um. herwandert und eine Frau sucht. Auch soll er als Diener einen ungemein gebildeten Affen haben!" Der Agelith, dessen Neugierd nun noch stieg, sagte: "Also habt ihr Frauen auch schon von ihm gehört. Nun, so sorge, daß wir morgen ein gutes Essen haben, ich werde ihn und seinen Affen zu Gaste laden."

Als die Einladung des Agelith bei dem reich gewordenen Fischer ankam, sagte der Affe zu ihm: "Nun höre meine drei Ratschläge für morgen! Wenn wir morgen das Gemach des Agelith betreten werden, wirst du es ganz ausgelegt finden mit herrlichen Teppichen Tue aber so, als ob du es gewohnt seiest, über so herrliche Teppiche zu gehen und ziehe deine Schuhe nicht aus. Am Ende des Zimmers wirst du einen silbernen und einen goldenen Stuhl stehen sehen Gehe sogleich auf den goldenen Stuhl zu, als seiest du immer gewohnt,



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auf goldenen Stühlen zu sitzen und laß dich darauf nieder. Nachher wird es ein reiches und wohlschmeckendes Mahl, bestehend aus einer großen Anzahl herrlicher Speisen geben. Iß von allem nur ganz wenig, denn das ist die Art ansehnlicher Leute, und rufe den Eindruck hervor, als pflege man stets so zu speisen. Außerdem schützt es vor schlimmen Folgen." Der Fischer versprach dem Affen, alle seine weisen Anregungen zu befolgen.

Als sie aber am anderen Tage den Saal des Agelith betraten und der Fischer die schönen Teppiche vor sich liegen sah, wollte er sogleich seine Schuhe ausziehen. Der Affe aber hielt ihn noch im letzten Augenblick an und sagte: "Laß das!" Und als sie an den goldenen und silbernen Stuhl kamen, wollte er sich voller Bescheidenheit auf den silbernen setzen, der Affe sprang aber schnell darauf und sagte: "Wenn du es befiehlst, mein Herr, nehme ich neben dir Platz." So blieb nur der goldene Stuhl leer, den der Fischer dann einnahm. Der Agelith trat herein, begrüßte seine Gäste und ließ die Speisen auftragen.

Der Fischer sog erst den Duft der leckeren Gerichte mit der Nase ein, dann aber stürzte er sich sogleich über eine nach der anderen und packte, ohne noch an den Rat des Affen zu denken und sich an der Unterhaltung zu beteiligen, eine Speise nach der anderen in seinen Leib, so daß bald nichts mehr auf dem Tische stand. Der Affe aber sagte zu dem Agelith: "Während vierzehn Tagen war mein Herr so in Gedanken versenkt, daß er keinen Bissen zu sich nahm und ich schwere Sorge um ihn hatte. Heute nun ißt er aus gleicher Gedankenlosigkeit alles herunter, worüber ich sehr froh bin, denn nun wird er wenigstens nicht am Hunger sterben." Dann erzählte der Affe, während der Fischer, ohne auf die anderen zu achten, unentwegt vor sich her aß, von der Pracht und der Macht des Fürsten von Indien, von dessen Schiffen und Soldaten, mit denen er jedes Land, das ihm widerstehe oder seinen Zorn errege, erobern und zerstören könne und von dem gewaltigen Reichtum der Heimat. Der Agelith wurde durch diese Unterhaltung so gefesselt und nachdenklich gestimmt, daß er es gar nicht merkte, daß nach dem Abschiede der Fischer mit dem Affen nicht sein Haus verließ, sondern vielmehr dem Winke der Negerin folgte, die dem Sohne des Fürsten im Auftrage ihrer Herrin bat, bei ihr heimlich einzutreten und auf dem Lager neben ihr Platz zu nehmen. Der Fischer trat so bei der Tochter des Agelith ein und streckte sich neben ihr aus, und der Affe, der ein Unglück fürchtete, schlüpfte insgeheim auch mit



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in den Raum, um sich hinter dem Akufi (Getreidefaß) zu verstecken.

