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Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


9. Feensage der Ormonder.


Die Schweiz in ihren Ritterburgen.

Früher waren die Balmen *) der höchsten Felsen von Zauberinnen und Feen **) bewohnt. Dort hatten sie Grotten, mit Kristallen, Gold und Silber und mit allerhand köstlichen Steinen geziert, zu ihren Wohnsitzen. Helles Quellwasser,



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feine, feurige Weine waren ihre Getränke, Auerhähne, Haselhühner, Fasanen und junge Murmelthiere ihre Speise. Oft verlockten sie junge und wohlgestaltete Hirten in ihre Wohnungen, lebten dort in heimlicher Ehe mit denselben, lehrten ihnen die Heilkräfte der Bergkräuter und Pflanzen kennen, unterrichteten sie wie man verborgene Schätze entdecken und heben, Viehheerden vor Pest und Seuchen schützen, sich kugel- und eisenfest machen könne, und viele andere Geheimnisse und Künste. Wenn aber ein solcher Hirt, der sich ihrer Gunst zu erfreuen hatte, die anvertrauten Geheimnisse nicht zu wahren wußte, so lief er die höchste Gefahr von den Kobolden erwürgt oder in die Untiefen des Oldenhorns oder des Diablerets hinabgestürzt zu werden, wo seiner ein schreckbarer Hungertod harrte, und nur, wenn eine der Feen sich seiner erbarmte, und ein gut Wort bei den bösen Berggeistern für ihn einlegte, wurde er gerettet. Diese Feen sahen den gewöhnlichen Mädchen so ziemlich ähnlich, nur war ihre Haut



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rabenschwarz, wie die der Mohren in Agita und an ihren Füßen fehlte die Ferse. Ihr Kopfhaar aber war so dick und lang, daß sie damit ihren ganzen Körper wie mit einer härenen Kapuzinerkutte bedecken konnten. Jetzt steht man sie nicht mehr. Sie sind weiter gezogen, wohin weiß man nicht. An ihrem Fortzug soll ein unbändiger junger Geißhirt schuld sein, der ein solch Zauberweib hatte und es bei einem Wortwechsel , weil es, wie alle übrigen, sehr eigensinnig zanksüchtig und launisch war, mit dem Käsebrecher schlagen und zurechtweisen wollte. Das beleidigte die Fee, sie verließ den jungen Hirten, und mit ihr verschwanden auch alle übrigen.

Eine der bekanntesten Feengrotten, in der Volkssprache cava di Fale genannt, befindet sich in dem reizenden Thale Vallorbes, das sich zwischen dem Dent de Vaulion und dem Mont d 'Dr hinzieht, und durch diese Berge von dem Jouxthale getrennt ist. Diese Grotte, deren Decke in eine spitzbogenähnliche Wölbung ausläuft, welche ihr das Ansehen einer gothischen Kirche gibt und die Höhe von tausend Fuß erreichen soll, besteht aus zwei Stockwerken, von welchen das zweite, in dem noch deutlich Spuren vorhanden, daß einst Wasser hier durchgerauscht, merkwürdiger, als das erste ist. Nicht weit von dieser Felsenhöhle sind die Eisenhammer von Vallorbes, zu welchen vor noch nicht zu langer Zeit die Feen während des Winters oftmals des Nachts, wenn die Arbeiter schlafen gegangen, herabgekommen sein sollen, um sich zu erwärmen. Ein wachsamer Hahn kündete ihnen da das Erwachen und Nahen der Arbeiter an, so daß sie immer Zeit gewannen, den neugierigen Blicken derselben zu entgehen; zur Sommerzeit aber pflegten sie, von zwei großen Wölfen gehütet, welche vorwitzige Lauscher in respektvoller Entfernung hielten, in dem schönen Bassin der Orbequelle zu baden, die in der Feengrotte selbst entspringt. Erst als ein junger Arbeiter aus den Eisenwerken in ihre Wohnung eingedrungen und an einer schlafenden Fee die Mißgestalt ihrer Füße entdeckt, sollen die gütigen Wesen von diesem Aufenthaltsort geflohen sein. In noch früherer Zeit, im vierzehnten Jahrhundert, erzählte man im Kanton Wagt auch von einer Fee mit diamantenen Augen, Wuivra genannt, welche Diejenigen bereicherte, denen sie wohl wollte, und die man noch heute in der Frunche-Comté, wie wir schon Seite 6 sahen, und so auch im Kanton Wallis als das, was ihr Name eigentlich bedeutet, als karfunkeltragende Viper (Vuivre) oder schätzehütenden



