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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


25. Hemmed L'hasdieschi, der Fünfzigtöter

Hemmed L'hascheschi war ein ganz armer Mann. Er hatte keinerlei Verwandte und lebte in großem Elend. Erlebte ganz einsam in einer kleinen Hütte. Tagsüber ging er in den Wald und schlug Holz, das schleppte er heim und verkaufte es abends auf dem Markte. Er erhielt jeden Tag für seine Last zwei Geldstücke, für eines kaufte er dann Brot und für das andere Tabak. Das genügte ihm für seinen Lebensunterhalt. So ging das ungefähr zwei Jahre, einen Tag genau so wie den andern.

Da ereignete es sich, daß er eines Abends für seine Last Holz statt der zwei drei Geldstücke empfing. Als er die in der Hand hatte, ward er über die Maßen froh und wußte sich vor Freude über seinen Reichtum nicht zu fassen. Er rief: "Was soll ich nur mit dem vielen Geld ?" Dann machte er sich auf den Weg. Zunächst kaufte er wie



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gewöhnlich für ein Geldstück Brot und für eines Tabak. Darauf Wanderte er aber von Laden zu Laden und betrachtete alles, was er für sein drittes kleines Geldstück anschaffen könne. Nichts war ihm gut und preiswert genug. Endlich kam er zu einem Milchhändler. Den fragte er: "Was verlangst du für einen Topf voll Milch ?" Der Milchhändler sagte: "Ein Topf Milch kostet ein kleines Geldstück." Das schien Hemmed L'hascheschi preiswert, er kaufte die Milch und ging in seine Hütte.

In seiner Hütte stellte Hemmed L'hascheschi das Brot, den Tabak Und die Milch vor sich hin, freute sich über den Anblick und sagte: "Dieses alles kann ich nun genießen! Wie reich ich bin!" Während er noch den Anblick genoß, kam eine Fliege herbei, setzte sich erst auf den Rand des Gefäßes und fiel dann hinein. Hemmed L'hascheschi lachte und sagte: "Dieser ist es schlecht bekommen. Ich will doch einmal sehen, wieviel andere noch dazu kommen." Er verhielt sich ganz ruhig, und so kam eine Fliege nach der andern, bis ihrer eine große Zahl war, die alle am Rande der Milch saßen und sich nährten. Da ward Hemmed L'hascheschi böse und sagte: "Habt ihr mir vielleicht geholfen, wie ich tagsüber Holz schlug? Habt ihr mir vielleicht das Holz heimzutragen geholfen? Habt ihr ein Recht zum Anteil an meinem Reichtum?" Das Denken machte ihn so zornig, daß er zuschlug, und da seine tägliche Arbeit ihn ein sicheres Schlagen gelehrt hatte, traf er gerade mitten auf den Topf, und alle Fliegen fielen in die Milch und ertranken.

Hemmed L'hascheschi blickte in den Topf. Die Milch war bedeckt von toten Fliegen. Er begann sie zu zählen. Er zählte fünfzig tote Fliegen. Er sagte stolz: "Fünfzig tote Fliegen! Hemmed L'hascheschi hat mit einem Schlage fünfzig getötet! Hemmed L'hascheschi ist für seinen Beruf zu gut!" Darauf nahm er das Brot und die Milch zu sich, rauchte seinen Tabak und ging zu Bett mit den Worten: "Hemmed L'hascheschi hat fünfzig mit einem Schlage getötet! Hemmed L'hascheschi ist für seinen Beruf zu gut!" Damit schlief er ein.

Am andern Tage stand Hemmed L'hascheschi auf. Er begab sich zu einem Schmied und sagte: "Stelle mir ein Schwert her und bringe darauf das Wort an: ,Ich, Hemmed L'hascheschi, töte fünfzig mit einem Schlage.' Dieses Schwert richte mir gut und schnell her. Ich will damit zum Kampf ausziehen, und ich schwöre, daß ich in Zukunft nie weniger als fünfzig mit einem Schlage töten will." Der Schmied versprach es.



