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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


13. Der Igel und der Eber

Der Igel und der Eber legten einmal gemeinsam Felder an. Im Winter bauten sie ein Weizenfeld; im Frühjahr pflanzten sie Zwiebeln (loboll[e]). Zuerst waren die Zwiebeln reif. Der Igel sagte zum Eber: "Wir wollen sogleich ausmachen, wie wir teilen wollen, damit nicht nachher Streit entsteht. Wir wollen so teilen, daß einer das bekommt, was unter der Erde ist, und einer das, was über der Erde ist. Nun bestimme du, welches du willst: das über der Erde, oder das unter der Erde?" Der Eber sagte: "Ich will das nehmen, was über der Erde ist." Sie ernteten die Zwiebelbeete ab. Der Igel bekam die Zwiebeln und der Eber bekam das Kraut. Der Eber sagte zum Igel: "Eh, du bist klug." Der Igel sagte: "Wieso bin ich klug? Du



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hast doch selbst dasjenige gewählt, was über der Erde ist." Der Eber sagte: "Ich werde mich rächen, wenn der Weizen reif ist. Ich werde nicht wieder so töricht sein."

Nach einiger Zeit war der Weizen reif. Der Igel sagte zum Eber: "Wir wollen nun wieder gleich ausmachen, was jeder bekommt, damit nachher kein Streit entsteht. Sage mir also, willst du das haben, was über der Erde ist, oder das, was unter der Erde ist." Der Eber sagte: "Ich bin nicht so töricht, daß ich wieder das wähle, was über der Erde ist, diesmal will ich das haben, was unter der Erde ist." Der Igel sagte: "Es soll so geschehen, wie du es gewünscht hast."

Der Igel und der Eber ernteten das Weizenfeld ab. Sie schnitter die Ähren (thimithkiuschar) mit dem Stroh auf der einen Seite und den Wurzeln auf der anderen Seite. Der Igel trug die Ähren heim und sagte zum Eber: "Alle diese Wurzeln waren unter der Erde; sie gehören dir." Der Eber sagte: "Du hast mich wieder betrogen." Der Igel sagte: "Wieso habe ich dich betrogen? Ich habe dir doch freie Wahl gelassen und du hast selbst gewählt, was unter der Erde ist!"

Im nächsten Jahre sagte der Igel zu dem Eber: "Wollen wir wieder gemeinsam ein Feld bestellen?" Der Eber sagte: "Ja, wir wollen wieder gemeinsam ein Feld bestellen; aber wenn wir das abernten, wollen wir ehrlich teilen und nicht nach deiner Malice (thachereimith)." Der Igel und der Eber bauten Zwiebeln, Steckrüben ([i]slephs) und Weizen an.

Als es soweit war, ernteten sie die Zwiebeln und den Weizen und kochten beide. Dann ernteten sie die Rüben. Sie hatten alle Arbeit gemacht: das Pflanzen, das Ernten, das Dreschen und das Heimbringen. Es war alles in Ordnung bis auf das Teilen. Der Igel sagte: "Wir haben nun alles eingebracht und wollen teilen. Damit es nun recht zugehe, wollen wir es nicht machen, wie im vorigen Jahre. Du warfst mir vor, im vorigen Jahr hätte ich alles gewonnen durch meine Schlauheit. Ich schlage dir vor, daß wir es diesmal nicht nach der Schlauheit machen, sondern nach der Stärke. Oder glaubst du nicht, daß du mich an Stärke übertriffst ?" Der Eber sagte: "Gewiß übertreffe ich dich an Stärke." Der Igel sagte: "Dann wollen wir uns ohne Waffen um den Besitz der Ernte schlagen. Und damit es ehrlich zugeht, wollen wir als Zeugen (inäghei» den Löwen, den Schakal, einen Bruder von dir und einen meiner Brüder zuschauen lassen." Der Eber sagte: "Ich bin einverstanden."



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Der Eber und der Igel riefen die Zeugen herbei. Der Löwe, der Schakal, ein Bruder des Ebers und ein Bruder des Igels kamen als Zeugen herzu und sagten: "Keiner von den beiden, die sich schlagen, darf ein Messer nehmen." Der Löwe sagte: "Jetzt schlagt euch. Derjenige, der unterliegt, oder der zuerst bereut, den Kampf begonnen zu haben, wird nichts erhalten. Derjenige, der siegt, oder, wenn der andere bereut, noch bereit ist weiter zu kämpfen, dem soll die Ernte zufallen. Jetzt schlagt euch." Der Eber und der Igel traten zum Kampf an. Der Eber rannte mit aller Kraft heran und stürzte sich auf den Igel. Der Eber stieß auf ihn mit der Schnauze. Der Igel steckte seine Stacheln heraus. Der Eber schrie: "Der Igel verletzt die Bedingungen. Der Igel benutzt ein Messer!" Der Igel sagte: "Hier sind die Zeugen. Habe ich ein Messer benutzt ?" Die Zeugen sagten: "Nein, der Igel hat kein Messer benutzt."

Der Eber stürzte sich wieder auf den Igel. Der Igel streckte wieder die Stacheln heraus. Der Eber fuhr wieder mit der Schnauze in die Stacheln des Igels. Der Eber schrie: "Der Igel verletzt die Bedingungen. Der Igel benutzt ein Messer." Der Igel sagte: "Hier sind die Zeugen. Habe ich ein Messer benutzt?" Die Zeugen sagten: "Nein, der Igel hat kein Messer benutzt."

Der Eber stürzte sich zum dritten Male auf den Igel. Der Igel streckte wieder seine Stacheln heraus. Der Eber fuhr wieder mit der Schnauze in die Stacheln des Igels. Der Eber schrie: "Der Igel verletzt die Bedingungen. Der Igel benutzt ein Messer." Der Igel sagte: "Hier sind die Zeugen. Habe ich ein Messer benutzt ?" Die Zeugen sagten: "Nein, der Igel hat kein Messer benutzt."

Der Eber sagte: "Ich glaube doch, daß der Igel ein Messer benutzt hat. Ich kämpfe nicht mehr mit dem Igel." Der Igel ging fort. Der Igel sagte: "Ich bin bereit, weiter zu kämpfen. Ihr seht also, daß ich gewonnen habe." Der Löwe, der Schakal, der Bruder des Ebers und der Bruder des Igels sagten: "Der Igel hat gewonnen. Die Ernte gehört dem Igel."


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