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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


21. Die Mädchen bei der geizigen Katze

Ein Mann heiratete eine Frau. Die schenkte ihm sieben Töchter. Kaum waren diese sieben Töchter herangewachsen, da starb die Frau und der Mann heiratete eine zweite Frau. Diese zweite Frau konnte aber die sieben Töchter ihres Mannes aus der Ehe mit der ersten Frau nicht leiden und so sagte sie eines Tages zu ihm: "Entweder du entfernst die sieben Töchter deiner ersten Frau aus deinem Hause, oder ich kehre zu meinem Vater zurück. Ich mag nicht mehr mit den sieben Mädchen zusammensein."

Der Vater war darüber sehr betrübt, wußte sich aber nicht zu helfen. Seine neue Frau wollte er behalten, und so sagte er eines Tages zu seinen Töchtern: "Kommt mit mir, wir wollen zu einem L'kama gehen, der am Meere liegt und wollen da beten." Die sieben Töchter kamen darauf mit ihm. Er führte sie zu dem L'kama ans Meer. Er sagte: "Nun wollen wir noch vor dem Gebet ein Bad nehmen. Springt ihr voran; ich werde euch folgen." Der Vater stieß die sieben Töchter vom hohen Ufer aus in das Meer hinab. Dann kehrte er nach Hause zurück und sagte zu seiner Frau: "Dein Wunsch ist erfüllt."

Die sieben Mädchen gingen im Meere unter. Sie ertranken aber nicht, sondern sie kamen auf den Grund des Meeres, und da trafen sie einen Mann, der hatte sein Haus auf dem Grunde des Meeres. Er sprach die sieben Mädchen an. Er lud sie ein, in sein Haus zu kommen und bei ihm zu speisen. Er setzte ihnen gutes Essen vor. Die sieben Mädchen aßen. Dann fragte er die Mädchen: "Wie kommt ihr alle miteinander in das Meer?" Die Mädchen sagten: "Unsere Mutter ist gestorben. Unser Vater nahm eine zweite Frau. Die zweite Frau verlangte von ihm, daß er uns entferne. Da warf er uns denn ins Meer." Der Mann sagte: "Habt keine Furcht, ihr werdet ein gutes Schicksal haben. Ich werde euch an das Ufer helfen und werde euch einen Weg zeigen, auf dem ihr zu einer guten Unterkunft gelangen werdet."

Am andern Tag führte der Mann die sieben Mädchen an das Ufer und sagte: "Schlagt diesen Weg ein!" Die sieben Mädchen bedankten sich, nahmen Abschied und gingen auf dem vorgeschriebenen Wege dahin, bis sie an ein einsames Gehöft kamen, das hatte flur



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zwei Kammern. Die eine Kammer war geschlossen, die andere offen. Da gingen sie in die offene und schlossen hinter sich die Türe ab.

Die jüngste unter den sieben Mädchen wollte aber wissen, wer in der geschlossenen Kammer wohne. Und als die älteren sechs Schwestern vor Müdigkeit eingeschlafen waren, nahm sie einen Stein, kratzte den Lehm von der Mauer, bog die Stäbe des Wandgeflechts auseinander und schlüpfte durch die Lücke in die verschlossene Kammer hinüber. Auf der anderen Seite kauerte sie dann auf der Urnenbank zwischen den Akufin (Speicherurnen) im Winkel nieder.

Als es Abend war, wurde die Tür geöffnet. Der Herr der Kammer und des Gehöftes kam und betrat die Kammer. Die Jüngste steckte den Kopf etwas vor. Da sah sie, daß es ein Kater war, der seine Schafe von der Weide heimgetrieben hatte. Der Kater ging zu einem Kornkrug, öffnete ihn, nahm Weizen heraus und sagte: "Mit Hilfe Gottes (slaeun arbe) wünsche ich mir ein Brot." Sogleich entstand ein Brot. Der Kater aß das Brot, streckte sich auf seiner Matte aus und schlief ein.

