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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


23. Sohn Erbse


(Vergl. Bd. II Nr. 79 bis 81)

Eine Frau hatte keine Kinder, trotzdem sie schon eine Reihe von Jahren verheiratet war. Deshalb war sie sehr unglücklich und ihr Mann desgleichen. Eines Tages ging die Frau über den Hof und sah da eine ganz kleine Erbse liegen. Da sagte sie vor sich hin: "Wenn ich doch, ein Kind hätte, und wenn es nicht größer sein sollte als diese Erbse!" Die kleine Erbse hörte das und sagte: "Liebe Mutter, ich will gern dein Sohn sein. Nimm du mich nur als Kind hin." Da nahm die Frau die Erbse auf und lief voller Freude zu ihrem Manne und sagte: "Mein Gatte! Mein Gatte! Wir haben ein Kind! Wir haben einen Sohn!" Die kleine Erbse sagte dazu: "Gewiß, lieber Vater! Ich werde jetzt euer Sohn ein; sage mir nur, wann ich dir eine Besorgung machen soll, ich werde es sogleich tun."

Der Gatte freute sich über den neuen Sohn ebenso wie seine Frau und sagte zu ihm sogleich: "Nun, mein Sohn Erbse, dann geh flur gleich zu den Erntearbeitern auf das Feld und sage ihnen, sie sollen jetzt zum Essen kommen." Erbse lief sogleich von dannen. Erbse kam auf das Feld und sagte zu den Arbeitern: "Ihr Arbeiter! Mein Vater läßt euch sagen, Ihr sollt alle Felder anzünden und alles Korn verbrennen." Die Arbeiter zündeten also die Felder an, verbrannten das Korn und gingen heimwärts zum Essen. Als sie Sich hingesetzt hatten, griff einer der Arbeiter vom Boden einige Gerstenkörner auf und warf sie ins Feuer. Der Gehöftherr sah das und sagte: "Man soll Korn, das uns ernährt, nicht verbrennen."Die Arbeiter sahen einander an und einer sagte zum andern: "Vorhin haben wir doch erst auf Geheiß des Herrn die ganze Ernte verbrannt!" Der Gehöftherr fuhr in die Höhe und rief: "Was habt ihr getan?" Die Leute sagten: "Du hast deinen Sohn Erbse zu geschickt und uns sagen lassen, wir sollten die ganze Ernte ab. brennen. Das haben wir getan." Als der Vater das hörte, sprang er auf und rannte mit dem Kopf gegen die Mauer. Sohn Erbse lief aber, so schnell er konnte, von dannen.

Erbse lief in den Wald. Im Walde traf Erbse Diebe, die gerade



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einen gestohlenen Hammel miteinander teilten. Erbse bat um ein Stück vom Bauchfell. Die Diebe gaben ihm das Erbetene. Erbse nahm es und stahl schnell noch ein Messer. Er versteckte das Messer unter dem Stück Bauchfell, das er sich als Burnus umhängte, bedankte sich und ging weiter in den Wald hinein. Als Erbse sehr weit gekommen war, hüllte er sich in sein Stück Bauchfell und sagte: "Ich will doch sehen, ob mich nicht jemand weiterträgt bis zum nächsten Dorf!" In sein Bauchfell gehüllt, mit dem Messer in der Hand, blieb Erbse am Wege liegen.

Es dauerte auch nicht lange, so kam ein Löwe. Der Löwe witterte das Bauchfell und suchte es. Erbse rief laut: "Verschlucke mich nicht! Verschlucke mich nicht! Verschlucke mich nicht!" Der Löwe sagte: "Ah, da liegst du!" ging hin und verschluckte das Stück Bauchfell mitsamt Erbse und seinem Messer. Dann lief der Löwe weiter auf ein Dorf zu, denn er hatte vor, an diesem Abend einen Ochsen zu töten.

Als der Löwe nahe dem Dorfe mit dem Ochsen war, lief er langsam und brüllte. Erbse hörte das und sagte: "Wir sind also angekommen." Erbse nahm sein Messer und schnitt dem Löwen den Bauch auf. Der Löwe starb und Erbse kam heraus. Erbse sah sich um und sah in der Entfernung Leute, die um das Gehöft schlichen, in dem das Vieh eingesperrt war. Es waren Diebe, die das Rindvieh stehlen wollten, aber nicht wußten, wie sie es anfangen sollten. Erbse ging zu ihnen und sagte: "Wartet nur ein wenig am Tore. Ich werde euch nach einiger Zeit eine Kuh herausbringen."

Danach schlüpfte Erbse durch einen Spalt in der Tür in das Gehöft und versteckte sich sogleich im Ohr einer Kuh. Von da aus schrie Erbse dann ganz laut: "Wollt ihr die schwarze Kuh oder die weiße Kuh ?"Sogleich sprang der Hirt auf und suchte den Hof ab nach dem, der da so laut so schlechte Worte gerufen hatte. Er konnte aber niemand finden und legte sich wieder hin. Nach einiger Zeit schrie Erbse wieder: "Wollt ihr die schwarze Kuh oder die weiße Kuh?" Der Hirte sprang wieder auf, suchte wieder alles ab und legte sich abermals hin. Nachdem Erbse den Hirten dreimal derart beim Einschlafen gestört hatte, war der Hirt so müde, daß er in einen ganz schweren Schlaf verfiel und nun nichts mehr horte.

Nun öffnete Erbse die Gehöfttür, trieb eine Kuh heraus, gab sie den Dieben und sagte: "Nun schlachtet!" Die Diebe machten sich sogleich an das Schlachten. Als sie alles zerteilt hatten, wählte sich Erbse als seinen Anteil ein ungeborenes Kalb, das man im Innern



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der Kuh gefunden hatte und den Magen. Die Diebe gaben es ihm, und Erbse ging damit von dannen.

Erbse ging mit seinem Anteil an der Beute in ein anderes Gehöft und sah zu, wer darin schlief. Er fand, daß auf der einen Seite ein alter Mann und eine alte Frau auf einer Matte, und auf der andere's Seite die beiden erwachsenen Töchter des Hauses auf einer Matte schliefen. Da ging Erbse zuerst zu den Alten und legte den Kuhmagen zwischen sie und trennte ihn mit einem langen Schnitt auf, so daß aller Schmutz herausquoll. Das ungeborene Kalb trug er aber auf die andere Seite und legte es zwischen die beiden schlafenden erwachsenen Mädchen des Hauses. Dann ging Erbse.

Als der Alte am andern Morgen erwachte, schrie er seine Frau an und sagte: "Auf, Alte! Du hast uns beide beschmutzt." Die Alte erwachte, sah den Inhalt des Kuhmagens und schrie: "Nein, du hast das getan. Du warst der Schmutzkerl und willst mich nun noch beschimpfen!" Darauf stritten sie weiter und fingen zuletzt an, sich zu schlagen.

Inzwischen erwachte die erste der erwachsenen Töchter des Hauses und sah das ungeborene Kalb neben sich liegen. Sie hielt es für ein neugeborenes Kind und schrie ihre Schwester an: "Schäm' dich, du hast diese Nacht ein Acheram (Bastard, natürliches Kind, das ein noch nicht verheiratetes Mädchen zur Welt bringt) geboren!" Die Schwester erwachte und sah das ungeborene Kalb. Sie hielt es auch für ein neugeborenes Kind und schrie: "Du beschimpfst mich nur, um die Schande, die Mutter des Acherams zu sein, von dir zu wälzen!" Eine glaubte das Schlimme von der andern. Eine beschimpfte die andere. Zuletzt schlugen sie sich.


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