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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


15. Sage von der Wasserburg im Bodensee.


Mündlich.

Unweit Moosburg und Friedrichshafen liegen auf dem Grunde des Bodensees die Trümmer einer Burg, die Wasserburg genannt. Daß diese Burg sammt der Insel, auf der sie stand, in die Tiefe des Sees versank, war der gsuch einer bösen That der Freiherren von Güttingen, deren Stammsitz Schloß Moosburg war. Grauenvoll lautet die Sage :

Zur Zeit als die Freiherren von Güttingen noch jene Gegend beherrschten, kam eine große Hungersnoth über das Land; was an Lebensmitteln vorhanden, war aufgezehrt, nur auf dem Schlosse der Freiherren von Güttingen, deren Speicher reichlich gefüllt waren, lebte man unbarmherzig mit dem Jammer der Andern noch in Saus und Braus. Da endlich als die Noth nicht mehr ertragen, lief das Volk in Schaaren zusammen und flehte die reichen Herren um einige Hände nom, das elende Leben zu fristen, aber alles Flehen der Armen war umsonst. Hierüber empört rafften sie ihre letzten Kräfte zusammen und wollten mit Gewalt nehmen, was ihren Bitten versagt war. Was aber konnte das entkräftete hunger matte Volk gegen die wohlgenährten Knechte der Freiherren von Güttingen. Bald mußte es der Gewalt weichen und ein großer Theil von ihnen ward gefangen auf Schloß Moosburg eingebracht, von dessen mitleidslosen Herren, die über die letzte verzweifelte That der Unglücklichen noch mehr ergrimmt , jetzt der Befehl erging, die Gefangenen in eine Scheuer zu sperren und diese darauf in Brand stecken. Als nun die Flammen über den armen Menschen zusammenschlugen und ihr Jammergeschrei mehr und mehr erstickte, da riefen



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die hartherzigen Freiherren mit teuflischem Hohn: Ah, die Kornmäuslein haben bald ausgepfiffen ! Kaum aber waren diese Worte über ihre Lippen, so fing es von unzähligen schwarzen Punkten in dem Brand drin an ;u wimmeln, immer schwärzer und schwärzer ward die Gluth, daraus endlich tausend und aber tausend Ratten und Mäuse hervorbrachen, welche mit spitzen Zähnen und Krallen wüthend über die Unmenschen herfielen. Da flüchteten sich diese nach der ihnen zugehörenden Wasserburg auf einer Insel in dem See, hoffend dort dem Strafgericht Gottes zu entgehen. Aber auch hierher drangen ihnen die Peiniger nach, von dem schrecklichen Schicksal, bei lebendigem Leibe aufgefressen zu werden, konnte sie nichts erretten. Burg und Insel aber, von da an der Wohnsitz jener Thiere, wurden in kurzer Zeit so zernagt, daß sie bald nach dem Tode ihrer Herren in den See versanken.

Da das düstere Bild, welches obige Sage von den Edlen von Güttingen entwirft, kein einziger historischer Zug aus deren Leben rechtfertigt, so kann dasselbe nur einer rein sinnbildlichen Deutung unterliegen, zu welcher der Schlüssel in der mythologischen Vorstellungsweise der Alten gesucht werden muß, 'bei denen die Begriffe: Fruchtkorn und Maus Sinnbilder des Lebens und der Vernichtung waren. So wurden dem Gotte Dagon, der phönizischen Ceres, vergoldete Aehren und vergoldete Mäuse als Sühnopfer dargebracht, während diese gleichzeitig den todbringenden Typhon geheiligt und das hieroglyphische Zeichen für die Pest waren. Auf dieser mythologischen Grundlage ist für obige Sage und für alle ihr ähnlichen, z. B. für die vom Bischof Hatto zu Mainz *),



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leicht die Schlußfolgerung zuziehen, daß in ihnen die Erinnerung an einstige große Hungersnoth und darauf folgende Pestzeit aufbewahrt ist, indem sie, der sinnbildlichen Darstellungsweise der Alsen folgend, für diese einzelne Personen, statt die ganze von dem Unglück betroffene Volksmasse als Anhaltepunkt wählte, eine Personifizirung, in welcher sich die Sage von jeher gefiel.
Copyright: arpa, 2015.

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