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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


22. Das Mädchen im Holzblock

Ein Mann hatte sieben Töchter. Die Mutter der sieben Mädchen war gestorben. Eines Tages wollte der Mann eine lange Reise antreten und sagte zu seinen Töchtern: "Bereitet euch Essen für ein Jahr!"



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Als dies geschehen war, besichtigte er das Essen und sagte: "Nun sorgt, daß ihr für ein Jahr genug Feuerholz im Hause habt."Danach rief er die Töchter wieder zusammen und sagte: "Ich werde eine lange Reise antreten, von der ich vielleicht erst nach einem Jahre zurückkommen werde. Ihr habt nun genug Nahrungsmittel und Feuerholz im Gehöft, um nicht nötig zu haben, das Haus zu verlassen. Der Brunnen im Hofe gibt Wasser. Ihr braucht also von niemand irgendeine Sache. Nun habt ihr keine Verwandten hier, die euch genügend schützen könnten, wenn euch etwas zustößt. Deshalb schließt, sowie ich euch verlassen habe, die sieben Tore des Gehöfts hinter mir zu und laßt niemand mehr herein, bis ich wieder von der Reise zurückkehre. Wenn ich nun heimkehre, werde ich vor dem Fenster eine weiße Fahne (=tall'lamth) zeigen, und nur, wenn ihr diese Fahne seht, öffnet die sieben Türen." Die Töchter versprachen dem Vater, so zu handeln, und der Vater begab sich auf Reisen. Sowie er fortgegangen war, schlossen die Töchter von innen die sieben Türen zu und nahmen die Schlüssel an sich.

In dem Dorfe war ein junger Mann mit Namen Akli. Der wollte die jüngste der sieben Töchter heiraten; das Mädchen hatte ihn aber immer von sich gewiesen, weil sie ihn verabscheute. Als der Vater der sieben Töchter nun abgereist war, ging Akli zu einer listigen alten Frau und sagte: "Wenn du es mir möglich machst, in das verschlossene Haus der sieben Mädchen zu kommen und die Jüngste herauszunehmen, will ich dich reichlich belohnen." Die Alte versprach zu tun, was möglich sei und erwog die Sache.

Am andern Tage klopfte die Alte an einem Tore des Gehöfts der Mädchen. Die Mädchen riefen von innen: "Laß das Klopfen. Wir werden nicht öffnen." Die Alte rief: "Mir könnt ihr öffnen, ich bin die Schwester eurer verstorbenen Mutter. Ich habe gehört, daß ihr so einsam seid, seit euer Vater fortgereist ist, und deshalb bin ich über die Berge herübergekommen, um zu sehen, wie es den Töchtern meiner Schwester geht. Mir, der Schwester eurer Mutter, könnt ihr öffnen!" Die jüngste der sieben Schwestern war gerade auch an der Tür und sie antwortete: "Unser Vater hat keinen Bruder und unsere Mutter hat keine Schwester gehabt. Also kann das nicht wahr sein und wir werden, wie unser Vater es angeordnet hat, die Tür nicht öffnen!" Die Alte antwortete: "So wißt ihr nicht gut Bescheid um eure Verwandtschaft. Laßt es aber für heute. Ich bin mit meiner Tochter herübergekommen, und wir haben bei der Frau



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des Amin gutes Unterkommen. Ich werde morgen noch einmal an klopfen." Damit ging die Alte weg.