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Drachen kennt, von dem das Dorf Vouvry in diesem Landestheile seinen Namen haben soll. Ein lebhaftes Bild der gespenstischen Gestalten, mit denen sich die Phantasie der Bewohner des Kantons Wallis trägt, .entwirft uns ein Gedicht von I. I. Reithard, dessen Anführung ich mir nicht versagen kann, obschon Einzelnes daraus bereits Erwähnung fand. Es lautet:


Die Landesgespenster im Wallis.

Halt's Maul!" schrie Meister Nepomuk
Von seinem Schneidertische:
"Gespenster -, Geister -, Hezenspuk
Sind eitel faule Fische! —
"Glaub ' was du willst," versetzt die Frau,
Doch weiß ich, was ich weiß, genau!
"Schon seit acht Tagen hilft ein Geist
In Küche mir und Garten;
Die schwersten Werke thut er meist
Und weiß es abzukarten,
Daß, was mich sonst halb lahm gemacht,
Vollendet ist, eh' ich's gedacht!
"Ei," brach der Meister mürrisch los,
Den Burschen möcht' ich schauen;
Doch steht er, wie ich merke, blos
Im Dienst der Schneidersfrauen
Und überläßt dem Schneiderlein
Den Dienst der Nadel ganz allein.
"Mir ist es zwar so breit als lang —
Behalte den Gesellen;
Für eines nur, aus Wissensdrang,
Juckt s mich, ihn anzustellen :
Ich hätte gern um Mitternacht
Durch's Wallisland 'ne Fahrt gemacht!
"Es wimmelt ja zu dieser Frist
Von Teufeln und Gespenstern;
Sie hüten jeden Haufen Mist
Und schau 'n aus allen Fenstern.
Da wär ' ich dann in einem Rung
Der ganzen Sippschaft auf dem Sprung!
Der Schneider lacht's mit gellem Hohn;
Doch eine Stimm ', wie Seide,



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Ruft aus der Eck': "Da bin ich schon,
Zu Lieb Dir oder Leide
Gleich sind wir Wer Thal und Berg!"
Und vor dem Schneider stand ein Zwerg :
In rothen Hosen, gelbem Rock,
Auf dem Baret 'ne Feder,
Im Nacken gold 'nes Haargelock,
Die Fuß in blauem Leder,
Die Schelmenaugen schalkhaft -fromm,
rief er: "Lieber Meister, komm!"
Dem Schneiderlein von Conthey fuhr
Es kalt in Herz und Magen;
Da schrie der Knirps: "So komm doch nur!"
Und packt ihn flugs am Kragen ;
Und durch die Luft trug ber Gesell
Den Nepomuk gen Monthey schnell.
Und Mitternacht ertönte g 'rad
Vom Kirchenthurme dröhnend,
Da saß der Schneider am Gestad
Des Viezeflusses stöhnend ;
Der Mond mit seinem falben Schein
Sah nicht, wie er, so grämlich d 'rein.
Und brausend über Stein und Stock,
Und schwarz kam's hergesprungen :
Das ist der große Geisterbock — *)
Nun frisch dich aufgeschwungen!
Das Zwerglein rief s. Gleichzeitig schier
Ritt Nepomuk das Riesenthier.
Das war der Böcke Fürst und Herr,
Die Bäume überragend
Und mit entsetzlichem Geplärr
Die Kreuz und Quere jagend;
Der Schneider, mit gesträubtem Haar,
Hielt schlotternd sich am Hörnerpaar.
*)