Eine Zeitlang unterhielt sich der Fischer mit der Tochter des Agelith, die an den groben Gewohnheiten des reich gewordenen Fischers besonderen Gefallen fand und sie für das Zeichen fremder und besserer Art hielt. Dann schlief der Fischer, müde gemacht durch das reichliche Mahl und die freundlichen Anforderungen der Tochter des Agelith neben dieser auf deren Lager ein.

Beide schliefen erst längere Zeit. Dann aber machten sich im Leibe des Fischers die Folgen des allzu reichlichen Mahles bemerkbar, und so kam es, daß er das Bett beschmutzte. Der Affe, der bisher aufmerksam in seinem Winkel gesessen hatte, kam, als er dieses zu bemerken glaubte, herbei, zog vorsichtig das beschmutzte Kleid unter dem schwer schlafenden Fischer hervor, warf es über die Tochter des Agelith, stieg auf das Dach und machte über dem Paar ein Loch in der Decke. Als es nun ein wenig hell wurde, stürzte er in das Haus und schrie: "Was, man hat den Sohn des Fürsten von Indien in diesem Hause beschmutzt? Der Fürst von Indien wird mit seinen Schiffen und Soldaten kommen und dieses ganze Land vernichten!"

Von dem Schrei erwachte der Agelith. Er vernahm den Ruf des Affen. Er erschrak und sprang auf. Er eilte dahin, woher der Ruf des Affen kam. Er betrat den Schlafraum seiner Tochter und sah, wie der Sohn des Fürsten von Indien neben seiner Tochter auf dem Lager ausgestreckt und über beiden und gerade unter dem Loch in der Decke das beschmutzte Gewand lag. Der Agelith war bei diesem Anblick so erschrocken, daß er gar nicht erst auf den Gedanken kam, nachzufragen, was der Sohn des Fürsten von Indien auf dem Lager neben seiner Tochter zu suchen habe, — er fragte nur: "Ich beschwöre euch, sagt mir nur, was hier geschehen ist!" Der Affe wies nach dem Loch in der Decke und sagte: "Sieh, Agelith, das Loch in der Decke des Hauses! Dein Haus ist schlecht bewacht, daß sogar in einer Nacht, in der es den Sohn des Fürsten von Indien birgt, freche Diebe wagen, ein Loch in die Decke zu schlagen und den Sohn des Fürsten von Indien zu beschmutzen. Nun aber wird der Fürst von Indien, sobald er von der seinem Sohne im Hause eines kleinen Agelith widerfahrenen Schmach hören wird, seine Schiffe und Soldaten schicken und das Land und die Stadt ver.. nichten!"

Da warf sich der Agelith voller Angst und Schrecken vor dem



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Affen nieder, beschwor ihn und sagte: "Ich bitte dich, den Sohn des Fürsten von Indien in meinem Namen um Verzeihung anzuflehen. Sage ihm, ich bäte ihn, meine Tochter als Frau hinzunehmen, seinen Vater aber nicht von dieser in meinem Hause geschehenen Ruchlosigkeit wissen zu lassen. Mein lieber Affe, ich bitte dich, sprich für mich!" Der Affe sagte zu dem Fischer: "Mein Herr, du hörst, was dieser Agelith dich bittet und dir anbietet. Er war bis jetzt freundlich und aufmerksam. Ich glaube dir raten zu können, seinen Vorschlag anzunehmen."

