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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


2. Wodan's Rache.


L. Vulliemien, der Kanton Waat. S. 16.

Als die heidnischen Gottheiten dem siegenden Christenthum erlagen und auch die Bewohner des Waatlandes der neuen Lehre geschworen, war der Groll der Besiegten gegen ihre ehemaligen Anhänger so groß, daß sie diesen durch die Elemente, über welche sie damals die Macht noch nicht gänzlich verloren hatten, an ihrem zeitlichen Gute, um sie für ihre Abtrünnigkeit zu strafen und ihren Glauben an den neuen Gott wieder wanken zu machen, so viel als möglich zu schaden suchten. Vor allen war es Wodan, der erste der heidnischen Götter, der solche Rache übte. Bald brauste er als entfesselter Sturm, bald auf der Wolte des Donners einher, die Felder und Saaten von Reich und Arm zer



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störend. So kam er auch einst im alten Glanze auf einer hochaufgebäumten Woge, gleich wie auf einem Streitrosse sitzend, die Rhone herab, in der einen Hand ein Schlachtschwert , in der anderen die Weltkugel haltend. Da rief er: rigou hai ousson! (Strom, erhebe dich!) und die Rhone erhob sich auf seinen Befehl, überschwemmte das Ufer und riß, die ganze Gegend verheerend, einen Theil von St. Moritz ein; nur die Stelle, wo der Altar dem neuen Gotte errichtet war, blieb unversehrt. Da erst erkannte Wodan seine Ohnmacht gegenüber dem Christengotte. Nie wieder seit jener Zeit hat er sich den Menschen gezeigt, nie wieder Versuche gewagt, von neuem sein Reich unter ihnen zu gründen. Nur des Nachts, zu gewissen Zeiten des Jahres, läßt er sich noch hören im Sausen des Sturmes, hoch oben auf den Gletschern, zwischen Felsen und Gestein, in düsterem Waldesgrund, mehr aber sich selbst zur Pein, denn zum Schaden der Menschen. Unerblickt von deren Augen zieht er dann im scheußlichen Zuge einher, Freia, seine Gattin, einst eine gütige Göttin, jetzt ein böses Zauberweib, zur Seite, und was auf ewig verdammt , folget ihm: Selbstmörder, Trunkenbolde, ungetauft gestorbene Kinder, gehengte und geköpfte Missethäter, üppiges Weibsgesindel, Hexen und Hexenmeister, blutdürstige Nixen und boshafte Gnomen, kurz die Schaar aller jener bösen Geister, deren Reich die Felsen und Gletscher der Alpen, und deren Zahl so groß ist, daß, wollten sie dasselbe theilen, einem Jeden kaum ein Pfund der mächtigen Eis- und Felsenmasse anheim fiele. So sank Wodan, der einst von den Menschen als heiliger Gott Verehrte.

Im Bagnethale erscheint Wodan auch unter dem Namen Nickar (Nikarr, Hnikarr, nach Snorri schon im altnordischen Mythus ein Beiname dieses Gottes, unter dem er jedoch als wellenbesänftigend gedacht wurde) als König der Nixen. Diese Vorstellung sowohl, als obige Sage welche den Gott Wodan direkt als Anführer des wilden Heeres (s. S.



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37) bezeichnet, tragen somit das Gepräge hohen Alterthums. Als unzweifelhaftes Stammwort des Namens Wodan, Wuota nennt Grimm das dem lateinischen vadere, permeare entsprechende ahd. Zeitwort watan, wovon das Substantiv Wuot herzuleiten sei, das wie grec und animus eigentlich mens und ingenium, dann Ungestüm und Wildheit beedeutet. "Hiernach", bemerkt der Genannte in seiner Mythologie der Deutschen S. 94, "scheint Wuotan das allmächtige, alldurchdringende Wesen, qui omnia permeat, die geistige Gottheit. Wie frühe aber dieser Urbegriff verdunkelt oder erloschen war, läßt sich nicht sagen. Schon unter den Heiden muß jedoch neben der Bedeutung des mächtigen und weisen Gottes die des wilden, ungestümen und heftigen gewaltet haben; um so willkommener war es den Christen, die übele aus dem Namen Selbst hervorzuheben." Das Wort Vut, wahrscheinlich den Alamannen oder Burgunden in frühester Zeit abgelauscht, hat die romanische Sprache noch heute im Sinn von Abgott, Götze aufbewahrt.
Copyright: arpa, 2015.

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