Als die Alte gegangen war, sagte die älteste Schwester zu der jüngsten: "Weshalb sollen wir die alte Frau nicht einmal zur Plaudern für einige Zeit hereinkommen lassen? Wir sind immer nur unter uns und es wird wirklich langweilig mit der Zeit." Die Jüngste sagte: "Weshalb wir die Alte nicht hereinkommen lassen wollen? —Weil der Vater verboten hat, irgend jemand hereinzulassen. Und weil unsere verstorbene Mutter gar keine Schwester gehabt hat." Die ältesten Schwestern sagten aber: "Du hast unsere Mutter gar nicht mehr gekannt. Wir können nicht wissen, ob wir eine Verwandte unserer Mutter haben oder nicht. Und was soll es schaden, wenn wir einmal eine alte Frau hereinlassen, um uns zu unterhalten?" Die andern Schwestern sagten: "Die Älteste hat recht! Was soll uns eine alte Frau schaden. Wir wollen uns einmal unterhalten!" Die Jüngste sagte: "Wenn ihr es tut, tut ihr es gegen den Willen unseres Vaters!" Die älteren Schwestern sagten: "Wir wollen uns einmal unterhalten. Wenn der Vater uns verboten hat, jemand eine Tür zu öffnen, so tat er es, um uns vor Schaden zu schützen. Ein alte Frau kann uns aber nicht schaden."

Am andern Tage klopfte die Alte wieder am Gehöft der sieben Mädchen an und rief: "Nun, ihr Kinder meiner Schwester, wollt ihr mir heute erlauben, daß ich ein wenig hereinkomme und nach euerm Befinden Umschau halte? Darf ich euch heute ein wenig unterhalten?" Die jüngste Schwester wollte antworten. Die älteste schob sie aber zur Seite und öffnete der Alten. Die Alte kam herein. Die Alte sprach viel. Die Alte erzählte viel. Die Alte blieb einige Stunden und sagte: "Wenn ihr es mir erlaubt, will ich morgen für einen Tag zu euch kommen und nachts bei euch bleiben. Dann werde ich euch noch mehr von eurer verstorbenen Mutter, meiner Schwester, erzählen." Die Alte ging. Die Schwestern schlossen hinter ihr die Tür. Die älteste Schwester sagte zur jüngsten: "Nun sage selbst, was der Besuch der Alten uns geschadet hat! Ich fühle noch keinen Schaden." Die andern fünf Schwestern sagten: "Wir freuen uns darauf, daß die Alte morgen wieder kommt und wollen sie zur Nacht dabehalten." Die Jüngste sagte: "Tut was ihr wollt. Ich einzelne kann gegen euch sechs nichts machen. Ich werde aber meinen Schlüssel auch für die Alte nicht hergeben."

Am andern Tage kam die Alte wieder. Sie erzählte viel und unterhielt die Mädchen. Die sechs ältesten Mädchen baten sie zur Nacht



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zu bleiben. Abends erzählte sie von ihrer Tochter. Sie sagte: "Morgen kann ich nun nicht wieder hierher kommen, denn übermorgen früh will ich zurückwandern und mag nicht zwei Tage hintereinander meine Tochter allein lassen." Da sagte die Älteste: "So bring doch morgen abend deine Tochter mit hierher. Wir werden euch ein gutes Essen bereiten." Die Alte sagte: "Es ist gut, ich werde meine Tochter mitbringen. Ihr müßt allerdings wissen, daß meine arme Tochter stumm ist und nicht reden kann. Sie versteht aber alles. Bereitet ihr uns beiden ein Essen. Ich werde eine ganz besondere Art Brot backen und mitbringen, wie sie in der Heimat eurer Mutter üblich ist." Die Alte blieb über Nacht. Sie ging am andern Morgen von dannen. Als die älteste hinter ihr die Tür geschlossen hatte, fragte sie die jüngste: "Nun, was hat die Alte uns geschadet ?" Die Jüngste sagte nichts.

Inzwischen ging die Alte zu Akli und sagte: "Heute kann ich dich mit in das Haus der sieben Mädchen nehmen. Ich werde dich in eine Frauenkleidung hüllen und als meine Tochter ausgeben. Ich habe den Schwestern gesagt, daß du stumm wärst. Wenn du also nicht sprichst, wird niemand merken, daß du ein Mann bist, zumal du keinen Bart hast." Die Alte kleidete Akli als Frau. Dann bereitete sie neun Brote. In sieben von den Broten tat sie aber Skrane (eine Pflanze, deren Genuß der Angabe nach in todesähnlichen Schlaf versenkt). Mit dem verkleideten Akli und den neun Broten ging sie am Abend zu den Schwestern.