Der Fischer rieb sich den Schlaf aus den Augen, gähnte und sagte: "Ich bin einverstanden. Nun aber laßt uns noch ein wenig schlafen, denn wir sind müde." —

So ward der Fischer der Bräutigam der Tochter des Agelith. Der Agolith veranstaltete kurz darauf ein großes Fest zu Ehren des Sohnes des Fürsten von Indien und dessen Hochzeit mit seiner Tochter. Das Fest dauerte viele Tage, und täglich wuchs die allgemeine Achtung vor dem Sohne des Fürsten von Indien. Alle Welt beeilte sich, dem Schwiegersohn des Agelith Geschenke darzubringen und in die Lobsprüche zu seinen Ehren einzustimmen, so daß der Agelith und seine Tochter alle Tage mit dieser Entwicklung der Dinge zufriedener wurden.

Eines Tages aber kam der Affe zu dem Agelith und sagte: "In wenigen Tagen wird mein Herr mit seiner jungen Frau nach einem hier nahegelegenen Schlosse (l'har), das ihm gehört, aufbrechen, sorge also für ein ansehnliches Geleit!" Der Agelith sagte: "Ich hätte gern die angenehme Gesellschaft deines Herrn noch länger genossen. Ich sehe aber ein, daß er sein eigenes, reicheres Schloß einzunehmen wünscht, und so will ich denn dafür Sorge tragen, daß dein Herr in würdiger Weise heimgeleitet wird."

Am Tage begann der Agelith sogleich alle seine Leute zusammenzurufen und diejenigen Neger, Negerinnen, Diener, Frauen und Burschen auszusuchen, die er dem Sohne des Fürsten von Indien und seiner Tochter mitzugeben gedachte. Die Burschen und Tragtiere nahmen alle Geschenke, die Kisten mit Gold und Stoffen auf; der ansehnlich gewordene Fischer und seine Frau bestiegen ein Pferd; der Affe stellte sich an die Spitze des Zuges; es wurde Abschied genommen, und dann setzte sich der Zug unter dem Jubel des Abschiedsgrüße rufenden Volkes in Bewegung.

Der Affe eilte führend dem Zuge voran. Er wanderte auf das Geratewohl weiter und führte ihn so eine weite Strecke, bis er eines



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Tages an einen großen Wald kam. In diesem Walde wohnte in einem ausgedehnten Gehöft mit vielen Nebenhäusern der Agelith aller Wuarssen (Riesen). Als der Affe auf dieses Gehöft zukam, trat der Wuarssen gerade vor die Tür. Der Affe schrie vor Erstaunen auf und rief: "Was, du bist noch hier? Fürchtest du dich denn gar nicht? Schau, dort hinaus! Hinter mir die große Staubwolke! Das sind die neunundneunzig Wuarssen der Nachbarländer, die kommen, um dich zu zerstören! Schau nur, wie die Masse näherkommt!" Der Wuarsse blickte in die gewiesene Gegend und sah die Staubwolke, die der Zug des Fischers und seiner Frau aufwirbelte. Er erschrak. Er rief: "Was soll ich tun? Wie soll ich mich retten?" Der Affe sagte: "Krieche nur dort in den Strohhaufen (amaar). Ich will dann schon sorgen, daß dich niemals jemand wiederfindet." Der Wuarssen folgte dem Rate des Affen. Er kroch in den Strohhaufen. Kaum war er aber ganz in das Innere geschlüpft, da zündete der Affe den Strohhaufen an und der Wuarssen verbrannte bis auf den letzten Knochen.

