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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


15. Die Tiere als Hirten

Der Panther (arreleth), der Schakal (sikh'schen) und der Eber (eleph) wohnten einmal gemeinsam in einem Hause. Sie waren miteinander befreundet. Der Panther befahl im Hause. Eines Tages sandte der Panther den Schakal aus und sagte: "Gehe auf den Markt und sieh, ob es da etwas Gutes für uns gibt." Der Schakal machte sich auf den Weg und kam bald an den Ort. Er wagte aber nicht, in den Ort hineinzugehen. Er sah sehr viel Schafe, die da feilgeboten wurden. Der Schakal kam zurück und sagte: "Ich sah auf dem Markte viele Schafe. Schicke nur den Eber und laß sehen, ob es nicht so ist." Der Panther fragte: "Warum hast du denn keines mitgebracht?" Der Schakal sagte: "Ich fand sie zu teuer. Der Eber soll entscheiden, ob es nicht so ist."

In der nächsten Woche, als wieder Markttag war, sandte der Schakal den Eber aus und sagte: "Gehe auf den Markt und sieh, ob es da etwas Gutes zu essen gibt." Der Eber machte sich auf den Weg und kam bald an den Ort. Er wagte aber nicht in den Ort hineinzugehen. Der Eber sah sehr viele Schafe, die da feilgeboten wurden. Der Eber kam zurück und sagte: "Ich sah auf dem Markte viele Schafe. Geh nur selbst und sieh zu, ob es nicht so ist." Der Panther fragte: "Warum hast denn keines mitgebracht?" Der Eber sagte: "Ich fand sie zu teuer. Geh selbst hin und entscheide, ob es nicht so ist."

In der nächsten Woche, als wieder Markttag war, sagte der Schakal



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zum Panther: "Gehe du heute selbst auf den Markt und sieh, ob es da etwas Gutes zu essen gibt." Der Eber sagte: "Ja, gehe du heute selbst. Du bist der Stärkste von uns dreien." Der Panther machte sich auf den Weg und kam bald an den Ort. Er wagte es aber nicht, auch in den Ort hineinzugehen. Er sah auch sehr viele Schafe, die da feilgeboten wurden. Der Panther kam zurück und sagte: "Ihr hattet recht, es sind sehr viele Schafe auf dem Markt, aber sie sind zu teuer."

Am andern Tage sagte der Panther zum Schakal: "Schakal, du hast mehr Erfahrung als ich und der Eber; gib uns einen Rat, wie wir uns ein Schaf beschaffen können." Der Schakal sagte: "Ein Schaf nützt uns wenig. Wir haben eine Mahlzeit davon und am andern Tage haben wir dieselbe Sorge um unser Fortkommen. Wir müssen unsere eigenen Herden von Schafen haben, die Junge werfen und uns so ein bequemes Leben verschaffen. Ich bin dann auch bereit, die Herden für euch zu hüten." Der Panther sagte: "Wie kommen wir aber zu den Herden?" Der Schakal sagte: "Hier in der Nähe ist eine große Ebene, auf der viele Hirten ihre Schafherden weiden. Geh du nun, Panther, als der Stärkste, dorthin, und wenn dann morgen früh alle Hirten zusammenkommen, springst du zwischen sie. Sie werden fortlaufen und der Eber kann die Schafe dann nach Hause treiben. Ich will sie dann schon weiden." Der Panther und der Eber waren einverstanden.

Am andern Morgen gingen der Panther und der Eber in die große Ebene. Sie trafen da mehrere Herden. Die Hirten waren zusammengetreten. Der Panther sprang zwischen sie. Die Hirten schrien: "Der Panther will uns fressen." Die Hirten liefen nach allen Seiten von dannen. Der Eber kam aus dem Busch und trieb die Herde zusammen. Dann trieb der Eber die Herde zu dem Hause, in dem der Panther, der Eber und der Schakal zusammen wohnten.