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Sobald das Schwert fertig war, gürtete Hemmed L'hascheschj es um und zog von dannen. Er wanderte weit fort und kam endlich an das Gehöft eines Agelith, der um sein ganzes Besitztum eine Mauer aufgeführt hatte. Auf den Spitzen waren die Köpfe von neuundneunzig Männern aufgespießt. Diese alle hatten sich um die Hand der Tochter des Agelith beworben. Der Agelith hatte dann aber von einem jeden verlangt, gegen vier andere Ageliths, die seine Todfeinde waren und seine Stadt ständig bedrohten, zu Felde ZU ziehen. Alle neunundneunzig waren aber vor diesem Unternehmen zurückgeschreckt, und der Agelith hatte dann einem jeden den Kopf abschlagen und ihn zu den anderen auf die Mauer setzen lasser' Hemmed L'hascheschi betrachtete noch diesen Schmuck der Mauer, da kam ein alter Mann vorbei und sagte: "Geh lieber weiter! Sonst könnte dein Kopf auch sehr schnell zu den andern neunundneunzig kommen. Denn der Agelith ist sehr hart und hat jedem, der sich auch nur eine kurze Zeit in der Nähe seines Gartens, in dem seine Tochter oft spazieren geht, aufhält, den Tod angedroht." Als Hemmed L'hascheschi das hörte, schlug er an sein Schwert und sagte: "Ich bin Hemmed L'hascheschi und töte fünfzig mit einem Schlage. Der Alte sagte: "Ich habe dich gewarnt." Er ging weiter.

Hemmed L'hascheschi sprang aber über die Mauer, ging in den Garten und schritt unbekümmert alles betrachtend umher. Er kam an einen Baum, der herrliche Früchte trug. Er kletterte hinauf, aß sich satt, füllte noch die Taschen und stieg wieder herab. Er war von der Wanderschaft müde und so kleidete er sich aus, legte seine Kleider zusammen und sein Schwert obenauf. Erstreckte sich aus und schlief sogleich ein.

Nach einiger Zeit ging ein Wächter des Gartens an der Stelle vorüber; er sah den Mann und seine Kleider; er trat näher und las das Wort auf dem Schwert: "Ich Hemmed L'hascheschi, töte fünfzig mit einem Schlage." Der Wächter erschrak und lief eilends zu dem Agelith und sagte: "Es ist ein Mann in deinen Garten eingedrungen, hat sich unter einen Baum gelegt und schläft da." Der Agelith sagte: "So ergreift ihn und schlagt ihm den Kopf ab." Der Wächter sagte: "Es ist kein gewöhnlicher Mann; es ist Hemmed L'hascheschi, der fünfzig mit einem Schlage tötet." Als der Agelith das hörte, erschrak er ebenfalls und befahl, daß einige kundige Leute hingehen, den seltenen Mann betrachten und über ihn berichten sollten.

Die kundigen Leute gingen hin. Sie sahen Hemmed L'hascheschi und seine Kleider. Sie sahen das Schwert und lasen das Wort: "Ich



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bin Hemmed L'hascheschi, der fünfzig mit einem Schlage tötet." Da erschraken sie noch mehr als der Wächter, liefen eilends zurück zum Agelith und sagten: "Der Wächter hat die Wahrheit gesagt, es ist der schreckliche Hemmed L'hascheschi, der fünfzig mit einem Schlage tötet." Der Agelith ward von großer Furcht befallen und sagte: "Welchen Rat gebt ihr mir?" Die kundigen Leute sagten: "Wir raten dir, Hemmed L'hascheschi mit allen Ehren zu empfangen und ihn als Gast in dein Haus aufzunehmen. Wenn irgend jemand imstande ist, mit unseren Feinden, den vier Agelith, fertig zu werden, so ist er es." Der Agelith war einverstanden.