Die sechs ältesten Schwestern begrüßten die Alte und ihre Tochter mit großer Freude. Sie luden sie gleich zum Essen ein. Sie setzten sich. Die Jüngste kam neben den verkleideten Akli zu sitzen. Die Jüngste sprach nicht. Sie sah immer vor sich nieder. Die Jüngste beobachtete, wie die Alte die Brote verteilte. Sie sah, daß die beiden Brote der Alten und ihrer Tochter gezeichnet waren. Sie rief plötzlich: "Eine Schlange!" Sie sprang auf. Alle sprangen auf. Die Jüngste sah, daß die Tochter der Alten in den Kleidern ungewohnt war. Sie vertauschte die Brote unbemerkt und sagte: "Ich bin sehr erschrocken. Die Schlange kam zur Türritze herein und kroch gleich wieder heraus. Wie bin ich erschrocken!" Die Alte biß in ihr Brot. Die jüngste biß in ihr Brot und biß die Stelle ab, an der es gezeichnet war. Akli und die Schwestern bissen in die Brote. Die Jüngste sagtet "Das Brot ist ausgezeichnet."

Nach einiger Zeit fielen die sechs Schwestern, eine nach der andern, in Ohnmacht. Die Alte lief hinaus, um Leute aus dem Dorfe



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zu rufen. Als sie fort war, fiel auch der verkleidete Akli zu Boden Die jüngste löschte die Lampe aus, so daß nur das schwache Feuer des Herdes leuchtete. Dann versteckte sich die Jüngste. Die Alte kam mit den Leuten aus dem Dorfe. Sie hieß sie die sechs ohnmächtigen Mädchen aufheben und heraustragen. Die Leute trugen die sechs Mädchen und Akli heraus. Als sie draußen waren, kam die jüngste aus ihrem Versteck herbei und schloß die Tür hinter den Leuten.

Als die Leute die sechs Mädchen und Akli herausgetragen hatten, sagte die Alte: "Nun wollen wir sehen, welches die Jüngste ist, denn für die allein bekomme ich von Aldi meine Bezahlung. Die andern sechs lassen wir hier liegen." Es holte einer einen Strohbrand herbei und leuchtete den Besinnungslosen in das Gesicht. Die Alte sagte: "Wo ist nur Akli hingelaufen! Er könnte uns helfen!" Sie beleuchtete die erste, es war die Älteste, sie beleuchtete die zweite, die dritte, die vierte, die fünfte, die sechste, es waren die älteren Schwestern. Sie beleuchtete die siebente und schrie auf. Die Alte sagte: "Die Jüngste ist nicht dabei! Akli ist dies. Die Jüngste ist mir entgangen. Meine ganze Belohnung ist verloren!" In ihrer Wut schlug die Alte auf die ältesten sechs Mädchen, und die bei ihr waren, stießen auch nach ihnen. Dann nahmen die Alte und die Leute aus dem Dorfe Akli auf und trugen ihn weg in sein Haus. Die ältesten sechs Mädchen ließen sie aber liegen. Die Jüngste beobachtete durch die Spalte der Tür alles, was vorging. Sie sah, wie die Alte sie suchte. Sie sah, wie die Alte eine der Schwestern nach der andern beleuchtete. Sie sah, wie die Alte Aldi entdeckte. Sie sah, wie die Alte und die andern ihre ohnmächtigen Schwestern stießen und traten. Sie sah, wie die Alte und die andern Akli aufnahmen und ins Dorf trugen. Als sie fort waren, öffnete sie die Tür und trug eine der Schwestern nach der andern wieder herein. Dann schloß sie die Tür wieder und versteckte die Schlüssel zu allen sieben Türen.