Am andern Tage trieb der Schakal die Herde auf die Weide. Er trieb die Schafe vor sich her. Aus dem Walde kam ein D'deb (ein wildes Fabeltier). D'deb sagte: "Vetter Schakal, du hütest die Schafe ?" Der Schakal sagte: "Ja, ich hüte die Schafe." D'deb sagte: "Gib mir ein Schaf oder ich verschlinge dich." Der Schakal gab D'deb ein Schaf.

Abends trieb der Schakal die Herde heim. Der Eber kam und zählte die Herde. Der Eber sah, daß ein Schaf fehlte. Der Eber beschimpfte den Schakal und sagte: "Du hast schlecht gehütet. Du hast ein Schaf verloren." Der Schakal sagte: "So hüte du morgen."



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Am andern Tage trieb der Eber die Herde auf die Weide. Er trieb die Schafe vor sich her. Aus dem Walde kam ein D'deb. D'deb sagte: "Vetter Eber, du hütest die Schafe?" Der Eber sagte: "Ja, ich hüte die Schafe."D'deb sagte: "Gib mir ein Schaf, oder ich verschlinge dich." Der Eber sagte: "Die Schafe gehören nicht mir. Sie gehören dem Panther." D'deb sagte: "Gib mir ein Schaf, oder ich verschlinge dich." Der Eber gab D'deb ein Schaf.

Abends trieb der Eber die Herde heim. Der Panther kam und zählte die Herde. Der Panther sah, daß ein Schaf fehlte. Der Panther beschimpfte den Eber und sagte: "Du hast schlecht gehütet. Du hast ein Schaf verloren." Der Eber sagte: "So hüte du morgen." Am andern Tage trieb der Panther also selbst die Herde auf die Weide. Er trieb die Schafe vor sich her. Aus dem Walde kam ein D'deb. D'deb sagte: "Vetter Panther, du hütest die Schafe?" Der Panther sagte: "Ja, ich hüte die Schafe." D'deb sagte: "Vetter Panther, gib mir ein Schaf oder ich verschlinge dich." Der Panther sagte: "Wähle dir ein Schaf aus." D'deb wählte sich ein Schaf und nahm es mit sich.

Abends trieb der Panther die Herde heim. Der Schakal kam und zählte die Herde. Der Schakal sah, daß ein Schaf fehlte. Der Schakal sagte: "Dir fehlt auch ein Schaf wie uns andern beiden. Bist du D'deb begegnet?" Der Panther sagte: "Ja, D'deb hat es mir geraubt, ich konnte es nicht hindern." Der Eber sagte: "So ist es mir auch gegangen."

Der Panther sagte zum Schakal: "Schakal, du hast die meiste Erfahrung. Sage uns, was wir in dieser Sache tun können. D'deb raubt uns jeden Tag ein Schaf. Wenn es so weiter geht, werden wir bald keine Schafe mehr haben." Der Schakal sagte: "Wir wollen den Sohn des Schmiedes bitten, daß er uns die Schafe hütet. Der Sohn des Schmiedes ist sicherlich stärker als D'deb." Sie riefen also den Sohn des Schmiedes.

Am andern Tag nahm der Sohn des Schmiedes seine Deissel auf den Rücken und trieb die Herde auf die Weide. Er trieb die Schafe vor sich her. Dann setzte er sich an den Waldrand und schnitzte mit der Deissel Löffel. Aus dem Walde kam D'deb. D'deb sagte: "Vetter Schmied, du hütest die Schafe ?" Der Sohn des Schmiedes sagte: "Ja, ich hüte die Schafe." D'deb sagte: "Schmied, gib mir ein Schaf oder ich verschlinge dich!" Der Sohn des Schmiedes sagte: "Wähle dir ein Schaf." Der Sohn des Schmiedes schnitzte an seinem Löffel weiter. D'deb wählte sich ein Schaf und wollte damit von



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dannen gehen. D'deb sah nochmals rückwärts, und sah den Sohn des Schmiedes (gelassen) schnitzen.