Sogleich wurde die goldene Sänfte (aenneasch) des Agelith von Vier Leuten herbeigebracht. Die kundigen Leute stellten sich an die Spitze des Zuges, und so kamen sie zu dem Baume, unter dem Hemmed L'hascheschi schlief. Als die vielen Leute kamen, erwachte er und sagte unwillig: "Weshalb stört ihr mich? Weshalb laßt ihr mich nicht schlafen? Wißt ihr nicht, daß ich Hemmed L'hascheschi bin, der fünfzig mit einem Schlage tötet?" Die kundigen Leute sagten: "Wir wissen es wohl, wer du bist. Wir bitten dich auch, es zu verzeihen, wenn wir dich gestört haben. Der Agelith lädt dich aber ein, in sein Haus zu kommen, denn er möchte deine Bekanntschaft machen." Hemmed L'hascheschi gähnte und sagte: "Euer Agelith ist mir sehr gleichgültig. Laßt mich schlafen." Die kundigen Leute sagten: "Hemmed L'hascheschi, dies ist kein würdiger Schlafplatz für dich. Der Agelith hat deshalb seine goldene Sänfte gesandt, um dich in das Haus tragen zu lassen. Er hat sein eigenes Lager bereiten lassen, daß du besser liegst." Hemmed L'hascheschi sagte: "Gut denn, ich will mitkommen und mich im Bett des Agelith ausschlafen. Es gelüstet mich sowieso, den Töter der neunundneunzig für seine Handlungen zu züchtigen. Ich werde es tun, sobald ich ausgeschlafen habe." Damit erhob er sich, bestieg die Sänfte und ließ sich zu dem Haus tragen.

Der Agelith kam ihm mit seiner Musik und umgeben von seinen Dienern entgegen und begrüßte Hemmed L'hascheschi auf das freundlichste. Hemmed L'hascheschi aber war unfreundlich. Er schlug gegen das Schwert und sagte: "Du bist also der, der die neunundneunzig Männer hat töten lassen. Versuche das doch auch mit mir. Ich bin Hemmed L'hascheschi." Der Agelith war darob sehr erschrocken und sagte: "Hemmed L'hascheschi, glaube mir, diese neunundneunzig waren meiner Tochter nicht würdig. Wenn dir aber meine Tochter zusagt, so weiß ich, daß ich keinen besseren Schwiegersohn



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finden kann, und ich bitte dich denn, sie zur Frau zu nehmen!" Hemmed L'hascheschi sagte: "Es ist gut. Ich werde sehen."

Hemmed L'hascheschi ward in das Haus geführt. Ein herrliches Mahl war bereitet. Hemmed L'hascheschi ward freundlich, und als er nachher die Tochter des Agelith sah, war er überrascht von ihrer außerordentlichen Schönheit und erklärte sich bereit, sie zu heiraten. Der Agelith sagte: "Du weißt, daß ich dir meine Tochter gern zur Frau gebe. Bedenke aber, daß du hier kaum in Ruhe leben kannst, denn jeden Tag können wieder die vier Agelith Leute gegen uns schicken, so daß wir kämpfen müssen." Hemmed L'hascheschi sagte: "Das wird dann schon mein Schwert machen. Warte nur die Zeit meiner Stärke ab!" Hemmed L'hascheschi blieb im Hause des Agelith und ließ es sich wohlergehen.

Eines Morgens ganz früh rief der Wächter des Agelith vom Turme: "Alle Menschen sollen ausschauen. Die Nacht bricht am Morgen an!" Alle Leute sprangen auf und schauten aus. Sie sahen das Land auf allen Seiten von den Kriegern der feindlichen vier Agelith angefüllt. Die kundigen Leute gingen zum Agelith und sagten zu ihm: "Herr, es wird Zeit sich zu erheben. Die feindlichen vier Agelith sind mit allen ihren Leuten gekommen und ziehen von allen Seiten gegen uns heran." Der Agelith erschrak und sagte: "Was Sollen wir da tun? Wie sollen wir mit allen vier Feinden und ihren Massen allein fertig werden?" Die kundigen Leute sagten: "Bitte deine Tochter, daß sie Hemmed L'hascheschi zum Kampfe überredet. Hemmed L'hascheschi ist der einzige, der uns helfen kann." Der Agelith rief seine Tochter und sprach mit ihr. Die Tochter des Agelith ging zu Hemmed L'hascheschi, warf sich vor ihm nieder und sagte: "Hemmed L'hascheschi, die Feinde meines Vaters kommen von allen Seiten. Du bist der einzige, der uns helfen kann."Hemmed L'hascheschi erschrak. Er ließ es sich aber nicht merken und sagte: "Gut denn! Hemmed L'hascheschi wird es tun, sie werden also Hemmed L'hascheschi kennen lernen. Hemmed L'hascheschi wird es aber in seiner Weise machen."