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Und hinter ihm das Zwerglein, dicht,
Raunt ihm in's Ohr, das lange i
"Kennst du den Bock von Conthey nicht?
Und nicht die Lierreschlange,
Die dort, auf wüstem Haideplatz,
Bewahrt den alten Heidenschatz 2
Kaum war verhallt der letzte Laut,
Entstand ein gräulich Zischen,
Und der entsetzte Schneider schaut
Sich's ringeln aus den Büschen;
Ein Niesenwurm erhebt sein Haupt,
Das reichgekrönte, jach, und schnaubt.
Dampf wirbelt aus der Nase dick
Und aus dem Rachen Feuer,
Und nach des Schneiderleins Genick
Zielt, scheint's, das Ungeheuer.
In Herzensangst gibt Nepomuk
Dem Reitbock einen Fersendruck —
Der puhstet wild, und brausend geht's
Durch Aecker, Waiden, Forsten;
Des Schneiders Haar, zu Berge sicht's,
Wie aufgesträubte Borsten
Doch schnell erreicht er , im Sturm,
Sankt Moriz' grauen Klosterthurm.
Kaum sind sie vor dem Mauerkreis,
Glänzt auf bewegter Welle
Im Klosterteiche, silberweiß,
Ein todtes Stück Forelle.
"Sieh," wispert's in des Schneiders Ohr:
"So eben starb ein Herr vom Chor!"
Und plötzlich hub zu läuten an
Das Todtenglöcklein helle:
"Hier stirbt, muß dort ein Chorherr d 'ran,
Stets eine Teichforelle!"
Erklärt der Zwerg. Vom kleinen See
Schwenkt d'rauf der Bock gen Plannevet.
Welch' grause Schlucht! An steiler Wand
Sieht man Gespenster irren,
Die tragen aufwärts feinen Sand
In löchrigen Geschirren;



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Doch ach, am Ziel bleibt zum Gewinn
Den Armen kaum ein Körnlein d'rinn!
Dann jammern sie und klagen sie,
Umzischt von Höllenflammen.
Und, voll Verzweiflung, schlagen sie
Die Hände wild zusammen,
Und unter Pein, Geheul und Zorn
Beginnen sie ihr Werk von vorn.
Das sind," so raunt's dem Schneider zu,
Der reichen Leute Seelen,
Die hier sich ohne Rast und Ruh
Nun selbst vergeblich quälen,
Wie sie, von Stolz und Geiz verstählt,
Die armen Brüder einst gequält.
"So muß im Sod zu Sissery *)
Auch Kaiser Nero büßen;
Dort stöhnt er ärger noch, als die,
Und wird's wohl ewig müssen;
Er stößt, mit schaurigem Geschnauf,
Stets Blasen aus der Tiefe auf.



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"Und weiter unten, nah bei Ses,
Büßt für verruchte Thaten,
Den Reichen gleich im Plannevet,
Das Volk der Advokaten:
In der Aucenda best's den Graus
Verderblicher Gewitter aus.
"Wie hier der Reiche brennt und schmort
In heißem Sand und Gluthen,
Verkommt der Rechtsverdreher dort
In Nebel, Schlamm und Fluthen,
Dieweil er Luft und Wasser trübt,
Wie er's im Leben auch geübt."
Und wieder ging's in einem Ruck
Fort über Thal und Soye, *)
Und plötzlich sah sich Nepomuk
Am Hügel von La Soye,
Und ihm entgegen, roth von Haar,
Trat eine Jungfrau wunderbar.
Die seufzt: "Ich hoffte nur noch halb
Auf dich, mein Freund! und harrte;
Jetzt hebe flugs das gold'ne Kalb,
Das längst allhier verscharrte;
Drei Küsse gibst du mir, und dein
Wird gleich das Kalb zu eigen sein
"Ein gülden Kalb," fragt er, mein Kind?"
Die Stirne ganz entrunzelt —
"Vielleicht ward aus dem Kalb ein Rind!
Jauchzt Nepomuk und schmunzelt:
Nur her, du holdes Angesicht!
Mein altes Weibsstück sieht uns nicht!
Er spitzt sein großes Maul nach ihr —
Da wird ihr Mund zum Rachen,
Und vor ihm steht, voll Freßbegier,
Der gräulichste der Drachen.
Der Schneider gab — sein Schreck war gros
Reitbock einen Rippenstoß.
Der bäumte sich und flog davon,
Wie Jägers Pfeil vom Bogen,
*)