D'deb blieb stehen und fragte: "Vetter Schmied, was machst du da?" Der Sohn des Schmiedes sagte: "Ich schnitze mir ein Paar Stelzen (thirksellin), damit ich gehend über die Büsche sehen kann. D'deb kam zurück und sagte: "Schnitze mir doch auch ein paar Stelzen. Sieh, meine Vorderbeine sind kürzer als die Hinterbeine, das hindert mich beim Laufen." Der Sohn des Schmiedes sagte: "So komm her und laß dir Maß nehmen."

D'deb kam ganz dicht heran. Der Sohn des Schmiedes sagte: "Lege dich zum Maßnehmen auf den Rücken, damit ich die Länge ausmessen kann." D'deb legte sich auf den Rücken und streckte die Füße in die Höhe. Der Sohn des Schmiedes band die vier Füße D'debs fest zusammen. Dann schlug er mit der Deissel zu und die vier Füße mit einem Schlage ab. Dann schlug der Sohn des Schmiedes mit einem zweiten Schlage den Kopf D'debs ab und steckte ihn in seine Tasche. Hernach schnitzte er an seinen Löffeln weiter.

Abends trieb der Sohn des Schmiedes die Herde heim. Der Panther kam und zählte die Herde. Es fehlte kein Schaf. Der Eber kam und zählte die Herde. Es fehlte kein Schaf. Der Schakal kam und zählte die Herde. Es fehlte kein Schaf. Der Panther, der Eber und der Schakal fragten den Sohn des Schmiedes: "So bist du D'deb nicht begegnet?" Der Sohn des Schmiedes sagte: "Gewiß, bin ich D'deb begegnet." Er zog D'debs Kopf aus der Tasche und warf ihn den drei andern hin. Der Panther, der Eber und der Schakal sprangen voller Entsetzen auseinander.

Der Panther, der Eber und der Schakal sagten untereinander: "Der Sohn des Schmiedes ist klüger und stärker als wir. Der Sohn des Schmiedes hat D'deb getötet. Der Sohn des Schmiedes wird, wenn es erst Nacht ist, auch uns töten, um morgen alle Schafe allein zu besitzen. Was sollen wir tun, um uns seiner zu erwehren ?" Der Schakal sagte: "Wir müssen wissen, wann er schläft."

Der Schakal kam zum Sohn des Schmiedes und fragte ihn: "Woran kann man erkennen, daß du schläfst?" (milnuth[e]geurth). Der Sohn des Schmiedes sagte: "Sagt mir zuerst, woran man erkennt, daß ihr schlaft. Nachher will ich euch dann auch sagen, woran ihr erkennt, wenn ich schlafe." Der Schakal sagte: "Wenn die Bohnen aus dem Meere aufwachsen, ist das ein Zeichen, daß ich schlafe." Der Eber sagte: "Wenn das Salz im Topf aufblüht, ist das ein Zeichen, daß ich schlafe." Der Panther sagte: "Wenn vor dir ein Stein



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rot wird, ohne daß es ein Fluß ist, ist das ein Zeichen, daß ich schlafe." Der Schmied sagte: "Wenn der Hammer, die Zange und die Eisenstange im Feuer zu Wasser zerrinnen, ist das ein Zeichen, daß ich schlafe."

Der Sohn des Schmiedes legte sich zum Schlafen nieder. Der Panther, der Eber und der Schakal nahmen den Hammer, die Zange und die Eisenstange des Schmiedes und legten sie ins Feuer, um zu sehen, wann sie zu Wasser zerfließen würden. Der Eber ging hinaus und brach Holz für das Feuer, der Panther trug das Holz ins Haus zu dem Feuer, der Schakal blies das Feuer an.

Nach einiger Zeit wurde der Schakal über dem Feuerblasen schläfrig, legte sich hin und schlief ein. Einige Zeit nachher wurde der Eber vom Holzschlagen müde, legte sich nieder und schlief ein. Endlich wurde auch der Panther vom Holztragen müde, legte sich nieder und schlief ein.