Die jüngste der Schwestern legte jede der sechs älteren auf ihr Lager. Die jüngste weinte, denn sie wußte nicht, was sie machen sollte und kannte das Mittel nicht, mit dem die Alte inzwischen Akli zur Besinnung brachte. Die sechs älteren Schwestern waren besinnungslos, weil sie das Brot mit dem schlechten Kraut gegessen hatten und weil sie so arg geschlagen und getreten waren. Die Jüngste wußte nicht, was sie tun sollte.

Die Jüngste saß an dem Brunnen. Sie sah zwei Eidechsen. Die beiden Eidechsen schlugen sich. Die eine Eidechse schlug nach der



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andern und schlug sie tot. Die jüngste sagte zu der Eidechse: "Schäme dich, deinen Bruder totzuschlagen!" Die Eidechse sagte: "Weshalb soll ich mich schämen. Sieh zu, wie ich verfahre. Wenn ich meinen Bruder totgeschlagen habe, gehe ich hin und hole von jenem Kraut Abäebdaer, das hier am Brunnen wächst, kaue die Blätter, drücke den Brei auf die Wunden. Dann lebt mein Bruder wieder auf. Du aber solltest dich viel mehr schämen, denn deine Schwestern liegen nun schon lange krank da, ohne daß du es so machst wie ich, und das ist schlimmer!" Mit diesen Worten lief die Eidechse zu dem bezeichneten Kraut, pflückte einige Blätter und zerkaute sie. Sie legte den Brei auf die Wunde des getöteten Bruders. Die getötete Eidechse lebte auf, und beide liefen von dannen.

Als die Jüngste das gehört und gesehen hatte, eilte sie schnell und pflückte viele Blätter und zerkaute sie und drückte den Brei dann auf alle Striemen und Wunden, die die Alte und die Leute aus dem Dorfe ihren Schwestern geschlagen hatten. Da lebten die Schwestern eine nach der andern auf und waren wieder fähig, etwas Nahrung zu sich zu nehmen. Langsam kamen die sechs Schwestern wieder zu sich. Die Jüngste eilte stets von einer zur andern und pflegte und tröstete sie. Eines Tages sagte die älteste: "Du, die Jüngste, bist die klügste von uns allen. Wären wir deinem Rat und dem Befehl des Vaters gefolgt, so wären wir nicht in dies Elend gekommen, und hättest du nicht so emsig für uns gesorgt, so wären wir nicht wieder zum Leben zurückgekehrt."

Die jüngste Schwester pflegte die älteren sechs, bis sie wieder frisch und kräftig waren. Eines Tages wurde vor ihrem Fenster die weiße Fahne aufgezogen. Da wußten sie, daß der Vater zurückgekehrt war. Die Jüngste holte die sieben Schlüssel zu den sieben Türen aus dem Versteck hervor und öffnete. Die empfing den Vater. Der Vater ließ sich alles erzählen, was sich in seiner Abwesenheit ereignet hatte, war aber glücklich, daß er seine sieben Töchter frisch und gesund vorfand. —

Eines Tages traf der Vater Akli in dem Orte. Akli redete den Vater an und bat ihn um die Hand seiner jüngsten Tochter. Der Vater sagte Aldi die Ehe mit seiner Tochter zu. Er ging heim und sagte zu seiner Tochter: "Ich habe dich heute dem Akli versprochen." Die jüngste Tochter erschrak und rief: "Ich will diesen Mann nicht. Er ist ein schlechter Mann, der sich nur an mir rächen will." Der Vater sagte: "Ich habe es nun einmal dem Akli zugesagt und kann mein Wort nicht mehr zurücknehmen." Die jüngste Tochter sah,



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daß nichts mehr zu ändern war. Sie sagte zu ihrem Vater: "So gib mir wenigstens zur Ehe reichlich Mehl, Butter und Milch mit." Der Vater sagte: "Das sollst du haben." Die Jüngste ließ sich viel Mehl, Butter und Milch geben.