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Und ist nach zwei Sekunden schon
In Sitten *) eingezogen;
Leis fragt der Zwerg: "O Schneiderheld!
Wie war's mit deinem Muth bestellt ?
Zwei Küsse noch, so hättest du
Den gold 'nen Hort genommen
Und wärst, wie manche andre Kuh,
Zu einem Kalb gekommen;
Der Drache war nur Trug und Wahn,
Er hätte dir kein Leid gethan.
"Nun aber halte dich bereit,
Vom Bock auf's Roß zu steigen;
Mir bleibt in gar zu kurzer Zeit
Noch Vieles Dir zu zeigen.
Da sind wir schon! Hier steht das Schloß
Und dort das Sedunenser Roß !"
Und wirklich, bei des Mondes Schein,
Steht's auf dem Platze mitten;
Statt zwei 'n hat blok ein-Hinterbein
Das Geisterroß von Sitten,
Schlank ist's, doch riesenhaft von Wuchs,
Zur hälfte Rapp ', zur Hälfte Fuchs.
Und mit geschwellten Nüstern schnob
Dem Bock es wild entgegen,
Und eine Funtengarbe stob
Von seines Hufes Schlägen;
Sein Auge rollt, sein Halshaar rauscht,
Als Nepomuk den Bock vertauscht.
Der Schneider hätt' es nie gethan,
Und d 'rum geschah's gezwungen:
Das Zwerglein sprang hinab, hinan
Und hielt ihn fest umschlungen:
So saß er plötzlich, unbegehrt,
Hoch oben auf dem Geisterpferd,
Es klapperte mit dem Gebiss-Ach
, ihm war nicht um Balgen! -
Am Ende schien's ihm gar gewiß,
Er sitz auf einem Galgen :



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"Hu! hat man" — schrie aus Angst er laut
"Je ein dreibeinig Pferd geschaut?"
Da sing der Galgen eines Russ
Sich tanzend an zu regen,
Schoß hinter's alte Rathhaus flugs
Der Geistersau entgegen,
Die, riesengroß und riesendick
Dasaß mit grünem Funkelblick.
Welch ' Schwein! Der Leviathan Jobs
Mocht' gleiches Maß kaum segen;
Der dickste Rathsherr ist ein Mops,
Ein Knirps, ein Frosch dagegen —
Und hätt' er zwanzig Jahr mit Glanz
Justiz verwaltet und Finanz.
Dem Schneider bläst der Führer ein:
"Freund, laß dich nicht entmuthen
Das Roß von Sion, wie das Schwein,
Sind alte Höllenbruten,
Du schon in grauer Heidenzeit
Das Land durchzogen weit und breit!
Und wiehernd schoß das Roß fürbas
Und grunzend folgt die Bache;
Der Zwerg, der hinter 'm Schneider saß,
That eine gelle Lache:
Juheh, du wack'res Schneiderherz!
Guck hinterwärts! Guck hinterwärts!"
Der Meister wandte sich, und schau 1
Es folgt' in buntem Drange
Der schwarze Bock der Rathhaussau,
Dem Bock die Lierreschlange,
Dem Wum die Maid im rothen Haar,
Ihr: Plannevets Gespensterschaar.
Fast unabsehbar ging der Zug
In lichter Geisterstunde;
Der Chorherr von St. Moriz trug
Den todten Fisch im Munde,
Und Kaiser Nero, hoch zu Gaul,
Stieß Wasserblasen aus dem Maul.



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Zuletzt im Zuge, dick gedrängt,
Gewahrt der Geisterseher,
Die Häupter nebelhaft verhängt,
Den Schwarm der Rechtsverdreher:
Er kömmt von der Aucenda her
Schleppt Wasserschläuche zentnerschwer.
Und in gedankenschnellem Lauf
Ging's längs dem Strand der Rhone
Und dann zum Dörflein Leuk hinauf,
Der Schweizerbäder Krone;
Ein schwarzes Männlein sprang voran
Und pocht ' an allen Thüren an.
Hat dann an's Fenster Kopf um Kopf
Gelockt der arge Doppler —
Dann spottet er aus vollem Kropf:
Ich bin der Thürenföppler"
Legt euch nur frischerdings aufs Ohr
Und schnarcht im Frieden, wie zuvor!
Nun stampft heran ein scheußlich Thier,
Das aus den Nüstern rauchet:
O weh! das istder Geisterstier,
Der wilde Stier vom Zauchet ';
Die Hörner glüh 'n in rothem Glanz
Und eine Fackel ist der Schwanz.
Er läßt ein ehernes Gedröhn
Durch all' die Stille schallen,
Als sei er ganz entsetzlich höhn,
Im Zuge mitzuwallen ;
Worauf der Schneider, angsterfüllt,
Noch ärger denn der Ochse brüllt.
Und ohne Bleiben, ohne Statt,
Flog's fort in wildem sagen;
Bald hört der Reuter in Zermatt
Zwölf und drei Viertel schlagen —
Da plötzlich sprang in weitem Satz
Ein Esel auf des Dörfleins Platz.
Ein Esel, huh! ein Riesenvieh-Kein
Hof erzeugt es größer,