Als alle drei eingeschlafen waren, stand der Sohn des Schmiedes auf. Er sah, daß die drei eingeschlafen waren. Er zog die glühende Eisenstange aus dem Feuer und stieß damit den Schakal in den Rücken. Der Schakal sprang auf und lief schnell aus dem Hause. Der Sohn des Schmiedes zog den glühenden Hammer aus dem Feuer und schlug damit dem Panther auf den Rücken. Der Panther sprang auf und lief schnell aus dem Hause. Der Sohn des Schmiedes zog die glühende Zange aus dem Feuer und kniff damit dem Eber an die Schnauze. Der Eber sprang auf und lief schnell aus dem Hause. Als der Panther, der Eber und der Schakal aus dem Hause gelaufen waren, legte der Sohn des Schmiedes die Eisenstange, die Zange und den Hammer wieder in das Feuer und schloß die Tür hinter dem Panther, dem Eber und dem Schakal zu.

Der Panther, der Eber und der Schakal trafen im Walde zusammen. Sie sagten zueinander: "Wir wollen den Sohn des Schmiedes töten. Wir wollen nur abwarten, bis er schläft." Der Panther sagte zudem Schakal: "Geh du jetzt hin, sieh durch die Türe und melde uns, ob der Sohn des Schmiedes schläft oder was er treibt." Der Schakal lief zum Hause zurück. Der Schakal legte das Ohr an die Ritze der Haustür, um zu horchen, ob er etwas vom Sohn des Schmiedes zu hören vermöge. Der Sohn des Schmiedes nahm die glühende Eisenspitze wieder aus dem Feuer und stieß sie durch die Ritze in das Ohr des Schakals. Die Eisenstange ging durch den Kopf des Schakals und kam zum andern Ohr wieder heraus. Der Schakal schrie auf und rannte von dannen. Als der Schakal seine Kameraden



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traf, fragten diese ihn: "Hast du etwas gemerkt ?" Der Schakal sagte "Ich habe nichts gemerkt."

Der Panther sagte zum Eber: "Geh du jetzt hin und sieh durch die Türritze und melde uns, ob der Sohn des Schmiedes schläft oder was er treibt." Der Eber lief zum Hause zurück. Der Eber steckte die Schnauze durch die Türritze und schnupperte. Der Sohn des Schmiedes nahm die glühende Zange wieder aus dem Feuer, packte damit die Schnauze des Ebers und kniff sie ihm ab. Der Eber schrie auf und rannte von dannen. Als der Eber seine Kameraden traf, fragten diese ihn: "Hast du etwas gemerkt?" Der Eber sagte: "Ich habe nichts gemerkt."

Der Panther sagte: "Jetzt werde ich selbst hingehen und unter die Tür hindurchsehen. Ich werde euch dann melden, ob der Sohn des Schmiedes schläft oder was er treibt." Der Panther lief zum Hause zurück. Der Panther setzte den Kopf unter die Tür hinein, um zu sehen, was im Hause vor sich gehe. Der Sohn des Schmiedes nahm den glühenden Hammer wieder aus dem Feuer und schlug damit mit aller Kraft dem Panther auf den Kopf. Der Panther ward erst ohnmächtig; dann erhob er sich und taumelte zu dem Eber und dem Schakal zurück. Der Eber und der Schakal fragten: "Hast du etwas gemerkt?" Der Panther sagte: "Ich bekam einen Schlag, als ob sieben Männer sieben Schläge getan hätten."

Der Panther, der Eber und der Schakal flohen. Sie liefen so schnell wie möglich von dannen, um dem Sohne des Schmiedes zu entgehen. Sie kamen an eine Farm, die an einem Flusse lag. Am Flusse stand ein Baum. Ein Kind ging vorbei. Der Panther sprang auf den Baum. Der Eber sprang auf einen Strohhaufen. Der Schakal war noch nicht angekommen. Aus dem Hause kam eine Ratte. Sie wurde von einer Katze verfolgt. Die Katze schrie: "Mau, Mau, chchch! Mau, Mau, chchch!" Der Panther erschrak. Er dachte, das Kind riefe die anderen Leute zu Hilfe. Er sprang vom Baum. Er fiel gerade in den Fluß. Die Wellen des Flusses trugen ihn fort.

Der Sohn des Schmiedes blieb im Besitz der Herden. Er war ein wohlhabender Mann geworden.


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