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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


1. Das Schrätteli.


Mündlich.

Im Aargau fürchtet man ein Nachtgespenst, das man das Schrätteli nennt. ES ist wie ein Blutegel, bald zusammengezogen wie ein Knäuel, bald lang ausgedehnt wie ein Riese. Des Nachts, wenn der Mond scheint, schwebt es ein Schatten herab von den Bergen, huscht über Felder und Matten und verschwindet in den Wohnungen der Menschen, in die es durch das Schlüsselloch und die Ritzen der Fenster dringt. Hier, wo es einen Schlafenden findet, beginnt es sein geisterhaftes Spiel. Da zusammengeballt in scheußlich borstiger Igelgestalt hockt es zentnerschwer auf der Lagerstatt, zieht die Decke des Gemachs nieder auf den Schlafenden, schnellt plötzlich wieder mit ihr empor hinauf in die unendliche Ferne der Gestirne, reißt den Schläfer mit sich über Meere und Länder auf die Spitze der Berge und höher Thürme, stürmt ihn nieder in Abgründe und läßt ihn sonst alle Gefahr Wasser und zu Lande erleiden, Räuber umgeben ihn, drohen ihm mit dem



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Tode, bald verfolgen ihn wüthende Thiere, bald sieht er sich in Ketten und Banden, ein arger Verbrecher wird er zum Richtplatz geführt, das Ende der Welt naht, die Erde erzittert , feurige Kugeln fahren durch die Lüfte und platzen vor seinen Augen mit ungeheurem Knalle, daß der Gequälte gleich den Todten vom Posaunenklang am jüngsten Tag aus tiefem Schlafe erwacht, aber noch immer sitzt auf ihm das Schrätteli in seiner scheußlichen Gestalt, streichelt ihn mit seinen Borsten über das Gesicht und sieht ihn an mit seinen kleinen Augen, höhnisch und grinsend, als wollte es sagen: nun, habe ich dich recht gequälte da endlich rafft der halbwache Schläfer seine ganze Kraft zusammen, mit kräftigem Ruck zieht er die Bettdecke unter ihm hinweg, daß Bettdecke, Schrätteli und Träumer nieder auf die Diele des Zimmers stürzen, wo dieser endlich völlig erwacht, sich aber noch lange besinnt, warum er statt im Bett hier auf dem harten Boden liegt; erst wenn ihm klar, daß er's dem Schrätteli zu verdanken, entweicht der Quälgeist und huscht der gleiche schwarze Schatten wie er gekommen, über die Wiesen und Felder den Wäldern und Abgründen der Berge zu, wo am Tage sein Aufenthalt.

Gegen dieses Nächtgespenst schützen nur heilige Amulette, geweiht von Priesterhand, es gibt jedoch auch noch ein anderes Mittel, das gute Dienste leisten soll; es ist dies ein Messer, so auf die Brust gelegt, daß die Schneide aufwärts steht.

In dem dämonischen Nachtgeist obiger Sage ist die Schwarzelbe, der den Menschen feindlich gesinnte Alp (s. S. 19) nicht zu verkennen, schon sein Name Schrätteli von dem althochdeutschen Seratun , was gleich dem lateinischen Pilosus (f. S. 27) einen den Faunen und Panisken vergleichbaren rauhen, zottigen Berg- und Waldgeist bedeutet, bezeichnet ihn als solchen. Noch vollständiger hat sich das Wort Scratun in Schraf, dem Namen eines Riesen erhalten, von dem man im Wasgau erzählt und bem daselbst Tempel und Bäume geheiligt gewesen sein sollen



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Stöber, Sagen des Elsasses S. 88) und von wo aus sich vielleicht das mit der Diminutivform Schrätteli nicht ganz vereinbare Bild, welches man sich im Aargau von diesem Wesen macht und das sich dort mehr der Vorstellung von einem bösen riesenhaften Geist nähert *), nach der Schweiz verpflanzte. Das Messer, als Schutzmittel gegen böse Geister, erwähnte schon Sage Nr. 23 S. 280.
Copyright: arpa, 2015.

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