Hemmed L'hascheschi ging in den Hof. Hemmed L'hascheschi sagte: "Jetzt wird es Zeit, daß ich mich davonmache. Ich will aber wenigstens noch einigen Tabak mit auf den Weg nehmen."Hemmed L'hascheschi trat zum Agelith und sagte: "Laß mir fürs erste einen Ziegenhautsack voll Tabak stopfen. Dann gib mir dein schnellstes zweijähriges Pferd, das noch nie geritten ist. Endlich verlange ich,



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daß, während ich draußen kämpfe, alle deine Leute sich in den Häusern verstecken und keiner es wagt, herauszuschauen. Wenn ein einziger herausschaut, vernichte ich nachher deine Stadt und deine eigene Besitzung. Ich will den Kampf ganz allein und ohne daß auch nur ein einziger von euch zusieht, ausfechten." Der Agelith sagte ihm alles zu.

Alle Leute gingen in die Häuser. Die drei Negerdiener des Agelith brachten das Pferd und den Ziegensack mit Tabak. Dann ließ sich Hemmed L'hascheschi umgekehrt mit dem Kopf auf der Kruppe des Pferdes und mit den Beinen um den Hals des Tieres festbinden. Den Tabak ließ er auf der einen, das Schwert auf der anderen Seite festbinden. Hemmed L'hascheschi sagte zu den drei Negersklaven: "Nun achtet nur darauf, daß niemand aus der Stadt mir nachschaut. So, und nun laßt das Pferd frei und gebt ihm einen Schlag!" Die Negerdiener gaben dem Pferd einen Schlag. Das Pferd sprang in großem Bogen aus dem Tore heraus. Die Negersklaven schlossen das Tor hinter ihm. Hemmed L'hascheschi dachte: "Dieses unbändige junge Pferd wird mich schnell durch die Haufen der Feinde von dannen tragen. Gott gebe nur, daß ich mir dabei nicht den Hals breche, denn ich habe noch nie auf einem Pferde gesessen."

Das junge unbändige Pferd sprang aber nicht durch die Lücken in den Reihen der Feinde von dannen, sondern es sprang in seiner Wut über die ungewohnte Last und um sich von ihr zu befreien, mitten in die Haufen der Feinde hinein. Es warf die Feinde zu Boden und zertrat ihre Köpfe und Glieder. Es jagte wild umher. Die Menschen sprangen schreiend zur Seite. Das zornige Pferd setzte aber hinter ihnen her und raste in wilden Sprüngen überall um die Stadt herum, dahin, wo noch Haufen von Menschen sich schützend zusammendrängten. Die feindlichen Krieger flohen in gewaltigem Schrecken in Unordnung von dannen. Es lagen bald mehr Tote als Verwundete in der Ebene rund umher, es waren aber mehr Geflohene als Tote. Die Fliehenden rissen die vier Agelith mit sich fort. Als es Abend war, gab es im weiten Kreise keinen kampffähigen Gegner mehr.

Inzwischen war das junge Pferd auch müde geworden und trug Hemmed L'hascheschi zurück zum Tore. Die Negersklaven öffneten, führten das Tier herein und hielten es, während Hemmed L'hascheschi mehr tot als lebendig abstieg. Hemmed L'hascheschi war über und über mit Blut bedeckt, auch hatte er sich aus Angst die Hosen beschmutzt. Die Negersklaven führten ihn auf seinen



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Wunsch in ein Bad. Dann gingen sie hin und berichteten dem Agelith, daß Hemmed L'hascheschi alle Feinde vernichtet habe und alle Leute nun wieder die Häuser verlassen und das Schlachtfeld betrachten könnten. Der Agelith, seine Tochter und alle ihre Diener, die Männer, Frauen und Kinder in der Stadt kamen heraus und sahen voller Staunen die Menge der Toten und Verwundeten. Der Agelith kam in die Stadt zurück. Als Hemmed L'hascheschi erholt aus dem Bade kam, ging ihm der Agelith entgegen, fiel ihm um den Hals und sagte: "Ich danke dir! Ich danke dir! Ich danke dir!" Er wandte sich zu seinen Leuten und sagte: "Seht, das alles hat der einzige Hemmed L'hascheschi getan. Dieser einzige ist unser Retter. Ihr aber habt nichts getan."

