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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


4. Die drei Mareien.


Schriftliche und mündliche Mittheilung aus Baden.

In früherer Zeit. standen die Heilquellen Badens unter dem Schutze und der Aufsicht drei weißer Frauen. Wo sie eigentlich wohnten- oder zu Haufe-waren, wußte man nicht; doch sagt man, daß das alte Schloß, ehemals zum Stein genannt, ihr Wohnsitz gewesen sein soll. Selten nur sah man sie von Angesicht zu Angesicht, obschon sie, besonders während der Badezeit, fast immer in Baden anwesend waren, wo sie dann eine Senge Aufsicht über die Bäder führten. Wo sie eine Unreinlichkeit sahen, oder sonst etwas nicht in ber hörigen Ordnung war, blieb auf ihren Befehl das Wasser sofort aus und fieng erst dann wieder an zu fließen, wenn der Schmutz entfernt oder der Schaden wieder hergestellt war. Ihre größte Aufmerksamkeit widmeten sie jedoch dem Verenenbad, das von der heiligen Verena, die hier badete, seinen Namen hat, das man aber früherhin nur schlechtweg das Verenenloch nannte. Dort ließen sie so heilkräftiges und starkes Wasser zufließen, daß schwangere Weiher oder solche, die ein Kindlein begehrten, wenn sie dort badeten, bald eines solchen genasen. Auch Kinder, welche Kant waren, machte das Wasser dort bald gesund. Wem aber die Huld ihres Anblickes



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schenkten, der ward in seinem Leben nie wieder krank. Diese drei weißen Frauen, welche überaus schön waren, nannte man die drei Mareien. Ihr Andenken lebt in folgendem Kindemeim noch heute unter dem Volke :

Rite, rite Rößli,
Ze Bade stoht e Schlößli,
Ze Bade stoht e güidi Hus,
Es lueged drei Mareie drus.
Die eint spinnt Side,
Die andere schnützelt Chride,
Die dritt schnit Haberstrau,
B'hüet mir Gott das Chindle au!
Die heilsamen Kräfte der Heilquellen Badens kannte schon das Alterthum; als die Sterilität der Frauen beseitigend rühmten sie besonders die hier niedergelassenen Römer. Daher fand die ägyptische Isis, das Prinzip der zeugenden Kraft, von ihnen in ihre Mythologie aufgenommen, hier einen Tempel *), der nach Zerstörung der Altäre der heidnischen
Dem Isidi Templum a Solo
L. Annusius Magianus
De suo posuit vir aquens. B.
Ad cujus templi ornamenta
Alpina Alpinula conjux
Et Peregrina Fil. XC dede —
Bunt L. . V . . Vicanorum
Wettingen, jetzt der Sitz des aargauischen Lehrerseminars, war früher ein Männerkloster des Cisterzienserordens, das im Jahr 1227 vom Graf Heinrich von Rapperswyl gegründet ward, der wegen seiner häufigen Wallfahrten der Wandeler genannt wurde. Als Ursache seiner Entstehung erzählt die Sage, bei seiner Rückkehr vom heiligen Grabe habe dem Grafen Schiffbruch gedroht. Da habe er den Himmel um Rettung angefleht und zum Danke für dieselbe den Bau eines Klosters gelobt. Auf dieses Gelübde sei plötzlich ein leuchtender Stern aufgegangen, bei dessen Erscheinen der Sturm sich sofort gelegt habe. Der Graf sei glücklich heimgekehrt, das Kloster erbaut und zum Andenken an jenen rettenden Stern Maris Stella oder Meer-stern genannt worden. Richtiger scheint die Vermuthung, daß es diesen Namen dem Eingange zu einem Hymnus auf die Mutter Maria, dem Ave Maris stella, verdankt.



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Götter den heiligen drei Königen aus dem Morgenlande geweiht ward. Gewiß scheint es nicht zu gewagt, wenn man der wunderbaren Fluctuation der Volkssage folgend, in der sich heidnische und christliche Vorstellung so oft in engsten und weitesten Kreislinien zusammenfindet, annimmt, sich die einst hier angebetete ägyptische Göttin Isis, die Eins mit der nordischen Freia, in der christlichen Maria, welche das Christenthum an die Stelle dieser zwei heidnischen Göttinnen treten ließ, vielleicht nicht ohne Einfluß der dreifachen Zahl der morgenländischen Könige, als die drei Mareien unserer Sage verdreifachte. Daß christlicher Sinn die Freia, die heidnische Göttermutter und Ehen beschützende Gottheit, durch die Mutter des Sohnes des Gottes des Christenthums, durch die Jungfrau Maria ersetzte, läßt außerdem so Manches als fast unzweifelhaft erscheinen. Unter Anderm ruft man in Frankreich die Mutter Maria ganz auf ähnliche Art, wie unsere Vorfahren von der Freia oder der Isis Kindersegen erflehten, noch heute als hülfreiche Jungfrau (vierge secourable) zum Schutze der Gebärenden an, und auf der Insel Seeland heißt der Gürtel Orions, dessen schwedische Benennung Friggerock oder Freyerock ist, beim gemeinen Mann in diesem Augenblick noch Mariarock,, die Spindel Maria's *). Da Maria schon hier als Spinnerin gedacht wird, so könnte dies auf einen noch angern Zusammenhang der drei Mareien unserer Sage mit der Mythologie der Alten führen, nämlich auf den mit den drei Nornen (die Nornen, einzeln Urdhr, Gewesen, Verdhandi, Werdend, Skuld, Zukunft, geheißen, wohnen in einem Palaste unter der Esche Ugdrasil, dem Lebensbaum, dessen Wurzel sie mit Wasser aus der Udarquelle benetzen und mit weißem Lehm bestreuen, damit er nicht verdorre und verfaule; sie spinnen die Schicksalsfäden und bestimmem die Lebenszeit jedes einzelnen Menschen, indem sic jedem neugeborenen Kinde nahen und demselben ihr Urtheil sprechen. Urdhr und Verdhandi schrieb man wohlwollende, der dritten, Skuld, aber böse Gesinnung zu; wahrscheinlich war sie es, die gleich der Parze Atropos den Lebensfaden abschnitt — sollte sich von alledem in obigem Kinderreim nicht eine dunkle Ahnung erhalten haben ?), die wir in den später gewöhnlich ebenfalls zu Dreien auftretenden Feen, die, anfänglich von der Verkündigung des Schicksals **) genannt, sich bald in geisterhafte Frauen überhaupt umwandelten, , wiedererkennen müssen.



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Von dem Schlosse Stein, dessen unsere Sage erwähnt, heißt es noch, daß sich auf dessen Mauern bisweilen ein Ritter in schwarzer Rüstung erblicken lasse. Dieser Ritter soll der Geist des Kaisers Albrecht, der sich am Tage vor seiner Ermordung hier aufhielt, sein Erscheinen aber die Vorbedeutung irgend eines Unglücks sein.
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