Als der Tag der Hochzeit nahte, rührte sie am Morgen schon eine große Menge Teig an und formte daraus eine große Puppe. pie Puppe legte sie in ihr Bett. Am Morgen der Hochzeit sagte Akli ZU seinem Bruder Bussad: "Heute werde ich mich endlich an diesem Mädchen rächen können, das ich seinerzeit aus dem Haus der sieben Töchter herausnehmen und für mich gewinnen wollte und das mich an List übertroffen hat, so daß ihre sechs Schwestern wieder ganz gesund, ich aber heute noch nicht wieder ganz hergestellt bin. Bussad sagte: "Was willst du tun?" Akli sagte: "Wenn sie sich auf dem Lager ausgestreckt hat, werde ich sie mit dem Dolch totstechen." Bussad sagte: "Weshalb willst du einen Dolch nehmen. Er ist zu wenig für das, was das Mädchen dir angetan hat. Nimm ein Beil und schlage sie in ganz kleine Stücke." Aldi sagte: "Mein Bruder Bussad, du hast recht."

Als es Abend war, ging die Jüngste in die Hochzeitskammer. Sie überzeugte sich, ob die Puppe aus Mehl, Milch und Butter auch gut lag und versteckte sich dann in einem andern Winkel des Hauses. Als es Nacht war, kam Akli herein. Er zündete eine Lampe an und schaute nach dem Lager. Er zog ein Beil unter seinem Kleide hervor und begann auf die Puppe loszuschlagen. Er schlug der Puppe aus Mehl, Milch und Butter den Kopf ab. Er schlug ihr die Arme ab. Er schlug ihr die Beine ab. Er sagte: "Du hast Akli zum Gespött gemacht, nun will ich dich lachen lehren. Ich habe dagelegen wie ein Asekaor (Holzblock, wie er Sommers geschlagen und für die winterliche Zeit aufgestapelt und dann in Scheite gespalten wird), und ich will dich jetzt in Scheite schlagen. Ich will den Asekaor aufschlagen und sehen, was darin ist." Damit schlug er die Puppe aus Mehl, Milch und Butter mitten durch und ging hinaus. Draußen wartete Bussad auf seinen Bruder. Bussad fragte: "Mein Bruder Akli, hast du die Jüngste auch ganz klein geschlagen, so daß sie nicht mehr lebt?" Akli sagte: "Ich habe sie in Splitter geschlagen wie einen Asekaor!"

Am andern Morgen trafen sich Akli und Bussad auf dem Hofe und sagten: "Wir wollen nun hineingehen und die Leiche weg. schaffen." Sie standen ein wenig und gingen dann an die Tür der Hochzeitskammer. Als sie in die Hochzeitskammer, in der die zerschlagene



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junge Frau liegen sollte, eintraten, öffnete sich die Tür und die Jüngste trat wohlbehalten heraus. Die Brüder erschraken und gingen erstaunt zur Seite. Bussad sagte: "Du hast sie mit den Beilhieben nicht getroffen!" Akli sagte: "Ich habe sie doch aber im Lampenlicht zersplittert vor mir liegen gesehen!" Bussad sagte: "Sieh selbst hin, wie frisch und gesund sie ist. Sie kann keinen Beilhieb empfangen haben." Akli sagte: "Es muß so sein." Bussad sagte: "Laß mich heute abend in die Kammer gehen. Ich habe das Mädchen nie gern gehabt, wie dies einmal bei dir war. Ich werde sie mit den Beilhieben gut treffen." Akli sagte: "Es ist mir sehr recht." —

