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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


24. Die hilfreichen Tiere

Ein Mann hatte einen Sohn, der war böse und fügte allen Übles zu, wo er nur konnte. Der Vater wußte mit dem Sohne nichts mehr anzufangen. Er klagte sein Leid einer alten Frau. Die alte Frau sagte: "Laß nur sein! Diese Art junge Leute kenne ich. Sie muß einmal gründlich in der Fremde geschult werden. Das werde ich schon einrichten."

Eines Tages ging die Alte über die Straße. Sie begegnete dem verrufenen Sohne. Der Bursche machte sich ausdrücklich auf dem Wege breit, so daß die Alte nicht vorbeikam. Die Alte sagte: "Sei



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nicht so hochfahrend und stolz. Du hast noch nicht Chartz geheiratet. Ja, wenn dir das gelungen wäre." Der Bursche lief sogleich heim zu seinem Vater und sagte: "Bereite mir Aiun (Wegnahrung). Ich will in die Ferne ziehen." Der Vater war sehr zufrieden. Er bereitete die Abreise seines Sohnes gut vor, nahm ihn zuletzt noch einmal beiseite und sagte: "Du gehst in ein anderes Land. Da ist es die erste Hauptsache, daß du stets den andern Gutes tust und auch die Kleinen nicht verachtest." Der Sohn versprach, darauf zu achten und zog von dannen.

Der Bursche kam nach einiger Zeit bei den Ameisen vorbei. Die hatten lange nichts zu essen bekommen und sie drängten zu ihm heran und baten: "Sorge doch, daß wir etwas zu essen bekommen." Da ging der Bursche in die nächste Ortschaft und kaufte einen Sack Gerste (thimthein; Weizen: irthen). Die Ameisen aßen die Gerste auf, dankten ihm vielmals, rissen sich beim Abschied die eine Hand aus, die reichten sie ihm und sagten: "Wenn du je unserer bedarfst, so wirf diese Hand nur ins Feuer. Sogleich werden wir kommen und dir helfen." Der Bursche lachte und sagte: "Wie soll ich euch einmal brauchen können." Er verwahrte aber die Ameisenhand und Zog weiter.

Nach einiger Zeit traf der Bursche auf ein Wildschwein, das klagte und weinte und sagte: "Wir haben nichts, nichts zu essen und unsere Kinder verhungern." Der Bursche hatte mit dem Wildschwein (ilf Pl. ilfaen) Mitleid und kaufte einen Sack voll Bohnen (ibauen). Darauf konnte das Wildschwein seine Jungen ernähren und war sehr zufrieden. Es gab dem Burschen zum Abschied eine seiner Borsten und sagte: "Wenn du uns Wildschweine jemals nötig haben solltest, so verbrenne nur diese Borste, und wir werden sogleich da sein." Der Bursche lachte, verwahrte die Borste und ritt weiter.

Wieder einige Zeit später kam der Bursche zu den Bienen (tisisuid Pl. tisisua), die klagten und weinten auch und hatten nichts zu essen. Da kaufte der Bursche einen Topf voll Honig (tament) und gab den Bienen den zu fressen. So konnten die Bienen sich sättigen, und sie bedankten sich sehr und gaben zum Abschied dem Burschen einen Stachel und sagten: "Wenn du uns je nötig hast, so wirf diesen Stachel ins Feuer!" Der Bursche lachte, bedankte sich, legte den Stachel zur Ameisenhand und Wildschweinsborste und ging weiter.

Eine Zeit darauf begegnete der Bursche einem Adler (ihiderr, Pl. ijudarr). Der klagte sehr und bat ihn: "Kannst du mir nicht einen



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Rat geben, wie ich meine Jungen füttere. Wir haben rein nicht mehr zu fressen und die Kinder verhungern." Da kaufte der Bursche im nächsten Dorfe Fleisch und gab das dem Adler. Der Adler nahm es, brachte es seinen Jungen, kam zurück, gab dem Burschen eine Feder und sagte: "Wenn du unserer je bedarfst, wirf diese Feder nur in das Feuer!" Der Bursche bedankte sich, legte die Adlerfeder zur Ameisenhand, Wildschweinsborste und Bienenstachel und ging weiter.

Nach einiger Zeit kam der Bursche zu einer Stelle, da wuchs ein Rohrhaim (aghanfm, Pl. ighonam). Irgend jemand hatte aber Iblis (der Teufel, auch Scheitan, also absolut arabisch) in diesen Rohrhaim gesperrt, so daß er nicht herauskonnte. Der Teufel jammerte und bat den Burschen, als er vorbeikam: "Hilf mir doch aus meinem Rohrhaim heraus." Der Bursche sagte: "Warum soll ich das nicht tun. Iblis hat mir nichts Schlimmes getan." Er half also dem Teufel aus dem Rohrhalm. Der Teufel war darüber aber so glücklich, daß er sich einen Nagel vom Finger riß, ihn dem Burschen gab und sagte: "Wenn du mich je brauchst, so wirf diesen Nagel nur ins Feuer und ich werde zur Stelle sein." Der Bursche bedankte sich, steckte den Teufelsnagel zur Ameisenhand, Wildschweinsborste, Bienenstachel und Adlerfeder und ging weiter auf das Dorf zu, in dem die Familie der Chartz wohnte. —

Der Bursche kam in dem Dorfe an und suchte am andern Tage den Vater der Chartz auf und sagte: "Gib mir deine Tochter Chartz zur Frau!" Der Vater sagte: "Meine Tochter Chartz will ich dir sehr gerne geben, wenn du imstande bist, einige Arbeiten auszuführen. Gelingt es dir, diese zu meiner Zufriedenheit zu vollenden, so gebe ich dir meine Tochter Chartz. Gelingt es dir nicht, so schlage ich dir den Kopf ab." Der Bursche sagte: "Ich bin einverstanden. Zeige mir die Arbeit."