Darauf ward ein großes Hochzeitsfest veranstaltet, das viele Tage währte. Von da an waren der Agelith und seine Leute glücklich und lebten in völliger Ruhe, denn niemand wagte es, die Stadt, solange Hemmed L'hascheschi in ihr lebte, zu befeinden.

Eines Tages ereignete es sich aber, daß in der Gegend ein Löwe auftrat, und von nun an täglich einen Hirten oder mindestens ein Schaf anfiel und tötete. Die kundigen Leute kamen zum Agelith, berichteten ihm von den Opfern des großen Raubtieres und sagten: "Dieses Tier ist so ungewöhnlich stark und schrecklich, daß keiner deiner Leute oder der Stadtbewohner es wagte, ihm entgegenzutreten. Wir bitten dich also, du möchtest durch deine Tochter den einzigen Mann zu Hilfe rufen, der helfen kann, das ist Hemmed L'hascheschi." Der Agelith rief seine Tochter und sprach mit ihr. Seine Tochter sagte: "Das ist für meinen Mann keine große Sache." Die Tochter des Agelith ging zu Hemmed L'hascheschi, erzählte ihm alles und sagte: "Nicht wahr, du tust meinem Vater den kleinen Gefallen und tötest den Löwen. Es kann für dich nur eine kleine Sache sein." Hemmed L'hascheschi erschrak, er ließ sich aber nichts anmerken und sagte: "Ich bin Hemmed L'hascheschi. Für Hemmed L'hascheschi ist das eigentlich überhaupt nichts. Da die Leute aber hier so mutlos sind, wird Hemmed L'hascheschi es auf seine Art machen."

Hemmed L'hascheschi ging in den Hof und sagte bei sich: "Jetzt wird es Zeit, daß ich mich davonmache. Ich will aber wenigstens noch einigen Tabak mit auf den Weg nehmen." Er ließ sich also eine Ziegenhaut voll Tabak stopfen, gürtete sein Schwert um, nahm Abschied und ging aus dem Tore der Stadt von dannen. Nachdem er ein Stück weit gegangen war, traf er auf einen Hirten, den fragte



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er: "An welchem Wege trifft man denn gewöhnlich den Löwen ?" ber Hirt sagte: "Wenn man hier geradeaus geht, trifft man nach einiger Zeit auf einen Kreuzweg. Der Löwe kommt nun stets von der linken Seite her. Gehst du den linken Weg entlang, so wirst du nach einiger Zeit sicher den Löwen treffen."

Hemmed L'hascheschi bedankte sich und ging weiter. Er sagte bei sich: "Wenn der Löwe auf dem linken Weg kommt, werde ich den rechten gehen, um ihm sicher zu entkommen." Er ging also erst noch geradeaus, bis er an den Kreuzweg kam, und dann bog er statt nach links nach rechts ab. Er war aber noch nicht lange auf dem falschen Wege hingegangen, da trat ihm der Löwe aus dem Busch entgegen. Hemmed L'hascheschi wurde ganz bleich vor Schreck. Er nahm sich aber zusammen, sprang auf einen nahe stehenden Eichbaum zu und schwang sich an seinen Ästen in die Höhe.

Der Löwe stieß voll Zorn, daß die Beute ihm entronnen sei, ein starkes Brüllen aus und versuchte an dem Baume hochzuspringen. Voller Schreck hierüber ließ Hemmed L'hascheschi seine Ziegenhaut voll Tabak los, und diese fiel dem brüllenden Löwen gerade in den Rachen. Der Löwe, der vor Wut alle Überlegung verloren hatte, glaubte statt des Tabaksackes Hemmed L'hascheschi zwischen den Zähnen zu haben und fraß die ganze Ziegenhaut mitsamt dem Tabak auf. Diese große Menge starken Tabaks betäubten aber den Löwen derart, daß er nach wenigen Augenblicken in einen schweren Schlaf verfiel.