Tagsüber mischte die Jüngste wieder Mehl, Butter und Honig. Sie stellte wieder eine Puppe her und legte die Puppe auf ihr Lager. Am Nachmittage trug sie das Wasser, plauderte mit den Frauen auf dem Hofe und am Abend ging sie dann in ihre Kammer. Bussad und Aldi sahen, daß sie in die Kammer ging. Als es nun Nacht wurde, versteckte Bussad unter seinem Kleid ein großes Beil. Damit ging er in die Kammer. Er zündete eine Lampe an. Er blickte zu dem Lager hinüber und sah die helle Gestalt dort liegen. Bussad sagte bei sich: "Sie schläft. Ich werde ihr mit dem ersten Schlage das Herz durchschlagen. Ich habe schon manchen Asekaor zersplissen und treffe nicht vorbei." Er hob das Beil und schlug die Puppe mitten in das Herz hinein. Der Honig quoll hervor. Bussad sagte: "Sie rührt sich schon nicht mehr. Nun wollen wir sie ganz klein schlagen, damit das Wegräumen morgen um so leichter wird." Bussad schlug der Puppe den Kopf ab. Er schlug die Beine ab. Er schlug die Arme ab. Er schlug den Rumpf in Stücke, so daß von der ganzen Puppe kein spannenlanges Stück mehr heil war. Dann warf er das Beil in den Winkel und ging hinaus. Im Hofe wartete Aldi auf ihn. Akli sagte: "Nun mein Bruder Bussad, hast du es besser gemacht als ich ?" Bussad sagte: "Ich habe die Frau erst durch das Herz geschlagen, so daß das Blut weit hinfloß. Dann habe ich alle Glieder und den Rumpf in so kleine Stücke geschlagen, daß kein spannenlanges Stück mehr zusammengeblieben ist. Morgen früh wollen wir uns wieder hier treffen und die einzelnen Teile wegräumen." Aldi sagte: "Ich danke dir, mein Bruder Bussad."

Am andern Morgen trafen sich Aldi und Bussad auf dem Hofe. Aldi sagte: "Komm, ich will mir deine Arbeit ansehen." Bussad sagte: "Ja, wir wollen hineingehen und die einzelnen Teile herausbringen." Bussad und Aldi gingen über den Hof, um die Kammer,



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waren im Hause zusammengekommen. Sie färbten sich mit Henna- Sie sagten: "Wer ist die Schönste unter uns?" Sie lachten. Einige sagten: "Die Asekoar ist wahrscheinlich die Schönste!" Alle lachten. Einige sagten, wir gehen nicht, ehe man uns nicht "die Braut, den Asekoar" zeigt; es ist unser Recht, uns die Braut zu zeigen. Die Braut muß sehr häßlich sein, wenn sie sich uns nicht zeigt."

Die Jüngste hörte es. Die Jüngste tat es. Die Jüngste trat aus dem Asekoar hervor. Die Jüngste stand unter den anderen Mädchen. Es wurde hell in dem Zimmer, so schön war sie. Alle Mädchen sagten: "Dieses Asekoar-Mädchen ist das schönste unter uns." Die Mädchen lachten nicht mehr. Die Mädchen färbten der Jüngsten die Hände und Füße. Sie gingen und waren böse, daß das Mädchen im Holzblock schöner war als sie alle. Die Mädchen erzählten es überall.

Der Sohn kam in die Kammer. Die Jüngste sagte: "Morgen mußt du mir den Löwen und den großen Hund verschaffen. Die Mädchen haben mich gesehen und werden es überall erzählen. Akli wird es hören und wird bald kommen. Verschaffe mir also morgen den Löwen und den großen Hund." Am andern Tage ging der Sohn sogleich aus und kam mit dem Löwen und dem großen Hund zurück. Die Jüngste hieß die Tiere sich im Adäeinin (Viehstall) niederzulegen. Die Tiere gehorchten der Jüngsten.

Die Mädchen erzählten im Dorfe, wie die Jüngste aus dem Asekoar herausgetreten sei. Alle Leute sprachen darüber, daß die Braut aus dem Asekoar gekommen war. Überall im Land hörte man, daß es kein schöneres Mädchen gäbe als die Braut im Asekoar. Es gab keinen Ort, keinen Stamm, kein Volk, in dem man nicht von der Schönheit der Braut im Asekoar gesprochen hätte.