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Ein Esel, der entsetzlich schrie,
Ein wahrer Schreckeinflötzer;
Der langen Ohren Doppelmast
Maß ein Paar Schweizerellen fast.
Von Farbe war er heiterblau,
Von Wesen sehr manierlich;
Er sah hinauf zur Himmelsau
Und lauschte höchst begierlich
Und schlug mit Schwanz und Huf exakt
Zu einer Melodie den Takt.
Der Hausgeist sprach: Ein Esel zwar,
Und geht auf allen Vieren;
Allein er hört der Engel Schaar
Im Himmel musiciren
Und strebt dann selbst, von Lust berauscht,
Zu singen, was sein Ohr erlauscht.
"Bei Nacht pflegt er im Champésee
Das blaue Fell zu baden;
Und weil dein Dörflein in der Näh ',
Will ich ihn jetzt beladen
Mit unsrer Doppelkleinigkeit;
Das Thier ist flink und dienstbereit."
Und wie man einen Finger kehrt,
Ging rasch der Tausch von Statten:
Das Paar ritt für das Dreibein Pferd
Den Esel von Zermatten,
Ließ bald den Spuk weit hinter sich i
Herr Langohr rannte mörderlich.
Als er die kühle Flut erreicht,
Von Felsen rings umschlossen,
Schwamm er zur Insel federleicht,
Als hätt ' er Haifischflossen;
Dort stellten plötzlich, blos und baar,
Sich ein halb Dutzend Hexen dar.
Die tanzten wohlgemuth im Kreis
Und lärmten wie besessen;
Dem Schneider wurde kalt und heiß:
Die Weiblein sind zum Fressen,
Da mach ' ich gleich, nach wüstem Ritt,
Ein angenehmes Tänzchen mit!"



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— "Schön!" Wisperte das Zwerglein, "wär'
Nur Einer nicht erschienen:
Der Teufel von Corbachièr'
Ist mitten unter ihnen;
Er hält den Hexensabbat hier
Und assorirt sich kaum mit dir!"
— "Und wären tausend Teufel eier
will ich Kühnheit zeigen!
Der Schneider schrie's, und, voll Begier,
Mischt er sich in den Reigen:
"Erlaubt, ihr Engel" sieht er fein,
"Von eurer Tanzpartie zu sein!"
Erst wird es ringsum grabesstill,
Doch ein gehörnter Bengel
Brüllt fürchterlich: "Du Schuft, ich will
Dir zeigen meine Engel!
Pack ' ihn beim Kragen, Salome!
Und wirf ihn hurtig in den See!"
Und eine derbe Braune faßt
Ihn rüttelnd an zwei Stellen,
Und schmeißt den ungebet 'nen Gast
Laut lachend in die Wellen.
Doch auf der Oberfläche schwamm
Der Schneider wie ein hohler Stamm.
— Nehmt Eure Besenstiele her
Und gerbt ihn durch nach Roten!
Hat Satan von Corbachèr'
Den Hexen d 'rauf geboten;
Und sieh, der Schneider wird gegerbt,
Bis rothes Blut das Wasser färbt!
D 'rauf steigen Nebel aus der Flut,
Ertosend, blitzend, rollend
Der Himmel setzt den Schattenhut
Rings auf die Felsen grollend;
Die Brandung schlägt an's Seegestad
Und speit den Schneider aus dem Bad.
Aufkeuchend zappelt er am Strand
Im weißen Schaumgefluder;
Und wieder faßt ihn eine Hand —
"Laß mich, du Hexenluder.



Schw.Sagebuch-401 Flip arpa

— Ich eine Hexe ? EI so guck!
Bist du verrückt, mein Nepomuk?"
Der Schneider fegt die Augen aus:
"Bist du es, alte Schlampe ?
Besind ' ich wirklich mich zu Haus
Und nicht im See zu Champé?
Hab ' ich, statt dieses Wams gesäumt,
Blos einen wüsten Traum geträumt?"
Da kichert's hinter'm Ofen risch:
"O Held vom Bügeleisen!
Dein Leib nur lag auf diesem Tisch,
Die Seele war auf Reisen;
Sie hat geschaut ,o Nepomuk!
Des Wallislandes Geisterspuk."


Copyright: arpa, 2015.

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