Sobald der Morgen anbrach, erhob sich der Kater, öffnete die Tore, schloß die Tür seiner Kammer von außen zu und trieb seine Herde auf die Weide. Kaum war der Kater fortgegangen, so kam die Jüngste aus ihrem Versteck hervor. Sie schlüpfte zu den sechs Schwestern und fand sie weinend, denn sie hatten großen Hunger. Die Jüngste sagte: "Ach! Ihr braucht weder zu hungern noch zu weinen. Wir haben alles im Hause. Wir haben hier so viel, daß es für ein Jahr genügt. Wartet nur ein kleines Weilchen."

Danach kehrte die Jüngste durch das Loch in der Wand in die Kammer des Katers zurück, griff in den Korntopf, nahm reichlich Weizenkorn heraus, legte es auf eine Platte und sagte: "Mit Hilfe Gottes wünsche ich mir ein gründliches Gericht Aschechschuch!" (Ein gebäckartiges feines Gericht aus Weizenmehl und Milch.) Sogleich war das Gericht bereitet. Sie nahm die Platte auf und trug sie durch das Loch hinüber zu ihren sechs Schwestern. Die sieben Geschwister aßen sich gründlich satt. Die Jüngste hob aber von ihrem Anteil ein klein wenig auf und trug diesen auf der Platte durch das Wandloch hinüber in die Kammer des Katers und stellte es dort so hin, daß der Kater es heimkehrend sehen mußte. Dann versteckte sie sich wieder zwischen den Akufin.

Am Abend kam der Kater mit seiner Herde wieder heim. Als er seine Kammer öffnete und umhersah, erblickte er sogleich die Platte mit dem Rest von Aschechschuch. Voller Zorn schlug er sich bei



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diesem Anblick vor den Kopf und rief: "Was? Ich, ich der Herr des Hauses, ich esse aus Sparsamkeit alle Tage nur trockenes Brot und nun kommt irgend wer Fremdes und ißt hier Aschechschuch?! O, diese Verschwendung. Dafür werde ich aber heute abend nicht einmal mein trockenes Brot essen, um das Verlorene ein wenig einzubringen." Zornig legte der Kater sich hin und war bald, ohne die Reste des Aschechschuch weiter anzusehen, hungrig eingeschlafen.

Als die jüngste der sieben Schwestern nun aber am Schnarchen des Katers merkte, daß er eingeschlafen war, kam sie heraus und nahm die Überreste des Aschechschuch und strich sie dem Kater auf das Rückenende und an die Hinterbeine. Dann versteckte sie sich wieder, bis es Morgen ward, zwischen den Akufin. Als der Morgen graute, erwachte der Kater. Sein zorniger Blick fiel sogleich auf die Platte, auf der gestern die Reste des Aschechschuch gelegen hatten, denn er hatte nicht einmal beim Schlafen und Schnarchen die Wut über die ungehörige Verschwendung vergessen. Der Kater erstaunte sehr, daß er die Reste des Aschechschuch nicht erblicken konnte. Erstaunt blickte er nach allen Seiten um sich und entdeckte sie endlich an seinem Rückenende und an den Beinen. Zornig sprang er auf und schrie: "Was sehe ich! Ich selbst gönne mir, um zu sparen, nicht einmal mehr das trockene Brot und mein Hinterteil mästet sich mit Aschechschuch! ?! Was, ich soll nicht einmal mehr allein die Herrschaft über meine Sparsamkeit haben!?! Das will ich denn doch ein für allemal bestrafen. Warte, mein Hinterteil!"Der Kater ging hin. Er machte eine eiserne Hackenspitze im Feuer glühend und bohrte sie sich dann in das Hinterteil. Der Kater brüllte vor Schmerz und schrie: "So, mein Hinterteil! Nun werden wir ja sehen, wer die Herrschaft über meine Sparsamkeit hat!" Dann starb der Kater stöhnend.

Sobald der Kater gestorben war, kam die Jüngste aus ihrem Versteck heraus und rief die älteren sechs Schwestern herbei. Sie zeigte ihnen alle Schätze und allen Besitz, der nun den sieben Schwestern zufiel und sie wurden außerordentlich fröhlich, denn es war nun bis an ihr Lebensende für sie gesorgt.


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