Der Vater der Chartz sagte: "Dort ist ein Speicher, vollgefüllt mit Weizen und Gerste. Die Körner sind durcheinander gekommen. Du mußt bis morgen früh Weizen und Gerste getrennt haben."Der Bursche sah den Speicher voll. Er saß im Speicher. Er begann zu weinen. Denn das war für ihn unmöglich. Als es aber Nacht war, fielen ihm die Ameisen ein. Er nahm schnell die Ameisenhand heraus und warf sie ins Feuer. Sogleich kamen Ameisen an. Der Bursche setzte ihnen auseinander, was der Vater der Chartz verlangte, und die Ameisen sagten: "Das ist eine Kleinigkeit." Die Ameisen kamen von allen Seiten. Sie schleppten nach allen Seiten Körner,



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nach der einen Seite den Weizen, nach der andern die Gerste. Ehe es noch Morgen war, hatten sie die Arbeit vollendet. Der Bursche bedankte sich, und die Ameisen liefen fort.

Am andern Morgen kam der Vater der Chartz in den Speicher. tier Bursche sagte: "Ich habe die Arbeit vollendet, nun gib mir deine Tochter." Der Vater der Chartz sagte: "Dies hast du gekonnt. So schnell geht es aber mit dem Heiraten bei uns nicht. Erst einmal Will ich, daß du mir bis morgen früh den Boden dieses Waldes um die Bäume herum umgräbst." Der Vater der Chartz ließ den Burschen allein im Walde. Der Bursche dachte eine Zeitlang nach. Dann zündete er ein Feuer an, warf die Borste des Wildschweines hinein und wartete. Bald kam das Wildschwein an. Der Bursche erzählte, was der Vater der Chartz von ihm verlangte. Das Wild-Schwein grunzte. Von allen Seiten kamen Wildschweine und begannen den Boden aufzuwühlen. Ehe es noch wieder Morgen war, hatten sie die Grabarbeit vollendet.

Am andern Morgen kam der Vater der Chartz, sah die vollendete Arbeit und sagte: "Als drittes verlange ich, daß du bis morgen früh die eine Hälfte des Dorfes von Schnee weiß gefärbt, die andere aber von der weißen Decke frei hältst. Wenn dir das auch gelingt, magst du meine Tochter nehmen, wenn du sie findest." — Der Bursche ging, sowie der Vater der Chartz gegangen war, zu einem Feuer, zog die Feder des Adlers heraus und warf sie ins Feuer. Der Adler kam. Der Bursche setzte ihm den Befehl des Vaters der Chartz auseinander. Der Adler flog fort und kam in der Nacht mit vielen Vögeln zurück. Die Vögel ließen auf die eine Hälfte des Dorfes ihre Federn fallen, so daß es aussah, wie mit Schnee bedeckt.

Als der Vater der Chartz das sah, war er einverstanden und sagte: "Nun nimm meine Tochter, du mußt aber bis morgen früh ihren Aufenthalt in meinem Gehöft ausfindig machen, und du weißt, es hat viele Kammern." Der Bursche ging in seine eigene Kammer, zog den Nagel des Iblis heraus und warf ihn ins Feuer. Iblis kam. Der Bursche fragte: "Kannst du mir ganz genau angeben, wo Chartz versteckt ist?" Iblis sagte: "Gewiß kann ich das. Der Vater der Chartz hat im Hofe eine Grube ausgehoben. Die Grube ist nach oben mit einer Matte abgeschlossen und mit einem Stein bedeckt, so daß man den Platz nicht erkennt. In der Grube ist Chartz." Der Bursche bedankte sich. Der Bursche ging zum Vater der Chartz. Er sagte zu ihm: "Gib mir eine Hacke." Der Vater der Chartz gab ihm eine Hacke. Der Bursche ging auf den Hof, hackte den Stein



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frei, hob ihn auf, nahm die Matte auf und sagte: "Da unten ist deine Tochter Chartz."

Der Vater der Chartz sagte: "Du hast sie gefunden. Ich werde dir meine Tochter Chartz morgen früh inmitten der andern Frauen meines Gehöfts verschleiert vorführen. Alle werden gleich gekleidet sein. Findest du sie sogleich heraus, so ist sie dein. Findest du sie nicht, so schlage ich dir den Kopf ab." Der Bursche ging in seine Kammer und dachte nach. Er hatte nur noch den Stachel der Bienen. Er warf ihn ins Feuer. Die Biene kam und fragte: "Was willst du?" Der Bursche setzte ihr auseinander, was der Vater der Chartz gesagt hatte. Die Biene sagte: "Das ist sehr einfach. Wenn die Frauen morgen früh kommen, so achte darauf, welche von den Bienen begleitet ist. Das wird Chartz sein." Die Biene flog fort. Am andern-Tage kamen alle Frauen des Gehöfts, alle gleich gekleidet und gleich verhüllt, vom Vater der Chartz geführt, zu dem Hause des Burschen. Der Bursche erwartete sie. In der Mitte war eine Frau, um deren Haupt schwirrten tausende von Bienen, deren Flügel in der Sonne schillerten, so daß der Kopf der Frau wie von Licht umgeben schien-Der

Der Bursche ging auf diese Frau zu und sagte zum Vater: "Das hier ist deine Tochter Chartz!" Der Vater sagte: "Du hast recht." Da heiratete der Bursche die schöne Chartz, und nachdem die Feste vorüber waren, kehrte er mit ihr in das Dorf seines Vaters zurück. Und von da an war er kein böser Mann mehr.


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