Bussad kam zu Akli und sagte: "Hast du schon von der schönen Braut im Asekoar gehört?" Akli sagte: "Alle Welt spricht darüber. Natürlich habe ich davon gehört. Aber alle Frauensachen sind mir gleich, seitdem die jüngste Tochter aus dem Haus der sieben Schwestern entschlüpfte, ohne daß ich mich hätte an ihr rächen können." Bussad sagte zu Akli: "Mein Bruder Akli! Wer sollte dieses schöne Mädchen aus dem Asekoar anders sein als deine Jüngste, die du und ich wie einen Asekoar zu zersplittern suchten und an deren Stelle wir dann unsere Mutter in das Feuer geworfen haben!" Akli rief: "Wahrhaftig, mein Bruder Bussad, du hast recht! Diese Braut aus dem Asekoar muß die Jüngste aus dem Hause der sieben Schwestern sein, mit der ich nichts Besseres anzufangen wußte, als sie zu vertreiben, ohne sie töten zu können. Komm, mein Bruder Bussad,



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mach dich mit mir auf den Weg. Sie hat uns beide verspottet und ist daran schuld, daß wir unsere eigene Mutter in das Feuer warfen. Komm, mein Bruder Bussad, mach dich mit mir auf den Weg, daß wir sie endlich töten."

Bussad sagte: "Mein Bruder Akli, ich glaube nicht, daß wir dieser schönen Braut in dem Asekoar an Klugheit gewachsen sind. Wenn du dich auf den Weg machen willst, noch einmal dein Glück mit ihr zu versuchen und sie umzubringen, so tue es. Ich beteilige mich nicht mehr daran, weil ich sie für klüger und listiger halte als mich selbst!" Akli sagte: "Dann mache ich mich allein auf den Weg!'

Akli verkleidete sich. Er band sich einen großen schwarzen Bart um und färbte sich das Angesicht gelblich. Er kaufte sich einen Kaftan und einen Kasten mit allerhand Spiegeln, Nadeln, Schminke. Er zog als Händler von Ort zu Ort. Unter seinem Kaftan trug er aber stets auf der linken Brusttasche einen Dolch.

Akli kam als Händler in den Ort, in dem das schöne Mädchen aus dem Asekoar verheiratet war, kam in das Haus der jungen Frau. Er klopfte und trat ein. Die Jüngste sah einen fremden Händler. Sie trat zurück und lehnte sich an den Eingangspfeiler des Adaeinin. Sie sagte: "Händler, suche mir einen Spiegel heraus." Der Händler beugte sich über seinen Kasten und kramte mit der linken Hand in den Spiegeln. Die Jüngste legte ihre linke Hand auf den Rücken und schnalzte mit den Fingern, so daß der Löwe und der große Hund es hinter ihr hörten und sich gehorsam erhoben und zum Sprunge duckten.

Akli, der verkleidete Händler, griff mit der rechten Hand suchend unter den Kaftan und sagte: "Ich habe hier noch ein besseres Stück für dich." Die Jüngste erkannte die Stimme. Sie sagte laut: "Auf!" Aldi wollte mit dem Dolch nach der Jüngsten stechen. Der große Hund sprang empor und zerbiß ihm das Handgelenk. Der Löwe sprang hervor und riß den Händler. zu Boden. Der Händler konnte sich nicht rühren.

Die Jüngste trat an den Händler heran und nahm ihm den falschen Bart ab. Sie betrachtete ihn, wie er am Boden lag. Die Jüngste sagte: "Akli, ich wußte, daß du kommen würdest und versuchen würdest, mich zu töten. Ich weiß, daß du, solange du lebst, versuchen wirst, mich zu töten. Deshalb kann ich dich nicht länger am Leben lassen!" Die Jüngste winkte dem Löwen. Er biß dem Akli den Hals durch. Der junge Ehemann kam nach Hause. Seine junge Frau sagte: "Der schlechte Mensch, der mich verfolgte, ist



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heute gekommen und wollte mich töten. Die Tiere haben ihn aber zerrissen. Nun brauche ich mich nicht mehr im Asekoar zu verstecken."


Copyright: arpa, 2015.

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