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Kapitel 

Walter Keller


Tessiner


Sagen und Volksmärchen

Mit Illustrationen von


Aldo Patocchi

1981

EDITION OLMS ZÜRICH


DER OELKRUG UND DIE SCHWATZHAFTE FRAU

Battista war aus dem Tessin in ferne Länder ausgewandert und hatte dabei viel Geld verdient, aber als er zurückgekehrt war, lebte er in Sorge darüber, wo er es verbergen sollte, denn er hatte ein wahres Plappermaul zur Frau, die kein Geheimnis für sich behalten konnte.

(Wenn meine Frau das viele Geld sieht», dachte er bei sich, dann geht sie hin und erzählt es überall. Hernach kommen die Diebe und stehlen mir meine Habe.» Darauf kam ihm in den Sinn, seine Goldvogel in einem Oelkrug zu verstecken und dann unten im Obstgarten zu vergraben. Also ging er in die Küche, schaute sich daselbst um und suchte den Oelkrug.

(Was willst du mit diesem Oelkrug machen?» fragte die Frau.

Schweig doch!», gab er zur Antwort, füllte ihn heimlich mit Goldstücken und deckte ihn wieder zu. Aber seine Frau fragte:

(Ei, was ist da in dem Oelkrug drin?»

Schweig doch!»

(Warum ist er so schwer?»

«Schweig doch!»

(Warum tönt er so merkwürdig?»

(Ach, schweig doch!»

Darauf ging er in den Garten, grub ein Loch, stellte den Topf hinein und deckte ihn wieder mit Erde zu. Die Frau jedoch fing wieder an:



Tessiner Sagen-206 Flip arpa

«Warum hast du ihn vergraben?»

«Ach, schweig doch und laß mich in Ruhe!»

Darauf ging sie hin und erzählte einer ihrer Gevatterinnen, wie ihr Battista einen Oelkrug voll «Schweig doch» vergraben und ihn in einem Loch namens «Schweig doch» versteckt habe.

Die Gevatterin begegnete einer andern und erzählte das Geheimnis weiter, und diese hinwieder überbrachte die Neuigkeit einer dritten, so daß die Sache bald überall im Dorf herum besprochen wurde. Es waren aber auch einige Spitzbuben in der Gegend, die merkten bald, was für ein Ding hinter diesen Worten stecken könnte. Sie gingen hin, suchten nach und sahen auch richtig, daß an einer Stelle die Erde frisch umgegraben war. Sie gruben nach und entdeckten wirklich den Oelkrug mit den blanken Goldstücken darin. Eiligst nahmen sie das Gold heraus und ließen den leeren Oelkrug in der offenen Grube liegen.

Als die Hausfrau in den Garten kam und die Bescherung sah, lief sie sogleich zu ihrem Mann und sagte zu ihm: «Weißt du schon, daß die Mäuse all das ,Schweig doch' gefressen haben, das du in dem Oelkrug versteckt hattest?» Zu spät erst erkannte jetzt der Mann, daß er durch das dumme Plappermaul seiner Frau sein ganzes, mühsam verdientes Vermögen verloren hatte.


Copyright: arpa, 2015.

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