Der Affe ging dann durch das Gehöft. Er fand dreißig Schlüssel von dreißig verschiedenen Räumen, die mit Gold, Silber, Stoffen und wertvollen Dingen angefüllt waren. Der Affe besichtigte das alles und trat dann dem Zuge entgegen, der gerade vor dem Tore ankam. Er begrüßte seinen Herrn und sagte: "Oh, Sohn meines Fürsten; tritt ein in diese deine Behausung!" Und sich zu der jungen Frau wendend, sagte er: "Nimm fürs erste in diesem Landhaus (l'hausch) meines Herrn vorlieb. In das Schloß (l'har) können wir ein anderes Mal übersiedeln." Der Fischer und seine Frau traten näher, und die Tochter des Agelith, die mit ihrer alten Negerin von einem Raume zum andern schritt, konnte sich nicht genugsam verwundern über all diese Herrlichkeiten. Abends kamen die Hirten des Wuarssen mit den Herden von Rindern und Kühen, Schafen, Eseln und allerhand Geflügel heim. Der Affe empfing sie alle und sagte ihnen: "Ihr habt bislang gedacht, der Wuarssen wäre der Herr dieses Landes. Dieses ist nicht der Fall. Er war nur der Statthalter des Fürsten von Indien. Dieser hat gefunden, daß der Wuarssen seine Güter schlecht verwaltet hat und hat ihn vernichtet. Er hat seinen Sohn hierher gesandt, dem ihr nun ebenfalls verpflichtet seid." Damit waren die Leute sehr zu. frieden.

Am andern Tage verabschiedete der Affe die Leute des Agelith Diese kehrten in die Stadt zurück. Sie erzählten daheim von der



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Pracht und dem Reichtum des Landhauses des Sohnes des Fürsten von Indien.

Ein Jahr lang lebte der ansehnlich gewordene Fischer mit seiner Frau sehr glücklich, und seine Frau gebar um diese Zeit ein Kind. Eines Tages sagte sich der Affe: "Ich möchte doch einmal sehen, wieweit die Dankbarkeit dieser Leute reicht." Der Affe stellte sich krank. Alsbald kam der Fischer zu ihm und sagte: "Du bist krank, mein Affe? Was kann ich tun, um dich wieder gesund zu machen?" Der Affe sagte: "Ich kann nur dadurch wieder gesund werden, daß ihr euer Kind tötet." Die Frau des Fischers, die den Affen fast lieber hatte als ihren Mann, sagte sogleich: "Wenn dir damit geholfen ist, will ich sogleich das Kind töten lassen." Der Fischer aber lachte und sagte: "Was, unser Kind töten wegen eines Affen? Einen Affen können wir uns alle Tage wieder kaufen!"

Da wurde der Affe zornig und schrie: "So dankbar also bist du, armseliger Fischer, mir, dem du alles verdankst?" Als die Tochter des Agelith das hörte, brach sie in Tränen aus und rief: "Einen Fischer habe ich zum Manne! Ein armseliger Fischer ist mein Mann! Ich will sogleich zu meinem Vater zurückkehren!" Darüber erschrak der Fischer nun sehr, und er bat ihn, seine höhnische Rede zu verzeihen und alles wieder in Ordnung zu bringen.

Der Affe ließ sich bestimmen und ging zur Tochter des Agelith. Er sagte: "Frau des Sohnes des Fürsten von Indien, du hast vorhin gehört, wie ich unbotmäßig gegen meinen Herrn gewesen bin. Verzeih du mir ebenso, wie er mir schon vergeben hat. — Wisse übrigens, daß der Ausdruck ,Fischer' ein scherzhafter Spottname ist, den sein Vater deinem Gatten gegeben hat, weil er daheim in Indien seine Zeit gern mit Fischen in einem Teiche im Garten zubrachte." Als die Tochter des Agelith das hörte, beruhigte sie sich.

Von da an lebten der Fischer, seine Frau und der Affe glücklich in ihrem Landhaus unter den Schätzen. Eines Tages aber ward der Affe ernstlich krank. Der Fischer pflegte ihn nun mit aller Sorgfalt, ohne aber das Ende aufhalten zu können. Der Affe starb. Darüber weinte der Fischer, und er ließ ihn noch acht Tage lang über der Erde, um neben der Leiche zu trauern.

Mittlerweile ließ er ein herrliches Grabmal errichten. Nach Ablauf der Klagezeit wurde der Affe darin beigesetzt, und von nun ab ließ der Fischer alle Tage am Grabe des Affen Speise unter die Bedürftigen verteilen.


Copyright: arpa, 2015.

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