Hemmed L'hascheschi erstaunte nicht wenig, als er sah, wie der erst so wütende Löwe nach einiger Zeit sich ganz ruhig niederlegte. Er pflückte also einige Eicheln und warf sie auf den Löwen. Der Löwe rührte sich nicht. Hemmed L'hascheschis Mut stieg. Er ließ sich am Baume bis zum niedrigsten Ast herab und kitzelte den Löwen mit der Spitze seines Schwertes. Der Löwe rührte sich nicht. So kletterte Hemmed L'hascheschi denn ganz herab, trat auf den Löwen zu, zupfte ihn am Ohr und sagte: "Was, mein Löwe, du weißt nicht, wer Hemmed L'hascheschi ist? Was, du willst mit Hemmed L'hascheschi kämpfen, der fünfzig mit einem Schlage tötet?" Als der Löwe sich immer noch nicht rührte, wuchs Hemmed L'hascheschis Mut ins Große. Er zog eine Schnur hervor, die band er dem betäubten Löwen um den Hals. Dann zog er und sagte: "Auf, mein Löwe, folge Hemmed L'hascheschi in die Stadt." Der so aufgerüttelte, noch immer schwer betäubte Löwe erhob sich nun



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und trottete, von Hemmed L'hascheschi geführt, hinter ihm, gehorsam her.

Als Hemmed L'hascheschi sah, daß der Löwe alles tat, was er wollte, überschritt sein wachsender Mut die letzte Grenze. Er schwang sich auf den Rücken des Löwen und ritt auf ihm weiter. Er rief immer: "Hehehe!" Er rief: "So mein Löwe! Hehehe! Immer flink vorwärts! Hehehe! Bis in die Stadt." So kam Hemmed L'hascheschi an die Tore der Stadt und ritt herein. Von allen Seiten kamen die staunenden Menschen zusammen und blickten auf den reitenden Hemmed L'hascheschi. Der aber rief: "Was sagt ihr? Ein wildes reißendes Tier soll das sein? Es ist Hemmed L'hascheschjs Esel und Reittier." Alles Volk jubelte. Hemmed L'hascheschi ritt aber in den Hof des Agelith, stieg vom Löwen ab und sagte: "Nehmt die Schnur und bindet ihn da an, wo die Esel stehen!" Die Leute des Agelith taten es.

Der Agelith trat seinem Schwiegersohne entgegen. Er dankte ihm und führte ihn herein. Ein großes Fest ward gefeiert, und spät erst gingen die aufgeregten Leute auseinander. Die Leute hatten sich aber noch nicht lange zur Ruhe gelegt, da erwachte der Löwe aus seiner Betäubung. Er schüttelte sich ein wenig, so daß sogleich der Strick, an dem er angebunden war, zerriß. Dann brüllte er, sprang auf, stürzte sich auf die neben ihm angebundenen Tiere und biß sie tot. Der Löwe brüllte. Die sterbenden Tiere brüllten. Die Wächter schrien: "Der Löwe hat sich losgerissen!" Weiber und Kinder schrien. Alle Leute schrien in ihrer Angst nach Hemmed L'hascheschi. Hemmed L'hascheschi hörte es. Eine große Furcht befiel ihn Hemmed L'hascheschi versteckte sich hinter seinen Decken Kissen und stellte sich schlafend. Inzwischen hatte der Löwe ein Schaf gepackt, damit sprang er aus der Stadt und seinem Walde

Am andern Tage kamen die kundigen Leute wieder zum AgeIith und sagten ihm: "Wir bitten dich, durch deine Tochter Hemmed L'hascheschi nochmals zu Hilfe zu rufen und ihn zu bestimmen daß er diesmal den Löwen tötet. Was ihm das erstemal so leicht war, wird ihm das zweitemal nicht schwer werden." Der Agelith rief seine Tochter und bat sie um seine Fürsprache bei Hemmed L'hascheschi. Seine Tochter sagte: "Sicherlich wird Hemmed L'hascheschi euch gerne helfen. Was ihm das erstemal so leicht war, kann ihm das zweitemal nicht schwer werden." Die Tochter ses Agelith ging zu ihrem Manne und sagte: "Hemmed L'hascheschi mein Gatte, mein Vater und alle Leute bitten dich, du möchtest noch



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einmal ausziehen, den Löwen aufzusuchen. Du möchtest ihn diesmal aber nicht lebendig bringen, sondern möchtest ihn töten." Hemmed L'hascheschi erschrak. Er ließ sich aber nichts merken, sondern sagte: "Was Hemmed L'hascheschi das erstemal so leicht war, wird Hemmed L'hascheschi das zweitemal nicht schwer werden. Die Leute haben hier ja außer Hemmed L'hascheschi keine Männer."

