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Kapitel 

Walter Keller


Tessiner


Sagen und Volksmärchen

Mit Illustrationen von


Aldo Patocchi

1981

EDITION OLMS ZÜRICH


DER WEINBERG DES RITTERS ALFIERI

In Losone wohnte vor alter Zeit ein Lehensherr namens Ritter Paolo Alfieri, der in San Lorenzo seinen Sitz hatte, wo noch heute ein Hof mit mehreren altertümlichen Häusern gezeigt wird. Außerdem besaß er noch neben der Kirche von San Giorgio einen Weingarten mit Häusern und einer Mauer rings um den Besitz. Ueber dem Eingangstor bemerkt man ein Wappen mit einem Adler, und im Hof sind turmartige Häuser mit eisernen Gittern an den Fenstern. Dieses Landgut trägt noch heute den Namen «La vigna d'Alfieri.» Von diesem Lehensherrn erzählt die Sage folgendes tragische Ereignis:

Ein alter Bauer, dessen verstorbene Tochter eines der Opfer des reichen Lehensherrn Alfieri geworden war, hatte die grausame Beleidigung und Schmach nicht vergessen. Eines Tages, als am Himmel ein Gewitter drohte, war dieser Bauer auf dem Felde, raffte sein Heu zusammen und beeilte sich, es auf seinen Wagen zu laden, um es nach Hause zu führen, ehe der Sturm losbräche. In diesem Augenblick kam Alfieri auf das Feld geritten und gab ihm den Befehl, auf der Stelle Sand in seinen Weinberg zu führen. Der gute Mann gab ihm zur Antwort, er wolle seinem Befehl sogleich nachkommen, sobald er sein Heu in den Stall gebracht habe. Da rief der Ritter mit Stolz und Uebermut: «Ich will, daß du zuerst den Sand in meinen Weinberg schaffst!»



Tessiner Sagen-051 Flip arpa

Jetzt tat der Alte, der ein rüstiger und unerschrockener Mann war, dergleichen, wie wenn er seinem Befehl gehorchen wolle. Er nahm die Heugabel zur Hand, als ob er sein Heu vom Wagen wieder abladen wollte. Plötzlich aber wandte er sich gegen den Lehensherrn, stieß ihm die Heugabel in die Kehle, so daß dieser vom Pferd tot zu Boden stürzte.

Mittlerweile war der Himmel noch schwärzer geworden, die Blitze erhellten das traurige Schauspiel, der Donner rollte schauerlich, und dann folgte ein furchtbarer Platzregen, indessen ein kalter Wind von den Bergen her wehte und den Leichnam beinahe zum Erstarren brachte.

Die unerhörte Schmach war jetzt gerächt. Entsetzt über die in einem Augenblick des Jähzorns begangene Mordtat, floh der arme Bauersmann in das Gebirge und irrte dort einsam umher, wobei die Leute aus dem Volk ihn aus Mitleid versteckt hielten und ihn lange Zeit beschützten in einem Haus, das den Namen trägt La novella». Das Land aber war von dem bösen Ritter befreit.


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