Hemmed L'hascheschi ging in den Hof und sagte bei sich: "Dieses ist der letzte Tag meines Lebens gewesen, wenn es mir jetzt nicht gelingt zu entfliehen. Ich will mir aber wenigstens noch einigen Tabak mit auf den Weg nehmen." Hemmed L'hascheschi packte seinen Ziegenhautbeutel mit Tabak auf, gürtete das Schwert um und machte sich auf den Weg. Erst ging er die gleiche Richtung wie das erstemal. Als er aber an den Kreuzweg kam, sagte er bei sich: "Gestern kam mir der Löwe auf dem rechten Weg entgegen, heute werde ich also am besten auf dem linken gehen, um ihm zu entrinnen." Also schlug Hemmed L'hascheschi den linken Weg ein.

Kaum aber war er einige hundert Schritt weit gegangen, da stand wieder der Löwe vor ihm. Hemmed L'hascheschi stieß einen Schrei aus; er griff nach dem nächsten Ast, um sich auf einen Baum zu retten. Dabei aber blieb sein Schwert am Stamme hängen, und als er es mit sich heraufriß, schlitzte die Schwertspitze einen spitzigen Span aus dem Holz. Hemmed L'hascheschi war gerade in Sicherheit, als der Löwe voller Zorn hinter ihm her am Baume hochzuspringen suchte. In seiner Wut sprang der Löwe blindlings hoch und achtete nicht des spitzen Spanes, der aus dem Stamme herausragte. Der Span aber schlitzte dem springenden Löwen den ganzen Leib der Länge nach auf, so daß er tot zu Boden sank.

Als Hemmed L'hascheschi glaubte, hoch genug geklettert zu sein, schaute er sich nach dem Löwen um. Er sah den Löwen in seinem blute liegen. Hemmed L'hascheschi erstaunte. Er stieg einen Ast tiefer, riß einige Eicheln ab und warf sie auf den Löwen. Der Löwe rührte sich nicht. Hemmed L'hascheschi stieg noch einen Ast tiefer und pißte von hier aus auf den Löwen. Der Löwe rührte sich nicht. 9a kletterte Hemmed L'hascheschi ganz auf die Erde, ging rund um ihn herum, zog ihn am Ohr und sagte: "Was mein Löwe, du weißt nicht, wer Hemmed L'hascheschi ist? Was, du hast Hemmed L'hascheschi gestern noch nicht einmal als deinen Herrn anerkennen gelernt? Siehst du nun, daß auch du nicht mit Hemmed L'hascheschi, der fünfzig mit einem Schlage tötet, kämpfen kannst?



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Nun bist du durch das Schwert Hemmed L'hascheschis ums Leben gekommen."

Danach bückte sich Hemmed L'hascheschi und rieb sein Schwert mit dem Blute des Löwen ein. Auch rieb er sich von dem Blute in seine Kleider. Alsdann machte er sich auf den Weg und ging Zur Stadt zurück. Unterwegs rief er einige Wächter heran, sie sandte er zurück, damit sie die Leiche des Löwen hinter ihm hertrügen Vor dem toten Löwen zog Hemmed L'hascheschi in die Stadt ein Der Agelith kam ihm entgegen, um ihm zu danken. Alle Leute jubelten und schrien vor Freude. Als er aber daheim angekommen war, sagte er zum Agelith und den kundigen Leuten: "Hemrned L'hascheschi, der fünfzig mit einem Schlage tötet, hat euch gern den Gefallen getan und dem Löwen sein Schwert in die Brust gerannt. In Zukunft müssen aber auch die anderen jungen Männer der Stadt kämpfen. Sie sollen mehr lernen und nicht das Wenige, was sie können, vergessen. Es ist also für die Stadt besser, wenn in Zukunft Hemmed L'hascheschi seine Freude am Kampf unterdrückt und den anderen den Vortritt läßt. Hemmed L'hascheschi hat genug getan."

Die kundigen Leute sagten: "Hemmed L'hascheschi hat recht."


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